Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Mai 2004
 

5.1. Die Haltung zu dem "Seinen" und zu dem "Fremden" als verbindender und trennender Faktor der Kulturen
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Kopystyanska Nonna (Lviv, Ukraine)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Die Beziehungen zwischen slowakischer und ungarischer Literatur (Prosa)(1)

Tibor Zilka [Budapest-Piliscsaba (Ungarn) - Nitra (Slowakei)]

 

Einleitend muß gesagt werden, daß seit dem Jahre 896, seit der Ankunft der Magyaren im Karpatenbecken die Geschichte gemeinsame Wege ging. Der ungarische Staat hätte ohne Übernahme gewisser administrativ-organisatorischer Strukturen aus dem Großmährischen Reich kaum entstehen können, und hauptsächlich hätte er seine machtpolitische Position nicht ständig festigen können. Der Gründer des ungarischen Staates, der Hl. Stephan hat vor der Thronbesteigung im Jahr 1000 nicht zufällig eine gewisse Zeit mit der aus Regensburg stammenden späteren Königin Gisela in Nitra, im Zentrum Großmährens verbracht. Eine gewisse Erinnerung an die Königin Gisela ist der Name der Nitraer Kathedrale (Sólymos, 1996, S. 18).(2) Die St. Emmeramskirche ist nämlich nach dem Heiligen Regensburgs benannt.

"Der heilige Emmeram (Haimhram) - kam um das Jahr 700 auf Einladung des Herzogs Tode nach Regensburg." (Ondruš, 1991, S. 515)(3) Nach dem Tode wurde sein Leichnam in der St. Georgskirche in Regensburg beigesetzt, wo seine Verehrung "in kurzer Zeit die Verehrung des hl. Erhard, des älteren Bischofs und Patrons der Stadt ûbertraf" (ebda).(4) Nach ihm trägt keine andere Kirche in Mitteleuropa seinen Namen, lediglich die Nitraer Kathedrale. Deren Name wie auch die Namen anderer Kirchen zeugen ebenfalls von der westlichen Orientierung unserer Kultur - Die Slawen waren ganz zu Beginn des Heimischwerdens der magyarischen Stämme und ihrer Anpassung an die neuen Bedingungen wahrscheinlich auch ein Beispiel für die Westorientierung bei der allmählichen Übernahme der Hegemonie.

Die Unterjochung der Slawen durch die magyarischen Stämme hatte zur Folge, daß bis zur Aufklärung und vor allem bis in die Epoche des Romantismus viele Schriftsteller und hauptsächlich die literarischen Werke ein gemeinsames Erbe beider Völker sind. Ein gemeinsames Erbe ist der Zeitabschnitt des lateinisch verfaßten Schrifttums, z. B. die Legende von den hl. Svorad und Benediktus aus dem 11. Jh., und manche Autoren aus späterer Zeit (Ján Sambucus, Matej Bel, Peter Benicky usw.) gehören sowohl in die slowakische als auch in die magyarische Literatur (Käfer, 1998, s. 60-62).(5)

Eine ausgeprägte Abweichung entstand unter dem Einfluß der Reformation erst in den weiteren Zeitabschnitten, vor allem nach dem Antritt Bernoláks und seiner Anhänger, doch hauptsächlich nach der Kodifizierung der slowakischen Schriftsprache durch L'. Štúr im J. 1844. Freilich existierte damals bereits der Panslawismus als Verteidigung gegen den Pangermanismus und Panungarismus, der Terminus erschien zum erstenmal im Buch von Ján Herkel Elementa Linguae Slavicae de Variis Dialectis Erupta et Sanis Logicae Principiis Suffalta (Buda 1826). Es ist dabei paradox, daß Ján Kollár, von welchem der Gedanke der slawischen Solidarität stammt, dreißig Jahre seines fruchtbaren Lebens in Pest verbrachte, weitere zwei in Jena und die letzten vier Jahre in Wien, wo er als 59jähriger starb. Der Panslawismus und die slawische Solidarität sollten zur Eliminierung des germanischen Einflusses dienen, und noch mehr gerichtet war er gegen die ungarischen Expansionsbestrebungen. Diese Ansicht vertrat auch L'. Štúr: "Unehrenhaft ist dieses ungarische Joch für die Slawen und sehr schädlich; unehrenhaft, weil es von mongolischen Mitbürgern stammt, die von unserem Verstand, unserer Kraft leben, wovon die ganze historische wie auch die neueste ungarische Geschichte zeugt; schädlich, weil die Magyaren der großen Vereinigung der Slawen im Wege stehen" (Štúr, 1986, S. 191).(6)

 

Magyarische Personen in der slowakischen Prosa

Es ist unstrittig, daß sich im vorigen Jahrhundert beide Literaturen unter dem Einfluß der nationalen Ideen markant spezifizierten, aber zugleich auch kontrastierende Züge erlangten. Dieser Kontrast äußert sich am meisten gerade in der Prosa, in der besonders das Bild (der Typ, Charakter) der einzelnen Gestalten untersucht werden kann - des Magyaren in der slowakischen Prosa und des Slowaken in der ungarischen Prosa. Semiotisch ist jedoch zwischen beiden Anschauungen ein Unterschied wahrnehmbar, war doch die gesellschaftliche Stellung gewöhnlich nicht gleich - bis zur Entstehung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 bildeten die Magyaren eher die gesellschaftliche Oberschicht, was sich schließlich auch auf die Auswahl der Personen und des Milieus auswirkte, in welchem sie sich bewegten. Hingegen stellen in der magyarischen Prosa die Slowaken eher Volkstypen dar. Freilich wollen wir nicht global das gegebene Problem untersuchen, lediglich manche Werke und Autoren als Pars pro toto. Und zwar auch das eher beginnend vom Realismus, denn damals begann der Zeitabschnitt, der Typen schuf und die sog. Helden bereits in den Hintergrund treten ließ (Fokkema - Ibsch, 1987, s. 36-37).(7)

Außer der Unterschiedlichkeit der Personen ist es angebracht, auch über ein eigenständiges Milieu zu sprechen, in welchem sich die Handlung abspielt. In der slowakischen Prosa kommen die Persönlichkeiten der Magyaren gewöhnlich als stabilisierte Typen vor, die sich individuell heraussondern und charakterisieren lassen.

