Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse        Abstracts / résumés

Konferenz / Colloque International / Conference

Vielsprachigkeit, Transnationalität, Kulturwissenschaften
Plurilinguisme, Transnationalité, Sciences Culturelles
Multilingualism, Transnationality, Cultural Sciences

(Wien / Vienne / Vienna, 6.-9.12.2001)


Birgit Mersmann (Seoul National University)

"Weltanschauungen sind Vokabelmischungen"

Deterritorialisierung und Hybridisierung als Entgrenzungsstrategien der Avantgarde

Wenn heute von transnationaler Kommunikation, Weltkultur und Weltgesellschaft die Rede ist, dann wird der dort hinführende Globalisierungsprozess häufig als Expansion der Moderne gedacht. Während Ulrich Beck den Zusammenbruch der bestehenden Weltordnung durch den ernormen Globalisierungsschub als Chance und Aufbruch in eine zweite Moderne begreifen will, sieht Anthony Giddens in der transnationalen Verschiebung zur Weltgesellschaft eine Konsequenz der Moderne.

Dieser historische Rückverweis hat, wie immer man auch die damit verbundenen Implikationen bewerten mag, in den letzten Jahren die multidisziplinäre Erforschung transnationaler Prozesse ungemein beflügelt. Auch dieser Beitrag hat es sich zum Ziel gesetzt, transnationale Ansätze zur Überwindung "nationaler Denkungsart" in vergangenen Epochen aufzuspüren, nicht um Analogien zur Gegenwart zu konstruieren, was unzulänglich wäre, sondern um einen Bogen dorthin zurückzuschlagen, wo Inter- und Transnationalität zum ersten Mal als kunstprogrammatischer Imperativ gesetzt wurde und dadurch, trotz nachfolgender Diskontinuitäten, zum Motor einer weitreichenden Entwicklung auf dem Weg zu einer Weltgesellschaft und globalen Kultur werden konnte.

Der Fokus ist auf die radikale Moderne gerichtet: die Avantgardebewegungen, die als Plural-Ismen bereits a priori im beziehungsreichen Schnittfeld zwischen Globalisierung und Partikularisierung stehen, und hier vor allem auf den Dadaismus und Konstruktivismus, da diese Bewegungen "Brennpunkte internationaler Energien" waren. Der kulturwissenschaft-liche und mediologische Blick macht es möglich, den Dadaismus, der leider oft aufgrund seines omnipräsenten Negations- und Spieltriebes nicht ernst genommen und zu leichtfertig ad acta gelegt wurde, neu zu erschließen als Pionierbewegung einer umfassenden, grenzsprengenden Neudefinition von Literatur und Kunst als Medium transnationaler Kommunikation.

Das Konzept der Deterritorialisierung, das von Gilles Deuleuze und Claire Parnet in "Dialogues" vorgestellt wurde, soll in erweitertem Funktionsradius fruchtbar gemacht werden, um die vielfältigen Grenzüberschreitungen, die von der Literatur der Avantgarde, insbesondere vom Dadaismus und Konstruktivismus unternommen wurden, neu erfassen und strukturieren zu können: die bewusste Überschreitung und Überwindung nationalstaatlicher und nationalkultureller Grenzen, der Sprung von der Einsprachigkeit in die Multi- und Translingualität, der Übertritt von Kunst in Leben und das Eintauchen der Kunst in die Welt bzw. die Kulturen der Welt von Marrakesch bis Ozeanien, der Blickwechsel von Europa nach Asien, die Intermedialität der Künste, die Zuflucht der Literatur im Distributionsexil der Massenmedien, das Shiften von der Expression zur Inskription, von der Aussage zum Medium..
 

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