Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
 

4.3. Transnationale Bestrebungen und Widersprüche in Asien und Afrika
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Naoji Kimura (Tokio/Regensburg)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Japans imperialistische Expansion in Asien

Naoji Kimura (Tokio/Regensburg)
[BIO]

 

Als Einleitung in die Sektion "Transnationale Bestrebungen und Widersprüche in Asien und Afrika" möchte ich über den japanischen Imperialismus sprechen, weil seine staatsgrenzenüberschreitenden Bestrebungen in der Vergangenheit nicht nur aus einem machtpolitischen Nationalismus, sondern auch mit kulturpolitischen Ansprüchen und Gewalt-strategien durchgeführt wurden. Zunächst soll aber vorsorglich eine Begriffsbestimmung über Asien vorgenommen werden.

Als man von ex oriente lux und ex occidente lex sprach, dachte man nur an das Morgenland im Gegensatz zum Abendland. Die erstere Hälfte des Spruchs ist bekannt, während die letztere kaum zitiert wird. Mit der Erweiterung des stets vom Westen aus gesehenen Weltbildes kam nach dem Vorderen Orient allmählich auch der Mittlere Orient in den Gesichtskreis der Europäer. Aus diesem Nahen und Mittleren Osten blieb jedoch der Ferne Osten bis heute ausgeschlossen. Wenn also in einer kulturwissenschaftlichen Fragestellung vom Fernen Osten die Rede ist, muß man im strengen Sinne von Ostasien und ferner von Südostasien sprechen. Viele Mißverständnisse im Westen entstehen dadurch, daß man innerhalb des Ostens diese drei Bereiche nicht deutlich voneinander unterscheidet. Vor allem sollte man im deutschen Wortgebrauch den Gegensatz von Okzident und Orient auf Europa und Nahost beschränken, wie die Forschungsdisziplin Orientalistik es nahelegt. So war denn auch die Aachener Ausstellung 2003 betitelt: "Ex oriente - Isaak und der weiße Elefant. Bagdad - Jerusalem - Aachen. Eine Reise durch drei Kulturen um 800 und heute".

Das Trennende lag dabei im Grunde genommen in der unterschiedlichen Religiosität, zog doch die westliche Christenheit trotz aller inneren Spaltungen mit allen Mitteln eine strikte Grenze gegen alle nichtchristlichen Religionen im Osten, also Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Shintoismus etc. Die Jesuiten haben zumindest vom Taoismus und Konfuzianismus die wichtigsten Schriften in lateinischer und französischer Übersetzung den Europäern zugänglich gemacht. Da die Religionen wesentlich durch die Sprache überliefert werden und jeweils eine eigentümliche Kultur hervorbringen, ergeben sich natürlich aus dem Trennenden der Religionen vielfach kulturelle Komplikationen von größter Tragweite wie z.B. bei den Kreuzzügen im Mittelalter. Dem Verbindenden der Kulturen müßte deshalb eine friedliche Koexistenz der Religionen vorausgehen. Sonst müßte das Licht im Osten erlöschen und das Recht könnte vom Westen nicht kommen.(1)

Im üblichen Sinne des Wortes bezeichnet der Ferne Osten oder Ostasien China, Korea sowie Japan, und Südostasien schließt die Philippinen, Vietnam, Laos, Kambodscha, Malaysia, Indonesien, Thailand, Myanmer und einige andere Nationen ein. Indien gehört für meine Begriffe schon zum Mittleren Osten und wird deshalb in den folgenden Betrachtungen über den japanischen Nationalismus und Imperialismus außer acht gelassen. Als historischer Rückblick kommt Eurasien insofern in Betracht, als es durch die Seidenstraße kulturgeschichtliche Spuren hinterlassen hat. Politisch und religiös hat sie trotz der übermittelten buddhistischen Kunst in der japanischen Geschichte kaum eine Rolle gespielt.(2) Neuerdings sprechen die Staaten Zentralasiens, des Kaukasus und der Schwarz-Meer-Region von "Neuer Seidenstraße".(3) Immerhin erstreckt sich der Forschungsbereich des ganzen Problems zeitlich von der Zeit Alexanders des Großen bis zur Gegenwart und geographisch von Europa bis nach Ostasien bzw. Südostasien. Thematisch handelt es sich dabei um Trans- und Interkulturalität, Globalisierung sowie neue Medien, die transkontinental über alle Grenzen verschiedener Erdteile hinweg gehen. Das Thema "Das Verbindende der Kulturen" umfaßt somit die ganze Kulturgeschichte der Menschheit.

