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Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Ökologie und Kultur

Leitung der Sektion/Anmeldung von Referaten bei:
Email: Thomas V. Gamkrelidze (Tbilisi)

Der Terminus "Ökologie" bezeichnet seiner etymologischen Bedeutung nach die Wissenschaft über "Umgebung", "Milieu", "Habitat". Der Begriff "Umgebung" setzt ein Zentrum, einen Zentralpunkt voraus, wo sich der Mensch (Beobachter) befindet und woher er oder sie die "Umgebung", die "Umwelt" betrachtet.

Im Falle solch einer Definition der "Ökologie" müssen wir den Charakter dieser "Umgebung" oder "Umwelt" bestimmen: Ist diese "Umwelt" physisch und biologisch oder menschlich (d.h. sozial-kulturell). Dementsprechend müsste man zwischen der physisch-biologischen und der kulturell-sozialen Ökologie unterscheiden, die die humanitäre Aspekte der "Ökologie" behandelt und die man als "Ökologie der Kultur" oder "Kulturökologie" bezeichnen könnte.

Die Kulturökologie betrachtet den Menschen nicht als ein biologisches Objekt, das durch die physische Umwelt umgeben ist, sondern als ein sozial-kulturelles Phänomen, das bestimmte Beziehungen zur menschlichen Umwelt herstellt und das durch diese oder jene soziale Umgebung (Milieu) beeinflußt wird. Auf den Tagungen, die der Ökologie gewidmet sind, wird unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf physisch-biologische Ökologie konzentriert, indem man die Probleme der Kulturökologie völlig außer Acht läßt. Die Völker der ganzen Welt aber, und insbesondere kleinere Völker, sind nicht weniger ums Überleben ihrer nationalen Kulturen und Sprachen, um den Schutz ihrer ethischen und ästhetischen Werte, als um den Schutz ihrer physischen Umwelt besorgt.

Der Untergang dieser Sprachen und Kulturen würde die gleiche Katastrophe vom kulturökologischen Standpunkt bedeuten, wie die größte Umweltverschmutzung vom Standpunkt der physisch-biologische Ökologie.

Wir tragen in das "Rote Buch" die Namen der Tiere und Pflanzen ein, denen das Aussterben droht, und warnen davor die Menschheit, aber oft vergessen wir die menschliche Kultur selbst und beobachten gleichgültig den Untergang der Völker und Sprachen- der Völker, die selbst Teil der allgemeinen menschlichen Geschichte und Kultur sind. Der Verlust solcher Völker und Sprachen mach die Menschheit ärmer und einfältiger, in dem sie einen Teil ihres historischen Gedächtnisses verliert, um nicht über die nationalen Gefühle jener Völker zu sprechen, denen historisch das schwere Los bestimmt war, lebende Zeugen des Unterganges ihrer nationalen Sprachen und Kulturen zu sein - und manchmal auch ihrer gänzlichen Vernichtung und Assimilation innerhalb großer staatlicher Verbände als Folge offizieller nationalistischer Politik großer Staaten. Oft ruft eben solche Politik die nationalen Unruhen hervor, die oft unverständlich für einen Außenbeobachter bleiben, die aber in ihrer Intensität nicht mit irgendeiner Unzufriedenheit wegen einer schweren sozial-ökonomischen Lage der Bevölkerung zu vergleichen sind.

Somit erwerben die sozial-ökonomischen Faktoren und die sprachliche Situation die größte Bedeutung im Komplex der Kulturökologie.

Es muss dringend ein "Rotes Buch" bedrohter Völker und Sprachen zusammengestellt und wissenschaftliche und Organisationsmaßnahmen unverzüglich getroffen werden zur Rettung solcher Sprachen und Kulturen.

In diesem Zusammenhang entsteht ein ganzer Komplex von Fragen hinsichtlich des Status' der nationalen Sprachen und Kulturen und ihrer Beziehungen zueinander. Alle diese Fragen gehören zum Bereich der "Kulturökologie" und ein spezielles wissenschaftliches Forum sollte der Diskussion der globalen kulturökologischen Probleme gewidmet werden, um bedeutende Empfehlungen und grundlegende Prinzipien der "Kulturökologie" auszuarbeiten. Zusammen mit der physisch-biologischen Ökologie bildet die Kulturökologie eine gemeinsame globale ökologische Disziplin, die man "Ökologie der menschlichen Gesellschaft nennen könnte.

Bisher war die Ökologie eine rein physisch-biologische Disziplin und fast keine Aufmerksamkeit wurde den geisteswissenschaftlichen und sozial-kulturellen Aspekten der Ökologie geschenkt. Die Ökologie als eine komplexe wissenschaftliche Disziplin betrachtet, die das Milieu, die Umgebung der menschlichen Gemeinschaft - sowohl die physisch-biologische, als auch die sozial-kulturelle - erforscht, müsste eine ihr gebührende wichtige Stelle unter den fundamentalen Wissenschaften einnehmen.

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