Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | August 2004 | |
1.6. The Unifying Method of
the Humanities, Social Sciences and Natural Sciences: The Method
of Transdisciplinarity Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Kurt Grünewald (Wissenschaftssprecher der GRÜNEN Paralamentsfraktion, Parlament, Wien, Österreich)
Politik begegnet uns oft in Form von Schlagworten. Vielfach
lebt Politik von Schlagworten, Weltbilder lassen sich in Schlagworten
nicht schauen und schwer mittels Medien vermitteln. Politische
Programme werden nahezu ausschließlich über Medien
transportiert. Den schlagzeilengeeigneten Überschriften fehlt
allerdings zumeist ein erläuternder Text.
Die Begegnung von Politik und Wissenschaft hat keinen definierten
und institutionalisierten Raum und verfügt, nachdem rasches
und entschiedenes Handeln zum Inbegriff politischer Tüchtigkeit
hochstilisiert wurde, auch nicht über das notwendige Maß
an Zeit und Muße. Die Voraussetzung für den so notwendigen
Dialog zwischen Politik und Wissenschaft und die Bedingungen für
seine Qualität sind schlecht.
Ein platonisches Gastmahl war eben kein Buffet.
Politisches Handeln - nüchtern und pragmatisch gedacht
- bedarf der Macht und vor allem der Macht. Dem Machterhalt wird
ein Grossteil aller Energie gewidmet.
Macht will erhalten werden und ausgedehnt.
Eine Welt mit ihren Problemen der ungerechten Ressourcenverteilung,
der Chancenungleichheit in Bildungs- und Gesundheitssystemen,
mit ihren Zentrifugalkräften, die immer höheren Wohlstand
für die Einen und stärkere Armut für die Anderen
bringen, wird immer mehr Menschen zum Ärgernis. Die Zahl
der unter dieser Welt Leidenden überwiegt mit Sicherheit
jene der Satten und Zufriedenen. Die Macht des Handelns liegt
in den Händen von Minderheiten und das stempelt Mehrheiten
zu Ohnmächtigen.
Aber selbst in der sich wiederholenden Erfahrung des Scheiterns
ist Resignation, wenn auch verständlich und nachvollziehbar,
nicht das was wir uns und den anderen wünschen sollten.
Dies zu erkennen bedarf keiner wissenschaftlichen Ausbildung.
Auch der sogenannte Hausverstand würde genügen dies
zu sehen.
Zweifellos gibt es Probleme und Herausforderungen die nicht
so klar auf der Hand liegen, wie das genannte Beispiel. Dort und
in der Ausarbeitung von Problemlösungsmodellen hat analytische
Neugier und somit Wissenschaft ihren Platz. Nur dort?
Politik kann nicht darin bestehen diese Welt bloß in ihrem
"So Sein" zu verwalten und als vorgegebene Wirklichkeit
hinzunehmen.
Politik soll - und das ist weit weniger pathetisch als dringlich
- diese Welt zu einer besseren verändern und gestalten und
damit neue und lebbare Wirklichkeiten schaffen.
Natürlich sind das große Worte, die sich leichter
niederschreiben und sagen lassen, als sie in Taten umzusetzen
sind. Ich glaube, dass dies etwas damit zu tun hat, was ich Verantwortung
nennen möchte.
Verantwortung setzt aber voraus, dass ich weiß wofür
und weshalb ich verantwortlich bin. Wir brauchen nicht nur ein
Bild dieser Welt, sondern auch ein zweites Bild von einer
anderen, neuen, besseren Welt. Das erste Bild muss ein möglichst
getreues Abbild der Wirklichkeit sein. Es muss uns denken und
erschließen lassen, was diese Wirklichkeit bewirkt. Das
andere, zweite Bild sollte aus den Farben und Formen der Geschichte
und Gegenwart eine Zukunft zeichnen, die mehr ist als die Projektion
und Replikation des Seienden auf die Leinwand der nächsten
Jahre.
Dazu bedarf es eben eines Weltbildes. Die Entwürfe dieser
Bilder aber sind notgedrungen vielfältig und kontrovers.
Wer bewertet die Bilder nach welchen Kriterien?
Haben alle Bilder den gleichen Wert, was landet im Depot und was
wird ausgestellt? Was ist Fälschung und was das Original?
Nehmen wir ein konkretes Beispiel:
Im österreichischen Universitätsgesetz 2002 findet
sich einleitend folgender Satz: "Die Universitäten sind
berufen, der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, der Entwicklung
der Künste sowie der Lehre der Kunst zu dienen und hiedurch
auch verantwortlich zur Lösung der Probleme des Menschen
sowie zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen
Umwelt beizutragen".