In dieser grundlegenden Situation befindet sich Japan in einer zwiespältigen Lage, die geopolitisch und religionsgeschichtlich bedingt ist. Als ein Land, das im fernsten Fernen Osten liegt, war das Inselreich historisch durch das ganze Mittelalter hindurch mit der führenden chinesischen Kulturtradition eng verbunden, zumal auch der ursprünglich indische Buddhismus nach Japan in chinesischer Übersetzung überliefert wurde. Aber als es aus einer "Sakoku" genannten mehr als 200jährigen Landesabschließung in der Edo-Zeit (1603-1867) durch die Ankunft des amerikanischen Geschwaders im Jahre 1853 ausbrach und sich seit der Meiji-Restauration im Jahre 1868 zusehends modernisierte, hat es sich über die USA dem Westen angeschlossen und erweist sich längst als der Ferne Westen.(4) Nebenbei bemerkt wurde das Wort "Sakoku" ursprünglich vom deutschen Arzt Engelbert Kaempfer (1651-1716) geprägt, der sich in den Jahren 1690-91 in Nagasaki aufgehalten hatte und in seinem postum erschienenen Hauptwerk "Geschichte und Beschreibung von Japan" (1777-79) den vom Westen abgeschlossenen friedlichen Zustand des Inselreiches im Vergleich mit dem Dreißigjährigen Krieg bejahend hervorhob. Diese Ausführungen übersetzte dann 1801 Shizuki Tadao mit dem treffenden Titel "Sakoku" ins Japanische.

Was die Edo-Zeit im einzelnen anbelangt, so wird sie als eine Geschichtsperiode vom Jahr 1603 bis 1867 anberaumt. Im Jahre 1600 trug Tokugawa Ieyasu (1542-1616) in der entscheidenden Schlacht von Sekigahara in Zentraljapan den Sieg davon, ließ sich 1603 vom Kaiser zum erblichen Shogun ernennen und sicherte damit seiner Familie die tatsächliche Regierungsgewalt über ganz Japan. Der japanische Kaiser war bis zur Meiji-Restauration als eine ideelle politische Macht nur dem Namen nach das Staatsoberhaupt und hatte auch weiterhin seinen Sitz in der alten Hauptstadt des Landes, Kyoto, während die Shogune der Tokugawa-Familie, die seit 1590 in Edo, dem heutigen Tokyo, residiert hatten, nunmehr von hier aus das Land verwalteten. Aber Ieyasu trat schon 1605 seinem Sohn Hidetada das Shogunat ab und zog sich zwei Jahre darauf nach Sunpu, dem heutigen Shizuoka, zurück, bis er im Jahre 1616 starb. Es war erst im Jahre 1615, daß sein eigentlicher Kontrahent, die Toyotomi-Familie, endgültig zugrunde ging.

Von der Edo-Zeit läßt sich generell mit Recht folgendes sagen: "Über Weisung des ersten Tokugawa-Shoguns, Ieyasu, lebte Japan, seit 1603 von den erblichen Shogunen der Tokugawa-Familie regiert, still und im Kokon seiner Abgeschiedenheit am Geschehen in der weiten Welt vorbei. In der rund 250 Jahre dauernden Absperrungszeit von ausländischen Einflüssen, während der im Lande Friede herrschte, entwickelten sich Kultur, Kunst und Wissenschaften zu einer für mittelalterlich feudale Verhältnisse erstaunlichen Höhe und großartiger Blüte."(5) Historisch ist es also von Bedeutung, zu fragen, wie einerseits die außenpolitischen Maßnahmen für die Landesabschließung getroffen wurden, und wie sich andererseits die japanische Kultur unter diesen besonderen Bedingungen entwickelt hat.