1. Der Magyare als satirische Figur, die zwei Formen hat - entweder tritt er als magyarischer Grande auf (als Aristokrat oder Nachahmung eines Aristokraten) oder als Renegat (Magyarone); ein typischer Repräsentant ist z. B. Verešgál in der Faustiade von Záborsky. Der Autor charakterisiert ihn folgendermaßen: "Sein Vater nannte sich Vrzgal, stammte aus Mähren . . ., der Sohn verwandelte sich gänzlich in einen Magyaren, er sprach die magyarische Sprache mit ihrer ganzen Länge und Breite, er übernahm alle Aufgeblasenheit eines magyarischen Granden und den Ingrimm des slowakischen Renegaten" (Záborsky, 1984, S. 55).(8)

Die Plejade dieser Figuren erweitert Zuzka Zguriška im Werk Metropola pod slamou (Metropole unter dem Stroh); die kleinstädtischen Honoratioren bilden solche Figuren wie Kökényi, Nádassy usw. In diesem satirischen Roman ist die noble Gesellschaft völlig lächerlich gemacht. Auch P. Jaroš verlacht und bespöttelt in seinem bekannten Roman Tisícrocná vcela (Tausendjährige Biene) das Renegatentum von Pál Szokolik. Als Magyarone verfûgt er über Eigenschaften, die aus ihm ein fremdartiges Element im Rahmen der Sozietät machen.

2. Der Magyare als negative, sogar grimmige Figur als Repräsentant der Macht. So eine Figur ist z. B. der Zugführer Róna aus dem Roman von Milo Urban Zivy bic (Lebendige Peitsche), obzwar von ihm nicht direkt erwähnt wird, daß er ein Magyare ist. Der Autor deutet nur seine Volkszugehörigkeit an: "Die Ausbildung ihrer Truppe leitete der Zugführer Róna, ein stämmiger, irgendwoher aus dem Unterland stammender Mann. Er hatte schwarze, kleine Augen, einen riesigen Schnurrbart" (Urban, 1979, S. 70).(9)

Der Schnurrbart wird zum Merkmal des Magyaren, eine Art Ausdruck der Wildheit und sekundär auch einer sadistischen Grausamkeit. (Nur nebenbei bemerke ich, daß der Typ eines rohen Magyaren manchmal auch im gegenwärtigen politischen Kampf mißbraucht wird, vgl. die Äußerung des Vorsitzenden der Partei SNS über die Magyaren).

3. Der Magyare (die Magyarin) als Typ, der die Umgebung erotisiert. Meistens handelt es sich um weibliche Figuren, die Leidenschaften erwecken, wie Carmen in der berühmten Oper Gounods. Figuren dieses Typs enthalten die bekanntesten Romane von Ladislav Ballek Pomocník (Mitarbeiter) und Agáty (Akazien), obzwar in seinen Werken vor allem das Milieu "südlich" ist, die Personen gehören ostentativ nicht unbedingt zur magyarischen Sozietät. In der nachkriegszeitlichen Ära kommt eine temperamentvolle reizende Magyarin auch bei V. Šikula vor. Ich meine hier die Figur von Adrika aus dem Roman Liesky (Horde), die er folgendermaßen charakterisiert: "Auch Adrika war eine Magyarin. Sie hatte nichts mit der Balettänzerin Emika gemein, von welcher Rudolf Sloboda, mein Mitschüler und Freund schrieb" (Šikula, 1980, S. 20).(10)

4. Der Magyare als Typ eines unternehmenden städtischen (urbanisierten) Menschen, der zum ruralen slowakischen Typ in Opposition steht. Diese Opposition repräsentieren am markantesten gerade zwei Protagonisten aus Balleks Roman Pomocník (Mitarbeiter) - Volent Lancaric und Štefan Riecan. Ballek betont einerseits die sûdslawische Herkunft des Lancaric, anderseits prägt er ihn zu einer typischen magyarischen Persönlichkeit (in seinen Repliken benûtzt er systematisch magyarische Ausdrûcke). Die Urbanität bezieht sich jedoch nicht primär auf Geschäftsleute, sondern eher auf städtische Honoratioren, auf deren Noblesse. Sehr häufig repräsentierten die urbanisierten Typen Magyaren oder Deutsche gegenüber dem slowakischen ruralen Typ.

5. Der Magyare als Repräsentant der Macht gegenüber dem Slowaken, der meistens ein Vertreter des Volkes ist. Gewöhnlich erscheint dieser Typ in historischen Romanen als reale (unfiktive) Person, die jedoch mittels der Phantasie des Autors geschaffen wurde. Ein solcher Typ ist Péter Pázmány in Jégés Roman Adan Šangala, Tamás Bakócz im Roman von Ján Johanides Marek koniar a uhorsky pápez (Marek der Reitknecht und der ungarische Papst), doch begegnen wir ähnlichen Personen auch in historischen Romanen von Anton Hykisch Cas majstrov (Zeit der Meister) und Milujte krá¾ovnú (Liebt die Königin). Die Figuren als Repräsentanten der Macht sind gewöhnlich nicht sympathisch, und dazu trägt auch die Applikation des Prinzips eines Blickes von unten, unter dem plebejischen Aspekt oder dem Aspekt des bäuerlichen Archetyps bei.

