Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Standardvariationen und Sprachauffassungen in verschiedenen Sprachkulturen

Roland Willemyns (Vrije Universiteit, Brüssel, BE)
Südliche Eigenheit oder integrationistisches Verzichten? Der Umgang der Flamen mit der Norm des Niederländischen

Flandern hat eine lange Tradition der Sprachregulierung und Sprachpflege. Vor allem aus sprachpolitischen Gründen wurde ein möglichst enges Anlehnen an die Norm der nördlichen Niederlande immer mehr befürwortet als eine Entwicklung zur südlichen Eigenheit. Dieses integrationistische Verzichten auf eigene Ansprüche in der Normendebatte ist das Kennzeichen par excellence der offiziellen Sprachpolitik in Flandern. Diese Verhaltensweise dem Normproblem gegenüber unterscheidet sich scharf von dem, was in vielen andern polyzentrischen Sprachgebieten und schon gar im deutschen Sprachraum üblich ist.

Dass die Orientierung zugunsten der nördlichen Variante in Flandern so lange so stark gewesen ist, hat vor allem mit dem politischen Sprachenkampf in Belgien selbst zu tun. 1830, bei der Gründung Belgiens stand die Existenz der Sprache auf dem Spiel und daher wurde voller Überzeugung für den Anschluss an die nördliche Sprachnorm plädiert! Diese Integrationsbewegung ist immer stärker geworden und hat in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht.

In letzter Zeit jedoch, hat sich eine zentrifugale, vielleicht destandardisierende Tendenz vor allem deshalb bemerkbar machen können, weil der Sprachenkampf zu Ende und so die politische Legitimierung des Integrationsbestrebens eigentlich nicht mehr vorhanden ist. Das Niederländische, das schon immer die Mehrheitssprache Belgiens war, hat nach dem zweiten Weltkrieg allmählich auch den Status der Prestigesprache des Landes erworben und bedarf keiner weiteren sprachplanerischen Unterstützung mehr. Zwangsläufig musste dies zu Konsequenzen für die Standardisierungsrichtung führen.

Darüber hinaus spielt auch ein intern-linguistischer Faktor eine wichtige Rolle und zwar der beträchtliche Dialektverlust, der in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat.

Die Kombination dieser extern- und intern-linguistischen Faktoren hat einen bemerkenswerten und für die Variationslinguistik äußerst interessanten Wandel der sprachlichen Lage und des Verhältnisses der einzelnen Sprachvarietäten zu einander in Gang gesetzt. Auch diesen Wandel möchte ich hier skizzieren und analysieren.

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