Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

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Der sekundäre Diskurs in der Moderne

Christopher Ebner (Graz) [BIO]

Email: christopherebner@gmx.at


 

ABSTRACT:

In unterschiedlichem Ausmaß tragen Journalismus, akademisch-kritischer Diskurs und Poststrukturalismus dazu bei, eine angemessene Rezeption von Kunstwerken zu unterbinden. Sie verschütten teils durch die Exegese, teils durch radikale Theorien der Referenzlosigkeit den Zugang zur Bedeutung. Der Journalismus ist seinem Wesen nach unempfindlich für wahre Bedeutung, er war und ist Ausdruck des Egalitarismus der Informationen. Heute ist er das Medium, das zwischen dem Erleben des Menschen und den Ereignissen in der Welt steht. Der Mensch ist so vom unmittelbaren Erleben abgeschnitten, was in manchen Fällen gut, in anderen aber problematisch ist.

1927 legt Martin Heidegger in seinem Hauptwerk Sein und Zeit zum ersten Mal eine Metaphysik des Journalismus vor, die auch das Wesen des Sekundären zum Thema hat. Die von echter und unmittelbarer Erfahrung abgeschnittenen Menschen nennt Heidegger das Man. Das Man ist alle und keiner, in der „Unauffälligkeit und Nichtfestellbarkeit entfaltet das Man seine eigentliche Diktatur.“(1)

Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom ‚großen Haufen’ zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden ‚empörend’, was man empörend findet.(2)

Das Man, das durch Durchschnittlichkeit und Alltäglichkeit charakterisiert ist, ebnet alles ein, gleicht jede Ausnahme seiner eigenen Durchschnittlichkeit an. „Alles Ursprüngliche ist über Nacht als längst bekannt geglättet. Alles Erkämpfte wird handlich. Jedes Geheimnis verliert seine Kraft.“(3) Das Netz des medial Vermittelten legt sich über die Wirklichkeit der Kunst, deren Wesen so tendenziell unerfahrbar wird. Obwohl es ähnliche Phänomene überall, zu jeder Zeit und in jeder Kultur gibt, wird bei Heidegger implizit klar, dass die Moderne jene Epoche ist, in der der Mensch überhaupt nicht mehr aus dem Man entkommen kann.

Der akademisch-kritische Diskurs, wie er vor allem in den Literaturwissenschaften geführt wird, ist anders als der Journalismus nicht prinzipiell problematisch, als vielmehr anfällig für Korruption. Von der falschen – aus dem Journalismus gespeisten – Annahme ausgehend, alle Werke verlangten die gleiche Aufmerksamkeit bei der Kommentierung, weitet sich die zunächst und zumeist auf die Gegenwart gerichtete gleichmachende Tendenz des Journalismus auf Werke der Vergangenheit aus. Den Höhepunkt der problematischen Deutungen von Kunst und Literatur bildet dabei der dekonstruktivistische Diskurs, der nicht einmal mehr zwischen Werk und Kommentar, zwischen Literatur und Wirklichkeit unterscheidet. So erlebt die Unempfindlichkeit für das Echte und Bedeutende, für das Geheimnisvolle und das Erkämpfte eine Institutionalisierung.

Der Beitrag möchte die Elemente des sekundären Diskurses kurz vorstellen und sie im Hinblick auf ihre möglichen Auswirkungen auf die Dichtung und deren Deutung beleuchten.


1 Martin Heidegger: Sein und Zeit. 18. Aufl. Tübingen: Niemeyer 2001, S. 126.
2 Heidegger, Sein und Zeit, S. 126f.
3 Ebda, S. 127.

 


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