Es muß bemerkt werden, daß sich aus den angeführten Typen mit der Zeit ein gewisses Stereotyp herausbildete, nach welchem gerne kommerzielle Künstler bzw. weise Quasikünstler greifen, die es verstehen, sich den ephemeren politischen Moden und ideologischen Wellen anzupassen. Daraus geht hervor, daß im Bewußtsein der Slowaken - vor allem jener, die mythischen Vorstellungen über die Magyaren unterliegen - auch dank der Literatur und Kunst die eingelebten Vorstellungen über die Magyaren fortbestehen, daß sie machtgierig, herrschsüchtig sind, deshalb nach einer Veränderung der Grenzen streben, eo ipso Irredentisten sind. Manchmal geht diese Eigenschaft sogar bis zur Grausamkeit, zum Sadismus (Róna im Roman M. Urbans Zivy bic). Doch anderseits schreibt man ihnen Temperament zu, ihr Merkmal sind Schnurrbärte, pikante Paprika, spezielle Zigeunermusik und Lieder dieser Provenienz. Ihren Lebensraum bildet die Ebene, von Tieren sind hauptsächlich Pferde ihre Domäne, weil sie den Einfall der Magyaren in das heutige Gebiet assoziieren, das damals von Slawen bewohnt war. Doch kommen häufig magyarische Gestalten auch in Kunstwerken vor, die an das städtische Milieu geknüpft sind, die magyarischen Typen sind eher durch Urbanität als durch das rurale Element repräsentiert. (Doch heute gilt auch dies nicht ganz, denn in der Darstellung der Humoristen können sie Repräsentanten von Folienanlagen sein - z. B. beim Humoristen Ras_o Piško). Manchmal betont man ihren Unternehmens- und Erfindergeist, seltener ein höheres kulturelles oder ein höheres Bildungsniveau. Jedoch auch in dieser Beziehung ist der Blick unausgewogen, und es existieren auch Figuren mit dem Merkmal von Degeneration und Niedergang (ein Beispiel sind die Figuren aus dem Werk von Zuzka Zguriška). Manchmal sind jedoch - ich denke an die Zeit der Totalität - die magyarischen Personen eine Ausgeburt ideologischer Schemen. Eine solche Figur ist auch der Kommissar Bende aus dem Roman von Vladimír Minác Ziví a mrtvi (Lebende und Tote), bei welchem die magyarische Herkunft nicht derart wichtig ist wie sein revolutionäres Bewußtsein, er ist Revolutionär von Beruf:

"Er wurde vor über einem halben Jahrhundert einer magyarischen Dienstmagd in Berehovo geboren, vier Jahre war er im ersten Weltkrieg und dann kämpfte er in der magyarischen Kommune und faulte im Gefängnis des weißen Terrors, ging nach Transkarpatien und dann folgten Spanien und die Interbrigaden, die Niederlage und Konzentrationslager in Frankreich und lange Jahre Illegalität" (Minác, 1978, s. 328).(11) Schwer kann im Zusammenhang mit dem Kommissar Benda von einem Typ gesprochen werden, er vertritt eine gewisse Funktion als Kämpfer für das sog. Gute, bzw. eher für dem Sieg fortschrittlicher (kommunistischer) Ideen. Er könnte genauso ein Deutscher oder Franzose sein, abgesehen von der Herkunft und den Repliken, die mit unslowakischen Ausdrûcken gewûrzt sind, durch nichts spezifiziert er sich als Magyare.

Ähnliche Figuren erscheinen auch im Schaffen von Peter Andruška, Andrej Chudoba und Ivan Habaj, aber hauptsächlich bei Ladislav Ballek. Gerade er schafft eine neue Konzeption für die literarische Verarbeitung und Kartierung des sûdslowakischen Milieus auch mit magyarischen Figuren. Die Personen werden dank seiner eigenständigen Poetik erheblich individualisiert, die auf dem Einfluß des Milieus gegründet ist, welches sie im Sinne der bestimmenden Funktion des Milieus nach der Theorie von Hippolytt Taine auch determiniert, sie zum Handeln vorbestimmt (Vantuch - Povchanic - Kenizová - Bodnárová - Šimková, 1995, s. 135-136).(12) Auf den Unterschied zwischen der Poetik von I. Habaj und L. Ballek verweist auch Robert B. Pynsent, wenn er schreibt: "Die Stellungnahmen dieser beiden Autoren zur nationalen Frage unterscheiden sich diametral. Die von Habaj ist im wesentlichen romantisch und die von Ballek unromantisch. Die romantische Stellungnahme sieht die Nation und Nationalität als das Produkt eines Konfliktes ..., Balleks Kommunität ist fähig, den Konflikt leich zu absorbieren." (Pynsent, 1989, s. 77)(13)