Das klingt gut und ich möchte diesen Satz nicht missen. Können
wir uns aber in den Auseinandersetzungen um die Ziele und Aufgabenbereiche
unserer Universitäten darauf berufen?
Ein Blick hinter die Kulissen des Parlaments genügt und wir werden unschwer erkennen, dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was denn die wahren Probleme der Menschheit sind. Noch unterschiedlicher sind aber die Vorstellungen, wie spezifische Probleme zu lösen sind und was denn überhaupt unter einer gedeihlichen Entwicklung zu verstehen ist.
Wenn schon über den Wahrheitsgehalt von Tatsachen gestritten wird, wie unvereinbar können dann die Vorstellungen über anzustrebende Ziele und das dazu notwendige, jeweils richtige Handeln sein?
Aller Respekt, alle Hoffnung, jedweder ohnehin schon über
die Maßen strapazierte Idealismus wird nicht ausreichen
zu glauben, das wissenschaftliche Weltbild hätte hier substantiell
und nachhaltig einen Beitrag zur politischen Einsicht und hinreichende
Gründe und Erklärungen für politisches Handeln
geliefert. Mag sein, dass hier einiges gedacht und geschrieben
wurde.
Die Auswirkungen auf die politische Praxis des Alltags sind allenfalls
marginal.
Psychologie, Psychoanalyse, Lust und Unlustprinzip und die
Mechanismen psychischer Abläufe im Unbewussten wie im Bewussten
könnten für die Beantwortung der Frage "warum dem
so ist" erhellender wirken als naturwissenschaftliche, technische
Zugänge und deren Erkenntnis.
Die Mehrheit von uns hält sich ausreichend mit Vernunft ausgestattet
und man ist sich wie selten einig in diesen Begabungen den anderen
nicht nachzustehen. Die Überzeugung, dass so mit Vernunft
ausgestattet sich daraus auch richtiges Handeln und ethische Normen
ableiten ließen, hält sich hartnäckig und selten
schmerzt etwas so sehr, als jener Zweifel, dass dem nicht so wäre.
Kritische Reflexionen über unser narzisstisches Selbstbild
tragen allerdings das Risiko des ungewissen Ausgangs. Dies fördert
und motiviert derartige Reflexionen nicht.
Es genügt, wenn uns andere einen Spiegel vorhalten, der Unbequemes
reflektiert. Wer hätte noch nie daran gedacht, dass, wenn
man schon mit den Anderen uneins ist, man doch wenigstens mit
sich und seiner Selbsteinschätzung eins sein sollte?
Mühsam und über Jahre und Jahrzehnte zurechtgezimmerte
Werte und Positionen in Frage zu stellen und allenfalls aufzugeben,
verunsichern und lassen den Boden, auf dem wir uns zu bewegen
gelernt haben, wanken. Die Energie der Selbsterhaltung des vertrauten
Ichs und der Wunsch nach Überleben ist zumeist wohl stärker
als ein Abschiednehmen von vertrauten, wenn auch oftmals trügerischen
Sicherheiten. Abschiednehmen heißt eben immer ein wenig
sterben. Und wer will das, wenn man weder die Kraft noch die Gewissheit
hat, an ein neues Leben zu glauben?
Ich behaupte, dass die Frage wie und ob ein wissenschaftliches
Weltbild politisches Handeln beeinflusst zu komplex ist, als dass
sie allein aus der Sicht und mit der Methode einer wissenschaftlichen
Spezialdisziplin zu beantworten wäre. Es entstünden
hier im wahrsten Sinn des Wortes nur platte Bilder. Eine mehrdimensionale
Welt erfordert räumliches Sehen. Durch die Fähigkeit
des räumlichen Sehens nehmen Gegenstände unserer Betrachtung
konkretere Formen an. Das geschieht durch Bewegung und das Wechseln
von Standpunkten und Blickwinkeln. Ein Verändern von Standorten
und Standpunkten hat somit weniger mit Beliebigkeit und simplen
Relativismus zu tun als viel mehr mit dem sich respekthaften Nähern
und Ausleuchten von Problemen.
Allzu große Eiligkeit und voreilige Bestimmtheit stören
hier. Dennoch sind sie in der Politik gelebter Alltag.
