Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. April 2004
 

3.5. Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Maria Klanska (Kraków)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Die Versuche der Kulturvermittlung von Karl Emil Franzos

Janusz Golec (Lublin)

 

"Franzos, dies jüdische Hundsblut, hat wieder einige Artikel über unser Land gebellt, natürlich in deutscher Sprache, damit es die anderen deutschen Hunde leicht nachbellen können."(1)

Diese Schimpfworte über sich selbst zitiert Karl Emil Franzos im Vorwort zu seinen »Culturbildern« aus »Halb-Asien«, einem Buch, das viel Aufsehen erregte und sehr differenzierte Urteile über die Haltung des Schriftstellers gegenüber den beschriebenen Völkern verursachte. Einerseits wurde er für einen Verteidiger des "jüdische[n] Ungeziefer[s]" gehalten, andererseits als "Judenfeind" quittiert, der sich lediglich den "grimmigen Haß aller nationalen und religiösen Fanatiker des Ostens zugezogen" habe. Er selbst betont dagegen in dem zitierten Vorwort seine "Vorurtheilslosigkeit" gegenüber dem "soziale[n] und nationale[n] Märtyrertum" jener Völker, die er in seinen Werken schildert.(2)

Wie er in der Einleitung schreibt, sei er bemüht, die Kulturverhältnisse der dargestellten Länder wahrheitsgetreu darzustellen, weil er, was seine "persönlichen Beziehungen zu dem Osten betrifft, die Mitte einnehme zwischen dem Touristen und dem patriotischen Schilderer. Ich bin im Osten geboren, aber als der Sohn deutscher Eltern, ich bin in einem podolischen Städtchen aufgewachsen, aber in einem deutschen Hause, und so hat mir ein früh gewecktes Voksbewußtsein unwillkürlich den Blick geschärft und den Verhältnissen des Ostens gegenüber eine gewisse Unbefangenheit gegeben. Ich habe Gelegenheit gehabt, diese Verhältnisse auf das Genaueste kennen zu lernen; langjähriger Aufenthalt, zahlreiche Reisen haben mich mit Sprache, Sitte und Eigenart jenes Völkergewirrs vertraut gemacht."(3)

Wie ist also die Schilderung jenes "Völkergewirrs" im Schaffen von Karl Emil Franzos? Ist sie tatsächlich durch die Objektivität gekennzeichnet, bei der der Autor nicht nur in der erwähnten Einleitung zu "Halb-Asien" sondern in weiteren Werken beharrt, haben sich ihm ungerechte Urteile, unrichtige Angaben "nur" unbewusst und sehr gegen seinen Willen eingeschlichen oder vertritt er doch eine Tendenzliteratur und will durch die Suggestion in der und durch die Dichtung seine Ziele erreichen? Dass nach der Meinung von Franzos ein Dichter anderen Menschen seine eigenen "Gedanken, Wünsche, Gemüths-Erregungen und Handlungen" suggerieren kann, steht außer Zweifel, denn dies kann man im Vorwort zu "Die Suggestion und die Dichtung", die von Franzos herausgegeben wurde, lesen.(4) Zu denjenigen Schranken, "welche die freie Entschließung beengen oder aufheben" zählt er "die ererbten Eigenschaften, den Einfluß der Rasse, des Klima's, der Erziehung, der Gewohnheit, der gesamten Lebenserfahrungen."(5) Er bezieht sich damit also darauf, was die Naturalisten »Vererbung« nennen. Eines der Ziele, die er in seinen Werken verfolgt, scheint deshalb dasjenige zu sein, dagegen zu kämpfen, dass der Einzelne, "zur Maschine eines andern" herabsinkt, die "seine Befehle unbewußt, und seien sie verderblich, ausführen muß."(6)

Diesen Kampf stellt sich Franzos deutlich als das wichtigste seiner Ziele, er will nämlich den gesamten Kulturstand der Völker seiner Heimat, also Galiziens und der Bukowina, heben und auf diese Weise ihre Emanzipation und die Emanzipation jedes Einzelnen initiieren. Er nennt sich in seinen Werken häufig den "stille[n], selbstlose[n] Vorkämpfer der Bildung und der Menschlichkeit", wie es schon vor ihm viele gab und auch nach ihm viele geben wird.(7) Und wenn er in diesem Kampf gerade die Rolle der Bildung betont, so meint er in erster Linie die deutsche Bildung, schon aus dem Grunde, weil der "Einfluß französischen Wesens im Osten bisher wenig Früchte getragen" habe, so dass lediglich eine ernste und planvolle deutsche Kulturarbeit, die den Völkern Galiziens "in Fleisch und Blut" übergehen könnte, richtige Resultate bringen würde.

