Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
 

4.3. Transnationale Bestrebungen und Widersprüche in Asien und Afrika
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Naoji Kimura (Tokio/Regensburg)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Fahrt über See zur Selbsterkenntnis. Die Seelandschaft im Versroman Pra-Apaimanie und in Homers Odyssee

Pornsan Watanangura (Chulalongkorn Universität, Bangkok, Thailand) [BIO]

 

I. Epos und Versroman im Überblick / Theoretischer Rahmen

Nach ihrer Entstehungszeit und ihren Handlungsräumen liegen die beiden Seefahrer-Epen Odyssee und Pra-Apaimanie denkbar weit auseinander. Das weltberühmte Epos des sagenhaften Homer stammt aus der griechischen Insellandschaft des 8. vorchristlichen Jahrhunderts und der Versroman des Hof- und Volksdichters Sunthorn-Phu aus dem südostasiatischen Thailand, das zur Zeit der Entstehung des Romans den Namen Siam trug. Sunthorn-Phu schrieb Pra-Apaimanie in zwei Phasen, 1821 in der Zeit des Königs Rama II., und 1834-1835 in der Zeit des Königs Rama III. Trotz ihrer Herkunft aus unterschiedlichen Kulturen und historischen Epochen weisen die beiden epischen Dichtungen eine Reihe gemeinsamer oder doch vergleichbarer Merkmale auf, die eine nähere Untersuchung lohnen.

Wie Europa, so verfügt auch Thailand über eine alte Tradition des Dichtens in Versen. Erst nach der großen politischen Revolution im Jahre 1932, durch die das Land zur konstitutionellen Monarchie wurde, treten literarische Werke in Siam in größerer Zahl in Prosa auf. Zuvor und erst recht in älterer Zeit existierte die Dichtung in Siam großenteils - wie auch in der Frühzeit des antiken Griechenland - in mündlicher Überlieferung.(1) Auch Homers Epen galten lange als ein Paradigma für mündlich überlieferte Epik und als Zeugnis für eine Sängerkunst, die sich traditioneller Versmaße bediente, wenn auch eine frühe Aufzeichnung den Zusammenhalt der in sie eingegangenen Geschichten gefestigt haben mag. Auch der Versroman Pra-Apaimanie war seit der Zeit seiner Entstehung und, obwohl sein Autor ihn schriftlich verfasst hatte, vor allem erfolgreich aufgrund seiner mündlichen Überlieferung: Die sehr poetisch klingenden Verse bieten ihren Zuhörern weit mehr als nur spannende und unterhaltsame Abenteuergeschichten. Seit der Rattanakosin- bzw. Bangkoker Periode 1782 - 1851 (König Rama I. - Rama III) wurde Pra-Apaimanie in erster Linie nicht gelesen, sondern vorgelesen, eine Darbietungspraxis, die Züge einer Theateraufführung aufweist. Dies geht auf eine literarische Tradition Siams seit der Ayutthaja-Zeit (1350 - 1767) zurück, als Lektüre sich noch auf einen engeren Kreis von Gebildeten beschränkte. Doch wurde auch unter den gebildeten Bangkokern zu Anfang der Rattanakosin-Periode das Anhören vorgelesener Literatur neuerlich populär und gehörte bald zum unverzichtbaren Bestandteil der Unterhaltung des gebildeten siamesischen Publikums.(2)

Das gemeinsame Charakteristikum beider Dichtungen aus den weit auseinander liegenden Kulturräumen ist das Motiv der "Seelandschaft", die ihre Protagonisten an ferne und unbekannte Gestade mit oft seltsamen Bewohnern verschlägt. In der Thailiteratur war dies bis dahin unüblich. Pra-Apaimanie bricht zu seiner Reise auf, nachdem sein königlicher Vater ihn und seinen Bruder aus der Heimat vertrieben hat. Auf der Seefahrt widerfahren ihm außergewöhnliche Begegnungen und Abenteuer, er hat Umgang mit Dämonen und magischen Kräften, und zahlreiche Liebeserlebnisse werden ihm zuteil, darunter die zauberhafte Liebe zu der Europäerin Laweng-wannla. Unter den sehr unterschiedlichen Liebes- und Lebenserfahrungen, denen Sunthorn-Phu seinen Protagonisten während seiner "Wanderjahre" aussetzt, zeichnen sich deutlich Elemente des westlichen Einflusses ab, der während der Kolonialpolitik europäischer Mächte im 19. Jahrhundert den Übergang von dem "alten" zu einem "modernisierten Siam" mitbestimmt hat. Dabei werden jedoch unverhoffte Ereignisse und Erfahrungen Pra-Apaimanies häufig durch buddhistische Lehren und Lebensweisheiten pointiert und reflektiert.

Wie Odysseus, so ist auch Pra-Apaimanie keineswegs ein heroischer Held. Während Odysseus aber eher klug und listenreich als draufgängerisch die abenteuerlichen Herausforderungen seiner Irrfahrt übersteht, rettet sich Pra-Apaimanie, den Sunthorn-Phu eher als einen Anti-Helden entworfen hat, aus Gefahren immer wieder durch seine früh erworbene Kunst des Flötenspiels. Dabei trägt der thailändische Versroman mit seiner lockeren Episodenreihung insgesamt eher die Züge einer volkstümlichen Erzählung und weist keineswegs den Grad der Geschlossenheit auf, den das homerische Epos durch die kunstvolle Rahmung seiner Episoden und durch eine von Göttern begleitete und streckenweise gesteuerte Haupthandlung gewinnt.

