Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
 

3.5. Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Maria Klanska (Kraków)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Bericht: Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur

Maria Klanska (Kraków)
[BIO]

 

Die Sektion beschäftigte sich mit den Wechselbeziehungen und der jüdischen Vermittlung zwischen der deutschen und slawischen, vornehmlich der polnischen Kultur. Diese Proportionen ergaben sich aus der Zusammensetzung der anwesenden ReferentInnen - 6 (plus eine virtuelle) aus Polen und 3 aus Österreich bzw. Deutschland. Erfreulicherweise hatten wir eine, zuweilen auch mehrere ukrainische KollegInnen als Zuhörer und Diskutanten dabei, die für den Ausgleich sorgten, dass nicht ausschließlich das Dreieck Polen-Deutsche-Juden thematisiert wurde, sondern auch nach dem ukrainischen Faktor gefragt wurde. In diesem Zusammenhang wurde in der Diskussion festgestellt, dass die Kultur und Übernahme eines bestimmten Akkulturationsmodells auch eine Funktion der ökonomischen und politischen Machtverhältnisse ist, denn meistens wurde die herrschende Kultur übernommen und angeeignet. Aber manchmal geschah es auch umgekehrt, dass die leidende, die das märtyrologische Modell bietende Kultur eine größere Anziehungskraft als die der Machthaber hatte, so z.B. die jiddische Kultur und Sprache.

In der Diskussion wurde auch nahegelegt, dass von deutscher/österreichischer Seite der Beitrag jüdischer Übersetzer deutscher Literatur in slawische Sprachen gewürdigt werden sollte. Es existieren höchstens Einzelforschungen dazu; vieles aus dem Leben und über den Tod dieser Intellektuellen, die ja ihr Leben der deutschen Kultur widmeten und dann meistens von den Nazis ermordet wurden, sowie ein Teil ihrer Veröffentlichungen, vor allem in der Presse, ist unbekannt, verschollen, nicht erforscht. Polnische, ukrainische usw. Kollegen vor Ort könnten gerne mithelfen, aber die Initiative des Forschungsprojekts - z.B. eines Lexikons dieser Übersetzer - müßte von der deutschsprachigen Seite ausgehen.

Die Sektion bot einen Überblick seit der jüdischen Aufklärung (Haskala) bis zur Verarbeitung der Schoa, des Heimatverlustes, der Ausgliederung der Nationen in der Zeit 1933-1945, reflektiert durch die Literatur bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Leider konnte die erste Vortragende, die über Mendelssohns Leistung in Berlin sprechen sollte, wegen eines Autounfalls nicht nach Wien gelangen. So fingen wir den Überblick gleich mit einem polnisch-jüdischen Vertreter der Aufklärung in Berlin, Salomon Maimon, und mit seinen Memoiren an. Dieses Thema wurde durch die Vorträge über die galizischen Anhänger der Haskala Moritz Rappaport und Karl Emil Franzos fortgesetzt und weiter differenziert. Die Auskunft über die galizische polnisch-ukrainische Zeitung "Gazeta Naddniestrzanska" gab einen Einblick in die Gestaltung der Verhältnisse zwischen den Juden, Polen und Ukrainern in den Augen der alltäglichen einheimischen Publizistik.

Die Beiträge des zweiten Tages fingen mit einem Vortrag über die Beziehung des Klassikers jüdischer Philosophie und "chassidischer Erzählungen", Martin Buber, zu den Slawen und insbesondere zur polnischen Kultur an. Es folgte ein hochinteressanter Vortrag über die jüdischen Übersetzer deutscher Literatur ins Polnische, der im Mittelpunkt den Übersetzer Izydor Berman hatte. Danach wurden weitere Aspekte der Multikulturität der osteuropäischen Juden durch die Vorträge über Max Brod in Prag, über den jiddischen, mosaischen, doch dem Christentum aufgeschlossenen Schriftsteller Schalom Asch, über die Thematisierung des Holocaust in der neuesten Schweizer Literatur gehalten. Die letzte - leider nur virtuelle Rednerin - befasste sich mit den Fragen des Heimatverlustes, des Katastrophensinnes und der deutschen bzw. deutsch-jüdischen Identifikation bei Günter Anders und Joseph Roth.

Damit wurde ein breites zeitliches und räumliches Panorama der Problematik der jüdischen Identitäten und Kulturbeiträge zur deutschen Literatur gezeigt. Alle Beiträge repräsentierten ein gutes wissenschaftliches Niveau und wurden durch eine lebhafte, befruchtende Diskussion ergänzt, an der sich trotz der bescheidenen Teilnehmerzahl um ca. 12 meistens 3, manchmal auch mehr Personen beteiligten. In der Sektion herrschte eine sehr angenehme, kollegiale, arbeitsfreudige Atmosphäre, für die ich allen TeilnehmerInnen danken möchte. Mein besonderer Dank gilt den Organisatoren des Kongresses und vor allem Herrn Dr. Herbert Arlt, der das Zustandekommen dieser anregenden und erfreulichen Sektion ermöglichte.

Als ein kleines "P.S." möchte ich die Bemerkung anhängen, die ich zusammen mit Herr Prof. Tamás Lichtmann aus Ungarn ausgearbeitet habe, dessen Sektion 4.5. parallel verlief und die durch die Thematisierung der transnationalen Rolle der jüdischen Kultur sich mit einer breiter angelegten, aber durchaus verwandten Problematik befasste und vor allem aus ungarischen KollegInnen bestand, dass es für die Zukunft eine Bereicherung sein würde, wenn man solche themenverwandten Sektionen in eine größere (ca. 20 Personen) integrieren könnte, sodass alle TeilnehmerInnen dieser Sektionen alle Beiträge zu den sie interessierenden Thematik hören und diskutieren könnten. Es wäre an zwei Tagen und vielleicht bei der Beibehaltung der beiden Sektionsleiter aus verschiedenen Ländern machbar gewesen. Das ist aber nur eine kleine Anregung für die Zukunft. Nun hoffen wir die Beiträge der beiden und vieler weiterer Sektionen nach der Veröffentlichung einsehen zu können.

© Maria Klanska (Kraków)

3.5. Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS       Inhalt | Table of Contents | Contenu  15 Nr.


For quotation purposes:
Maria Klanska (Kraków): Bericht: Wechselbeziehungen zwischen der jüdischen, der slawischen und der deutschen Kultur. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/03_5/klanska_report15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 22.11.2003     INST