Mehrmals betont Franzos in seinen Texten das "gellende[...] Tohuwabohu der Nationen und Natiönchen"(8) und das daraus resultierende Chaos von Sprachen, Kulturen und Religionen Galiziens. Ich führe hier ein längeres Zitat an, um die Art und Weise der "objektiven" Darstellung Franzos' zu exemplifizieren:


Hier haust, an Kopfzahl am stärksten, der Russine (Ruthene), immer mehr nach Süden hinabrückend und schrittweise der einst zahlreichsten Nationalität des Landes, den Rumänen, das Wohngebiet beschränkend. An diese beiden Haupt-Nationalitäten schließen sich, mit ihnen eins in der Sprache aber so verschieden in Typus und Sitte, daß nur beschränkte Eitelkeit diese Besonderheit zu leugnen vermag: an die Russinen das raue Bergvolk der Huzulen, der alten Uzen räthselhafte Söhne, an die Rumänen Volkssplitter der Tataren und Mongolen. Ferner in compacten Massen Moskowiter und Magyaren, zahlreich, aber zerstreut Armenier und Zigeuner, auch Polen; ebenso wenig fehlen Griechen und Türken, Bulgaren und Slovaken. Und schließlich ist noch, von kleinen Häuflein anderer Nationen abgesehen, ein Theil der Juden, die Orthodoxen, nicht bloß als Religions-Genossenschaft zu erwähnen, sondern auch als Nationalität. Wer sich die ethnographische Karte des Ländchens ansieht, dem flimmert's bunt genug vor den Augen, aber noch bunter sind die Wege, auf denen diese halbe Million Menschen dem ewigen Heil zusteuert römisch-griechisch-, armenisch-katholisch; armenisch- und griechisch-orientalisch; ausgburgisch, helvetisch und kalvinisch; türkisch und jüdisch, kurz nach jeglicher Façon wird man hier heilig, oft nach sonderbarer, wie Popowzen, Unitarier und Bezpopowzen beweisen, oft nach gar keiner es giebt unter den Zigeunern im Süden erklecklich viele Heiden!"(9)

Franzos kann also nicht ohne zumindest eine Prise Ironie und Überheblichkeit erzählen, er unterstreicht auch gleich nach diesem Abschnitt die Bedeutung eines rastlos spornenden, klärenden und veredelnden Faktors, der zur friedlichen Versöhnung und Einigung der widerstrebenden Elemente beiträgt: des Deutschtums, das zwar das herrschende, doch keineswegs das unterdrückende Element des Landes sei.

Der Schriftsteller ist unermüdlich, diese Hauptthese in seiner fiktionalen Dichtung durch suggestive Belege nachzuweisen. Aus Zeitgründen kann ich nur wenige, doch aber sehr sprechende Beispiele anführen. Eines solcher Paradigmen, mit deren Hilfe Franzos die Welt konstruiert, ist die Reiseskizze "Von Wien nach Czernowitz", die mit der Frage anfängt: "Bitte, mein Herr, ist die asiatische Grenze schon passiert?"(10)

Diese Frage wird von einer Dame gestellt, als der Zug hinter Lemberg "sich durch ödes, ödes Haideland"(11) wendet. Franzos überlegt im Folgenden, wo die Grenze zwischen Europa und Asien verläuft und zieht sie natürlich nicht geographisch, sondern durch verschiedene Punkte auf der Landkarte, an denen sich der »deutsche Geist« manifestiert, wo Kunst und Wissenschaft gedeihen:

Wer zum Beispiel den Eilzug von Wien nach Jassy benützt, kommt zweimal durch halbasiatisches, zweimal durch europäisches Gebiet. Von Wien bis Dzieditz Europa, von Dzieditz bis Sniatyn Halbasien, von Sniatyn bis Suczawa Europa, von Suczawa bis zum Pontus oder zum Ural Halbasien, tiefes Halbasien, wo alles Morast ist, nicht bloß die Heerstraßen im Herbste.(12)

Im Zuge aus Wien nach Czernowitz beginnt Halbasien, nachdem man das tschechische Prerau verlassen hat. Eines der Anzeichen des Halbasiatischen ist für Franzos die Reinheit der Tischtücher. Während z.B. italienische Städte für solche klingenden Beinamen wie »Genova la superba« oder »Firenze la bella« bekannt sind, kann Krakau gerade wegen des Schmutzes im Bahnhofsrestaurant und des Gestankes in der ganzen Stadt lediglich die Bezeichnung »Cracovia la stincatoria« erhalten.