Odysseus, der Protagonist von Homers Odyssee, hat wie Pra-Apaimanie eine Reihe gefährlicher und abenteuerlicher Erlebnisse auf einer unabsehbar langen Seefahrt durchzustehen. Er bricht jedoch nicht wie der Held des thailändischen Versromans in eine ungewisse Fremde auf. Sein Ziel ist vielmehr, nach dem zehnjährigen Krieg um Troja in die Heimat Ithaka zurückzufinden, wo seine Gattin in unerschütterlicher Treue auf ihn wartet. Über sein Schicksal und das seiner Gefährten entscheiden die freundlichen oder feindlichen Götter: der Meeresgott Poseidon, der ihn und die Seinen wegen einer Freveltat mit einer jahrelangen Irrfahrt bestraft, und Athene, die Tochter des Zeus, die ihn schützt und ihm schließlich zu seiner Heimkehr verhilft. Heroismus beweist Odysseus allenfalls darin, dass er diese langjährige Verzögerung seiner Heimkehr durchsteht und schließlich Penelope, seine Gattin, von der Menge ihrer Freier befreit, die während seiner Abwesenheit sein Haus belagert haben.

 

II. Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die vorliegende Studie konzentriert sich auf den Vergleich der Erfahrungen und Erkenntnisse, die den Protagonisten der beiden Seefahrer-Epen auf ihrer Fahrt über weite Meere jeweils zuteil werden. Trotz bemerkenswerter Gemeinsamkeiten zeigen die beiden Dichtungen darin tiefgreifende Unterschiede, die sowohl auf den jeweiligen Lebensansichten und Denkweisen ihrer Autoren als auch auf der unterschiedlichen Anlage ihrer Erzählungen beruhen.

a) Vergleich der Erzählstrukturen: Ausfahrt in die Welt und über weite Meere versus Irrfahrt und Heimkehr

Sunthorn-Phu hat Pra-Apaimanie anfänglich in 49 thailändische Bücher gegliedert (Bücher aus gefaltetem Strauchwachspapier streblus asper). Die Geschichte beginnt mit den "Lehrjahren" des Protagonisten Pra-Apai und seines Bruders Sri-suwan und endet mit dem Eintritt Pra-Apais ins Mönchtum. Die weiterhin entstandenen 45 Bücher wurden im Auftrag des Prinzen Lakkananukul geschrieben, unter dessen Schirmherrschaft der Dichter Sunthorn-Phu stand, nachdem der Versroman unter seinen Hörern sehr viel Gefallen gefunden hatte. Jedoch ist aufgrund des andersartigen Sprachstils zu vermuten, dass die Fortsetzungen nicht allein von Sunthorn-Phu verfasst sind.(3)

Zu Anfang der Lebensgeschichte von Pra-Apaimanie erfahren Hörer und Leser, dass Pra-Apaimanie und sein Bruder Sri-suwan gerade von einer Wanderung zurückgekehrt sind, auf der jeder von ihnen sich nach dem Willen ihres Vaters, des Königs Suthat von Rattana, den besten Lehrer hatte suchen sollen, um sich auszubilden.(4)

Die Ausbildung im Flötenspiel bei einem Brahmanen, die Pra-Apai gewählt hatte, und damit seine Entscheidung zum Musikalischen und Künstlerischen, verwarf der König als eine "falsche Bildung". Ebenso wenig billigte der König die Kunst des Kampfes mit einem Knüppel, die der Bruder gewählt hatte. So wurden die beiden jungen Prinzen schon am Anfang des Versromans aus ihrer Heimat in die Welt hinaus getrieben und begannen eine Meerfahrt ohne Ziel.

"falls uns Städte oder Häuser begegnen,
in denen ruhen unsere Wege ..."

(Pra-Apaimanie, S.9, meine Übers.)

Während dieser erzwungenen Wanderjahre müssen die beiden Prinzen oftmals ums Überleben kämpfen. Dabei haben sie immer neue, außergewöhnliche Begegnungen. Sie stoßen auf drei Brahmanen mit sonderbaren Fähigkeiten und auf eine Dämonin, die Pra-Amai entführt. Während Sri-suwan bald eine Königstochter heiratet, kann Pra-Amai mit dem Sohn, den die Dämonin ihm gebar, mit Hilfe eines Wassermannes fliehen und wird mit dessen Tochter, einer Seejungfrau, auf einer Glasperleninsel von einem Einsiedler gerettet. Später, nach einer Reihe von weiteren Kämpfen und einem zeitweiligen Einsiedlerdasein, begegnet Pra-Amai in einer abenteuerlichen Situation zwei Frauen, der Prinzessin Suwannmalie und der Europäerin Laweng-wannla, die begleitet ist von ihrem Berater, einem katholischen Kardinal. Alles das geschieht auf einer scheinbar unendlich weiten Seefahrt, doch bleiben die Orte der Begegnung durchweg gebunden an den geographischen Raum der Westküste Thailands an der Andaman-See. Die gesamte Handlung des thailändischen Versromans umfasst das Leben Pra-Apais und seiner Familie bis zur Generation seiner Söhne und Töchter. Seine Erzählstruktur ist bestimmt durch die lineare Abfolge seiner Handlungsverläufe und Episoden.

Homers Epos Odyssee umfasst etwa 20000 Verse und ist gegliedert in 24 "Gesänge", die je zur Hälfte von der Irrfahrt und von der Heimkehr des Odysseus berichten. Dennoch umfasst die gesamte Berichtzeit der Odyssee nicht mehr als vierzig Tage, denn durch zeitliche Umstellung ist zu Beginn des Epos zunächst von den Ereignissen die Rede, die der Heimkehr des Odysseus unmittelbar voraufgehen, und der Bericht von den abenteuerlichen Geschehnissen während der zehnjährigen Irrfahrt des Odysseus und seiner Gefährten wird dadurch auf einen sehr kurzen Zeitraum gerafft, dass er erst unmittelbar vor der Heimkehr von einem fahrenden Sänger und von Odysseus selbst erzählt wird. Auf die Heimkehr selbst entfallen dann nur noch sechs Tage. Diese Erzähltechnik, die den Rahmen der äußeren Handlung auf einen knappen, aber entscheidenden Zeitraum verkürzt, erinnert von ferne an die Regeln der Theaterkunst, die den Handlungsrahmen der griechischen Tragödie auf einen Tagesablauf begrenzen.

"Singe mir, Muse, die Taten des weitgereisten Mannes,
Welcher auf langer Irrfahrt, nach Trojas, der hehren, Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehen und Sinn erfahren
Und auf dem Meere soviel unnennbare Leiden erduldet, ..."