Nach dem Jahr 1989 entsteht in der Slowakei ein neuer Zeitabschnitt in der Entwicklung der Literatur. In diesem Zeitabschnitt wird das ganze literarische System pluralisiert, den dominanten Charakterzug übernimmt es allmählich aus dem Arsenal der postmodernen Tendenzen. Freilich begann der Trend der Parodierung und Ironisierung gewisser eingelebter Schemen und Stereotypen schon vorher, die Veränderungen beschleunigten lediglich diesen Prozeß und verschoben sich von der Peripherie in das Zentrum. Ein Beispiel ist auch das Schaffen von Lajos Grendel, dem wir uns in dieser Erwägung nicht widmen wollen, denn als Autor der nationalen Literatur stellt er ein spezifisches Phänomen dar. Der Postmodernismus bezweifelt durch das Geltendwerden der Subversion auch Typen, die mit der Zeit zur mythisierten Form und zum Stereotyp übergingen. Damit ein Stereotyp geschaffen werde und fortdauere, müssen die Autoren zwei wesentliche Kriterien einhalten: 1. eine Unterschiedlichkeit der Figur von anderen Figuren, d. h. ihre Konstituierung durch spezifische Eigenschaften; 2. eine Kontinuität dieser Eigenschaften, d. h. ein Fortdauern charakteristischer Zûge bei verschiedenen Personen trotz der sich ändernden Umstände und der fortlaufenden Zeit. Und gerade diese erstarrten Formen werden am meisten von der gegenwärtigen Kunst parodiert und ironisiert. Die Literatur wird auf diese Weise zu einer Transskription und Kopie anderer Texte. Eine treffende Charakteristik dieser Erscheinung finden wir bei dem bedeutenden tschechischen Spezialisten der englischen Sprache: "Falls der Modernismus eine Kultur des Originals ist, dann ist der Postmodernismus eine Kultur der Kopie. Die Bücher sind Kopien anderer Bücher. Die Menschen sind Kopien anderer Menschen" (Hilsky, 1995, S. 243).(14) Sofern eine Autorengruppe eingelebte Stereotypen der Magyaren bevorzugt, parodiert die zweite Gruppe im Geiste der Kriterien der Postmoderne diese Stereotypen, sie untergräbt und unterstellt ihr Modell einer gewissen Subversion (Zajac, 1997, S. 36).(15)

Als Beispiel diene der Text von Pavel Vilikovsky mit dem Namen Pam para pam (1996, S. 106-118).(16) Ein Vortext für die Entstehung von Vilikovskys Parodie war die Rundfunkrelation aus der Zeit der Totalität, d. h. ein publizistisches Genre, gegründet auf einem Gespräch. Die Figuren: 1. ein Reporter (er lenkt, leitet den Dialog); 2. ein Angesprochener aus einem Dorf im Hont während der Feierlichkeiten; 3. Kecskeméthy, Vizegespan des Komitates Hont aud dem Jahre 1848; Rotarides, ein Lehrer und Mitrebell des Dichters Janko Krá¾; 4. ein Richter aus derselben Zeit; 5. Miško, ein Schûler mit guten Schulergebnissen, der dank der neuen Methoden die ungarische Sprache während der gewaltsamen Magyarisierung gut erlernte (selbstverständlich handelt es sich um eine fiktive Person).

Der Autor hat bei der Parodierung des Stereotyps der slowakisch-magyarischen Beziehungen sogar drei zeitliche Ebenen ausgenûtzt: Eine Ebene bildet die Zeit des Sozialismus mit falschem Optimismus der Zeit, als die Kollektivierung des Dorfes als Erfolg gefeiert wurde; die zweite Ebene fûhrt uns in das Jahr 1848, ja sogar die Personen sind aus diesem Zeitabschnitt (der Vizeges pan und Richter als offizielle Repräsentanten der Macht kontra Rotarides als Revolutionär); die dritte Ebene knüpft im Text indirekt durch verschiedene Hinweise an die heutige Zeit an, und zwar mittels Aussprüchen mit ausgetauschtem Adressat; das, was sich einst auf die slowakische Sozietät bezog, hat heute eine entgegengesetzte Tendenz - zumindest kann aus drei Phrasen ersehen werden, daß sich in Mitteleuropa alles wiederholt, nur oftmals in umgekehrter Reihenfolge. Das bedeutet zugleich, daß die Magyaren als Repräsentanten der Macht (Vizeges pan und Richter) so sprechen, wie manche gegenwärtigen Repräsentanten des politischen Lebens in der Slowakei. Wenn sich der Autor hier mit irgendetwas auseinandersetzt, so ist das zweifellos die Frage der Macht. Daraus ergibt sich ein gewisser Typ eines logischen Chiasmus, einer Verkehrtheit, einer Untergrabung des literarischen Systems, das auf der Schaffung eines Typs oder einer Individualität gegründet ist. Die Gestalten sind keine Individualität, sie vertreten eher eine gewisse Funktion, sie sind weder identisch noch homogen, sondern bloß Träger der Subversion, welche die gegebene Ordnung oder das System nicht umstürzt, aber "es untergräbt, es der selbstverständlichen Gültigkeit entledigt, mit ihm polemisiert, es bezweifelt, auf seine Widersinnlichkeit, Disparität, Disjuktion, Unübersichtlichkeit, Verirrung hinweist und es seiner Logik suspendiert" (Zajac, 1997, S. 36).(17) Vom textbildenden Gesichtspunkt ist es bezeichnend, daß der Autor in das Mikrophon bereits verstorbene Personen aus dem vorigen Jahrhundert sprechen läßt (Richter, Vizegespan, der Lehrer Rotarides), doch ihre Aussprüche enthalten nicht wenige Hinweise auf die Gegenwart. Vom poetologischen Gesichtspunkt handelt es sich um einen Tropus, genannt "Prosopopöie", doch zugleich auch um einen Anachronismus, d. h. um einen beabsichtigten Austausch der Zeit im Text, um ein Vorkommen von Worten, Begriffen, Motiven, die in der gegebenen Zeit noch nicht vorkommen konnten. Dabei sprechen die angeführten Personen aus dem Jahr 1848 in das Mikrophon, und es hört sie ganz Ungarn. Es ist bezeichnend, daß die Personen viele magyarische Ausdrücke verwenden, ja sogar ganze Sätze, nach denen eine Nummerierung folgt, wie im wissenschaftlichen Stil. Am Ende des Textes sind dann die Anmerkungen - insgesamt 15 -, welche Übersetzungen der magyarischen Sätze enthalten, aber nicht in das Slowakische, sondern in das Englische.