Ich habe nie in dieser Stadt geweilt, ohne mir einen ausgiebigen Schnupfen zu wünschen, um dieses Duftes nicht gewahr zu werden. Übrigens war dies ein bescheidener Wunsch, welcher erfüllt wurde; der Duft war so stark, daß ich den Schnupfen bekam. Daß die Menschen, welche in dieser Stadt zu leben verdammt sind, nicht alljährlich von einer Epidemie decimiert werden, ist wahrhaftig ein besonderes Wunder Gottes.(13)

Auf eine ähnliche Art und Weise schildert Franzos weitere Orte, wo nicht deutsche sondern polnische Ordnung, ja »polnische Wirtschaft« herrscht, unter der vor allem die jüdische Bevölkerung leidet. Die letztere sei nämlich auf ihre Unterdrücker angewiesen, was sich auf ihre soziale und kulturelle Lage auswirke. "[J]edes Land hat die Juden, die es verdient" diesen Satz hat Franzos in der "Österreichischen Gartenlaube" im Jahre 1868 zum ersten Male gebraucht und seitdem an verschiedenen Orten wiederholt, so dass er sehr populär wurde und Franzos um seine Autorrechte kämpfen musste.(14)

Der Autor geißelt an mehreren Stellen seiner Texte die aus dem Nationalismus oder falschen Patriotismus resultierenden Versuche der Polonisierung Galiziens, vornämlich der jüdischen, aber auch der anderen Bevölkerung, was lediglich den grausamen Zwist der Nationen und Glaubensgenossenschaften dieses Landes verstärkt. Das einzige Heil sei daher die ernste und planvolle Kulturarbeit der Deutschen, die die autochthone Barbarei beseitigen könne. Franzos betont in diesem Kontext das Wort "Arbeit", weil sie "dem Polen und Rumänen leider als die achte Todsünde" erscheine.(15)

Diese Kulturarbeit versteht Franzos in erster Linie als deutsche Lektüre, die das Bildungs- und damit zugleich Bewusstseinsniveau des jeweiligen Rezipienten hebt und einfach aus einem Barbaren einen Menschen macht. Mehr noch: Sie ist das Versöhnende zwischen den drei Hauptnationen Galiziens: den Polen, den Ruthenen und den Juden. Dies thematisiert Franzos u. a. in der Novelle "Schiller in Barnow", in der er die Geschichte von fünf Exemplaren der Werke von Friedrich Schiller erzählt, die es in Barnow gibt, und wo eines davon gerade das zerlesene, befleckte und schlecht herausgegebene zum versöhnenden und verbindenden geistigen Gut wird, das imstande ist, nationale, religiöse und kulturelle Schranken zu beseitigen und zwischen einem polnischen Mönch, einem Juden und einem Ukrainer aufgrund ihrer geistigen Verwandtschaft Freundschaft zu stiften. Bei der gemeinsamen Lektüre des "Liedes an die Freude" stehen Tränen in ihren Augen, was Franzos als die schönste Schillerfeier, die jemals in Barnow stattgefunden hat, interpretiert.(16)

Von dem Bildungsweg mit Hilfe der Lektüre deutscher Literatur eines Juden aus Barnow, das als die tiefste Provinz geschildert wird, erzählt Franzos wiederum in seinem letzten Werk "Der Pojaz". Auch hier ist er überzeugt, dass die deutsche Kultur als das beste Medium der Befreiung der Juden und anderer Völker des Ostens und ihrer Heranführung an die Menschlichkeit sein kann. Er kehrt in diesem Buch wieder zu Motiven und Figurenkonstellationen, die man bereits in seinem Erstlingswerk findet, auch wenn er im Vorwort zu diesem Werk, das allerdings in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" in einigen Folgen erschienen ist, etwas Gegensätzliches behauptet und Unterschiede zum frühren Stoffkreise sehen will.(17)

Deutlich ist "Der Pojaz", genauso wie frühere Werke, wieder ein Beispiel für Tendenzliteratur, wozu sich Franzos in Bezug auf die Ghettonovellen, auch expressis verbis bekennt:

[...] ich konnte da nicht blos [sic!] gestalten, sondern auch für meine Ideen wirken. Ob ich wollte, oder nicht, diese Juden-Geschichten wurden daneben Tendenz-Geschichten. Schon die erste und die zweite waren es ja gewesen!(18)