So beginnt im Versmaß des altgriechischen Epos, dem Hexameter, der erste Gesang und berichtet zunächst von einer Versammlung der Götter und ihrem Beschluss, dem Odysseus nach allen ausgestandenen Leiden nun die Heimkehr zu gewähren.

Die nächsten drei Gesänge schildern dann, wie das Haus des Odysseus und seine Gattin Penelope von Freiern belagert werden, die nicht mehr an seine Heimkehr glauben, während der Sohn des Odysseus, Telemach, auf den Rat der Göttin Athene, zu einer Seereise aufbricht, um an befreundeten Höfen entlang der Küsten des ägäischen Meeres vom Schicksal seines Vaters Näheres zu erfahren. Erst nach der Rückkehr von dieser Meerfahrt, der sogenannten "Telemachie", an deren Ende Telemach nur knapp seiner Ermordung durch die Freier entgeht, wendet sich der 5. Gesang der Geschichte des Odysseus zu und berichtet von dessen Aufbruch von der Insel, auf der er acht Jahre bei der Nymphe Kalypso verbracht hat, und vom Untergang seines Floßes in einem Seesturm, aus dem er sich mit letzter Kraft auf den Strand einer Insel rettet. Dort, von Nausikaa und ihrem Vater, dem König der friedlichen Phaiaken, freundlich aufgenommen, wird er bei einem festlichen Gastmahl ihm zu Ehren durch Lieder eines Sängers, die von Achilleus, Odysseus und dem Untergang Trojas handeln, an sein eigentliches Ziel, an seine Heimat und an Penelope erinnert.

An dieser Stelle wechselt die Erzählperspektive: Odysseus gibt sich zu erkennen und erzählt nun die Geschichte seiner Irrfahrten und der furchtbaren Erlebnisse, denen die Schiffe und alle Gefährten zum Opfer fielen, die mit ihm von Troja aufgebrochen waren (9.-12. Gesang). Schon bald nach einem verlustreichen Kampf gegen die mit Troja befreundeten Kikonen verschlägt ein neuntätiger Seesturm die Schiffe des Odysseus in unbekannte Weiten, und von da an spielen sich alle weiteren Abenteuer der Seefahrer in geographisch nicht mehr nachweisbaren, märchenhaften Meeres- und Insellandschaften ab. So führen Strömungen und Winde sie zu seltsamen und gefährlichen Strand- und Inselbewohnern wie den Logophagen, den Kyklopen und den Sirenen. Wie Pra-Apai, der entführt wird von der Dämonin, so wird Odysseus von der Nymphe Kalypso acht Jahre lang auf ihrer Insel festgehalten. Die Regionen, in die das Meer den Odysseus und seine Gefährten trägt und in denen er sie schließlich alle verliert, bieten sich ihnen abwechselnd als Paradies oder Hölle an, und die abenteuerliche Irrfahrt weitet sich aus ins Ungewisse bis zur Insel Aiaia mit der Zauberin Kirke, "wo wir nun wissen weder wo Abend ist noch wo der Morgen, weder wo die den Menschen leuchtende Sonne unter die Erde geht, noch wo sie aufgeht" (10, 190).(5) Nachdem Winde die Versprengten schon bis zu den Äthiopiern verschlagen hatten, die "den ganzen südlichen Bogen des Erdenrundes bewohnen"(6), schickt Kirke sie auf die Fahrt zu den Grenzen des Ozeans in den hohen Norden und ins Totenreich: Es sind Fahrten ins Ungewisse, ins Irgendwo, wo es Nirgendwo ist. Anders als im Versroman Pra Apaimanie sind die meisten Landeplätze und Abenteuer innerhalb und jenseits des ägäischen Meeres nicht sicher zu fixieren - das grenzenlose Meer, auf dem die Irrfahrt des Odysseus sich abspielt, bleibt ein mythischer Raum.

Der zweite Teil des Epos (13.-24. Gesang) erzählt die Heimkehr des Odysseus, seinen Auftritt in Gestalt eines Bettlers nach dem Rat der Göttin Athene, seine Lügengeschichte, mit der sich bei Penelope als Fremdling einführt, der Odysseus in Kreta einst gastlich bewirtete und nun von dessen nahender Rückkehr wissen will (19. Gesang). Obwohl ihn seine Amme bei einer Fußwaschung an einer alten Narbe erkennt, erringt Odysseus sich zunächst noch als unerkannter Pfeilschütze und dann im blutigen Kampfe mit den Freiern sein Hausrecht wieder. Erst nachdem auch Penelope ihn als ihren Gatten erkannt hat, kann er nach dem Ratschluss der Götter mit den Seinen seine Heimkehr genießen, und Athene sorgt schließlich auf Ithaka für einen dauerhaften Frieden..

Die Erzählstruktur beider epischen Dichtungen ist bestimmt durch eine wechselvolle Reihe reizvoller oder lebensgefährlicher Episoden während der vielfach unterbrochenen und immer wieder fortgesetzten Seereisen. Die Ausfahrt des Königssohnes Pra-Apaimanie und seines Bruders eröffnet eine Kette von abenteuerlichen Begegnungen, Liebeserfahrungen und Kämpfen, die sich über mehrere Generationen erstrecken und ihr nicht vorhersehbares Ende erst dadurch finden, dass der gealterte Protagonist beschließt, den Rest seines Lebens als Mönch zu verbringen. Alle Geschehnisse der Odyssee sind dagegen von Beginn an auf die Heimkehr des Protagonisten ausgerichtet, und sowohl die Seereise Telemachs, als auch die zehnjährige, an Abenteuern reiche Irrfahrt des Odysseus bis an den Rand der Welt sind nur retardierende Elemente dieser in kunstvollem Wechsel der Erzählebenen erzählten Heimkehrer-Geschichte. Während Homer die Irrfahrten des Odysseus in eine mythisch und phantastisch ausgestaltete Seelandschaft von ungewisser Weite verlegt, spielen alle Geschehnisse im Versroman Pra-Apaimanie in einer geographisch bestimmbaren Küstenregion des Königreichs Siam.

