Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive


 

Ein Narrativ des Ausnahmezustandes in Bosnien: Jean-Luc Godards Je vous salue, Sarajevo (1993)

Tanja Zimmermann (Universität Erfurt) [BIO]

Email: tanja.zimmermann@uni-erfurt.de

 


 

ABSTRACT:

Die Besonderheit der neuesten Balkan-Kriege um das Erbe Tito-Jugoslawiens war, dass sie als Ausnahmezustand ohne Kriegserklärung begonnen hatten und über weite Strecken als Bürgerkriege geführt worden waren. Trotz Miloševics Bemühungen, die Streitigkeiten vor dem Hintergrund des jugoslawischen Rechts und des Völkerrechts zu interpretieren, fanden kriegerische Aktionen im rechtsfreien Raum statt. Nicht einmal die Genfer Konvention war für die Gegner bindend. Dennoch wurde dieser Krieg als typische Form von bewaffneten Konflikten nach dem Kalten Krieg betrachtet. Der Krieg im Ausnahmezustand war zum Normalfall des Krieges avanciert.

Als ein simultanes Nebeneinender von Elementen, die sich der Aktualisierung und der Denotation im konkreten Diskurs widersetzen, suspendiert der Ausnahmezustand jegliche Möglichkeit des rechtmäßigen Handelns. Die Suspension des bestehenden Rechtssystems im Ausnahmezustand prägte auch den Kriegsdiskurs. Bosnien und der Balkan waren Szenarios einer Sprache (langue), die an der Anwendung ihres eigenen diskursiven Repertoires (parole) scheitert. Die Kriegsberichterstattung als „zweite Front“ stellte ihre eigene Unwirksamkeit, ja Kraftlosigkeit beständig unter Beweis.

Wie lässt sich dieses Scheitern verstehen? Wie überträgt sich die Suspendierung der Elemente und ihrer Koordination auf die Struktur des Narrativs in Bild und Text? Agambens Die Sprache und der Tod (1983) sowie Homo sacer (1995), Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge (1998) und Ausnahmezustand (2001), die während der Jugoslawien-Kriege oder kurz danach veröffentlicht wurden, haben die verbalen und visuellen Narrative über die Auseinandersetzungen untergründig mitgeprägt. Vor diesem Hintergrund soll ein Kurzfilm Jean-Luc Godards, Je vous salue, Sarajevo (1993, 2 Min.) analysiert werden. Dem Film liegt ein bekanntes Foto des Kriegsreporters Ron Haviv aus Jahre 1992 zugrunde, das zeigt, wie serbische Milizionäre Angehörige der moslemischen Zivilbevölkerung in Bosnien lustvoll abschlachten. Im Film werden Ausschnitte aus dem Foto nacheinander gezeigt und von einem kurzen Text über die Regel und die Ausnahme begleitet, wobei die Regel mit der europäischen Kultur, die Ausnahme mit der Kunst und Bosnien konnotiert wird. Hintergründe des Films sind einerseits die intellektuelle Mediendebatte, die in Europa um den Bosnien-Krieg geführt wurde (der Streit zwischen Baudrillard und Sontag), andererseits das konkrete mediale Material der westeuropäischen Kriegsberichterstattung, besonders im Fernsehen.

 


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