Die Welt um uns in ihrer Gesamtheit und Komplexität zu verstehen, wird immer schwieriger. Eine in immer mehr Einzeldisziplinen aufgefächerte Wissenschaft wird zwangsläufig zu einem recht abstrakten Überbegriff, der aufgrund seiner vielfachen, mit ihm verbundenen Assoziationen vage bleiben muss. Die Fülle immer detaillierterer Informationen macht es schwer diese zu ordnen und zu gewichten. Das erzeugt zunehmend Unsicherheit. Gleichzeitig steigert es den Wunsch nach Orientierung und Sicherheit, ja selbst den nach einfachen und simplen Erklärungen. Das reiche Angebot simpler Erklärungsmodelle, vorgetragen und verknüpft mit der angemaßten Autorität des Dogmatismus, scheint jedenfalls dem Wunsch der Entlastung von Belastung durch Delegation zu entsprechen.
Entfremdung der Arbeit, die Verherrlichung eines wenig definierten
Leistungsprinzips, die Reduktion des Begriffes der Tüchtigkeit
auf Wohlstand und Macht, Konkurrenz, Begünstigung von Egoismus
und Rivalität im Kampf aller gegen alle erzeugen Angst und
Aggressionen.
Verdrängung, Pseudorationalisierung und Mystifizierung sind
einige der rund um uns zu beobachtenden aber auch von uns benutzen
Techniken mit diesen Widersprüchen umzugehen.
Es begegnen uns so die abstrakte Freiheit des Individualismus,
selbstzufriedener Spiritualismus, Dogmatismus, naiver Positivismus
und die zahlreichen Fluchtmöglichkeiten in den betäubenden
Konsum.
Betrachtet man die politischen Äußerungen auch außerhalb von Wahljahren, so haben Politikerinnen vielfach gelernt diese Ängste, Aggressionen und Bedürfnisse geschickt zu nutzen und anzusprechen. Ganze Zweige angewandter Wissenschaft leben davon, diesem Unbewussten Nahrung zu geben und die Politik dahingehend zu beraten, ihre Führungsansprüche durch Verführung zu optimieren.
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Bedürfnisse ist zu stellen:
Wenn Wissenschaft ein Mehr an Wissen schafft, kann sie hier jenen Beitrag leisten, der Teil einer evolutionären Aufklärung sein muss. Dieses Mehr an Wissen ist gleichzeitig ein Akt der Befreiung, indem wir vom Objekt der Manipulation und Verführbarkeit zum Subjekt und Souverän unserer neu verstandenen Geschichte werden. Nicht ganz aber doch mehr oder weniger.
Politisches Handeln angesichts eines wissenschaftlichen Weltbildes
wird sich bewusst werden müssen, dass Politik nicht primär
als eine Beziehung zwischen Regierenden, Gesetzgeber und einer
abstrakten Welt, die es zu gestalten gilt, zu sehen ist. Letztlich
ist Politik eine Beziehung zwischen ganz konkreten Menschen.
Ein Bild wie jenes von "denen da oben und jenen da unten"
zeichnet keine gute Beziehung aus. Freilich ist es bequem und
erleichtert es Menschen auf fatale Weise ihre Machtsysteme zu
erhalten, wenn sie von einem Volk dankbarer, friedlicher Autogrammjäger
umgeben sind.
Je machtsüchtiger eine Herrschaftsstruktur ist, umso mehr muss sie Interesse haben, den Wunsch nach der rein individuellen und daher vom Standpunkt der Herrschenden anarchischen Befriedigung, mit einer weiteren Stärkung des gesellschaftlichen Machtapparates zu beantworten. Zunehmende Kritikfähigkeit und Emanzipation werden und wurden immer mit scheelen Augen betrachtet.
Erziehung zur Anpassung oder zur Kritikfähigkeit?
Das Realitätsprinzip als ein Zeichen seelischer Gesundheit darf nicht so gedeutet werden, dass man daraus die unkritische Akzeptanz und Übernahme gesellschaftlicher Normen fordern dürfte. Die Definition von geistiger Gesundheit als "optimale Entwicklung physischer, intellektueller und affektiver Fähigkeiten des Individuums, soweit diese Entwicklung sich nicht im Gegensatz zu der Entwicklung anderer Individuen befindet" ist negativ einschränkend und wirft eine Menge kritischer Fragen auf. Angenommen eine Gesellschaft sei ungerecht, wie soll man die optimale Entwicklung der Unterdrückten mit der optimalen Entwicklung der Unterdrücker in Einklang bringen?(1)
Der Druck sich bestehenden Ordnungen anzupassen kann nicht folgenlos bleiben. Gesellschaftliche Repressionen gegen Unangepasste sind nicht nur subtil. Vielfach hinterlassen sie Schuldgefühle bei den Gemaßregelten. Der Streich, den uns ein zu starkes "Über Ich" spielt, bleibt freilich nicht folgenlos: Eine Gemeinschaft der Schuldigen lässt sich leichter manipulieren als eine freie Gesellschaft selbstbewusster Menschen. Denn gerade der sich schuldig fühlende Mensch möchte sein Schuldgefühl durch erhöhte Leistung und Strafe kompensieren und gerät so in Gefahr zum beliebigen und beliebten Untertan zu mutieren.
