Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

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Das Wunder der Zeichen
Jabès Annäherungen an das Buch: ihre theologischen, medientheoretischen und kulturwissenschaflichen Implikationen

Wolfgang Müller-Funk (Universität Wien) [BIO]

Email: wolfgang.mueller-funk@univie.ac.at

 


 

ABSTRACT:

Weit über den eigentlichen Bereich des Religiösen hinaus ist die abendländische Kultur von der Kulturtechnik des Schreibens und vom Medium des Buches geprägt. Ohne diesen Sachverhalt wäre die moderne Welt, in der wir leben, gänzlich undenkbar. Sie hat aber auch die religiöse Tiefenstruktur dieser Kultur geprägt. Kanonisierung, universale Verbreitung, Dogmatismus und Fundamentalismus oder christliche Gedächtniskultur wären undenkbar ohne die Existenz jenes Buches, das für die gläubigen Christen in aller Welt eine Heilige Schrift ist, die Woche für Woche verlesen und kommentiert wird. Die Bibel ist aber auch das Buch der Bücher, weil ohne dieses Buch keine Buchkultur denkbar wäre.

Buchstabengläubigkeit hat eine anrüchige Bedeutung und erweckt die Vorstellung von Pedanterie. Man denkt dabei an Menschen, die auf Punkt und Komma pochen. Insbesondere die romantische Spiritualität – man denke etwa an Friedrich Schleiermacher - hat immer auf die Gefahr verwiesen, daß der Buchstabe den lebendigen Geist alles Religiösen austrocknet. Daß es indes eine ganz andere Form von Schriftgläubigkeit gibt, zeigt das umfangreiche Werk von Edmond Jabès. Jabès, dessen Werk um die Themen Schrift, Tod und Gott kreist, ist ein Kind mehrerer Kulturen: als Jude in Kairo geboren, floh er aus dem Ägypten Nassers, wurde in den späten 1950er Jahren Teil des französischen Geistesleben, das von Existentialismus und religiöser Rückbesinnung bestimmt war. In seinen Fragmenten, Kurzessays und Dialogen geht er der elementaren Bedeutung von Schrift und Buch für unsere Kultur nach. Wir können die Geschichte und den Kern unserer Kultur nicht verstehen, wenn wir nicht die mediale Bedeutung und Logik von Buch und Schrift in Rechnung stellen.

Zu dieser Logik gehört auch, daß es erst die Schrift ist, die eine zentrale Eigenschaft des jüdischen und christlichen Gottes verbürgt. Insofern ist unsere Vorstellung des Heiligen unmittelbar an die Magie des Schreibens und des Geschriebenen geknüpft:

„Ob ich von Buch zu Buch, auf dem Umweg seine Schrift, ausschließlich das Judentum befragt habe? Ich glaube erkannt zu haben, daß das jüdische Schrifttum in seiner Rückbindung an die Ewigkeit, immer nur ein Schrifttum sein, wie es aus dem zähen Kampf des Buches gegen sein eigenes Bild hervorgeht: das Wort des Bildes gegenüber dem Bild des Wortes. Ein Kampf, dessen nicht feststellbares Ende dieses Schrifttum verbürgt. Weiß sind die erste und die letzte Seite des Buchs.“

Schrift bedeutet Überdauern, Überdauern des Todes, Zeitlosigkeit und ein paradoxes Spiel von Anfang und Ende. Indem es Anfang und Ende hat, ruft das Buch die Zeit an. Und es bannt sie zugleich: denn Anfang und Ende sind insofern gleich, als es die weißen Blätter des Buches sind. So verwandeln sich Spekulation und Reflexion über das Medium Buch in ein meditatives und mystischen Kreisen um die großen Themen des Religiösen: Liebe und Dialog, Tod und Leben, Erinnern und Vergessen, Zeit und Ewigkeit. Das Wort Gott, schreibt Jabès, „ist ein leeres Wort, so weit zum Unendlichen hin geöffnet, daß das ganze Universum ohne Schwierigkeit darin Platz finden könnte.“

Die paradoxe Vorstellung von Gott als einem, dessen Abwesenheit gegenwärtig ist, beruht auf eben jener zentralen Eigenschaft der Sprache, die in der Schrift magisch beredt wird: die Schrift erinnert an das, was nicht da ist, aber durch die Magie des Wortes aufgerufen wird, Beschwörung dessen, das durch das Buch in der Welt ist: Gott, der Autor des letzten und einzigen Buches.

In seinem Werk „Vom Buch zum Buch“ greift Jabès noch einmal das Thema des letzen Buches auf und stellt es in einen unmittelbaren Zusammenhang mit unseren Vorstellungen:

Das letzte Buch ist GOTTES Buch, das für die Menschen das erste gewesen wäre, falls er es hätte schreiben können.

So gäbe es denn Bücher, und Bücher, welche sich für das letzte ausgeben.

Das letzte Buch bleibt uns stets unbekannt; jedoch vielleicht deshalb, weil es uns zu allen Zeiten vage bekannt war?

So auch Gott.

An einer Stelle des Buches kommt Jabès auf die pathetische Szene zu sprechen, in der Gott seine Gebote in Stein verewigt. Er kommentiert dieses Geschehen sowie das Zerschlagen der Steintafeln als einen sinnstiftenden Akt: „Gott hat Sein Wort keineswegs in den Stein geritzt, sondern in den ewigen Augenblick eines zu Stein gewordenen Schweigens.

Das Zerschlagen der TAFELN ist vor allem der Hauptakt, der es erlaubte, daß die göttliche Schrift des Schweigens überging in das verbriefte Schweigen alles Geschriebenen.“

In dieser Drehbewegung tritt das Hermetische und Geheimnisvolle zutage. Jabès nennt es das Schweigen. Denn entgegen allem Anschein, der Buch und Schrift auf Mitteilung und Verkündigung verpflichtet, verweist das Geschriebene auf sich selbst. Und im Kern dieses Selbst befindet sich das, was der jüdische Dichter und Essayist das Schweigen nennt: „Schreiben […] ist ein gegen das Schweigen gerichteter Akt des Schweigens; der erste positive Akt gegen den Tod.“

Ziel des Vortrages ist im Gefolge einer intensiven Lektüre (close reading), die theologischen, medientheoretischen und kulturwissenschaftlichen Implikationen von Jabès Konzept des Buches kritisch zu hinterfragen und miteinander zu verschränken. Dabei werden auch Hintergründe dessen explizit, die man mit dem Begriff der Dekonstruktion verbindet.

 


 

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