Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Übersetzung und Kultur

Ute Barbara Schilly (Düsseldorf)
Literarische Übersetzung als interkulturelle Kommunikation (am Beispiel von Cinco horas con Mario von Miguel Delibes)

Ich gehe davon aus, dass Literaturübersetzung nicht nur eine Übersetzung zwischen verschiedenen Sprachen, sondern gleichermaßen zwischen verschiedenen Kulturen ist.

Zwar erachtet die jüngere übersetzungswissenschaftliche Forschung im Zuge des cultural turns die Berücksichtigung der Kulturalität von Texten als erforderlich. Dabei werden in der Regel kulturspezifische Phänomene des Ausgangstextes herausgegriffen, für die eine möglichst 'entsprechende' übersetzerische Lösung gefunden werden soll. Aufgrund dieser Ergebnisorientiertheit für die übersetzerische Praxis konzentriert sich die Übersetzungswissenschaft aber in erster Linie auf die Textelemente als solche. Dadurch bleibt sie gemeinhin von der Textoberfläche dominiert. So sind zwar punktuelle Vorstöße in Tiefenbereiche der Kulturalität von Texten möglich, aber Textverständnis in kultureller Dimension ist bei dieser Sichtweise nicht gewährleistet.

Meine Betrachtung des Übersetzungsgeschehens hingegen ist übersetzungs- und literatur- bzw. kulturwissenschaftlich zugleich ausgerichtet. Das bedeutet zweierlei: Zum einen beziehe ich Informationen des Kon-Textes ein. Damit meine ich Informationen, die nicht im bzw. als Text erscheinen, die den Text aber mit einer zeitlich determinierten kulturellen Situation verstreben. Zum anderen untersuche ich auch die Textbestandteile, die kulturelle Aussagekraft besitzen, die aber im Raster der Übersetzungswissenschaft als 'unauffällig' gelten. Denn es handelt sich dabei um Textelemente, die eher ein Verstehens-, denn ein Übersetzungsproblem darstellen. Beides, der analytische Blick sowohl auf das Text'äußere' als auch das -'innere', ist wichtig zum Ermessen des kommunikativen Gehalts von Texten. Erst die gegenseitige Ergänzung beider Blickrichtungen durch die jeweils andere ermöglicht, die kulturelle Repräsentativität von Texten zu sehen. Das heißt, das literarische Werk wird betrachtet in Beziehung zur jeweiligen kulturellen Situation, in der es als kulturspezifisches Kommunikat hervorgebracht worden ist. Die in kultureller Dimension kommunikativ wirksamen erzählerischen Strategien müssen daher als auf die kulturelle Realität rückkoppelnd betrachtet werden: Sie fungieren deshalb als 'Fenster' auf die Kultur, nicht aber als Gegenstand selbst. Die kommunikative Gelenkstellen-Beziehung zwischen Text und Kultursituation und die Problematik ihrer Übersetzung wird am Fallbeispiel Cinco horas con Mario von Miguel Delibes anhand von Textbeispielen aufgeschlüsselt.

DAS VERBINDENDE DER KULTUREN