Teilhabe an Wissen erweitert Handlungsspielräume und kann damit Teilhabe an Macht bedeuten. Sollte aus dem bloßen Wissen sich auch ein umfassenderes Begreifen entwickeln, so könnte es gelingen, dass Menschen ihre soziale Haltung sehend wählen, indem sie sich der nicht freiwillig übernommen gesellschaftlichen Normen bewusst werden. Dem hat sich Politik zu stellen. Die Verantwortung der Wissenschaft muss daher auch außerhalb von Universitäten und Labors erkennbar werden, indem alles was in Widerspruch zur Befreiung durch Wissen steht, durch die schonungslose Analyse einer nicht korrumpierbaren Wissenschaft sichtbar gemacht wird und WissenschafterInnen sich dort zu Wort melden, wo Täuschung, Simplifizierung und Unterdrückung ungeniert zum Instrumentarium politischen Machterhaltes werden.
Allein schon deshalb, weil dieser Anspruch an ein Mehr an Wahrheit durch permanente Aufklärung ein universeller sein muss, kann dies nur in einer gemeinsamen Kultur der transdisziplinären Verantwortung geschehen. Wenn Ethik als ein möglicher Ort des gemeinsamen Wohnens verstanden werden kann, so ließe sich in diesem Sinne auch ein Ort definieren, der durch eine neue und aufregende Qualität der Auseinandersetzung von Wissenschaft und Politik zu charakterisieren wäre.
Naturwissenschaft als die exakte Beschreibung der Natur kann
diese nicht als gesamte abbilden. Aneinanderreihungen von Fakten
entsprechen nicht dem menschlichen Bild des Lebendigen und jede
noch so präzise Definition bedarf der Zu- und Einordnung
in ein größeres Ganzes.
Dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, ist nicht
nur Inhalt der Gestaltpsychologie, es entspricht auch unserer
Erfahrung. Strukturen physikalischer Theorien und mathematische
Formeln enthalten keine Wertungen. Fragen nach Sinn und Ziel von
Prozessen in der Natur werden von physikalischen Modellen nicht
so beantwortet, dass sich daraus ein Leben gestalten ließe.
Man kann
Es gibt ein weites Spektrum von Möglichkeiten der Interpretation
des Menschen und der Welt. In jedem Fall aber ist eine Wissenschaft,
die ihre eigenen Voraussetzungen reflektiert, mit den verschiedenen
Interpretationen und daher auch mit den verschiedenen, Kulturen,
Lebensformen und Religionen vereinbar. Jedenfalls dann, wenn "vereinbar"
nicht so interpretiert wird, dass daraus ein "austauschbar"
oder "deckungsgleich" wird.
Kommt es erst einmal zu einer derart friedlichen Koexistenz unterschiedlicher
Gedanken und Weltanschauungen, ist das tröstlich. Jedenfalls
sollte es helfen manchen Parteienstreit etwas zu relativieren
und Möglichkeiten eröffnen, sich von tradiertem Freund
- Feind Denken zu lösen.
Wissenschaftliche Neugier und der Drang zu verstehen ermöglichen
es, sich Wahrheiten zu nähern. Um dann aus diesen Schlüsse
zu ziehen und Handlungen zu setzen, die die Welt zum Besseren
gestalten, bedarf es der Auseinandersetzung in wechselseitigem
Respekt. Dass oftmals nicht die Klügeren und Redlicheren
in diesem Wettstreit die Nase vorn behalten, mag zurecht irritieren,
sollte aber nicht Anlass sein, den Dümmeren und Unredlichen
resignierend das Feld zu überlassen.
Lebensläufe von PolitikerInnen werden zweifellos selten von
erkenntnistheoretischen und philosophischen Studien dominiert.
Etwas mehr an Problembewusstsein wäre dennoch nützlich.
Auch hier brauchen wir Grenzüberschreitungen und die dazu
nötige Neugier.
