Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur

Maria Klanska (Instytut Filologii Germanskiej UJ, Kraków)
Moritz Rappaport als Brückenbauer zwischen der deutschen, jüdischen und polnischen Kultur

Die Haskalah gelangte nach Galizien verspätet mit napoleonischer Armee und charakterisierte sich in der ersten Generation der 20er, 30 Jahre des 19. Jahrhunderts durch eine lebhafte autodidaktische Tätigkeit. Sie kam nach Osteuropa vor allem aus Deutschland und obwohl ihre erste Sprache Hebräisch war, bewirkte diese Tatsache sowie die Nähe des Jiddischen zum Deutschen, dass Deutsch ihre zweite Sprache wurde. Obwohl seit 1868 im nun autonomen Galizien Polnisch wieder die Sprache der Verwaltung und des Unterrichts wurde, blieb die Strömung der westeuropäischen Akkulturation der Ostjuden mittels deutscher Sprache und Literatur bis zum Ende der Existenz der Habsburgermonarchie und darüber hinaus in Polen bis zum Zweiten Weltkrieg lebendig. Der polnische Januaraufstand gegen Russland 1863 mobilisierte wiederum bei vielen jungen Juden ein polnisches Nationalgefühl. Viele gebildete Juden, die in dieser Zeit sowohl des Polnischen als auch des Deutschen mächtig waren, wurden als Übersetzer zu Vermittlern zwischen den beiden Literaturen aktiv, worüber Kollege Pollack sprechen wird. Der Dichter, Arzt und Übersetzer Moritz Rappaport (1808-1880) gehörte der zweiten Generation der galizischen Maskilim an. Nach dem Medizinstudium in Wien und Pest kam er nach Lemberg zurück und begann dort zu praktizieren. Gleichzeitig beschäftigte er sich mit der schönen Literatur: Zuerst übersetzte er aus dem Hebräischen ins Polnische Davids Psalmen, Jeremias Klagelieder und das Hohelied Salomos. 1842 verfasste er selbständig auf Deutsch das epische Gedicht "Mose", das dem Wohltäter der Juden Moses Montefiore gewidmet war und einen biblischen Stoff behandelte.

Während der Revolution 1848 nahm er aktiv am politischen Leben Lembergs teil und verfasste freiheitsliebende deutsche Gedichte, die in Flugschriftform verbreitet wurden. Nach der Revolution wurde er Primararzt und Krankenhausdirektor sowie Mitglied des Stadtrates,da blieb ihm nicht viel Zeit fürs literarische Schaffen übrig, da veröffentlichte er lediglich vier Gelegenheitsgedichte,die den großen Vertretern deutscher Literatur bzw. in einem Fall deutsch-jüdischen Geisteslebens gewidmet waren: Goethe, Schiller, Moses Mendelssohn und Lessing. Seit 1863 arbeitete Rappaport an seinem zweiten epischen Gedicht "Bajazzo", das er mit dem Ausbruch des Januaraufstandes abschloß. Der Held dieses Gedichts, ein jüdischer Schauspieler, der von den orthodoxen Juden Krakaus als Aufgeklärter verpönt von zu Hause fliehen mußte, besitzt bereits eine doppelte Identität: Er fühlt sich als Jude und als Pole und nennt es "des Unglücks Doppelkranz".

Dieses Gedicht und das Drama "Esterka" (1873), das die Geschichte der jüdischen Geliebten des polnischen Königs aus dem 14. Jahrhundert, Kasimir des Großen, Esterka, vor dem Hintergrund der historischen Judenfreundlichkeit des Herrschers darstellt, sollen der Hauptgegenstand meiner Ausführungen sein. Punktuell soll auch auf Rappaports Übersetzungen der polnischen Dichtung ins Deutsche eingegangen werden, der großen Romantiker Mickiewicz und Slowacki sowie Kornel Ujejskis, die Rappaport Anerkennung unter der polnischen Gesellschaft brachten.

So erscheint uns Moritz Rappaport als ein typischer Fall der mulitkulturellen Zugehörigkeit und der dreifachen Identität als Jude, als Pole und als Anhänger der deutschen Sprache und Kultur. Er versuchte zwischen diesen drei Kulturen zu vermitteln, obwohl es ihm bewusst war, dass es ein schweres, wenn nicht hoffnungsloses Unterfangen ist.

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