Damit wird das Stereotyp des Magyaren in der slowakischen Literatur gestört und erlangt andere Konturen. Danach strebte auch Rudolf Sloboda, sogar in seinem Werk Pamäti (Erinnerungen) spricht er darüber, auch bei Dušan Mitana kommen sie in einer anderen, nicht erstarrten Form vor. Die kommerziellen Werke präferieren jedoch weiterhin Typen nach den eingelebten Stereotypen und ideologischen Schemen, um den durchschnittlichen Leser leichter in das gegebene Thema einzuführen.

Auf den Unterschied zwischen der Poetik von I. Habaj und L. Ballek verweist auch Robert B. Pynsent, wenn er schreibt: "Die Stellungnahmen dieser beiden Autoren zur nationalen Frage unterscheiden sich diametral. Die von Habaj ist im wesentlichen romantisch und die von Ballek unromantisch. Die romantische Stellungnahme sieht die Nation und Nationalität als das Produkt eines Konfliktes ..., Balleks Kommunität ist fähig, den Konflikt leicht zu absorbieren." (Pynsent, 1989, S. 77)(18)

 

Die Darstellung der Slowaken in der ungarischen Prosa

Es drängt sich die Frage auf, wie die slowakischen Gestalten in den ungarischen literarischen Werken auftreten. Einleitend sei gesagt, daß die slawischen Benennungen, Namen, wie auch Wörter bei einem Magyaren besondere Assoziationen erwecken und sehr häufig zur Quelle des Humors werden, was selbstverständlich auch umgekehrt gilt. Sicherlich sind in ungarischen Kreisen das Russische und russische Figuren am meisten der Parodie ausgesetzt, doch sind Benennungen und Namen von slowakischer und tschechischer Provenienz ebenfalls sehr häufig in Texten, die auf Humor gegründet sind. Im allgemeinen taucht jedoch das slowakische Milieu noch häufiger in den Werken der magyarischen Autoren auf, sogar bei den bekanntesten Schriftstellern (M. Jókai, I. Madách, K. Mikszáth), die aus dem Gebiet der heutigen Slowakei stammen, aber auch bei Gy. Krúdy. Ich denke hier nicht nur an Krúdys Roman A podolini kísértet (Das Gespenst von Podolínec), sondern auch an andere Werke, die sich an das tatravorländische Städtchen Podolínec (Podolin) knüpfen, wo der Autor die unteren Klassen des Gymnasiums absolvierte. Versuchen wir nun eine Typologisierung der Gestalten der Slowaken in den magyarischen literarischen Werken:

1. Der Slowake als Figur, welche die Lauterkeit und Unverderbtheit des Volkes repräsentiert, als Typ eines schlichten Menschen, der außerhalb des Einflusses der Zivilisation und der Stadt steht. Dieser Typ erscheint in den Werken von K. Mikszáth Tót atyafiak (Slowakische Landsleute - 1881) und A jó palócok (Gute Polovcer - 1882).(19)

Es handelt sich dabei um Gestalten, wie z. B. den Schäfer Tamás Olej aus der Erzählung Az a fekete folt (Der schwarze Fleck) oder den Dudelsackpfeifer Lapaj aus einer anderen Erzählung. Die Handlung der Erzählungen ist jeweils in ein Gebirgsmilieu verlegt, was an und für sich das Leben der Handelnden determiniert und ein Merkmal der slowakischen Eigenart ist, da doch der Magyare vor allem ein Bewohner der Ebene ist. Dieser Typ von Personen erscheint auch im Roman des gegenwärtigen magyarischen Autors Pál Závada, dessen Werk Jadviga párnája (Jadvigas Kissen) wir nachfolgend analysieren werden. Es handelt sich um die Gestalt des Häuslers Gregor, die eindeutig als positive Figur des Romans betrachtet werden kann.

2. Der Slowake als humorvolle, aber nicht satirische Figur. Der humorvolle Charakter kann sich schon aus den Namen der Handelnden ergeben, davon überzeugt uns hauptsächlich der Roman von K. Mikszáth Szent Péter esernyõje (Der Regenschirm des heiligen Petrus), wo außer zwei Personen alle slowakische Namen haben (Adamecz, Plachta, Krátki, Majzik, Sztolárik, Fajka, Kupeczky). Damit korrespondiert auch das Milieu der Mittelslowakei, wo sich die Handlung abspielt. Davon zeugen die Namen der Städte, die manchmal in der Rechtschreibung magyarisiert sind (Bjela Voda, Beszterce, Selmec). Auch die Dorfnamen tragen slowakischen Charakter, obzwar sie vom Autor erdacht sind (Glogova, Privorec, Oporec, Uhlavòa).

3. Der Slowake als tragische Figur, die aus der Sozietät unter dem Einfluß seiner Einstufung zu sehr zu den Minoritäten verdrängt ist und eine marginale Stellung in der Gesellschaft einnimmt. Dieser Figur begegnen wir im Roman von P. Závada Jadviga párnája, vor allem das letzte Glied des aussterbenden Geschlechtes ist eine solche Figur - nämlich Mišo Osztatní.