Bekanntlich begann die christliche Mission in Japan im Jahre 1549. Es war die erste Begegnung der Japaner mit dem Westen, die zunächst in freundlicher Zusammenarbeit vor sich ging. Wie sein Vorgänger Oda Nobunaga (1534-1582) ließ der mächtige Alleinherrscher Toyotomi Hideyoshi (1537-1598) anfangs die christliche Mission zu, und zwar in der Meinung, dadurch den Außenhandel mit Südostasien fördern zu können. Aber nicht so sehr aus religiösen, als vielmehr aus politischen Gründen wurden die spanischen und portugiesischen Missionare im Jahre 1587 des Landes verwiesen, und zehn Jahre danach kam es bei einer kolonialismusverdächtigen Aussage eines Matrosen auf dem verschlagenen spanischen Schiff "San Felipe" und durch Verleumdungen von seiten der Portugiesen zum Märtyrertod von 26 Priestern sowie Gläubigen in Nagasaki, die heutzutage als Heilige verehrt werden. Im Hintergrund spielten sich unselige Rivalitäten zwischen dem Franziskaner- und Jesuitenorden ab.

Beachtenswerterweise ließ Tokugawa Ieyasu noch im Jahr 1601 die Erbauung einer christlichen Kirche in Edo zu, verbot aber 1612 in seiner unmittelbaren Domäne das Christentum. Da er an einer Wiederaufnahme des Außenhandels mit Spanien interessiert war, holte er jedoch 1610 den verschlagenen ehemaligen Gouverneur Don Rodrigo von Luzon nach Nueva Espana, dem heutigen Mexiko, zurück. Tanaka Shosuke, den er mitfahren ließ, gilt als der erste Japaner, der den amerikanischen Boden betreten hat. Sein Nachfolger, Shogun Hidetada, veranlaßte zwar 1613 auf den Ratschlag des Missionars Luis Sotelo hin Date Masamune, den Daimyo von Sendai, dessen Vasallen Hasekura Tsunenaga nach Spanien zu entsenden, verbannte aber im folgenden Jahr den christlichen Daimyo Takayama Ukon u.a.m. ins Ausland. Die Christenverfolgung erreichte 1622 in der Massenhinrichtung in Nagasaki ihren Höhepunkt. Im Jahre 1633 wurde dann die strengste Strafe über die Einreise von christlichen Missionaren verhängt.

Parallel dazu wurden Maßnahmen zur Kontrolle der Auslandskontakte schrittweise in die Wege geleitet. Im Jahre 1616 wurde das Einlaufen von Schiffen außer aus China auf die Häfen Nagasaki und Hirado eingeschränkt. Diese erste Stufe der Landesabschließung wurde dadurch abgeschlossen, daß 1624 spanischen Schiffen die Einfahrt verboten und den Einheimischen außer mit einem staatlichen Sonderauftrag Auslandsreisen sowie Rückkehr aus dem Ausland untersagt wurden. Die zweite Stufe bildeten 1634 die Errichtung der winzigen künstlichen Insel Dejima bei Nagasaki sowie 1635 das Totalverbot der Auslandsreisen für die Japaner. In der abschließenden dritten Stufe wurden 1636 die Portugiesen auf die Insel Dejima verwiesen, 1639 das Einfahren portugiesischer Schiffe verboten und schließlich 1641 die Faktorei der Holländer aus Hirado auf die Insel Dejima verlegt. So wurde also die Landesabschließung "Sakoku" bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts innenpolitisch vollzogen, bis sie im Jahre 1854 durch Commodore Perrys Wiederkunft gewaltsam aufgehoben wurde. In den Verträgen von Kanagawa mußte Japan zuerst den USA und in den folgenden Jahren den europäischen Großmächten seine Häfen öffnen. Um es kurz zusammenzufassen: "Etwas mehr als hundert Jahre ist es her, daß Japan nach einer freiwillig gewählten Isolationsperiode von nahezu 250 Jahren seine Tore geöffnet hat und in den Verkehr mit den anderen Ländern der Welt getreten ist."(6)

