Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. April 2004
 

5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Monika Leisch-Kiesl (Linz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Kartografische Eingriffe. Grundsätzliches, Erfahrungen und Ausblick auf das gesellschaftspolitische Kulturprojekt von MAIZ

Erika Doucette (Kulturarbeiterin, Wien)

 

  Politische Bewusstseinsbildung durch die Fragestellung nach der Vereinbarkeit der Stadt, in der wir leben und der Stadt, mit der wir uns identifizieren. Migrantinnen werden bei der Stadtplanung nicht berücksichtigt - mit dieser Tatsache wollen wir uns beschäftigen und neue Wege finden, dies zu verändern.(1)

 

Das emanzipatorische Projekt Kartografische Eingriffe verwendet die fiktive Ebene der Stadtpläne, um unter anderem rassistische, sexistische und migrantinnenfeindliche Strukturen, Architekturen und Lebensraumgestaltung zu untersuchen und zu kritisieren. Das Projektkonzept ist multiplizierbar und wurde bisher mit Frauen und Jugendlichen mehrmals in Linz durchgeführt, sowie mit Migrantinnen in Steyr und Innsbruck realisiert.(2)

Das Konzept sieht einen Workshop (gemeinsame praktische Arbeit und Diskussionen unter Migrantinnen), eine Präsentation (Ausstellung) und Diskursräume für das Thema "Migrantinnen im öffentlichen Raum" (Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen) als fixe Bestandteile vor.

 

Lösungen und Änderungsvorschläge

Anhand einer Reihe von komplexen Fragen versucht MAIZ mit diesem Projekt nach wie vor "einen Rahmen zu schaffen, in dem Migrantinnen und [Mehrheits-]Österreicher/innen gemeinsam Lösungen / Änderungsvorschläge machen können."(3)

Ein Auszug aus den Fragen, mit denen sich Migrantinnen und folglich auch die BesucherInnen der Ausstellung und Diskussionsabende auseinandersetzen, sind folgende(4):

 

Der Raum als gesellschaftlicher Körper

Diese Fragen sowie viele weitere komplexe Themen zu Frauenmigration und die Nutzung des öffentlichen Raumes kulminieren in öffentlichen Bereichen, Orten, Plätzen. Gesellschaftliche Phänomene wie Rassismus, Sexismus, und sogenannte Ausländer- / Migrantinnen-Feindlichkeit" können trügerischerweise an einzelnen Personen festgemacht, z.B. im ersten Moment "intoleranten" oder "rechts gesinnten" Menschen als "Einzelfall" zugeschrieben werden. Dass es sich aber hier um gesellschaftspolitische und strukturelle Mechanismen handelt, die über die vielen Einstellungen und Aktionen einzelner Menschen hinausgehen, durch die sie jedoch immer wieder verstärkt werden, war ein Hauptbeweggrund, sich mit dem öffentlichen bzw. "städtischen" Raum und dessen gemeinsamer Nutzung und Bedeutungszuschreibung auseinanderzusetzen. Die Zuweisung und Aufteilung von Raum und Platz in Städten können z.B. auch stellvertretend für gesellschaftspolitische Separationen und Sanktionen stehen. Migrantinnen bewegen sich im öffentlichen Raum im Zusammenhang mit Arbeit, Ausbildung, Freizeit, Familie, usw. Aus der Perspektive von (durchaus sehr unterschiedlichen) Migrantinnen diskutiert der Workshop, vorerst in der kleinen Gruppe und dann in Diskussionen während der Ausstellung, öffentliche Orte des Begehrens, der Freiheit; als Plätze der Gewalt und des Ausschlusses; aber auch als Orte des migrantischen Widerstands, wo Strategien gegen Exklusion sichtbar gemacht werden können. In diesem Kontext reflektieren Orte, an denen Migrantinnen "unsichtbar", "unterrepräsentiert" oder auch "unvermeidbar" sind, inwiefern und wo Ein- und Ausgrenzung stattfinden.

