Das Verbindende der Kulturen

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Apocalypse Now? Eschatologische Tendenzen in der Gegenwartsliteratur

Klaus Kastberger (Österreichisches Literaturarchiv, Wien)
Österreichische Endspiele: Die Toten kehren zurück

Das 20. Jahrhundert hat nicht nur mit der individuellen Hoffnung auf Erlösung, sondern auch mit der geschichtsphilosophischen Kraft der Apokalypse Schluß gemacht. Daß die Erzählung vom Ende der Welt nur mehr als eine entdramatisierte zu denken ist, wird heute selbst von jenen zugestanden, die ansonsten nicht an den Tod der großen Erzählungen glauben. Wenn es um die Katastrophe geht, scheint die Postmoderne flächendeckend recht behalten zu haben. Die (atomare) Herstellbarkeit des Untergangs hat den letzten Restbestand von Metaphysik suspendiert, die Herstellbarkeit der Katastrophe ist in diesem Jahrhundert zur eigentlichen Katastrophe geworden.

Vielleicht liegt es an der katholisch-barocken Tradition, daß in Österreich die apokalyptischen Uhren in diesen letzten Jahren etwas anders gegangen sind. Vielleicht liegt es daran, daß in diesem Land das Gleichgewicht des Schreckens immer nur als das Gleichgewicht der anderen erlebt wurde. Letztlich ist aber sicher die Tatsache verantwortlich, daß die wahre Menschheitskatastrophe des 20. Jahrhundert hierzulande nicht im nuklearen Desaster, sondern nirgends sonst als im Nationalsozialismus und im Holocaust gesehen werden konnte.

So geht die österreichische Literatur heute mit dem Ende der Welt anders um, als es sich die postmoderne Theorie vorstellt. Obwohl keine ernstzunehmende Autorin und kein ernst-zunehmender Autor an die Teleologie der Erlösung glaubt, hat sich in der österreichischen Literatur ein eschatologischer Restbestand erhalten, die Apokalypse wird als Intertext fruchtbar gemacht und rhetorisch genutzt.

Die Entwicklungslinie, die zu diesem aktuellen Befund führt, soll im Referat anhand von drei Texten anschaulich gemacht werden: Ödön von Horváths "Der jüngste Tag", Hans Leberts "Die Wolfshaut" und Elfriede Jelineks "Die Kinder der Toten". Obwohl diese Texte historisch ganz unterschiedlich positioniert sind, sind sie auf einer inhaltlichen und funktionalen Ebene vergleichbar. Bei allen drei Autoren wird eine Bilanz über Schuld und Unschuld gezogen, bei der es sich letztlich um eine Bilanz über den Nationalsozialismus handelt. Den transzendenten Instanzen erwächst dabei eine aufklärerische Kraft, üben sie doch gerade dort, wo die irdische Gerichtsbarkeit zu versagen droht, auf die Schuldigen einen enormen Druck aus. Die Toten kehren in diesen Büchern zurück, um sich Gerechtigkeit und der Erde ein unheimliches und ungeheuerliches Strafgericht zu verschaffen.

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