Vor der Landesabschließung durften die Japaner aber vom 16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen friedlichen Handel in Südostasien betreiben. So fuhren die japanischen Handelsschiffe "Shuinsen" mit der rotgestempelten Genehmigung der Toyotomi- bzw. Tokugawa-Regierung in Richtung Südchina, Formosa, Luzon, Tongking, Annam, Kambodscha, Siam, Malaya, und Indonesien, wo die Portugiesen in Goa, Spanier in Manila und Niederländer in Batavia bereits ihren Kolonialsitz oder Niederlassungen besaßen. Es gab damals eine Anzahl japanischer Wohnviertel in südostasiatischen Städten wie Tsulan oder Fefo in Cochin, Phnom Penh oder Piniyal in Kambodscha, Ayutthaya in Siam, Arakan in Burma, Dirao oder San Migel bei Manila in den Philippinen. Durch die Einschränkung des ergiebigen Außenhandels wollte das Tokugawa-Shogunat letztlich erzielen: 1) Durchsetzung des Christenverbots, 2) Unterdrückung des wirtschaftlichen Wachstums von Daimyos und Großhändlern, 3) Monopolisierung des Handels für sich. Aber diese lag auch im Interesse der protestantischen Niederländer, die gern einzige Geschäftspartner von Japan sein wollten. In der Tat zpgen sich die Engländer zurück, die gleichfalls als Protestanten einige Jahre später eine eigene Faktorei in Hirado aufgemacht hatten, im Jahre 1623.

Während der "Sakoku"-Periode wandten sich die japanischen Intellektuellen, d.h. junge Samurai meist aus dem niederen Stand gleichsam wie ritterliche Ministerialen im deutschen Mittelalter, der sogenannten Holländischen Wissenschaft "Rangaku" zu. Für sie stellte die kleine Handelsstation der Holländer auf der Insel Dejima das einzige Fenster zur westlichen Welt dar. Neben ihnen gab es Intellektuelle bürgerlicher Herkunft, die sich bewußt von der chinesischen Klassik ab- und der einheimischen Tradition der Hofdichtung zuwandten. Sie wurden auf diese Weise Jünger der sogenannten Nationalen Schule "Kokugaku" und bereiteten ideologisch den japanischen Nationalismus in der Meiji-Zeit vor. Aber es gehört zu einem anderen Kapitel, die beiden in der Geisteshaltung von fortschrittlich und konservativ entgegengesetzten Wissenschaftsbereiche in der Edo-Zeit näher zu recherchieren.(7)

Die Blütezeit bürgerlicher Kultur in der politisch etablierten Edo-Zeit, die sich von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erstreckt, wird als "Genroku-Periode" bezeichnet. Geographisch war die traditionsreiche Gegend von Kyoto und Osaka, also das "Kamigata" genannte Westjapan im Kulturschaffen noch führend. Edo als Hauptstadt des Tokugawa-Shogunats spielte erst allmählich eine größere Rolle. In der Genroku-Kultur waren verbürgerlichte Samurai und reiche Kaufleute tonangebend, aber auch das Volk konnte die Gaben ihres Kulturschaffens genießen. Infolge der Landesabschließung wurde der Einfluß westlicher Kultur immer geringer und das traditionelle Japan konnte sich zur fast gesättigten Reife entwickeln. Im Zuge des Fortschritts der Drucktechnik wurden illustrierte Werke der Unterhaltungsliteratur unter dem Volk weit verbreitet. Da es keinen Bürgerkrieg mehr gab, genoß man das Stadtleben an Leib und Seele. Insofern war die Edo-Zeit im Gegensatz zur vorangegangenen kriegerischen Kamakura-Zeit (1185-1333), in der mehrere jenseitsgerichtete buddhistische Schulen zur Erlösung des einfachen Volkes entstanden waren, weltlich eingestellt.