 

Frauenarbeitsmigration im öffentlichen Raum

Urbane Gebiete, aber auch Kleinstädte wie Steyr in Oberösterreich, ermöglichen ein gewisses Ausmaß an Anonymität im öffentlichen Raum. Aus diesen, und anderen Gründen, stellen Städte wichtige Arbeitsräume z.B. für Migrantinnen in der Sexarbeit dar. Ausgehend von den gesellschaftlichen Aufgaben einer Sexarbeiterin birgt die Öffentlichkeit besondere Herausforderungen in sich. In dieser Komplexität liegt der Kern der Frage nach dem Begehren in Hinblick auf Migrantinnen, d.h. an welchen Orten Migrantinnen erwünscht sind (z.B. Bordelle, Tanzcafés, usw.) - sie werden sogar speziell dafür "ins Land geholt" - und an welchen Orten Migrantinnen - bedingt durch gesetzliche und gesellschaftliche Strukturen -nicht zu sehen sind (Beamtinnen im öffentlichen Dienst). Wie prägen Migrantinnen ihr Arbeitsumfeld? Das gesellschaftliche Umfeld, in dem wir uns bewegen?

 

going public

Der Kulturbereich von MAIZ ist an Öffentlichkeits- sowie an Bildungsarbeit gekoppelt. Dies ist eine wichtige Verbindung, denn es geht auch darum, Strategien zu erproben, die es uns ermöglichen, Platz im öffentlichen Raum einzunehmen, um die Sichtbarkeit in den Medien, auf der Straße, an Ausbildungsplätzen, in öffentlichen Institutionen und im Kulturbereich zu erhöhen. Aus diesem Grund wurden die "Ausstellung" als Form der Präsentation der Kartografischen Eingriffe und "Kunstgalerien" oder Kulturstädten als Orte der Präsentation / Konfrontation / Diskussion gewählt. Eine Kunst- und Kulturöffentlichkeit (z.B. Besucher/innen einer Kunstgalerie) lebt oftmals in der Erwartungshaltung, "Künstlerisches", jedoch nicht "Soziales" oder "Politisches" in einer Galerie zu sehen - wenn diese Begriffe in den letzten Jahren auch stark in Diskussion geraten sind. Ein überkommenes Klischeebild von "Kunst" wird seit den 1960ern sukzessiv durch deren Politisierung gebrochen. Dass diese Repolitisierung, also das Hinterfragen von Machtverhältnissen auch innerhalb der "Kunst", bereits in Bewegung gesetzt wurde, ist nicht automatisch ein Garant dafür, dass auch Migrantinnen hierzulande als Kulturschaffende willkommen geheißen werden. Die Kunstgalerie als Raum zu "besetzen" und damit gegen den Strich von gängigen Kunstpräsentationen zu agieren, ist ein integraler Teil des Konzeptes von Kartografische Eingriffe.

Die Zielsetzungen erörtern die obengenannten sozialen und politischen Aspekte dieser Arbeit:

Als ein Modell und eine Methode zur Auseinandersetzung mit Migration im Vereins MAIZ wird Kartografische Eingriffe immer weiter entwickelt, bzw. wird bei jeder Durchführung das Konzept für die jeweilige Gruppe von Teilnehmerinnen (Workshop/Ausstellung/Diskussion) adaptiert. MAIZ positioniert dieses Projekt im Spektrum des Politischen, vor allem durch die Forderungen und Auseinandersetzungen, wie sie in den genannten Zielsetzungen festgelegt wurden.

 

Erfahrungsbericht

Die Durchführung des ersten Projektes Kartografische Eingriffe bei MAIZ in Linz im Jahr 2000 warf einige Fragen auf, die das ursprüngliche Konzept nachhaltig prägten.

Hier werde ich drei zentrale Fragen diskutieren, die von dem Material bzw. Ausgangspunkt handeln, nämlich vom Stadtplan selbst; vom Ort der geplanten Präsentation und deren Bedeutung für die Teilnehmerinnen/Akteurinnen von Kartografische Eingriffe; und schließlich von der Art der Umsetzung (Workshop) des Projektes selbst.

Erstens, stellt die Verwendung von Stadtplänen als Arbeitsmaterial einen symbolischen Eingriff, wie auch einen sehr theoretischen Zugang in die Architektur der Stadt dar. Im ursprünglichen Konzept wurde festgehalten, dass das Projekt für alle Migrantinnen offen sein sollte, egal welchen Alters, welcher Herkunft, welcher formellen Bildung, welchen Niveaus der Deutschkenntnisse, usw. Zumal diese Vorgabe für eine heterogene Gruppe sorgte, war dieser Ausgangspunkt jedoch ein sehr abstrakter und gab eine zutiefst eurozentristische Vorstellung von Raumdokumentation vor.

