Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. April 2004
 

5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Monika Leisch-Kiesl (Linz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


"Künstlerische Positionen im Zwischenraum"

Johanna Schwanberg (Kunst- und Literaturwissenschafterin, Wien / Linz)

 

Menschen, die sich schwimmend ans Ufer zu retten versuchen. Menschen, die in Lastwägen beim illegalen Schmuggel über die Grenze ersticken, verhungern oder erfrieren. Menschen, die in Zelten auf engstem Raume hausen, in der Hoffnung auf eine neue Heimat. Alles Bilder, die aus den Medien bekannt sind. Denn illegale Migration, gekoppelt mit Menschenschmuggel und Menschenhandel, ist eines der gravierendsten Probleme, mit denen sich Europa derzeit konfrontiert sieht.

Die Öffentlichkeit wird stets anhand von konkreten Fällen mit illegaler Migration konfrontiert. Zeit für eine grundsätzliche Hinterfragung der Problematik bleibt keine. In der Kunst sieht dies ganz anders aus. Hier kann losgelöst vom tagespolitischen Geschehen die Frage nach dem "Warum" gestellt werden. Dass sich die zeitgenössische Kunst solch brisanten Themen auch tatsächlich stellt, ist spätestens seit der letzten Documenta deutlich geworden.

Die meisten KünstlerInnen, die derzeit zum Thema Migration arbeiten, bedienen sich dabei der Medien Fotografie und Video und einer Art dokumentarischen Sichtweise. Die gewählten Blickwinkel und künstlerischen Umsetzungen sind dennoch ganz unterschiedlich. So stellt Piet den Blanken in kontrastreichen Schwarzweiß-Fotografien die Menschen ins Zentrum seiner Bilder. Er zeigt Situationen, die normalerweise von den jeweiligen Regierungen lieber ausgeblendet werden: Illegale Einwanderer in Gefängniszellen, während der Verhaftung bei der versuchten Einreise oder beim Übernachten im Freien (Abb. 1).

Abb.1: Piet den Blanken, Festung Europa, 2002

Ganz anders sehen die Farbfotos von Jacqueline Salmon aus: Hier werden die Menschen bewusst ausgespart. In der Fotoserie "Le Hangar" lenkt Salmon den Blick der Besucher auf die "architektonische" Situation von Flüchtlingen. Was wir zu sehen bekommen, sind menschleere, verschlossene Zelte und verlassene Notbetten in Lagerhallen (Abb. 2).

Abb. 2: Jacqueline Salmon, Le Hangar, 2001

Die "Schauplätze ohne Akteure" sind gerade aufgrund ihre Menschenleere berührend. Eine andere Art der Darstellung findet man in der erzählerisch ausgerichteten Video-Installation "From the Other Side - An der Grenze des Niemandsland" der belgischen Künstlerin Chantal Akerman. Auf 18 Monitoren werden verschiedene Phasen des Menschenschmuggels über die mexikanisch-amerikanische Grenze in einem gleichzeitigen Nebeneinander aufgezeigt (Abb. 3). So erfährt man auf einem Bildschirm etwas über die Herkunft und Motive der Migrationswilligen, auf einem anderen sieht man, wie die Reise meist endet: mit Festnahme und Deportation durch die Grenzpatrouille.

Abb.3: Chantal Akerman, From the Other Side

Bei all den künstlerischen Positionen zu einem derart sensiblen Thema wie Migration bleibt die Frage, ob nicht durch die künstlerische Umsetzung eine Ästhetisierung des tatsächlichen Leides stattfindet. Künstler wie Betrachter müssen sich mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, sie bedienen sich eines voyeuristischen Blicks. Denn: Können Künstler, die selbst keine Migranten sind, überhaupt eine derartige Problematik adäquat darstellen? Und außerdem: Delektieren wir uns als Betrachter nicht auch ein wenig an den Gestrandeten - wie sie etwa Ad van Denderen in einer hyperästhetischen Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt (Abb. 4)?

Abb.4: Ad van Denderen, Go No Go

Einer solchen Problematik der Ästhetisierung durch das "schöne Bild" entgehen Arbeiten wie Ingrid Simons Foto-Text-Kombinationen "Present Continuous". Fotos von Landschaftsbildern mit einzelnen Kleidungsstücken, die Migranten bei der Flucht verloren haben, koppelt Simon mit Textsplittern aus Englischsprachbüchern (Abb. 5). Durch die Gegenüberstellung von Texten, die ironisch auf einen englischsprachigen Neubeginn in der westlichen Welt anspielen, und den Fotos mit Spuren der Flucht schafft Simon für den Betrachter eine Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten. Eine zu eindeutige, womöglich mitleidserweckende Lesart, bleibt aus.

Abb.5: Ingrid Simon, Present Continous, 2000

Die in Österreich lebende Lisl Ponger soll hier beispielhaft gebracht werden, um zu verdeutlichen, wie wesentlich künstlerische Statements im Bemühen der Gesellschaft um das "Verbindende der Kulturen" sein können. Pongers Arbeiten wie "Fremdes Wien", "Xenographische Ansichten", "déjà vu" oder "Gone Native" setzen sich in seltener Direktheit mit dem westlichen oder postkolonialistischen Blickwinkel auf das/den/die Fremde auseinander, wobei vor allem die "Fälschung" des vermeintlich realistischen Fotos für Ponger ein Thema ist (Abb. 6).