4. Der Slowake als Element, Bestandteil der manipulierten Masse. Ich denke hier an den Roman von K. Mikszáth Beszterce ostroma (Belagerung von Bystrica), aus welchem auch eine Oper von Ján Cikker unter dem gleichen Namen entstand. Die Hauptfigur des Romans ist der Besitzer des Schlosses István (Štefan) Pongrácz, der auf diese Weise Krieg spielt, daß er die Bauern aus der Umgebung anwerben läßt, sie in zwei Gruppen teilt und in Soldatenuniformen aus früher, auch längst vergangener Zeit kleidet. Gewöhnlich belagerte eine Gruppe die Burg und die zweite Gruppe verteidigte sich auf der Burg. Manchmal dauerte dies mehrere Tage, ja sogar mehrere Wochen, und die Umgebung lachte darüber. Der Autor benützt slowakische Sätze bei der Bekanntmachung der Mobilisation: Die Heiducken des Pongrácz gehen mit einem in Widderblut getauchten Schwert von einem Bauernhaus zum anderen und rufen in slowakischer Sprache die Leute in den Krieg:

Vojna bude ludja! (Leute, es wird Krieg). Wenn sie schon versammelt sind, teilt man sie in zwei Gruppen auf mit dem Aufruf:

Na dve stranke chlapci! (Auf zwei Seiten Jungens).

Wie zu sehen ist, schöpfte K. Mikszáth die Themen aus dem slowakischen Milieu, seine Werke sind mit Handelnden slowakischer Herkunft bevölkert. Er entdeckte den Zauber der slowakischen Natur und in dieses Milieu verpflanzte er die Handlungen seiner Erzählungen, auch mancher Romane. Häufig erscheinen Namen slowakischer Städte in seinem Werken (Zilina, Banská Štiavnica, Banská Bystrica, Modry Kameò usw.), aber außer dem Milieu verleihen hauptsächlich slowakische Personen seinen Werken einen eigenständigen Charakter. In den Erzählungen Tót atyafiak (Slowakische Landsleute) und A jó palócok (Die guten Polovcer) weist der Großteil der Personen slowakische Herkunft auf, wovon nicht nur das Milieu zeugt, sondern hauptsächlich die Namen der Gestalten (Olej, Filcsik, Mirkovszki, Makovnik usw.).

An die von K. Mikszáth geschaffene Tradition knüpft der Roman von P. Závada an: Jadvigas Kissen (Jadviga párnája - 1997). Der Roman das zum Buch des Jahres 1997 erklärte und mit dem renommierten József-Attila-Preis ausgezeichnet, ist ins Slowakische(20) und Tschechische(21) übersetzt worden. Zur Zeit wird seine deutsche Ausgabe vorbereitet. Der Autor hat den Roman schon für eine Rundfunksendung adaptiert, und es wird seine Verfilmung vorbereitet. Es handelt sich dabei um einen Roman, der Kriterien eines klassischen oder postklassischen Romans trägt, aber geltend gemacht ist in ihm auch die postmoderne Strategie des Erzählens. Die Handlung spielt sich dabei vor allem im slowakischen Milieu ab, wobei sie auch deutsche und österreichische Zusammenhänge aufweist. Die Handlung konzentriert sich jedoch hauptsächlich auf das Milieu von Tótkomlós und teilweise auch auf Békéscsaba, obzwar der Name von Komlós im Roman nicht direkt vorkommt, doch nach der Beschreibung des Milieus läßt es sich eindeutig als Ort der Handlung identifizieren.

In diesem Zusammenhang muß gesagt werden, daß beide Städte in Südungarn liegen und Zentren von slowakischer Bevölkerung sind. Die Slowaken gelangten dorthin während der Regierungszeit Maria Theresias (1740-1780), als die nach der türkischen Expansion entvölkerten südlichen Regionen Ungarns mit Zuwanderern besiedelt wurden. Die Herrscherin löste das so, daß sie aus dem Gebiet der heutigen Slowakei Bevölkerung dorthin übersiedelte. Die Nachkommen der Übersiedler haben lange Zeit hindurch die slowakische Volkszugehörigkeit beibehalten, ja teilweise auch heute noch. Unter welchen Umständen, das kann man gerade aus dem Roman von P. Závada erfahren.

Die Handlung des Romans konzentriert sich auf die allmähliche Zersetzung einer reichen slowakischen Familie, die mit dem 1. Weltkrieg begann und in den Jahren der Totalität endete. Während vor dem 1. Weltkrieg die Familie in das europäische Geschehen eingeschaltet war, schmälerte sich zusehends ihr Lebensraum, bis er vollkommen reduziert wurde. Der Roman ist in Tagebuchform geschrieben, ohne erzählerische Perspektive. Besser gesagt: der Roman hat drei Erzähler und danach kann er in drei selbständige Teile aufgegliedert werden, die einander in Tagebuchform abwechseln.

1. Teil: Das Tagebuch, das Ondriš Osztatní schreibt, bildet die Hauptlinie der Romanhandlung. Dieses Tagebuch beginnt am 5. 2. 1915 und endet mit dem Tod des Protagonisten (1937).

2. Teil: Nach dem Tode des Gatten setzt mit dem Schreiben des Tagebuches seine Frau Jadviga fort (1937-1945), die ihre Eindrücke als Kommentare (Paralipomenon) zum Text von Ondriš Osztatní einträgt. Es ist dies gewissermaßen ein zweiter (anderer) Blick auf die gleichen Ereignisse mit der Geltendmachung auch des weiblichen Aspektes bei der Bewertung des Gefühlslebens.

3. Teil: Das ganze Tagebuch beendet und verleiht ihm die endgültige Form der letzte Nachkomme der Familie - Mišo Osztatní. Sein letzter Vermerk ist aus dem Jahr 1987, doch muß bemerkt werden, daß es sich um den Kommentator der Ereignisse handelt, der in Form von Anmerkungen unter dem Strich auch die slowakischen Wörter und Sätze aus den Tagebüchern seiner Eltern, aber auch das Brauchtum der Slowaken erläutert.