Die Frage, die sich stellte, war die nach den äußerst unterschiedlichen Vorstellungen der Teilnehmerinnen von Kartografie an sich. Im Workshop erzählten Frauen, wie sie gewöhnlich in ihrer Stadt von einem Punkt zum anderen finden würden. Diese praktische Anwendung von Karten wurde sehr unterschiedlich erörtert: gewöhnlich gelangt frau von einem Ort zum anderen ohne Karte oder Stadtplan, z.B. durch markante, bekannte Wegweiser wie ein rotes Haus, Landschaftsprägung, bestimmte Vierteln und so weiter. Österreichische Landkarten und Stadtplänen verkörpern nicht unbedingt den symbolischen - und bei Veränderungen befreienden - Charakter, sondern entsprechen für manche eher einer abstrakten, schulischen Aufgabe: hier, auf dieser geometrisch eingeteilten Fläche, die Plätze neu benennen, neue einfügen, andere ausschneiden, manche überkleben, usw.

Der Vorteil keine Beziehung zu Stadtplänen generell (und nicht nur zu diesem bestimmten) zu haben, war, dass die Zugänge und Eingriffe umso spielerischer und großflächiger ausfielen. Die Eingriffe korrespondierten nicht unbedingt mit dem Ort / Stadtviertel auf dem Stadtplan, wo die Intervention vorgenommen wurde. Einige der Teilnehmerinnen waren mit Stadtplänen, deren Bedeutung und der damit verbundenen "Nüchternheit" und "Sachlichkeit" vertraut; ihre Eingriffe sahen dementsprechend anders aus.

Daher die Frage: Sind vorhandene Landkarten / Stadtpläne geeignet um den öffentlichen Raum darzustellen? Die Konfrontation mit Veränderungen in einem Stadtplan sorgte für Diskussion unter den "Einheimischen", was ja auch eines der Hauptziele des Projektes war.

Ein weiterer Punkt der Überlegung zum Konzept war, ob eine Kunstgalerie für die Teilnehmerinnen einen geeigneten Ort der Präsentation darstellt? Die Antwort fiel einstimmig mit "ja" aus. Am Anfang des Projektes war es nicht einfach, die Teilnehmerinnen zu überzeugen, dass diese Stadtpläne in einer Galerie (als "Kunstwerke") zu sehen sein werden. In den ersten Workshopeinheiten blockierte diese Vorgabe einige Teilnehmerinnen, erhöhte den Stress auf die Fertigstellung eines "vollkommenen" Produktes, sorgte aber auch bei anderen für positive Aufregung - im Sinne einer schwierigen Herausforderung -, aber auch für Begeisterung. Eine "Kunstgalerie" als Ort zu besetzen und die Diskussion über Migrantinnen in der Kulturarbeit zu fördern, gehörten zu den ursprünglichen Zielen. Die erste Ausstellung im Kunstraum Goethestrasse in Linz wurde als Eröffnung mit anschließendem Fest mit großem Buffet und Musik geplant. Zu diesem Ereignis sprachen mehrere Teilnehmerinnen (zum Teil) in ihrer Muttersprache mit deutscher Übersetzung, und es gab einige informelle Führungen mit den "Künstlerinnen" durch ihre Werke, was wiederum für Diskussion, Auseinandersetzung und ein Ernstnehmen ihre Stadtpläne sorgte. Der gesamte Workshop, die Diskussionen, usw. wurden dokumentiert und als Dias, Video und Fotos in die Ausstellung integriert. So konnten auch die Autorinnenschaft, sowie die Rroduktionsbedingungen für die Stadtpläne sichtbar gemacht werden. Als Akteurinnen, Künstlerinnen, Sprecherinnen, Teilnehmerinnen, usw. konnten die Migrantinnen ihre Ideen, Positionierungen und ihr Können einbringen. Verstärktes Selbstbewusstsein und Abbau von Zugangsbarrieren z.B. zu Kunstgalerien für die beteiligten Migrantinnen wurden als Erfolge verzeichnet.