Während die Physik früher Eigenschaften dadurch definierte,
dass sie unabhängig von einander existieren und unabhängig
von einander gemessen werden können, sind im subatomaren
Bereich Ort und Impuls nicht mehr unabhängige Eigenschaften
eines Teilchens, also gar nicht mehr Eigenschaften eines Teilchens.
Bleibt uns daher anderes übrig, als die Eigenschaften aller
Wahrnehmungen zu Gesetzmäßigkeiten der Natur zu kondensieren?
Aber auch kognitive Operationen unterliegen einer Evolution. Der
Anspruch einer gültigen Theorie für Alles und Jedes
gerät dabei ins Wanken.
Bleibt uns daher anderes übrig, als uns über mögliche
Mehrdeutigkeiten zu verständigen?
Die Fähigkeit zur qualifizierten Meinungsbildung kann nicht
mehr in jedem Fall unabdingbar mit der Möglichkeit verlässlicher
Tatsachenermittlung verknüpft werden. Wenn sich Politik als
jenes menschliche Handeln versteht, das auf die Herstellung allgemein
verbindlicher Regeln und Entscheidungen in und zwischen Gruppen
von Menschen abzielt, so bewegen wir uns jedes Mal, wenn wir uns
auf gesicherte universelle Naturgesetze berufen wollen, auf dünnem
Eis.
Wir müssen die Strategien ändern. Wir heißt
wir alle.
Die Verabsolutierung von Teilwahrheiten ist vielfach nicht mehr
haltbar. Dennoch benötigen wir halbwegs verlässliche
Anhaltspunkte um rationales und verantwortliches Handeln zu ermöglichen.
Wenn die Art der politischen Auseinandersetzung keinerlei Anhaltspunkt
in der Welt der Tatsachen findet, weil sie nur durch Konkurrenz
von Meinungen, Wünschen, Ideologien und subjektiven Versionen
der Wirklichkeit in einer Art und Anspruch von Privatoffenbarung
geführt wird, dann wird Meinungsbildung zum manipulierbaren
Lotteriespiel. Transdisziplinarität hilft tradierte Grenzen
zu überschreiten und kann einen Beitrag zur Lösung des
vermeintlichen Dilemmas leisten.
Probleme stellen sich heute viel stärker als früher in Bereichen zwischen den Disziplinen, die einzelnen Fachgebiete überschreitend, transdisziplinär, interdisziplinär und multidisziplinär dar. Die durch fortlaufende Subspezialisierung entstandene Zerrissenheit der Wissenschaft mit den Phänomenen einer zunehmend sich selbst isolierenden Sprachlosigkeit gestaltet die Schaffung von Orientierungswissen mühsam und schwierig. Die Feststellung, dass wir immer mehr von immer weniger wissen, ist kaum zu widerlegen. Doch diese Diagnose muss unbefriedigend bleiben, sollte ihr keine Therapie gegenübergestellt werden.
Gerade in den Bereichen der Abschätzung von Technologiefolgen,
in der Bewertung dessen was Wissenschaft kann und soll und im
Problemfeld der medizinischen Ethik stehen wir vor der paradoxen
Situation, dass unsere Verfügungsmacht über die Natur
zunehmend unserem Orientierungswissen enteilt. Die Schnelligkeit
dieser Abläufe und die Informationsexplosion wachsen immer
noch und die Politik verfügt nicht über die notwendigen
Instrumente adäquater Reaktionen.
Hier beginnt sich oft weniger freiwillig als notgedrungen die
Politik der Wissenschaft zu bedienen. Allein die Beobachter dieses
Prozesses stellen lakonisch fest, dass sich für jedwede politische
Position, politisches Vorhaben und politische Absicht geeignete
KronzeugInnen aus der Wissenschaft finden lassen, um politisches
Handeln zu legitimieren.
Die scheinbare Beliebigkeit zumindest aber die Vielstimmigkeit
von Expertisen kratzt am Lack der Experten und ihrer Autorität.
Dass ExpertInnen oft auch von der Politik mit Fragen konfrontiert
werden, die nicht wissenschaftlichen Charakter haben und somit
ihre Kompetenz übersteigen, verschärft diese Situation
nur noch. Erst neue institutionelle Arrangements eines fruchtbaren
Dialoges zwischen Wissenschaft undÖffentlichkeit könnten
hier einen Ausweg weisen.
