Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Kultur und Sozium und Kultur. Probleme der Globalisierung

Boris Chasanow (München)
Glück und Unglück, fremd zu sein.

Die Genealogie der verbannten Literatur ist uralt. Man sollte glauben, wir, die Heutigen, die wir uns als Nachkommen und Schicksalsgenossen jener vorigen Emigrantenschaft verstehen, gehörten der Vergangenheit an, seitdem der Eiserne Vorhang nicht mehr da ist. Aber nicht im geringsten: Man kann die Verbannung für ungültig erklären; sie aber unwirklich zu machen, ist unmöglich. Denn das Exil ist ein lebenslanges Brandmal, ist eine existenzielle Kategorie.

Gegen die Verbannung ist nichts zu machen: ein Abschied für immer. Eine geglückte Flucht, die übrigens aufs teuerste bezahlt werden mußte, nämlich mit dem ganzen gelebten Leben. Statt seiner beschlagnahmten Habe und seiner ausgerotteten Wurzeln nahm der Verbannte etwas Unschätzbares mit hinaus: die Sprache. Doch wer kann diese Sprache, das Mutterrussisch, im Land der Zuflucht? Es dämmert dem exilierten Schriftsteller nicht sofort, daß er damit seinen eigenen Käfig mitgeschleppt hat...

Es ist gut, ein Fremder zu sein. Zu sterben im Wissen, daß niemand dir dort nachweinen wird. Was ist das Vaterland? Der Ort, an dem man nicht begraben wird. Das Haus ist abgebrannt, es gibt keinen Ort, an den man zurückkehren könnte, es sei denn, in jene ewige Herberge, wo für uns alle Platz ist - in die russische Literatur.

DAS VERBINDENDE DER KULTUREN