Eine abschließende Überlegung durch die Erfahrungen war: Reicht eine zweidimensionale Darstellung auf Stadtpläne um die Komplexität des Themas "Migrantinnen im öffentlichen Raum" öffentlich zur Diskussion zu stellen?

Im ursprünglichen Konzept war vorgesehen, zuerst einen gemeinsamen (größeren) Stadtplan zu erarbeiten, in den jede ihre Ideen und Überlegungen einbringt. Als zweiter Schritt sollte im Zuge der gemeinsamen inhaltlichen Diskussion vom kollektiven Arbeiten zu einer eigenen (individuellen) Stadtplan-Intervention übergeleitet werden. So könnten Teilnehmerinnen ihrer Fantasie freien Lauf lassen und ihre Städte konzipieren.

Aber: gemeinsam in einem kleinen Raum unweit vom Hauptplatz in der Altstadt von Linz wurde im Workshop klar, dass eine Umsetzung unserer Wünsche im öffentlichen Raum eine zusätzliche Form bräuchte. Wir formulierten Veränderungsvorschläge, schrieben sie auf A2 Plakate, und gingen direkt zu diesen Plätzen mit der Videokamera und mit einem Fotoapparat. So entstand eine Reihe von zusätzlichen Schauplätzen und eine kleine, relativ unaufwendige Aktion im öffentlichen Raum, die aber sehrwohl für Aufmerksamkeit sorgte. So konnten unsere Wünsche dort platziert werden, wo sie (teilweise) hin gehören; sie wurden dokumentarisch festgehalten, von anderen PassantInnen wahrgenommen und schließlich noch als gesamte Reihe in der Ausstellung im Kontext der Stadtpläne präsentiert.

Interessierte Frauen innerhalb der Gruppe bedienten die Videokamera, und arbeiteten an der (Gestaltung und dem Inhalt der) Dokumentation des Projektes aktiv mit. Das Video diente unter anderem dazu, den Prozess zu dokumentieren (work-in-progress) und den Zusammenhang der Aktion im öffentlichen Raum, die Herstellung der Plakate und Stadtpläne sowie den Diskussionsverlauf herzustellen.

Ein Ausblick auf weitere Kartografische Eingriffe: die Umsetzung wurde nach dieser ersten Probe auf die jeweilige Gruppe angepasst und immer auch mit den Teilnehmerinnen abgestimmt. Die fixen Bestandteile Workshop, Diskussion, Produktion, öffentliche Präsentation und Diskussion blieben. Im Frühjahr 2004 wird sogar ein Projekt Kartografische Eingriffe mit Migrantinnen in London durchgeführt, das Konzept dafür wird ebenfalls in Absprache mit den Teilnehmerinnen und deren Bedingungen, Themen und Interessen gemeinsam im Detail erarbeitet.

 

© Erika Doucette (Kulturarbeiterin, Wien)


ANMERKUNGEN

(1) MAIZ Konzept Kartografische Eingriffe 2000.

(2) Das Projektkonzept wurde für junge MigrantInnen adaptiert, wo diese Gruppe im September 2001 ihre kartografische Arbeit in der MAIZ Schaufenstergalerie in Linz ausstellte. Eine weitere elektronische Adaptation (Eingriffe per Computer, z.B. mit Photoshop, etc.) des Projektes fand in Linz 2003 statt. In Linz wurde das Projekt erstmals März 2000 im Kunstraum Goethestraße ausgestellt; in Innsbruck wurde der Workshop mit Brasilianerinnen durchgeführt und als Teil einer Gruppenausstellung zum Thema Urbanität in der Tiroler Landesgalerie August 2000 ausgestellt; in Steyr wurde das Projekt mit Dominikanerinnen im Kulturzentrum Röd@ Dezember 2000 verwirklicht.

(3) MAIZ "Kulturpreis Initiative Kulturarbeit" 2000, 59.

(4) Vgl. MAIZ Konzept Kartografische Eingriffe 2000, 2.


5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation

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For quotation purposes:
Erika Doucette (Kulturarbeiterin, Wien): Kartografische Eingriffe. Grundsätzliches, Erfahrungen und Ausblick auf das gesellschaftspolitische Kulturprojekt von MAIZ . In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_14/doucette15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 3.4.2004     INST