b) Exotische Gestalten in Pra-Apaimanie und die Rolle der Frauengestalten in beiden Epen

Dass der Versroman Pra-Apaimanie im damaligen Siam seinen Ruhm erlangte, dankt er nicht allein der Dichtkunst seiner gereimten Verse und den spannenden Geschichten seiner abenteuerlichen Episoden. Vielmehr spielen dabei die an die Seelandschaft gebundenen Charaktere eine bedeutende Rolle: die Dämonin, die unheimliche Figur der Seejungfrau und ihre Eltern, der gute Einsiedler und der böse alte Mann. Von besonderem Gewicht sind die Bewohner der Insel Langka, die angeblich Europäer sind, namentlich die zauberhafte, schöne Gegenspielerin der Hauptfrau Pra-Apais, die europäische Prinzessin Laweng-wannla, in die Pra-Apai sich über beide Ohren verliebt, aber auch Usren, der Bruder Lawenig-wannlas, und der kluge und dabei listige katholische Kardinal als ihr Berater. Das alles sind exotische Figuren aus der Welt des Westens. Alle treffen sich während ihrer Seefahrten, und ihre Begegnungen führen stets zu heftiger Liebe, dauerhafter Freundschaft oder bitterer Feindschaft.

Was macht alle die obengenannten Figuren für die Siamesen im 19. Jahrhundert exotisch? Das ganze 19. und der Anfang des 20. Jahrhunderts lassen sich für das Königreich Siam als eine Übergangszeit vom "alten" zu einem "kulturell westlich orientierten" Siam betrachten. Dieser Prozeß vollzieht sich hauptsächlich in der Zeit, in der die Könige Rama II. bis Rama V. regierten, also zwischen 1868 und 1910. Sunthorn-Phu schrieb seinen Versroman Pra-Apaimanie unter den Königen Rama II. und Rama III., also noch zu Beginn dieser allmählichen Entwicklung. Der Hofdichter, der aus dem einfachen Volk stammte, wird vom Hörensagen manches von Europa und von den Europäern erfahren haben, vor allem aus dem von England kolonialisierten Sri Lanka, und so erklärt sich wohl auch, dass die Insel Langka in seinem Roman als Land der Europäer ausgegeben wird. Viele Mitglieder des Siamesischen Hofes(7) begannen zu dieser Zeit, Englisch zu lernen, die exotische Sprache der europäischen Mächte. In diesem Zusammenhang galt London als die berühmte "Cristalstadt".(8) Der Dichter des Versromans lässt seinen Protagonisten Englisch sprechen.

" ...
vom wundersamen Apai-manie-nat
und dem tapferen Prinzen,
mit Indern und Chinesen lernen sie Englisch
flüssig wie Dolmetscher reden die beiden"

(Pra-Apaimanie, in Chüa Satawetin 1995, S. 139, meine Übers.)

Nachdem der Thai-Prinz Pra-Apai bei seiner europäischen Frau, Prinzessin Laweng(9), der "Farang-Frau"(10), verweilte, kleidet er sich auf ihre Bitten hin während des Kampfes mit seinen eigenen Leuten und mit seiner Frau Suwannmalie sogar europäisch, worauf Suwannmalie aus Eifersucht in Ohnmacht fällt.

"Nang(11) Laweng bittet und bettelt Pra-Apai
auf der Burg um einen Auftritt
in schönem europäischen Kleid,
wie der König des Langka-Reiches."

(Pra-Apaimanie, 1950, S.640, meine Übers.)

Der Auftritt Pra-Apais als ein "Farang" bestätigt vor den Augen seiner Hauptfrau Suwannmalie die Ehebeziehung zwischen ihm und der exotischen "Nang-Farang". Das führt zu weiteren Eifersuchtsgeschichten und zu heftigen Kriegen unter ihren Söhnen, Schwiegertöchtern und ihrem Gefolge.

An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass der siamesische Dichter Sunthorn-Phu in seinem Versroman Pra-Apaimanie hauptsächlich Frauenfiguren in den Vordergrund stellt und dass die Seelandschaft als exotisch und außergewöhnlich in der Thailiteratur gilt, denn die Szenen in den andern literarischen Werken spielen hauptsächlich auf dem Land. Das Meer symbolisiert nicht allein Unendlichkeit, Sehnsucht und melancholische Stimmung der Natur, sondern auch das melancholische Gemüt und die Unentschiedenheit des Protagonisten im Verhältnis zu Frauen, während sein Schicksal die ziellose Fahrt über weite Meere bleibt. Fast alle Frauen um Pra-Apai besitzen ungewöhnliche Eigenschaften und einen starken und tatkäftigen Charakter.

Dies ist anders im europäischen Epos Odyssee, in dem der Protagonist Odysseus im Mittelpunkt steht. Figuren, wie die Nymphe Kalypso, aber auch die keusche Königstochter Nausikaa und die treue Gattin Penelope tragen, abgesehen von der Göttin Athene, den ihnen zukommenden weiblichen Charakter. Sie handeln nicht, aber sie bestimmen immer wieder die Handlungen des Helden. So läßt Odysseus sich wegen der Sirenen an den Mast seines Schiffes binden, Kalypso hält ihn immerhin sieben Jahre als ihren Liebhaber fest, und er erschlägt am Ende zahlreiche Freier, um seine treue Gattin Penelope wieder zu gewinnen. Sie sind nicht die Rollenträger in der Geschichte, aber sie reizen ihn noch mehr als andere Abenteuer dazu, selbst zu handeln. Auch darin zeigt sich, dass die beiden Dichtungen aus Ost und West die Zeitgeschichte reflektieren, in der sie leben.