Abb.6: Lisl Ponger, Die Papua, aus "Xenographsiche Ansichten", 1995

Die 1947 in Nürnberg geborene Künstlerin befasst sich seit mehr als einem Jahrzehnt konsequent mit Fragen der Migration, der Integration von Fremden und den Auswirkungen der Globalisierung. Ponger zeigt aber nicht bloß Missstände in bezug auf den Umgang mit Minderheiten dokumentarisch auf. Vielmehr hinterfragt sie in Fotoserien der letzten Jahre höchst subtil und vielschichtig unseren westlichen, postkolonialen Blick auf Fremde und Fremdes. In der großformatigen Fotoarbeit "Gone Native" aus dem Jahr 2000 sehen wir die Künstlerin im Ethnogewand neben einem Afrikaner sitzen (Abb. 7). Es handelt sich dabei aber um keinen Menschen, sondern um eine Skulptur, ganz in der historischen Tradition der Mohren-Plastiken, die Jahrhunderte Bürgerhaushalte dekorierten. Ohne plakativ anzuklagen, werden hier in einem einzigen Foto der Umgang unserer Gesellschaft mit fremden Kulturen, die Ausbeutung außereuropäischer Ästhetik in Mode und Werbung und die Geschichte der Sklavenhalterei angesprochen.

Abb.7: Lisl Ponger, Gone Native, 2000

Eindrucksvoll zeigt der 2003 entstandene Film "Phantom Fremdes Wien" Lisl Pongers Umgang mit dem Thema: Leicht verschwommene, dunkle Bilder schwirren über die Leinwand. In einer raschen Abfolge wird der Zuschauer mit verschiedenen Kulturen und deren Lebensweise konfrontiert. Zu sehen sind Aufnahmen von einer türkischen Doppelhochzeit, von einem Ramadanfrühstück im "Ägyptischen Klub", von einer Kimono-Ankleidezeremonie in einem japanischen "Haarsalon" (Abb. 8, 9). Untermalt werden die Szenen von Musik aus dem jeweiligen Kulturkreis. Aus dem Off ist eine Stimme zu hören. Es ist die Stimme der Wiener Film- und Fotokünstlerin Lisl Ponger. In ihrem Kommentar erinnert sich Ponger als subjektive Ich-Erzählerin an die Filmaufnahmen, sie reflektiert über die veränderte politische Situation seit der Entstehung des Rohmaterials, vor allem aber gibt sie Einblick in ihre Arbeits- und Denkweise. So bietet Ponger dem Betrachter ironisch mehrere Schlussszenen zur Auswahl an. Sie hinterfragt die Absolutheit des einzelnen Bildes - und macht deutlich, wie relativ der jeweilige, künstlerische Blickwinkel ist.

Abb.8: Lisl Ponger, Ramadanfrühstück im Ägyptischen Klub, aus "Fremdes Wien", 1991-92/2003 Abb.9: Lisl Ponger, Haarsalon Masayo, aus "Fremdes Wien", 1991-92/2003

Die Entstehung des Films "Phantom Fremdes Wien" entstand auf Initiative des Wien Museums, das Lisl Ponger einlud, ihr "Fremdes Wien" von 1991 und 1992 nochmals zu besuchen. Anfang der 90er Jahre hat Lisl Ponger eine multikulturelle Weltreise unternommen und zugleich Wien nie verlassen. Mit einer Super-8-Kamera ausgerüstet, besuchte sie Hochzeiten, Feste, Zusammenkünfte, Arbeitsplätze von MigrantInnen in Wien. Sie zeigte auf, was öffentlich nie sichtbar wird und meinte damals: "Die Stadt ist wie ein Bergwerk, auf der Straße erkennt man relativ wenig davon. Vieles spielt sich im Verborgenen ab, du gehst in einen Hinterhof, in einen Keller und kommst plötzlich irgendwo an." Pongers künstlerische Recherche wurde der Öffentlichkeit damals als Buch und in Form von Ausstellungen mit Filmstills präsentiert. Dass sie ihre eigene Arbeit mehr als zehn Jahre später noch einmal einer Revision unterzieht, zeugt nicht nur davon, dass Lisl Ponger eine der reflektiertesten Künstlerinnen dieses Landes ist, die nicht zu unrecht vor zwei Jahren auf der Documenta vertreten war und vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde.

Ponger selbst hat vor allem politische Motive für die Hinterfragung ihrer damaligen Recherche: "Was sich damals als neu zu entdeckendes Terrain darstellte, ein 'fremdes Wien' mit seinen Minoritäten bei Hochzeitsfeiern, religiösen Festen oder Nationalfeiertagen, ist heute ein nicht mehr zeitgemäßer Blick. Die Definition der Minderheitsösterreicher nur über ihre Kultur, ihre Folklore und ihr Essen genügt in einer Zeit verschärfter Asylgesetze und staatlich verordneter Deutschkurse nicht mehr", so Lisl Ponger.

In neuen Arbeiten beschäftigt Lisl Ponger sich unter dem Übergriff "If I was ... today" (Emil Nolde, Man Ray, Michel Leiris, Leni Riefenstahl) mit der Frage, wie der westliche Künstler sich 'exotischen' Umgebungen nähert und wie Bildfindungen in diesem Zusammenhang entstehen und gelesen werden können. Sie ironisiert ihre eigene Position als westliche weiße Künstlerin.

Wenn es Kunst gelingt, soviel zum "Verbindenden" oder "Trennenden" der Kulturen auszusagen und zugleich die Kunstgeschichte kritisch zu hinterfragen, dann werden alle Zweifel an der gesellschaftspolitischen Relevanz von Kunst obsolet.

 

© Johanna Schwanberg (Kunst- und Literaturwissenschafterin, Wien / Linz)

5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation

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For quotation purposes:
Johanna Schwanberg (Kunst- und Literaturwissenschafterin, Wien / Linz): "Künstlerische Positionen im Zwischenraum" . In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_14/schwanberg15.htm

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