Während die konfuzianische Moralphilosophie der Zhu Xi-Schule für die Führungsschicht und der Geist der japanischen Alt-Philologie für die Gebildetenkreise richtungweisend waren, suchte man in der bürgerlichen Kunst und Literatur grundsätzlich nach Menschlichkeit. So stammen alle klassischen Künste Japans, die schon lange in der ganzen Welt bekannt und beliebt sind, aus jener Zeit: Kabuki-Theater, Puppenspiel Bunraku, Farbholzschnitt Ukiyo-e, Haiku-Dichtung usw. Das ältere Noh-Theater wurde zu seiner letzten Vollendung hochstilisiert. Diese einigermaßen ambivalente Kultur von damals wollte man in Deutschland durch zwei Ausstellungen veranschaulichen. Zum einen war es die Ausstellung "Shogun. Kunstschätze und Lebensstil eines japanischen Fürsten der Shogun-Zeit", die 1985 im Haus der Kunst München gezeigt wurde. Zum anderen war es die Ausstellung "Im Schatten des Shogun. Kunst und Kultur im Japan der Edo-Zeit", die im Jahre 2001 im Historischen Museum von Regensburg mit Farbholzschnitten der Sammlung Winzinger (Regensburg) und Objekten der Sammlung Siebold (München) veranstaltet wurde. Zeitlich und thematisch umfassender war die große Ausstellung "Japan und Europa 1543 - 1929", die 1993 im Rahmen der 43. Berliner Festwochen stattfand. Zuletzt wurden 2003 Meisterwerke aus dem Tokyo National Museum in der Bonner Ausstellung "Japans Schönheit - Japans Seele" gezeigt.

Erst in der Meiji-Zeit (1868-1912), etwa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begann Japan quasi als eine der Westmächte, sein Reich geopolitisch und kulturell über seine Staatsgrenzen hinaus in Ostasien aufzubauen.(8) Nationalismus, Imperialismus und Militarismus gingen dabei Hand in Hand - so wie in Europa. Aber angeblich wollte Japan schon damals eine Art Asiatische Union errichten, indem es von einem asiatischen Großkulturraum unter seiner Hegemonie sprach. Dieser Versuch führte freilich zum Interessenkonflikt mit den westlichen Kolonialmächten, die bereits China und Südostasien weitgehend kolonisiert hatten, und endete mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Von den verhängnisvollen Folgen davon konnte Japan sich selbst relativ schnell erholen, da es sich in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu einem der modernsten Länder der Welt entwickelt hat.

Aber geistesgeschichtlich, zumal in der shintoistischen Naturreligion der Schuldbegriff im christlichen Sinne fehlt,(9) ist Vergangenheitsbewätigung im politischen und kulturellen Bereich von seiten Japans noch nicht ausreichend erfolgt, so daß die ost-asiatischen Länder bzw. südostasiatischen Nationen einem erneuten Versuch, über die ASEAN (Association of Southeast Asian Nations: Myanmer, Thailand, Laos, Vietnam, Kambodscha, Indonesien, Malaysia, Singapur, Brunei, die Philippinen) hinaus eine Asiatische Union in Analogie zur EU ins Leben zu rufen, skeptisch gegenüberstehen, solange Japan mit seiner Wirtschaftsmacht darin eine führende Rolle spielt. Früher war es eine weltweite geopolitische Ideologie, die transnationale Bestrebungen in Ostasien leitete. Gegenwärtig macht die Technik mit neuen Medien eine Transkulturalität ebenfalls in Ostasien bzw. Südostasien notwendig und verbreitet im Internet Massen-, Popp- oder Subkultur. In ganz Asien bleiben jedoch uralte Religionen mit ihren traditionellen Kulturen noch lange lebendig, die beide mit widersprüchlichen nationalen und ethnischen Problemen behaftet sind.

Eigentlich setzt das Sektionsthema "Transnationales" Entstehung und Entfaltung der Nationen in der neueren Geschichte von Ost und West voraus. Denn es impliziert die ganze Problematik des Nationalismus, der im Zeitalter der Globalisierung durch eine politische oder wirtschaftliche Internationalisierung fast überwunden zu sein scheint. Aber genau besehen waren es gerade die Nationalstaaten, die vielfältige Nationalismen in der Welt durch ihre völkerrechtlichen Prinzipien hervorgebracht haben: nämlich staatliche Souveränität, territoriale Integrität und Interventionsverbot. Transnationale Bestrebungen in Asien sind allerdings anders motiviert als bei den europäischen Nationalstaaten im 19. und 20. Jahrhundert, da die Nationalstaaten dort meist nach dem Zweiten Weltkrieg von den Kolonialmächten unabhängig geworden sind. Dementsprechend sind sie mit anderen Problemen konfrontiert als im alten Europa. Wenn beispielsweise die zehn Mitgliederstaaten der ASEAN - später kommt voraussichtlich auch Osttimor hinzu - bei gravierenden Interessenkonflikten jeweils auf den Rechten einer unabhängigen Nation bestehen sollten, könnte eventuell eine politische Ausweglosigkeit entstehen, die nicht so leicht zu beheben wäre. Im Zeitalter der Globalisierung könnten einzelne Nationen politisch doch noch selbständig bleiben, aber wirtschaftlich sind sie manchmal aufeinander angewiesen, und ihre kulturelle Identität ist durch fremde Einflüsse mittels neuer Medien ständig gefährdet.