 

III. Die Fahrt zur Selbsterkenntnis

Pra-Apaimanie, als viel vorgelesene und gelesene Lektüre - auch als Schullektüre der heutigen Zeit -, wird in der Thailiteratur als Hauptwerk des siamesischen Dichters Sunthorn-Phu angesehen. Das Geheimnis seiner Berühmheit beruht zu guten Teilen - wie schon erwähnt - auf der ausgefeilten Dichtkunst und auf der Exotik seiner Seelandschaft, darüber hinaus aber auch auf den im Versroman viel zitierten Lehren und Lebensklugheiten. Die Geschichten von Prinzen und Königen weisen keine heroischen Züge auf. Sie reflektieren aber viele Wahrheiten des menschlichen Lebens. Der Protagonist Pra-Apai wird schon am Anfang der Geschichte von seinem eigenen Königsvater aus seiner Heimat getrieben, die er nie mehr wiedersieht. Durch die Fahrt über weite Meere lernt er Menschen sehr verschiedener Natur kennen.

Zwischen den Stationen der Lebensgeschichte Pra-Apaimanie und Homers Odyssee besteht eine gewisse Gemeinsamkeit insofern, als sie ihre Helden zu bestimmten Gesinnungen oder Erkenntnissen kommen lassen. Der Unterschied liegt darin, dass die Erkenntnisse in den Jahren während der Fahrt der Heimkehr jeweils Odysseus selbst zuteil werden, während der Dichter Sunthorn-Phu anhand der Handlungsabläufe beabsichtigt, dass seine Leser und nicht der Held des Romans zur wahren Erkenntnis des Lebens gelangen. Ob der Leser diese Absicht erkennt oder sich mit dem Versroman bloß Unterhaltung verschafft, liegt dabei in seiner Hand. Es ist aber zu bemerken, dass der Dichter Sunthorn-Phu bei der Gestaltung von Lebenserfahrung und Lebensklugheit einen hohen Wert auf die Fähigkeit eines Menschen legt, andere Menschen in ihren Gedanken sowie in ihrer Moral richtig einzuschätzen. Die Stärke des Pra-Apaimanie liegt nicht in der Umsetzung seiner Gesinnungen in aktive Tätigkeit wie bei Odysseus, der sich schon im Trojakrieg als tapferer Kämpfer darstellt und seine Gegner nach der Rückkehr in die Heimat tapfer niederkämpft. Vielmehr werden die intellektuellen Kenntnisse Pra-Apaimanies von der wahren Menschenseele und der Natur der Dinge geschätzt. Diese Fähigkeiten zeigen sich symbolisch in seinem Entschluß, Flötenspiel statt irgendeine Kunst des kriegerischen Kampfes zu lernen, was sich als sehr "traditionswidrig" für einen Königssohn erweist. Der magische Klang der Flöte kann vielmehr

" ... das Herz des Menschen umschmeicheln
mit fünf irdischen Sinnlichkeiten -
Erscheinung, Geschmack, Geruch, Klang und Berührung
Der Mensch wird von Liebessehnsucht durchdrungen
der Musik gelingt es, daß sein Herz weicher wird,
Er schläft, so recht - bis zur Bewußtlosigkeit
danach siegt man mit weisen Plänen im Streit.

(Pra-Apaimanie, 1950, S.6 - Meine Übersetzung)

Mit dem Gedanken, "die Musik kann dem männlichen und weiblichen Geschlecht ihre Sorgen abnehmen" (Pra-Apaimaine 1950, S.4), legt Pra-Apaimanie Wert auf das Glück seines Volkes, während Srisuwan, sein Bruder, mehr an die Verteidigung seines Landes gegen äußere Gefahr denkt. Pra-Apaimanie als nicht-aktiver Protagonist, vollbringt selbst keine heroische Tat als Kämpfer. Er kann aber andere Menschen in ihren intellektuellen Fähigkeiten erkennen und einschätzen. Als gutes Beispiel dafür kann die Berufung "kluger Männer" zur Verteidigung der Stadt gelten, weil er den großen Kampf mit dem europäischen Prinz Usaren vorhersieht. Bei der Wahl kluger Berater ist Pra-Apai von der Klugheit einer häßlichen Frau, Walie, so überzeugt, daß er sie nicht nur als Beraterin, sondern nach ihrem Wunsch sogar schließlich als erste Konkubine akzeptiert. Damit gewinnt aber auch Pra-Apaimanie auf seiner Fahrt durch die Meere an praktischer Lebensklugheit. Der Weg zur Erkenntnis der Menschenseele beherrscht als Leitmotiv den ganzen Versroman. Damit macht Sunthorn-Phu aber auch auf die Gefahr, die von Menschen ausgeht, eher aufmerksam, als auf die Gefahren aus der Natur oder von äußerlichen Dingen wie im Epos Odyssee. Dazu wird eine berühmte und bekannte Stelle immer wieder zitiert: In der Szene, in der Suttsakorn, der Sohn Pra-Apais und der Seejungfer, von dem alten Mann betrogen und verletzt wird, kommt der Einsiedler, sein Lehrer, und bringt ihm die Lebensklugheit bei, daß man Menschen kein grenzenloses Vertrauen schenken solle und daß die Seele eines Menschen tief, kompliziert und schwer zu erkennen ist - tiefer und verwirrender als Schlingpflanzen. (12)

Die Gier des alten Mannes, das magische Pferd und den magischen Stock zu besitzen, spiegeln die unerbittliche, oft maßlose Begierde des Menschen wider. Dass Suttsakorn, der Sohn Pra-Apai von der Seejungfer, die magische Kraft des Bildes La-weng zerstören muss, um damit seinen Vater Pra-Apai aus seiner inneren Krise zu befreien, ist offensichtlich eine Allegorie für den Kampf mit der blinden Wahrnehmung und Begierde im Sinne des Buddhismus.(13)

Im Vergleich zu denen des orientalischen Protagonisten beziehen sich die Erkenntnisse des Odysseus auf die menschlichen Tugenden der Liebe und Ehe, der Tapferkeit und Treue in Gefahren. Das Verhalten gegenüber dem unglücklichen, in der Gestalt eines Bettlers unerkannten Odysseus, wird zum Prüfstein für alle, denen er begegnet. Die inhaltliche Struktur des antiken Epos durchläuft Grundmuster wie etwa das schicksalhafte Unglück durch eigene Schuld oder durch Ratschluss der Götter, Suche und Abenteuer, Wiederfinden, Wiederherstellen des richtigen Weltverhältnisses zu Glück, Reichtum und Macht.(14) Im übrigen stellt sich als Leitidee heraus, den Weg als Fügung der Götter zu zeigen, die den Menschen nach seinem Recht und Unrecht belohnen oder bestrafen.