Angesichts kaum lösbarer Entscheidungssituationen im Bereich von Risikotechnologien und bioethischer Fragestellungen sind heute immer öfter Entscheidungen auf dem unsicheren Hintergrund öffentlicher Kontroversen zu führen. Der Wunsch nach "sozial robustem Wissen" welches sich nur im transparenten Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Laien und Politik entwickeln kann, ist groß. Diese Offenheit bedarf aber auch der Abkehr von Eitelkeiten und Hochstapelei und der ehrlichen "Kommunikation von Nichtwissen".
Es macht einen Unterschied, ob ich als Wissenschafter aus Neugier
heraus eine Welt verstehen und erklären will oder aber, ob
im Vordergrund der Politik das rasche Urteil und das Primat des
Handelns stehen. Oft gewinnt man den Eindruck, dass selbst schlechtem
Handeln in der Politik der Vorzug gegenüber dem Nicht-Handeln
gegeben würde. Derartige Handlungszwänge müssen
in geordnete und rational nachvollziehbare Bahnen gelenkt werden.
Auch wenn es manche schmerzt, wird es dazu notwendig sein, rationalistische
Letztbegründungsphilosophien aufzugeben. Der Anspruch linearer
deterministischer Denkmodelle eines absolut sicheren Wissens mit
ihren Beweis- und Ableitungsmechanismen verkommt in unserer Welt
der realen Herausforderungen schon zu oft zu Glasperlenspielen.(3)
Die pedantische Suche nach dem letzten und ausreichenden Grund
trägt ein gehöriges Risiko des Scheiterns in sich, im
politischen Alltag ist sie Fiktion.
Was wir allerdings der Politik abverlangen sollten und ihr nicht
ersparen wollen, ist ein wenig Mehr an Skeptizismus und Zweifel,
mehr Bemühen um Orientierungswissen und ein etwas Weniger
an verordneten Lösungsangeboten und Welterklärungen,
die allzu rasch zum Dogma der letzten und einzigen Wahrheit erhoben
werden. Zweifellos ist dazu ein langer Atem nötig.
Ob eine oft etwas asthmatisch anmutende Politik darüber verfügt,
wird zu beurteilen sein. Es ist aber unsere und ihre Aufgabe darauf
zu bestehen und sich nicht nur notfalls und zu spät zu Wort
zu melden.
Das verlangt das Selbstwertgefühl der Wissenschaft und diese
Ernsthaftigkeit ist man auch sich und den anderen schuldig.
Wie sehr Politik und Wissenschaft einander bedürften und sich dabei im Blickwinkel verschiedenster Disziplinen und Methoden spiegeln sollten, zeigen drei aktuelle Problembereiche.
Die Universitätsreform:
Die kürzlich gegen massive Proteste und Vorbehalte der
Betroffenen und gegen den Willen der Opposition mit den Stimmen
der Regierungsparteien beschlossene Universitätsreform wurde
mit den Schlagworten Weltklasse, Meilenstein, Quantensprung, Jahrhundertgesetz,
marktwirtschaftlich, output- und leistungsorientiert, Autonomie,
schlanke Entscheidungsstrukturen, Leistungsverträge und vielen
anderen derzeit gerade modischen Begriffen eingeleitet.
Wissen und Bildung sollten rasch und effizient und in einen klareren
Zusammenhang mit den Erfordernissen des Marktes und praxisorientierter
Berufsbilder vermittelt werden. Allgemeine Budgetknappheit begünstigte
den politischen Wunsch, zwischen unbedingt Notwendigem und Nützlichem
und überflüssigen Luxus besser unterscheiden zu können.
Strukturänderungen und straffe Hierarchien sollten unter
dem Druck von Wettbewerb und Konkurrenz die Zahl von AbsolventInnen,
aber auch jene mit Nobelpreisen gesegneten WissenschafterInnen,
auf Weltklasseniveau heben.
Was fehlte, war eine ausreichende Evaluierung des Ist-Zustandes
mit seinen Stärken und Schwächen sowie generelle Zielbestimmungen,
was denn die Aufgaben der Universitäten, und was die Aufgaben
anderer tertiärer Bildungseinrichtungen seien.
Trotz verkündigter Autonomie sorgte man sich ängstlich
politischen Einfluss zu halten. Partizipation und die demokratische
Mitgestaltung und Mitbestimmung aller Universitätsangehörigen
wurde als vermeintlich bewiesenes Qualitätshemmnis zugunsten
recht autokratische Modelle, die der kleinsten Gruppe, den Professoren
in allen Entscheidungsstrukturen die absolute Mehrheit garantierte,
verlassen.