Der Nationalismus in Europa war seinerzeit von einem starken Expansionsdrang gekennzeichnet. Daraus ergab sich im Laufe der großen Entdeckungsreisen seit dem 16. Jahrhundert ein Imperialismus, der die südamerikanische, afrikanische, asiatische und slawische Welt unter den Kolonialmächten aufteilte. Hier ist nicht der Ort, die wechselvolle Geschichte des europäischen Kolonialismus im einzelnen nachzuzeichnen. Der Tübinger Historiker Gerhard Schulz faßt sie in seinem Buch "Europa und der Globus. Staaten und Imperien seit dem Altertum"(10) wie folgt zusammen: "Alle Mächte, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts, wie England schon vordem, über die geographische Zone Europas hinauswuchsen, Frankreich, Rußland, Deutschland und zuletzt Italien - Österreich-Ungarn blieb bis zum Ersten Weltkrieg nur europäische Großmacht -, erfuhren eine Potenzierung ihrer inneren Kräfte, vor allem eine gewaltige Steigerung ihrer Bevölkerungen."(11) Wichtig für unsere Fragestellung ist sein Hinweis auf die kulturellen Auswirkungen einer solchen transnationalen Aufteilung der außereuropäischen Welt: "Im Orient, in Afrika wie in China und Südostasien waren die europäischen Kolonialmächte in Kulturen vorgedrungen, die eigene Prozesse durchlebten und den Europäern ein unüberschaubares Feld neuer Konflikte boten."(12) Von europäischer Seite waren kulturelle Prozesse gewiß immer grenzüberschreitend, weil sie vielfach mit kulturpolitischen Bemühungen um Durchsetzung der eigenen Sprache und Religion verbunden waren. Aber von seiten der kolonisierten Länder werden ihnen dann oft kulturelle Widerstände entgegengesetzt, da sie auch jahrhundertealte Sprachen und Religionen besitzen. Angesichts dieser Tatsache spricht man heutzutage oft vom Konflikt der Kulturen, wie z.B. Samuel P. Huntington in seinem bekannten Buch "Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert".(13) Es sei dahingestellt, ob der amerikanische Originaltitel "The Clash of Civilization" angemessen ins Deutsche übersetzt worden ist. Es geht dabei nicht nur um "Clash" als Zusammenprall, sondern auch um Gleichsetzung von Kultur und Zivilisation. Wenn man auf jeden Fall nicht erneut auf Kreuzzüge mit ihren schweren Folgen gehen will, soll man sich wie auf dieser Wiener Konferenz um einen Dialog der Kulturen bemühen.

Kulturell erlitt Japan in der Meiji-Zeit deshalb keinen Zusammenprall mit der westlichen Zivilisation, weil es durch die sog. Holländische Wissenschaft lange genug darauf vorbereitet war. Nachdem die Feudalordnung und das Ausreiseverbot schnell abgeschafft worden waren, konnten die Japaner mithilfe der ausländischen Berater in allen Bereichen der Wissenschaft und Technik sowie aufgrund eigener Auslandsstudien reibungslos den Anschluß an die Weltwirtschaft erreichen. Mit der rapiden Industrialisierung strebten sie nach dem Motto "Fukoku Kyohei", das Land zu bereichern und das Militär zu stärken, um nicht von den Westmächten kolonisiert zu werden. Mit dem Prinzip "Wakon Yosei", d.h. japanische Seele und westliche Fertigkeiten wollten sie dabei ihre buddhistisch-konfuzianisch geprägte Kulturtradition mit der westlichen Zivilisation in Einklang bringen, obwohl ihre Bemühungen sich widerspruchsvoll zwischen Nationalismus und Verwestlichung als "Datsu-a Nyu-ou", d.h. als Hinwendung von Asien weg zu Europa erwiesen.