Die blinde Faszination von Pra-Apai, wie sie an seinem Verhalten vor dem magischen Bilde La-weng-wannlas erkennbar ist(15), oder seine Unentschiedenheit, sich in Sachen der Liebe und Ehe angemessen zu entscheiden, spiegelt seine Schwäche. Der Königssohn, als Menschenkenner, der er ist, gerät wiederholt in äußere und innere Konflikte. Er sucht nach sich selbst zunächst in seinem Erlernen des Flötenspiels, scheitert wiederholt in den Liebenverhältnissen mit vielen Frauen und flieht vor sich selbst ins Mönchtum. Pra-Apaimanie gelangt durch die Erkenntnis des Menschennatur und der menschlichen Verhältnisse nicht zur Selbsterkenntnis im buddhistischen Sinne,(16)

während die Leser des Versromans eher zu diesem Erkenntnis gelangen können. Die unendliche Seefahrt spiegelt letzten Endes den Prozess der inneren Unruhe der gescheiterten Selbsterkenntnis des thailändischen Protagonisten wider. So endet die Flucht Pra-Apais nicht mit dem Glück im Privaten wie bei Odysseus. Am Ende seiner Lebensgeschichte fasst der passive Protagonist den Entschluss, aufgrund seiner gescheiterten Ehen mit Suwannmalie und Laweng-wannla, auf einem Sing-kut Berg für sein weiteres Leben Mönch zu werden.

Der religiösen Lebenserkenntnis des thailändischen Versromans steht die antike Schicksalserfahrung des Homerischen Epos gegenüber. Beide zeugen von den Lebenswahrheiten der Kulturen, in denen sie entstanden.

 

Anhang

Die Fabel des Versromans "Pra-Apaimanie"

König Suthat des Reiches `Rattana' hatte zwei Söhne: Pra-Apaimanie und Srisuwan. Im Alter von 15 Jahren verließen die beiden Prinzen Pra-Apaimanie und Srisuwan ihre Heimatstadt, um sich "auszubilden". Pra-Apaimanie lernte die Kunst des Flötenspielens bei einem Brahma. Sri-suwan, sein Bruder, erwarb die Kunst, mit einem Knüppel zu kämpfen. Der Königsvater aber war über die beiden Söhne sehr empört, da er mit ihren erworbenen Kenntnissen nicht einverstanden war, und er vertrieb sie aus seinem Reich. Damit fingen die eigentlichen "Lehrjahre" der beiden Prinzen an. Während der Wanderung lernten die Prinzen drei Brahmen kennen: der einer konnte ein Schiff aus normalem Gras bauen, der zweite verfügte über die Fähigkeit, Wind und Regen zu rufen, und der letzte, der Schütze, konnte sieben Pfeile auf einmal auf dem Bogen spannen und schießen. Die drei Brahmen hörten Pra-Apaimanie Flöte spielen und verfielen infolge des wunderschönen und geheimnisvollen Klangs der Musik bald in einen Zustand der Bewusstlosigkeit. Pra-Apaimanie aber wurde von einer Dämonin entführt, die sich in eine schöne Frau verwandelte, und Pra-Apai musste mit ihr zusammen in einer Höhle leben.

Die drei Brahmen und Sri-suwan wussten durch ihre `Sonderaugen', dass Pra-Apaimanie in Sicherheit war. Die vier traten eine Seereise an und gelangten in ein Reich, das von der Gefahr einer Eroberung bedroht war, da die Königstochter bereits viele Heiratsanträge abgelehnt hatte. Sri-suwan und seine Brahmafreunde kämpften tapfer für den König, und Sri-suwan heiratete schließlich die Prinzessin, seine Geliebte, die er zufälligerweise nach seiner Ankunft in der Stadt traf.

Pra-Apaimanie bekam von der Dämonin einen Sohn, Sinsamutt. Eines Tages lief Sinsamutt aus der Höhle zum Spielen. Ihm begegnete ein Wassermann. Aus Unwissenheit fing der Junge den Wassermann und führte ihn zu seinem Vater. Mit Hilfe des alten Wassermannes, seiner Frau und deren Tochter gelang es Pra-Apai und Sinsamutt zu fliehen, doch wurden die beiden Alten während der Flucht von der Dämonin gefressen. Die drei gelangten dann zur "Glasperleninsel" und wurden von einem Einsiedler gerettet. Die Seejungfer wurde später Frau Pra-Apai. Die drei lebten auf der Insel. Bald aber beschlossen Pra-Apai und sein Sohn Sinnsamutt, Einsiedler zu werden.

Es existierte damals noch ein anderes Reich, dessen König eine sehr schöne Tochter hatte, namens Suwannmalie. Ihr Verlobter war der europäische Prinz Usraren. Eines Nachts träumte die Prinzessin von einem Glas auf einer Insel und konnte seitdem kaum essen und schlafen. Aus Liebe zu seiner Tochter begleitete ihr Vater sie dann auf einer Seefahrt. Unglücklicherweise zerstreuten sich die Schiffe wegen eines Sturms und die ganze Mannschaft landete auf der "Glasperleninsel". So baten Pra-Apaimanie, Sinsamutt und die Schüler des Einsiedlers den König, dass sie mitfahren dürften. Auf dem Rückweg wurde die Gruppe von der Dämonin verfolgt. Viele Schiffe sanken, und der König ertrank im Meer. Pra-Apai und alle Schüler des Einsiedlers waren auf einen Berg geflüchtet. Als er keine andere Wahl hatte, nahm er Abschied vom Einsiedlertum und spielte auf seiner Flöte, so unheimlich und geheimnisvoll, dass die Dämonin schließlich starb und in Stein verwandelt wurde. Sinsamutt aber liebte die schöne Prinzessin Suwannmalie wie seine Mutter. Sie waren auf einem anderen Schiff und hatten der Dämonin entfliehen können. Nach einem Kampf mit einem Seeräuber konnte Sinsamutt ihn mit Hilfe der klugen Prinzessin töten. Darauf wurde er von der Seeräubermannschaft zum Führer ernannt. Als Sinsamutt in der Stadt seines Onkels Srisuwan ankam und dabei war, die Stadt zu erobern, nachdem er Srisuwan in seine Gefangenschaft gebracht hatte, erfuhr er, dass sie Verwandte waren. So gingen alle aufs neue auf die Suche nach Pra-Apaimanie. Auch Suwannmalie, die angebliche Mutter Sinnsamutts, nahm an der Expedition teil.

