Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Kunst und Neue Medien

Ursula Frohne (Bremen, Deutschland)
"One Network One World". Zur Politik der Repräsentation im virtuellen Raum der Medien

Das revolutionäre Pathos, mit dem der Cyberspace zum Inbegriff einer neuen Ära der Dezentralisierung von Macht und globalen Demokratisierung erhoben wurde, erweist sich in seiner bis heute nahezu ungebrochenen Affirmationshaltung als nostalgische Zukunftsprojektion, die davon profitiert, dass häufig in Fixierung auf die technischen Optimierungsmöglichkeiten die sozial-politischen Voraussetzungen ausgeblendet werden. Die Realität sieht anders aus und steht in deutlichem Kontrast zu den Pioniertaten an der noch offenen "new frontier" in den Anfängen des Mediums zu Beginn der neunziger Jahre: Zunehmend ähnelt das Internet einem Schlachtfeld konfligierender Machtinteressen und massiver Segmentierungsbemühungen, sowohl auf der Seite der Telekommunikationsindustrie als auch auf der Seite der User, die sich ihrerseits in unterschiedlichen Fraktionen organisieren.

Als ein globales Medium, wird das Internet dennoch allgemein als universales, die politischen und kulturellen Grenzen überschreitendes Kommunikationsmittel betrachtet. Potentiell eröffnet es einen unbegrenzten fluktuierenden Raum der Vernetzung und Interaktion, der seiner Struktur nach dezentral, interaktiv, unhierarchisch, transmedial, interkulturell und diskursiv zum Inbegriff post-nationalen Denkens geworden ist. Weltweit unterstellt man den medialen Zusammenschlüssen via Internet, dass sie neue Foren politischer und kultureller Kooperation schaffen und öffentliche Diskurse ermöglichen, die gewissermaßen per se neue Dynamiken und Strategien der Partizipation generieren, mit denen die Zivilgesellschaft in der Lage sein wird, die Handlungsfähigkeit und den Aktionsrahmen ihrer Mitglieder zu steigern. Das Ideal der Gleichheit, das die soziale, politische, nationale und ideologische Grenzüberschreitung anstrebt, scheint innerhalb der virtuellen Gemeinschaft im Cyberspace in greifbare Nähe gerückt.

Zweifellos ist das Internet ein ideales Instrument globalen Wissenstransfers, das einen wesentlichen Beitrag für die Anschlußfähigkeit benachteiligter Gruppierungen sowohl bildungspolitisch als auch wirtschaftlich zu leisten vermag. Gleichzeitig aber zeichnen sich im Schatten dieser hochtechnologisierten medialen Vernetzungsökonomie neue Formen sozialer Ausgrenzung ab, die von den Dynamiken des globalen Transfers angetrieben werden und sich in den Repräsentationsformen und Kommunikationsstrukturen des Internet manifestieren. Innerhalb der mit dem World Wide Web assoziierten digitalen Kultur sind weder Subjektivität noch die Notwendigkeit physischer "Verortung" obsolet geworden, wie der amerikanische Wissenschaftler Terry Harpold in seiner Analyse der Kartographie des Internet feststellt.

In meinem Beitrag wird es daher um ein "Mapping" gehen, also um eine Vermessung des Cyberspace in Gegenüberstellung mit den Prozessen und Fluktuationen, die sich in das geografische Terrain ebenso materiell einschreiben wie in die Formation neuer, von Migration und Mobilität geprägten Identitätsmodelle. Zwar erscheinen mittlerweile sämtliche Phänomene als Elemente weltsystemischer Prozesse und globaler Netzwerke, dennoch bleiben die Begriffe Ort und Lage von übergeordneter Wichtigkeit. Im Rückblick auf jene hoffnungsvollen Spekulationen der frühen 1990er Jahre zeigt sich exakt zehn Jahre nachdem das Internet für die öffentliche Nutzung zugänglich wurde, dass weiterhin Grenzziehungen und Sicherheitssysteme, sowohl die realen Orte als auch den Kommunikationsfluss in den virtuellen Medien kennzeichnen und kontrollieren. Obwohl Subjekte immer weniger an einen Ort in geografischem und kulturellem Sinne gebunden sind, entstehen neue Demarkationslinien, die den physischen ebenso wie den virtuellen globalen Transit regulieren. Solche Phänomene machen sich in der Makrostruktur globaler Fluktuationen und Umverteilungen ebenso bemerkbar wie auf der Mikroebene der individuellen Lebensbedingungen. Mein Beitrag widmet sich einer Thematisierung der Machtstrukturen, die von der universellen Durchlässigkeit des WordWideWeb schon überwunden schienen, die sich in Realität aber nur verlagert haben und neue Ebenen des Zusammenspiels von Geografie, Kommunikation, und Kapitalisierung entfalten. Besondere Bedeutung haben dabei Konzepte wie Grenze, Verbindung, Anschluss (connectivity) und Ausschluss (disconnected). Vom weltweiten Anwachsen der Gated Communities in den Industrienationen bis hin zum Sexual Trafficking, bei dem das Internet eine wesentliche Vermittlerrolle übernimmt, hat der Einsatz elektronischer Medien eine Vielzahl virtueller und konkreter Transitzonen geschaffen, in denen Kategorien von gender und Ethnizitäten gerade in den transnationalen Repräsentationsräumen ständig reproduziert und reguliert werden.