P. Závada schrieb einen Roman, der darauf gegründet ist, daß er drei Gesichtspunkte auf dieselbe Tatsache enthält, es fehlt nur der Standpunkt des Autors (Point of view). Dabei ist der Kommentator Mišo Osztatní der letzte Nachkomme der Familie deshalb, weil er unverheiratet ist, keine Kinder hat, aber auch kein Vermögen, da unter dem Kommunismus alles verstaatlicht und konfisziert wurde. Der Name selbst hat also eine symbolische Funktion: seine Bedeutung bezieht sich auf das Aussterben des Geschlechtes. Diese Erscheinung kann zwiefach aufgefaßt werden: a) eine kleine ethnische Gruppe in Südungarn stirbt allmählich aus; b) als Pars pro toto absorbiert jedoch der Roman auch den Blick auf die sukzessive Reduzierung des Lebens eines mitteleuropäischen Menschen, die mit dem 1. Weltkrieg begann und in einer Karikatur des Kommunisten endet - er ist Angeber, wohnt in einem Zimmer des einst reichen Hauses des Osztatní-Geschlechtes. Die Reduktion des Lebensraumes ist auch durch die Möglichkeiten der Eltern gegeben. Seine Mutter Jadviga (1887 geboren) lebte vier Jahre in Pest, dann wurde sie in die Klosterschule von St. Pölten eingeschrieben, wo sie weitere vier Jahre weilte, von dort gelangte sie in die Familie Winkler nach Stralsund, wo sie sogar neun Jahre verbrachte - bis 1915. Ihr Leben ist nicht nur bewegt, sondern auch ihre Erziehung weist ein gebührendes Niveau auf. Sie spricht perfekt deutsch, ungarisch, slowakisch, spricht aber auch englisch. Ihr Sohn Mišo Osztatní beherrscht nicht einmal mehr die englische, geschweige denn die deutsche Sprache. Der Roman ist mit seinem Inhalt in das europäische Geschehen vor dem 1. Weltkrieg einbezogen, denn die Handlung spielt sich nicht nur in dieser süd-ungarischen Stadt Tótkomlós ab, sondern auch in St. Pölten, in Pest und in Stralsund. Dabei ist Stralsund hier nicht bloß eine gewisse touristische Attraktion, sondern eine der wichtigen Städte, wo sich ein Teil der Handlung abspielt. Das bedeutet zugleich, daß der Roman im Geiste des neuen Historismus der gegenwärtigen Prosa an mehrere Kulturkreise angeschlossen ist - an den slowakischen, magyarischen, deutschen und teilweise auch an den österreichischen. Freilich erfahren wir über Stralsund als Stadt nicht viel aus diesem Roman, höchstens, daß es am Meer liegt. Und sofern Békéscsaba und Tótkomlós das Milieu einer Niederung repräsentieren, ist Stralsund eine Küstenstadt. Die gegebenen Milieus stehen in scharfem Widerspruch zum Gebirgsmilieu, wo ein beträchtlicher Teil der Slowaken lebt.

Gerade das Multikulturelle dieses Romans war die unmittelbare Ursache, warum ich mich gründlicher und eingehender mit ihm befaßte. Der Autor hat auf künstlerische Weise gezeigt, wie sich der Slowake als Repräsentant einer Minorität allmählich in eine marginale Position verschiebt. Dadurch, daß sich die welterfahrene Jadwiga an einen Ort bindet, verliert sie zunehmend auch ihre Identität. Beim Ehegatten Ondriš Osztatní kommt es zum Verlust der Identität während des 1. Weltkriegs. Ihr Sohn ist jedoch bereits dauernd in dieser marginalen Situation, zu der ihm auch die Umstände verhelfen (er ist Zweitgeborener, von kleiner Gestalt, verliert sämtlichen Besitz, degradiert sich zum Angeber und ist ohne Nachkommen). Sofern sich bei Mikszáth in dieser gesellschaftlich peripheren Lage größtenteils auch die slowakischen Gestalten befanden, kam es in der Familiensaga von P. Závada zu dieser Verschiebung im Rahmen einer einzigen Generation, und wurde dann von der weiteren bloß beendet. Besonders wenn wir uns bewußt werden, daß der Bruder von Mišo Osztatní während des 2. Weltkrieges bzw. an seinem Ende starb. Es starb also die ganze Familie aus, die noch Anfang des Jahrhunderts in den ganzeuropäischen kulturellen und gesellschaftlichen Kontext einbezogen war. Dies ist jedoch nicht bloß das Ergebnis der slowakisch-magyarischen Beziehungen, sondern auch ausgeprägter Veränderungen, die in Europa in diesem Jahrhundert erfolgten. Auch zu einer solchen Schlußfolgerung kann man bei der Bewertung und Analyse der slowakischen Gestalten in den Prosawerken der magyarischen Schriftsteller gelangen. Abschließend ist es angebracht, noch eine Bewertung der Bedeutung von Závadas Werk hinzuzufügen: "In letzter Zeit schien die gegenwärtige ungarische Literatur nur ein Leckerbissen der Elite und ein unlesbarer Ballast für die Nichtauserwählten zu sein, und plötzlich kam nun ein Roman, der gleicherweise die Liebhaber von Experimenten der postmodernen Literatur wie auch die Skeptiker schockiere, die nicht mehr glaubten, daß die gegenwärtige Literatur sie noch fesseln könne" (Deáková, 1998, s. 5).(22) Etwas ähnliches spielt sich zur Zeit auch in der amerikanischen Literatur ab, in welcher D. DeLillo, B. E. Ellis, S. Sontag, T. Morrison, R. Ford und weitere ein enormes Interesse an Lesern äußern und ihre Texte so konstruieren, um einen "vollkommenen perfekten Empfang" zu sichern, was in schroffem Gegensatz zur bisherigen Praxis der Postmoderne steht (Vietorová, 1996, s. 200-201),(23) besonders mit ihrer ersten Welle bis zum Jahre 1980. Eines der bevorzugten Themen der gegenwärtigen Literatur ist gerade das Multikulturelle.