Der europäische Prinz Usaren, der Verlobte Suwannmalies, traf auf der Suche nach seiner Verlobten Pra-Apaimanie und half ihm. Die beiden Gruppen trafen sich, aber Sinsamutt wollte Suwannmalie dem Usaren nicht herausgeben. Pra-Apai, entsetzt von der zwiespältigen Situation, spielte auf seiner magischen Flöte, um seinen Sohn Sinnsamutt zu sich kommen zu lassen. Aus Dankbarkeit zu Usaren versuchte Pra-Apai, trotz seiner Liebe zu Suwannmalie, seinen Sohn Sinsamutt zu überreden, Usaren seine Braut zurückzusenden, was ihm nicht gelang. Nach seiner Niederlage im Krieg gegen Sinsamutt musste Usaren in seine Heimat zurückfliehen.

Pra-Apaimanie bekam den Thron von der Königinmutter Suwannmalies und hatte alles für die Hochzeit vorbereitet. Prinzessin Suwannmalie aber, in voller Enttäuschung, dass Pra-Apai ihren Verlobten zurücksenden wollte, verließ den Hof und wurde Nonne.

Prinz Usaren kam später mit seiner Truppe, wollte die Stadt Pra-Apais erobern und seine Braut zurück bekommen. Mit Hilfe einer häßlichen, aber sehr klugen Frau, Walie, die Pra-Apai auch zur ersten Konkubine nahm, konnte die Stadt vor Usaren gerettet werden. Und wiederum durch die Hilfe Walies konnte Pra-Apai Prinzessin Suwannmalie endlich heiraten.

Auf der "Glasperleninsel" kam Suttsakorn, der Sohn Pra-Apais und der Meerjungfer zur Welt. Mit drei Jahren wurde der kleine Königssohn Einsiedler und ging auf die Suche nach seinem Vater, nachdem er einen magischen Stock und ein magisches Pferd von dem Einsiedler bekommen hatte. Unterwegs begegneten Suttsakorn viele Unannehmlichkeiten. Er wurde von einem schlechten alten Mann betrogen, konnte aber von dem Einsiedler gerettet werden, der ihm beibrachte, dass man den Menschen nicht zu leicht vertrauen sollte. Schließlich kam er in einem Reich an, dessen König ihn als Sohn aufnahm, als Spielkamerad seiner kleinen Prinzessin Sawakon.

Usaren wurde im Kampf mit Walie, der ersten Konkubine Pra-Apais, verhaftet, wurde aber von Pra-Apai freigelassen aus Dankbarkeit dafür, dass ihm Usaren während der Seefahrt geholfen hatte. Trotzdem wurde Usaren von Walie solange höhnisch verspottet, bis er daran starb. Walie, verfolgt von dem Geist Usarens, starb bald danach. Darauf folgt der Tod des Königs des europäischen Reiches Langka, dem Vater von Usaren. So bekam die Schwester Usarens, La-weng-wannla, den Thron.

Angestiftet von einem Kardinal, schickte Prinzessin La-weng den Nachbarkönigen ihr zauberhaftes Bild zu. Dabei machte sie bekannt, wer im Kampf gewänne, gewänne sie und auch das ganze Reich Langka.

Pra-Apaimanie, ganz in das Bild La-wengs vernarrt, konnte viele Könige im Kampf besiegen, und zwar mithilfe seiner Musik. Da kamen Truppen von neun Königreichen, und der Kampf tobte um die Stadt. Suwannmalie musste sich auf den Kampf einlassen. Sinsamutt, Suttsakorn, Srisuwan, der Bruder von Pra-Apai, kamen, um Suwannmalie zu helfen, und Suttsakorn vernichtete das Teufelsbild von La-weng-wannla. Pra-Apaimanie, befreit vom dem teuflischen Spruch, konnte die Stadt schließlich retten.

Die ganze Verwandtschaft führte ihre Flotte gegen Prinzessin La-weng, die durch einen klugen Trick einen Haufen Soldaten ihres Gegners einschließlich Srisuwan, Sinsamutt und Suttsakorn, gefangennehmen konnte. Pra-Apaimanie, in seiner hilflosen Situation, musste sich von neuem durch das Flötenspiel helfen. Die ganzen Truppen schliefen ein außer Laweng-wannla, da sie ein Amulett hatte. Die beiden trafen sich im Feld und Pra-Apai war sofort leidenschaftlich in sie verliebt. La-weng-wannla, auch verliebt in Pra-Apaimanie, war sich aber ihrer seelischen Standhaftigkeit nicht sicher und floh.

Die Nachgeschichte behandelt die weiteren Kämpfe zwischen La-weng-wannla, die unterstützt wurde von ihren weiblichen Soldaten, dem Kardinal und Pra-Apaimanie. Die beiden trafen sich noch ein paarmal im Kampf, aber La-weng hatte nicht den Mut, Pra-Apai zu betrügen, wie ihr der Kardinal geraten hatte. Statt gegeneinander zu kämpfen, unterhielten sich die beiden Liebenden. Die ganze Verwandtschaft wurde wiederum in den Kampf miteinbezogen, und Pra-Apai musste noch einmal Flöte spielen. Seinen Höhepunkt fand der Krieg nicht nur im gewalttätigen Kampf, sondern auch im Kampf der Eifersucht zwischen Suwanmalie, der ersten Frau Pra-Apais, und der europäischen Prinzessin La-weng-wannla.