Als Ziel hat sich Franzos in "Der Pojaz" eine tiefere Darstellung der jüdischen Volksseele gestellt, im Unterschied zu seinen Novellen wollte er "ein Spiegelbild dieses gesamten bestimmten Lebens" schildern und zwar in einer neuen "Tonart".(19)

In der Zeit des wachsenden Nationalismus um die Jahrhundertwende (vielleicht besser: der wachsenden Nationalismen) und einer immer größer werdenden Polarisierung zwischen Deutschen und Juden beabsichtigte er, seine Tendenz etwas zu mildern:

Ich glaube [...] in meinen ersten Schriften meine Pflicht gegen meine Stammesgenossen erfüllt, nicht gegen, sondern f ü r sie, nicht zu ihrem Schaden, sondern zu ihrem Heil gewirkt zu haben. [...]

Aber [...] "Alles hat seine Zeit", sagt der Psalmist, auch der Kampf gegen den inneren Feind. Heute, wo der äußeren Feinde so viele sind, muß der Kampf vor Allem ihnen gelten. Es gilt, den Druck dieser äußeren Feinde zu betonen.(20)

Betrachtet man den Roman, so kommt man zum Schluss, dass sich in Sicht des Ghettos durch nicht sehr Wesentliches ändert und dass seine frühere »Tendenz« aus vielen Textpassagen herausragt. Das einzig Neue scheint darin zu liegen, dass er diesmal nicht so sehr an der Beschreibung des Ghettos sondern vielmehr am Einzelschicksal interessiert ist und den Versuch, dem Ghetto zu entfliehen, thematisiert. Seine Hauptfigur, Alexander (Sender) Glatteis, ist ein Außenseiter, der sozusagen "genetisch" zur Andersartigkeit verdammt ist, weil seine Eltern zwar keine gewöhnlichen, doch aber "Schnorrer" waren. Er bildet einen deutlichen Kontrast zu der Gesamtheit der erstarrten und dogmatischen Ghettobevölkerung, die sich mit ihrer Orthodoxie gegen die Außenwelt gepanzert hat. Leider vervielfältigt Franzos auch in diesem Buch die gängigen Vorurteile gegenüber den Juden, sie sind für ihn genau wie für die Christen des Westens und des Ostens durch das Geld und den Erwerb gekennzeichnet. Senders Vater, Mendele Glatteis, genannt der "Kowner" ist auch in dieser Hinsicht ein ungewöhnlicher Außenseiter:

Der echte »Schnorrer« ist ja auch sonst nicht habgierig; aber keiner verachtete das Geld so wie der »Kowner«. Schon dies mußte ihm unter den Söhnen seines Volkes, dem Erwerb so hoch steht, weil das Geld seit zwei Jahrtausenden seine einzige Waffe im Kampf mit seinen Bedrängern gewesen, eine unerhörte Stellung sichern.(21)

Im zitierten Roman, genauso wie in seinen früheren Texten bedient sich Franzos verschiedener Humor- und Ironieschattierungen, die man heute als antisemitisch, antislawisch und rassistisch beurteilt. Als Beispiel kann man bereits solche jüdischen Namen nennen wie Mosche Rindsbraten, Schlome Rosenthal, Chaim Fragezeichen oder Selig Diamant so heißen die Lehrer von Sender Glatteis, als wüsste der Verfasser nicht, wem die Juden solche Namen "verdanken". Unverständlich ist auch Franzos' Vorliebe zur negativen Darstellung jüdischer Körpertypen, während »nichtjüdische« Physiognomien als schön empfunden werden. Dazu drei Beispiele:

Da aber mit der Frau da draußen nicht zu spaßen war, so schickte man ihr ein wahres Lamm. Es war dies der Bocher Naphtali, der wohl mit seinem Familiennamen Ritterstolz hieß, aber ein halbverhungertes Männchen von kleiner, dürftiger Gestalt war, mit einem Gesicht wie aus schlechtem Fließpapier geschnitten.(22)

Goldbraunes Haar umwogte in leichten Wellen ein längliches, schmales, edel geschnitztes Antlitz, in dem große blaue Augen standen. [...] Aber war das überhaupt ein jüdisches Mädchen?(23)

"So große blaue Augen", dachte er, "wie heißt die griechische Göttin im Lesebuch, die solche Augen hat?"(24)

Die letzten beiden Zitate beziehen sich auf Malke, ein jüdisches Mädchen, in das sich Sender verliebt und das genauso wie er oder doch noch mehr als er zu den AußenseiterInnen gehört. Sie hat bereits vor ihm den "deutschen" Weg der Bildung und Selbstbehauptung gewählt. Sender selbst kann sein Lebensziel ein Schauspieler zu werden aus zwei Gründen nicht verwirklichen: Er ist eine Figur, die beispielhaft zur Bestätigung der naturalistischen Theorie dienen kann: nämlich ein Produkt der Vererbung und des Milieus. Genetische Eigenschaften des "Pojazeschen" und sozial-religiöse Verankerung führen zu seinem Untergang. Sein Traum von einer Schauspieler-Existenz kann sich lediglich im Delirium des Todkranken erfüllen.