Unter Kaiser Meiji-Tenno paßte sich Japan darüber hinaus europäischem Standard an und wollte selbst, wie gesagt, imperialistisch eine Kolonialmacht in Ostasien werden. Im Norden schloß Japan im Jahre 1875 ein Umtauschabkommen mit Rußland ab, in dem bestimmt wurde, daß die Insel Sachalin, die der japanische Geograph Mamiya Rinzo bereits 1808 im Auftrag der Tokugawa-Regierung sorgfältig untersucht hatte, russisch blieb, die Kurilen jedoch japanisch wurden. Auf der anderen Seite besetzte die japanische Armee im Jahre 1879 die südlich gelegenen Ryukyu-Inseln und machte sie trotz ihrer politischen Abhängigkeit von China zur Okinawa-Präfektur. Durch den Sieg im Chinesisch-Japanischen Krieg (1894/95) wurde dann im Frieden von Shimonoseki beschlossen, daß China ferner Formosa und die Pescadores-Inseln an Japan abtrat. 1902 schloß Japan mit Großbritannien ein Schützbündnis gegen russisches Vordringen in Ostasien und siegte im Russisch-Japanischen Krieg (1904/05). Japan erhielt dadurch Süd-Sachalin, Port Arthur sowie das Protektorat über Korea und die Südmandschurei. Im Jahre 1910 annektierte Japan schließlich Korea.

Während des Ersten Weltkrieges vergrößerte Japan seine Kriegs- und Handelsmarine und entwickelte sich zu einer militärischen Großmacht: "Bei Zugrundelegung der Heeresstärken waren Rußland, Deutschland, Frankreich und Japan die größten Militärmächte, im Hinblick auf die Marine Großbritannien, Deutschland, die Vereinigten Staaten, Frankreich und Japan die größten Seemächte der Erde."(14) Durch die Niederlage Deutschlands erhielt Japan als Bündnispartner Großbritanniens deutsche Besitzungen im Pazifikraum: Tsingtao sowie deutsche Konzessionen in China, die Marianen, Karolinen und Marshallinseln. Während des Zweiten Weltkrieges expandierte Japan weiter nach Südostasien und besetzte Französisch- Indochina, die Philippinen, Burma, Malaya, Singapur und Indonesien, so daß der ganze Nordpazifische Raum in japanische Hand geriet. Das war die geopolitische Konstellation vor dem Zusammenbruch des japanischen Nationalismus, Imperialismus sowie des Militarismus im August 1945.

Es mag wie ein Widerspruch erscheinen, daß alle von Japan kolonisierten Länder in Südostasien nach dem Zweiten Weltkrieg vom europäischen Kolonialismus befreit wurden und im Laufe der Jahre unabhängige Nationen geworden sind. Dagegen scheint Japan heutzutage in diesen Nationen keine politische oder kulturelle Rolle mehr zu spielen. Geblieben ist einzig die wirtschaftliche Macht Japans im südostasiatischen Markt nicht ohne negative ökologische Auswirkungen. Das Verbindende der Kulturen besteht traditionsgemäß nach wie vor zwischen Japan und China bzw. Korea. So eng sind jahrhundertelange kulturelle Beziehungen in Ostasien, daß sie durch unglückliche politische Ereignisse in der Vergangenheit nicht zerrissen werden können. Der entscheidende Grund dafür liegt m.E. darin, daß China, Korea und Japan in chinesischen Schriftzeichen und im Konfuzianismus oder Taoismus eine gemeinsame Grundlage ihrer Kultur besitzen, auch wenn sie sich im Verlauf der Geschichte unterschiedlich entwickelt haben. Gemeinsam ist ihnen auch der Mahajana-Buddhismus, der sich vom Hinajana-Buddhismus in Südostasien weitgehend unterscheidet.