Der Krieg konnte kein Ende nehmen und der Einsiedler musste kommen und Frieden predigen. Danach erzählt der Autor von den Enkeln Pra-Apais, wie sie ihre "Partner und Partnerinnen" fanden. Der letzte Krieg brach aber noch einmal aus, da die Brüder von La-wengwannla, mit Hilfe des Kardinals, den Tod ihres Vaters und des älteren Bruders an Pra-Apai rächen wollten. Durch sein Flötenspiel konnte Pra-Apai aber bewirken, dass alle bewusstlosen Soldaten wieder zu sich kamen und die Feinde besiegten.

Die beiden Protagonistinnen, Suwannmalie und La-weng-wannla, noch enttäuscht von Pra-Apai, verhielten sich reservierend und ablehnend, worauf Pra-Apai den Entschluss fasste, auf einem Sing-kut Berg für sein weiteres Leben Mönch zu werden.

Damit endet die in Versen verfasste Lebensgeschichte des Pra-Apaimanie.

© Pornsan Watanangura (Chulalongkorn Universität, Bangkok, Thailand)


ANMERKUNGEN

(1) Vgl. Chetana Nagavajara, An Aesthetics of Discontinuity and Its Western Connection, in Chetana Nagavajara, Comparative Literature from a Thai Perspective. Collected Articles 1978 - 1992. Bangkok: Chulalongkorn Press, 1996, S.233-246.

(2) Vgl. Nithi Iao-Sriwong, "Pak-kai" und "Bai Rüa" - Eine Studie über die Literaturgeschichte Anfang der Rattanakosin-Periode, Bangkok: Ammarin Publishing, 1995, S.237-240, 301f., 306.

(3) Vgl. Prinz Damrong-Rachanubhab zur Lebensgeschichte Sunthorn-Phus in: Pra-Apaimanie, Bangkok: Kuru-sapa Verlag, 1950, S.1-41; dazu auch die kritische Feststellung Klaus Wenks zur Lage der literaturwissenschaftlichen Forschung in Thailand, dass "alles einen recht desolaten Zustand darstellt" und "vieles dürfte hiervon in das Reich der Phantasie oder der Anekdote verwiesen werden können ...", s. Klaus Wenk: Studien zur Literatur der Thai, Bangkok: Editions Duang Kamol, S.4-19, hier S.7.

(4) Diese Tradition der Ausbildung, vor allem im Wald oder in den Bergen, kann auf eine literarische Tradition Indiens zurückgeführt werden. In der indischen Tradtion gehört das Erlernen der "magischen Sprüche" sowie die Suche nach "Zauber-Utensilien" zur Verteidigung des Landes zur Bildung eines Königsohnes. Nach der Ausbildung beginnt erst die Erprobung der erworbenen Kenntnisse im praktischen Leben.

(5) Dazu Uvo Hölscher, Die Odyssee, Epos zwischen Märchen und Roman. München: C.H.Beck 1988, S. 148. - Vgl. auch die Aufreihung der Stationen von Odysseus' Irrfahrt bei Joachim Latacz, Homer. München und Zürich: Artemis 1985, S.185f.

(6) Uvo Hölscher, ebd. S.149.

(7) So Chao Monkut, der später König Rama IV. wurde, und Krom Khun Isret Rangsan, Somdej Phra Pin-glao, bekannt als der zweite König Siams während der Regierungszeit Ramas III.

(8) In den persönlichen Briefen des Königs Chulalonkorn an die Königin Sawabha Pongsri, die Regentin während seiner ersten Europareise 1897, wird London mehrmals als "Christalstadt" bezeichnet, das Traumziel einer Reise für viele Siamesen der damaligen Zeit. In: Stiftung des Somdej Krom Phraya Damrong Rajanupab und Mom Chao Chongchit-thanom Diskul: Persönliche Briefe des Somdej Brajajadhibrodi Sisindhon Maha Chulalongkorn an Somdej Sawabha Pongsri, Regentin während derEuropareise 1897, 1992.

(9) Der Name kann verkürzt werden, d.h. Laweng statt Laweng-wannla, ebenso wie Pra-Apaianie oft nur Pra-apai genannt wird.

(10) Seit der Ayutthaya-Periode (14.-18. Jahrhundert) nennen die Thailänder alle Europäer "Farang". Ayutthaya war in dieser Zeit die Hauptstadt des Königreichs Siam. Das Wort "Fa-rang" bezieht sich auf die "weißen" Ausländer; es stammt von "Français" und ist nach der thailändischen Aussprache gebildet.

(11) "Nang" ist das thailändische Wort für "Frau".

(12) Siehe Pornsan Watanangura, Die Figur des Julius in Schlegels Lucinde im Vergleich zur Bildungsgeschichte des Wilhelm Meister und zur Lebensgeschichte von Pra-Apaimanie, in: Die Brücke, Zeitschrift für Germanistik in Südostasien, No.2 März 2003, S. 76 ff.

(13) Vgl. Suwanna Kriengkraipett: Pra-Apaimanie, Bangkok: Verein des Bibliothek Thailands, 1978, S. 61-65.

(14) Vgl. Uvo Hölscher, a.a.O., S. 226.

(15) Dieses literarische Motiv kommt häufig in der Thailiteratur vor, z.B. in "Inao".

(16) Pornsan Watanangura, Die Figur des Julius in Schlegels Lucinde im Vergleich zur Bildungs- geschichte des Wilhelm Meister und zur Lebensgeschichte von Pra-Apaimanie, a.a.O., S. 77 f.


4.3. Transnationale Bestrebungen und Widersprüche in Asien und Afrika

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For quotation purposes:
Naoji Kimura (Tokio/Regensburg): Bericht: Transnationale Bestrebungen und Widersprüche in Asien und Afrika. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/04_03/watananguhn15.htm

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