Der Roman ist zwar 1893 fertiggestellt, zu Lebzeiten des Autors aber in deutscher Sprache nicht veröffentlicht worden. Franzos hatte sicherlich große Bedenken, wie sein Werk damals hätte rezipiert werden können. Am Ende der Einleitung zu "Halb-Asien" stehen die Worte "Vincit veritas", mit denen Franzos suggeriert, dass seine Texte "dicke Nebel [der Vorurteile] über dem Lande [seiner] Heimat vertreiben werden", man kann diese Sentenz aber auch so verstehen, dass er am Anfang seines literarischen Schaffens von der Wahrheit seiner Texte überzeugt ist. Von "Der Pojaz" lässt sich dies bestimmt nicht mehr sagen. In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich nicht mehr jüdischen Themen, sondern schrieb "vor allem bürgerliche Liebes- und Gesellschaftsnovellen mit pessimistischen Zügen, die sich stilistisch zwischen Saar und Schnitzler bewegen, wie Jost Hermand konstatiert."(25) War er sich selbst dessen bewusst, dass sein Konzept des selbstlosen Kampfes des deutschen Geistes für die Befreiung galizischer Völker scheitern wird und dass sein missionarisches Plädoyer für Fortschritt und Modernität eine gewisse Nähe zum Macht- und Vorherrschaftsdenken des Nationalismus aufweist? Mit Recht schrieb einmal Sybille Hubach, dass die literarischen Werke von Franzos "als Demonstrationsobjekte jüdisch-deutscher Kompatibilität untauglich" sind.(26) Dem heutigen Forscher erscheint er zwar als ein interessanter Autor, wenn er nach seinen westlichen Maßstäben des 19. Jahrhunderts über die völlig untergangene Welt des östlichen Judentums erzählt, wenn er aber bei seiner Idee der deutschen "Leitkultur" sein ganzes Leben lang beharrt, wirkt er lediglich irritierend.

© Janusz Golec (Lublin)


ANMERKUNGEN

(1) Karl Emil Franzos: Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien. 1. Band. Leipzig 1876. Vorwort, o. S.

(2) Ebenda.

(3) Ebenda. Einleitung, S. V f.

(4) Karl Emil Franzos (Hrsg.): Die Suggestion und die Dichtung. Gutachten über Hypnose und Suggestion. Berlin: F. Fontane & Co. 1892, S. VIII.

(5) Ebenda, S. VII f.

(6) Ebenda, S. XXII.

(7) Ebenda, S. IX.

(8) Ebenda, S. XIV.

(9) Karl Emil Franzos: Zwischen Dniestr und Bistrizza. In: Aus Halb-Asien, Band 1, S. 134 f.

(10) Karl Emil Franzos: Von Wien nach Czernowitz. In: Aus Halb-Asien Bd. 1, S. 93.

(11) Ebenda.

(12) Ebenda, 95.

(13) Ebenda, S. 105.

(14) Ebenda, Einleitung, S. XXI.

(15) Ebenda XI.

(16) Karl Emil Franzos: Schiller in Barnow. In: Aus Halb-Asien. Band 1., S. 90.

(17) So in der AZJ vom 4.10.1904, S. 259.

(18) Ebenda, S. 283.

(19) Ebenda, S. 283 f.

(20) Ebenda, S. 294 (Hervorhebungen von K.E.F.).

(21) Karl Emil Franzos: Der Pojaz. Athenäum Verlag Königstein 1979, S. 23.

(22) Ebenda, S. 34.

(23) Ebenda, S. 213 f.

(24) Ebenda, S. 226.

(25) Vgl. Karl Emil Franzos (1848-1904). Der Dichter Galiziens. Zum 150. Geburtstag. Hrsg.: Herwig Würtz. Wien 1998, S. 43.

(26) Sybille Huber: Galizische Träume. Die jüdischen Erzählungen des Karl Emil Franzos. Stuttgart 1986, S. 62.


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Janusz Golec (Lublin): Die Versuche der Kulturvermittlung von Karl Emil Franzos. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/03_5/golec15.htm

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