Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Standardvariationen und Sprachauffassungen in verschiedenen Sprachkulturen

Velemir Piskorec (Univ. Zagreb, KRO)
Kroatisch und Serbisch zwischen Verständnis und Missverständnis

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die panslawische Idee von den Südslawen Österreich-Ungarns aufgegriffen und als solche zum Grundstein einer südslawischen politischen und kulturellen Bewegung gemacht, die sich "illyrisch" nannte. Obwohl sowohl Kroaten als auch Serben schon über eigene literarische Tradition verfügten, die in verschiedenen kroatischen und serbischen Idiomen verfasst wurde, entschlossen sich die Führer der illyrischen Bewegung (hauptsächlich Kroaten) auf diese Tradition zu verzichten und in Zusammenarbeit mit dem serbischen Volkskundler Vuk Stefanovic Karadzic primär einen ruralen Dialekt der orthodoxen Bevölkerung in der Ostherzegowina und sekundär das urbane literarische Idiom Dubrovniks als Basis für eine gemeinsame Standardsprache zu nehmen.

Im Grunde genommen ist aus dieser Bestrebung keine gemeinsame Standardsprache geworden, das ausgewählte Idiom diente aber als Grundlage für die Standardsprache der Kroaten, während die Serben das ekavische Idiom des damaligen Kulturzentrums Novi Sad als Standardsprache verwendeten. Das im ausgehenden 19. Jh. geprägte Glottonym "Serbo-Kroatisch" hat sich für Kroaten in vieler Hinsicht als schicksalhaft erwiesen, vor allem im 1918 gegründeten südslawischen Königreich, als der großserbische Unitarismus mit dem Sprachunitarismus Hand in Hand ging. Im kommunistischen Jugoslawien war die Autonomie des Kroatischen in so einem Maße bedroht, dass Ende der 60er Jahre von prominenten kroatischen Intellektuellen eine Deklaration über die kroatische Sprache verfasst wurde, in der auf sprachunitaristische Tendenzen der damaligen Zeit hingewiesen wurde.

Unter dem Einfluss der soziolinguistischen Arbeiten der 70er und 80er Jahre verwendete man die Begriffe "westliche Variante" des sog. Serbokroatischen für das Kroatische und "östliche Variante" für das Serbische. Nach dem Zerfall Jugoslawiens und der Gründung neuer Nachfolgestaaten ist das Glottonym "Serbo-kroatisch" verschwunden und die jeweiligen Sprachen haben ihre Autonomie wiedererworben. Heute spricht man vom Kroatischen, vom Serbischen und aber auch vom Bosnischen und vom Montenegrinischen. Unter den neuen politischen Begebenheiten entstand eine Reihe von Texten, die von serbischen und kroatischen Linguisten verfasst wurden und sich mit der neuen sprachlichen Situation in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens befassen. Ihre zentralen Gedanken und Argumentationen werden in diesem Referat dargestellt.

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