In den südostasiatischen Nationen erscheint die Kultur nicht so einheitlich wie in Ostasien. Denn unter den Einflüssen der westlichen und nördlichen Großmächte wurden neben den einheimischen Sprachen viele andere Sprachen gesprochen: Portugiesisch, Spanisch, Englisch, Niederländisch, Französisch, Japanisch und nicht zuletzt Chinesisch. Auch die indische Sprache Sanskrit war vor Jahrhunderten in buddhistischen Kulten meist aus Ceylon her gebräuchlich.(15) Sie hinterließen selbstverständlich mehr oder weniger Spuren in Sitten und Bräuchen des Volkes. Außerdem kommt der starke Einfluß des Islams auf seine Kultur hinzu, der im ostasiatischen Kulturkreis nie Wurzel fassen konnte. Wie weit noch Einflüsse arabischer oder persischer Kultur im Zusammenhang damit bemerkbar sind, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Wenn die Landessprache die Kultur eines Volkes bzw. einer Nation selbst verkörpert, ist die südostasiatische Kultur nur in ihrer Mannigfaltigkeit zu erfassen. In Indien soll es hundert Sprachen und dementsprechend hundert verschiedene Kulturen geben, während die europäische Sprache Englisch als das Verbindende von allen diesen Sprachen und Kulturen gilt. Ähnlich wird es sich wohl auch in Südostasien verhalten. Aber die chinesischen Schriftzeichen haben in Ostasien als das kulturelle Band eine bedeutendere Funktion, weil sie hier schon im Mittelalter eine feste philosophisch-literarische Tradition begründet haben.(16) Die hinduistische, buddhistische und islamische Kultur in Südostasien stellt, offen gestanden, für die europäisierten Asiaten Japaner vielfach eine undurchschaubare Welt dar.

© Naoji Kimura (Tokio/Regensburg)


ANMERKUNGEN

(1) Vgl. Otto Kallscheuer (Hg.): Das Europa der Religionen. Ein Kontinent zwischen Säkularisierung und Fundamentalismus. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main. 1996.

(2) Vgl. z.B. Heinz Spielmannn (Hrsg.): Kunst an der Seidenstraße. Faszination Buddha. Hatje Cantz Verlag. Hamburg 2003.

(3) Vgl. Claus Richter/Bruno Baumann/Bernd Liebner: Die Seidenstraße. Mythos und Gegen-wart. Hoffmann und Campe Verlag. Hamburg 1999.

(4) Vgl. Naoji Kimura: Der "Ferne Westen" Japan. Zehn Kapitel über Mythos und Geschichte Japans. Schriftenreihe der INST 19. Universitätsverlag Röhrig, St. Ingbert 2003.

(5) Gerhard Linzbichler in der Einleitung zu seiner Übersetzung von Fukuzawa Yukichis Autobiographie, Tokyo 1971, S.

(6) Linzbichler a.a.O., S. 1.

(7) Vgl. Naoji Kimura: Jenseits von Weimar. Goethes Weg zum Fernen Osten. Peter Lang Verlag 1997. Schlußbetrachtung: Gestaltung des neuzeitlichen Japans durch die Jünger der sog. Holländischen Wissenschaft, S. 507-523.

(8) Vgl. Karl Haushofer: Japan baut sein Reich. Zeitgeschichte-Verlag. Berlin 1941.

(9) Vgl. Nitobe Inazo: Bushido. Die innere Kraft der Samurai. Ansata-Verlag. Interlaken 1985. "In der Shinto-Theologie ist kein Platz für das Dogma der 'Erbsünde'." (S. 81)

(10) Deutsche Verlags-Anstalt. Stuttgart / München 2001.

(11) G. Schulz a.a.O., S. 285.

(12) G. Schulz a.a.O., S. 265.

(13) Europaverlag. München / Wien 1996.

(14) G. Schulz a.a.O., S. 286

(15) Vgl. Wilhelm von Humboldt: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Über die Sprache. Lizenzausgabe. Fourier Verlag. Wiesbaden 2003: hier 1. "Wohnplätze und Culturverhältnisse der Malayischen Völkerstämme" S. 279-289.

(16) Näheres vgl. Naoji Kimura: Die chinesischen Schriftzeichen als das kulturelle Band in Ostasien. Einige Gedanken zu den Begriffen "Gleichnis", "Vergleich", "Metapher" In: Trans. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 13. Nr. Mai 2002.


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For quotation purposes:
Naoji Kimura (Tokio/Regensburg): Japans imperialistische Expansion in Asien. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/04_03/kimura15.htm

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