Zum Abschluß kann gefolgert werden: die slowakisch-magyarischen Kontakte sind ein geeignetes Thema auch für den markanten Fortschritt im Romanschaffen. Davon zeugen nicht nur die Werke K. Mikszáths vom Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts, sondern auch Balleks literarische Texte aus den siebziger und achtziger Jahren, und schließlich ist ein klarer Beweis dessen auch der Erfolg von Pál Závada Roman Jadviga párnája.

© Tibor Zilka [Budapest-Piliscsaba (Ungarn) - Nitra (Slowakei)]


ANMERKUNGEN

(1) Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Forschungsaufgabe "Die Rolle der Geisteswissenschaften in der gesellschaftlichen Entwicklung".

(2) Sz. Sólymos, Szent Zoerard-András (Szórád) és Benedek remeték élete és kultusza Magyarországon. Budapest 1996, S. 18.

(3) R. Ondruš, Blízki Bohu i ludom. Životopisy svätých. Bratislava 1991, S. 515.

(4) Ebd.

(5) I. Käfer, Dona nobis pacem. Piliscsaba 1998, S. 60-62.

(6) L. Štúr, Dielo. Bd. II. Bratislava 1986, S. 191.

(7) D. Fokkema, E. Ibsch, Modernist Conjectures. A Mainstream in European Literature 1910-1990. London 1987, S. 36f.

(8) J. Záborský, Faustiáda. Bratislava 1984, S. 55.

(9) M. Urban, Zivý bic. Bratislava 1979, S. 70.

(10) V. Šikula, Liesky. Bratislava 1980, S. 20.

(11) V. Minác, Ziví a mrtvi. Bratislava 1978, S. 328.

(12) A. Vantuch, Š. Povchanic, K. Kenížová-Bednárová, S. Šimková, Dejiny francúzskej literatúry. Bratislava 1995, S. 135f.

(13) B. R. Pynsent, Národnosti juzného Slovenska v Habajových a Ballekových dielach. In: Romboid 24, 6 (1989), S. 77-81, hier: S. 77.

(14) M. Hilský, Modernisté. Praha 1995, S. 243.

(15) P. Zajac, Štylistika, poetika, rétorika. In: T. Zilka (Hg.), Od moderny k postmoderne. Nitra 1997, S. 29-41, hier: S. 36.

(16) P. Vilikovský, Krutý strojvodca. Bratislava, Slovenský spisovatel 1996.

(17) Ebd.

(18) Ebd.

(19) Die Erzählungen sind enthalten in zwei neueren Ausgaben: K. Mikszáth, Beszterce ostroma. Új Zrínyiász. Budapest 1960; ders., Tót atyafiak. A jó palócok. Beszterce ostroma. Budapest 1986.

(20) Jadvigin vankúšik. Bratislava 1999.

(21) Jadvizin polštár. Praha 2002.

(22) R. Deáková, V trojitom zrkadlení. In: Revue svetovej literatúry 34, 3 (1998), S. 3-4.

(23) N. Vietorová, Postmodernizmus v anglickej a americkej literatúre. In: I. Cvrkal (Hg.), Kapitoly z moderny, avantgardy a postmoderny. Bd. III. Bratislava 1996, S. 196-209, hier: S. 200f.


LITERATUR

Deáková, R.: V trojitom zrkadlení. Revue svetovej literatúry, 34, 1998, Nr. 3, S. 3-4.

Fokkema, D. – Ibsch, E.: Modernist Conjectures. A Mainstream in European Literature 1910-1990. London, C. Hurst & Company 1987.

Hilský, M.: Modernisté. Praha, Torst 1995.

Ondruš, R.: Blízki Bohu i l'ud'om. Zivotopisy svätých. Bratislava, Tatran 1991.

Pynsent, B. R.: Národnosti juzného Slovenska v  Habajových a Ballekových dielach. Romboid, 24, 1989, Nr. 6, S. 77-81.

Sólymos, Sz.: Szent Zoerard-András (Szórád) és Benedek remeték élete és kultusza Magyarországon. Budapest, Magyar Egyháztörténeti Enciklopédia Munkaközösség 1996.

Šikula, V.: Liesky. Bratislava,  Slovenský spisovatel' 1980.

Štúr, =.: Dielo. II. Bratislava, Slovenský spisovatel' 1986.

Urban, M.: Živý bi . Bratislava, Slovenský spisovatel' 1979.

Vantuch, A. – Povchani , Š. – Kenízová-Bednárová, K. – Šimková, S.: Dejiny francúzskej literatúry. Bratislava, Causa Editio 1995.

Vietorová, N.: Postmodernizmus v anglickej a americkej literatúre. In: Cvrkal, I. (edit.): Kapitoly z moderny, avantgardy a postmoderny. III. Bratislava, Ústav svetovej literatúry Slovenskej akadémie vied 1996, S. 196-209.

Vilikovský, P.: Krutý strojvodca. Bratislava, Slovenský spisovatel' 1996.

Záborský, J.: Faustiáda. Bratislava, Tatran 1984.

Zajac, P.: Štylistika, poetika, rétorika. In: Zilka, T. (edit.): Od moderny k postmoderne. Nitra, Univerzita Konštantína Filozofa 1997, S. 29-41.


5.1. Die Haltung zu dem "Seinen" und zu dem "Fremden" als verbindender und trennender Faktor der Kulturen

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS       Inhalt | Table of Contents | Contenu  15 Nr.


For quotation purposes:
Tibor Zilka Budapest-Piliscsaba (Ungarn) - Nitra (Slowakei): Die Beziehungen zwischen slowakischer und ungarischer Literatur (Prosa). In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_01/zilka15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 23.7.2004     INST