Ministerielle Belehrungen wurden jahrelang als Dialog verkauft,
KritikerInnen als ewig gestrige Uneinsichtige oder als regierungsfeindlich
denunziert und handverlesene, aus dem Ausland eingeflogene ExpertInnen
der Regierung durften den Regierungsentwurf vor den Augen und
Ohren bislang eher desinteressierter Medien loben.
Wahrheit, Wissenschaft, Tüchtigkeit und Erfolg mussten
hier nicht lange definiert werden, man hatte eben so seine Vorstellungen.
Vorurteile ersetzten Urteile, Anekdoten des Systemversagens ersetzten
zeitraubende Analysen.
Macht und das Zementieren absoluter Mehrheiten enthebt vom Zwang
zum besseren Argument und gerade dieses sollte Charakteristikum
des universitären Lebens sein.
Das Primat des vordergründig Nützlichen und der scheele
Blick auf sogenannte "Orchideenfächer" wird das
Gleichgewicht zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung
ins Wanken bringen. Geistes- und Kulturwissenschaften kommen in
einen fatalen Legitimationszwang gegenüber technischen und
naturwissenschaftlichen Fächern, die noch dazu über
bessere Zugänge zu Drittmitteln verfügen. Werden sich
die Universitäten vom Ort der kritischen Auseinandersetzung
zur möglichst preisgünstigen Produktionsstätte
akademischer Arbeitskräfte bewegen?
Politisches Handeln im Zeitalter eines wissenschaftlichen Weltbildes?
"Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen" sprach
die zuständige Wissenschaftsministerin und schloss hinter
sich die Tür.
Die Gesundheitspolitik:
Die Kosten der Krankenversorgung und Szenarien einer baldigen
Unfinanzierbarkeit bisheriger Gesundheitspolitik dominieren die
derzeitige politische Diskussion.
Steigende Ausgaben für Gesundheit werden primär unter
dem Blickwinkel von Verlusten betrachtet und Kosten-Nutzen Rechnungen
in diesem Bereich sind Rarität.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen jedoch, dass der Anteil
der Medizin an der Entscheidung gesund oder krank mit maximal
15 - 20 % zu bewerten ist. Vielmehr entscheiden Einkommen, Bildung,
Wohn- und Arbeitsverhältnisse, soziale Integration und Umwelteinflüsse
über Erkrankungshäufigkeit und Lebenserwartung.
In höchstem Maße irritierend sind Studien die zeigen,
dass Menschen aus dem untersten Quintil von Einkommen und Bildung
in jedem Lebensalter das doppelte Risiko zu sterben oder zu erkranken
tragen, vergleicht man sie mit dem obersten Quintil. Bereits im
Alter von 45 Jahren finden wir bei diesen jene Art und Häufigkeit
chronischer Erkrankungen, wie sie in der Oberschicht erst im Alter
von 75 Jahren auftreten.
Diese wissenschaftlichen Studien zeigen bis heute keine adäquaten
politischen Reaktionen.
Obwohl Gesundheitspolitik prototypisch eine Querschnittsmaterie
darstellt, wird sie vorwiegend von den FächernÖkonomie
und Medizin monopolisiert und betrieben.
Diese letztlich kontraproduktive Monopolisierung einzelner Fachdisziplinen
verhindert eine breitere Diskussion über Kausalität
von Erkrankungen. Diagnose und Therapie leiden unter diesem Befund.
Die Gruppe der Gesundheitsberufe spiegelt diese Hierarchisierung
von Disziplinen wieder und teamorientierte Sichtweisen, die der
Vielfalt von Bedürfnissen der PatientInnen gerechter würden,
haben sich bislang nur unzureichend entwickelt.
Macht und Entscheidungsstrukturen erweisen sich gegenüber
noch so gut argumentierbaren Veränderungswünschen als
relativ rigid. Das Verbindende zwischen und in den Kulturen ist
Kongressthema aber politischer Alltag ist es leider noch nicht.
Die Bioethik:
Fragen der medizinischen Ethik stoßen auf breites mediales
und öffentliches Interesse und auf kaum einem anderen Gebiet
werden die Auseinandersetzungen über Ethik und Moral so emotional
und intensiv geführt wie in Zusammenhang mit Medizin und
Biowissenschaften. Wissenschaftlicher Fortschritt, sein Nutzen
und seine Risiken unterliegen einer schwierigen und damit auch
kontroversiellen Bewertung. Euphorische Heilserwartungen und der
Glaube an ein ewiges Leben frei von Leid begegnen uns ebenso wie
die Angst vor Frankensteins Monstern und eugenischer Selektion.
Beide Extremansätze werden der Wirklichkeit nicht gerecht.