Wie nicht zuletzt der Börseneinbruch der E-Aktien in den letzten Jahren gezeigt hat, sind gerade die neuen Technologien ein Musterbeispiel für das Ausspähen von Ressourcen in Verbindung mit der Ausbeutung billiger Arbeitskraft in den Randregionen der Industrienationen. Grenzüberschreitungen erweisen sich in diesem Kontext nicht nur als positive Kategorie, sondern im Sinne ständiger Profitsteigerung durch die Auslagerung von Produktionsschritten in die lohngeringeren Nationen sind sie auch Kennzeichen strategischer Kapitalverlagerungen. In den ökonomisch benachteiligten Regionen macht sich die technologische Revolution folglich auf ganz andere Weise bemerkbar, wenngleich nicht weniger nachhaltig als in den Industrienationen, wie beispielsweise Ursula Biemann in ihren Video-Essays mit Blick auf die High-Tech-Industrie an der amerikanisch-mexikanischen Grenze thematisiert oder das aus Delhi stammende Raqs Media Collective in seinen Installationen, die u.a. mit den dislozierten Arbeitsbedingungen von Data-Agents befassen. Diese wachsende Branche weltweit interagierender Online-ArbeiterInnen bildet die neue Form des digitalen Proletariats, das mit Hilfe der elektronischen Medien -- beispielsweise in einem Call-Center in Indien, wo Fragen amerikanischer Kunden beantwortet werden oder Gefängnisinsassen in den USA, die telefonische Auskünfte für einen Stundenlohn von weniger als einem Dollar im Akkord vermitteln - neue Existenzformen an der Peripherie der kapitalintensiven Nationen erprobt. In diesen post-humanen Korridoren und transnationalen Freihandelszonen der neuen Oekonomie unterliegen nicht nur die basalen Lebenskonstellationen einem gravierenden Wandel, sondern auch die menschlichen Grundrechte erweisen sich als tendenziell geltungslos wie Giorgio Agambens Theorie des "homo sacer" reflektiert. Jenseits geopolitischer Grenzziehungen entstehen zwischen den Online und Offline-Zonen einer globalisierten Oekonomie neue Identitäten, deren Lebenskonstellationen Ausdruck von Machtverhältnissen sind, die auch im virtuellen Raum nicht aufgehoben sind.

So sehr das Internet eine Matrix weltweiter Verbindung bzw. ihrer kulturellen Konsequenzen bildet und als magischer Korridor gehandelt wird, durch den sich immer mehr User in die scheinbar grenzenlose Sphäre freier Identitätswahl und Interaktion aufmachen, so sehr entpuppt sich die soziale Wirklichkeit der Nichtvernetzten, die im Cyberspace nicht vorkommen, als blinder Fleck einer liberalen Netzgemeinschaft. Aus dieser Problematik der Sichtbarkeit/Angeschlossenen, bzw. Unsichtbarkeit/Ausgeschlossenen und Nicht-Repräsentation ergeben sich Fragen nach den ideologischen Bedingungen eines Netzwerkes, das als Repräsentationsebene "Einer Welt" wahrgenommen und genutzt wird. So wird zu fragen sein, in wie weit sich Ausschlusspraktiken womöglich durch die zunehmende Schnelligkeit des Informationsflusseses und die Kapitalumverteilungen via Internet als eine der wichtigsten Quellen globaler Machkonzentration intensivieren und die Kluft zwischen den Angeschlossenen und Ausgeschlossenen vergrössert. Sind Tendenzen wie diese nicht der eigentlich markante Charakterzug einer Globalisierungsbewegung, die ihrem Wesen nach nur eine andere Spielart der absoluten Verwestlichung der Welt darstellt? Können künstlerische Simulationsmodelle eventuell dazu beitragen, Alternativen zu aufzuzeigen, die sich von Anti-Globalisierungskampagnen unterscheiden, indem sie brauchbare Handlungsmodelle zur Integration und Partizipation durch neue Medien entwickeln? Diese und andere Aspekte sollen durch kritische KünstlerInnenbeiträge in Verbindung mit theoretischer Diskursanalyse darlegen, wie die Intensivierung des Internetverkehrs neue Eigentums- und Machtververhältnisse etabliert, die trotz ihrer weltumspannenden Kommunikation, neue Grenzziehungen um und zwischen den Kulturen geschaffen haben. Es wird im wesentlichen darum gehen, zu zeigen, dass diese Grenzen nicht einfach nur eine Angelegenheit des virtuellen Raumes und damit in ihren Auswirkungen nur schwer begreif- bzw. steuerbare Prozesse sind, sondern dass sie sich zunehmend auch materiell in der Geografie des realen Raumes und der realen Lebensbedingungen manifestieren.

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