Kriterien, nach denen diese offenen Fragen beantwortet werden
sollen, sind erst zu entwickeln. Relevanz erlangen diese Kriterien
allerdings erst dann, wenn sie in möglichst breitem Konsens
definiert werden und sie sich durch die Vielfalt von Blickwinkeln
auszeichnen.
Eine Ethik als dogmatisch, fundamentalistische Verordnung von
oben ist in einer pluralistischen Gesellschaft mündiger BürgerInnen
jedenfalls zum Scheitern verurteilt.
Dem vielfach geäußerten Wunsch nach raschen und verbindlichen
Stellungnahmen zu allen komplexen Fragestellungen der "Bioethik"
durch bloße Verlautbarungen einer Parteiethik zu entsprechen
sollte, daher besser nicht entsprochen werden.
Gerade der Dialog zwischen Wissenschaft, breiterÖffentlichkeit
und Politik böte ein Modell der Verknüpfung von Theorie
und Praxis zum Vorteil beider Seiten.
Die Aufbereitung komplizierter naturwissenschaftlicher Fakten
bedarf der Übersetzung immer exklusiverer Wissenschaftssprachen
in das allgemein Verständliche. Erst ausreichende Information
erlaubt eine Meinungsbildung. In der Debatte über Wissenschaftsethik
sind über den rein naturwissenschaftlichen und fachspezifischen
Ansatz hinaus jedenfalls aber psychologische, philosophische,
soziologische, anthropologische, ökologische, ökonomische,
juridische, politische und theologische Betrachtungen nicht nur
ratsam, sondern auch notwendig.
Auch hier wird man erst lernen müssen, mit vielfältigen
Widersprüchen in wechselseitigem Respekt umzugehen.
Ich habe ihnen nur einige Beispiele angeführt, die exemplarisch
Berührungspunkte zwischen Politik und Wissenschaft darstellen.
Diese Berührungspunkte sind beliebig auszudehnen.
Wenn ein Vortrag aber nicht lediglich einen weiteren erzeugen
soll, auf ein erschienenes Buch nicht lediglich nur ein weiteres
erscheint und auf eine "pro Rede" nicht nur mit einer
"kontra Rede" geantwortet wird, dann muss der Konjunktiv
einmal zum Imperativ werden. Erst dann ist Berührung nicht
nur virtuell. Berührung muss auch spürbar sein, erst
dann kann sie Fremde durch mehr Nähe ersetzen. Politik und
Wissenschaft können dann das gemeinsame Ziel verfolgen, dass
uns durch gelebte Neugier und durch den Drang nach Wissen und
Aufklärung immer weniger fremd bleibt.
Dennoch wird genügend Merkwürdiges in dieser Welt
verbleiben. Wenn wir uns der Mühe unterziehen, uns von all
dem Merkwürdigen auch etwas zu merken, so könnte man
den Fragen und verbleibenden Rätseln dann, wenn sie nicht
beantwortet und gelöst werden können, zumindest ihre
Würde belassen. Auch die Politik muss nicht auf alles eine
Antwort haben, das ist zu respektieren und immer noch besser als
rasche, falsche Antworten zu geben.
Das Gefühl der Enttäuschungen lässt sich dann ertragen,
wenn wir dieses Wort auch als das interpretieren können,
was "Aufhebung einer Täuschung" bedeuten kann.
Wer wollte sich denn sehenden Auges täuschen lassen?
Diese Erkenntnis wäre zutiefst menschlich und somit wiederum transdisziplinär.
© Kurt Grünewald (Wissenschaftssprecher der GRÜNEN Paralamentsfraktion, Parlament, Wien, Österreich)
ANMERKUNGEN
(1) Caruso, I.; Soziale Aspekte der Psychoanalyse, Rowohlt, 1972.
(2) Gierer, A.; Die Physik, das Leben und die Seele, Piper, 1986.
(3) Lenk, H.; Konkrete Humanität, Suhrkamp, 1998.
LITERATURVERZEICHNIS
Caruso, I.; Soziale Aspekte der Psychoanalyse, Rowohlt, 1972
Gierer, A.; Die Physik, das Leben und die Seele, Piper, 1986.
Lenk, H.; Konkrete Humanität, Suhrkamp, 1998.
Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections
Inhalt | Table of Contents | Contenu 15 Nr.
For quotation purposes:
Kurt Grünewald (Wien, Österreich): Politisches Handeln
im Zeitalter des wissenschaftlichen Weltbildes. In: TRANS. Internet-Zeitschrift
für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/01_6/gruenewald15.htm