Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Dezember 2005
 

5.16. Apocalypse Now? Eschatologische Tendenzen in der Gegenwartsliteratur
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Gregor Thuswaldner (Gordon College Wenham, Massachusetts)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


"Die Zukunft auch der belebtesten Landschaft heißt Wüste"

Zum Endzeittopos und seinen Implikationen im Werk von Christoph Ransmayr unter Berücksichtigung komplementärer Arbeiten Anselm Kiefers

Markus Oliver Spitz (Exeter M.O.)

 

In the novels as well as in the journalistic writings of Christoph Ransmayr, criticism of reason, of progress, and of civilisation feature throughout. The drastic depictions of the decline of ‘wolf-like’ mankind incapable of learning from experience have lead to the application of the word ‘apocalyptic’ to the texts. Here, however, the main task set is to analyse how Ransmayr turns to myth as the counterpart of reason in order to deconstruct alleged certainties of modernity. In that respect, the Austrian - just like the German painter Anselm Kiefer - remains part of the train of thought established by the Enlightenment.

Wiederholt verweist Christoph Ransmayrs Werk auf den "vernichtende[n] Lauf der Zeit", den "Schwund der Welt", gegenüber welchen sich die Menschheit mitsamt ihren kulturellen Artefakten insignifikant ausnimmt.(1) Die Metamorphose, aber auch die stückweise wieder an das Meer zurückfallende Hallig (vgl. DWNS 9-27) oder auch ein verdampftes Meer (vgl. MK 304) dienen hierfür als Metapher. Der Topos der Apokalypse als Vehikel von Vernunft-, Fortschritts- und Zivilisationskritik kann also als ein (wenn nicht der wesentliche) Baustein der Ransmayrschen Ästhetik verstanden werden. Es empfiehlt sich jedoch, beim Umgang mit dem Begriff "Apokalypse" eine gewisse Vorsicht walten zu lassen. Wie Holger Mosebach ausführt, ist für jenen traditionell bezeichnend, dass der Zerstörung ein Wiederaufbau folgt, sich an das zerstörte Alte die Verheißung des besseren Neuen anschließt. Ransmayr ist jedoch diese Heilsgewissheit apokalyptischen Denkens abhanden gekommen. Seine Darstellungen sind daher, so Mosebach in Anlehnung an Klaus Vondung, "kupiert", d.h. eine um jene positive Komponente geschrumpfte Schwundstufe. Die "Errichtung der neuen, vollkommenen Welt, die früher dem Untergang Sinn und Ziel verlieh, hat sich verflüchtigt",(2) statt dessen bleibt "[a]m Ende (...) doch nur die Wüste" (MK 279). In Anbetracht der Tatsache, dass für Ransmayr das unausweichliche Ende bereits begonnen hat, verwendet Mosebach den Terminus der "Endzeitvision", welcher sich bei der Applikation auf Ransmayrs Werk aus dem genannten Grund als präziser denn derjenige der "Apokalypse" erweist und daher auch hier Verwendung finden soll.

Bereits in Ransmayrs frühem, zuerst 1982 veröffentlichten Werk Strahlender Untergang lässt sich eine ausgeprägte Affinität zu besagtem Endzeittopos nachweisen. Jener Text schildert ein "Entwässerungsprojekt" der besonderen Art: Im Tanezrouft, einer extrem unwirtlichen Wüstengegend im südlichen Algerien, wird ein Proband in einem speziell angelegten Terrarium der Sonnenstrahlung ausgesetzt. Während seine eigene Motivation darin besteht, durch den Dehydrierungsprozess "Schmerzfreiheit" und "Denkstopp" zu erlangen, steht für die das Projekt leitenden Wissenschaftler die "gefestigte Einsicht" im Vordergrund, die Menschheit sei zum Untergang prädisponiert (SU 54, 43). Das in diesem Zusammenhang zu erwartende Chaos sei daher nur vermittels einer "Organisation des Verschwindens" zu verhindern und müsse folglich im Experiment antizipiert werden (SU 21, vgl. auch MK 386).

In Die Schrecken des Eises und der Finsternis findet derartige Fortschritts- und Zivilisationskritik ihren Ausdruck in einer minutiösen Auflistung von Expeditionen ins nördliche Eis, betitelt "Chronik des Scheiterns". Die Besatzung der "k.u.k. österreichisch-ungarischen Nordpolarexpedition" von 1872 entgeht nur durch eine glückliche Wendung einem Eintrag in jene Liste. Das partikuläre Unterfangen, Territorien zu benennen und sie dadurch für den Kaiser zu reklamieren, erscheint im Roman gegenüber der Totalität der Wirkungsmacht der Natur als schiere Vermessenheit.

In Die letzte Welt wird der Leser mit der Parabel vom Ameisenstaat auf Aegina als Illustration der Ablösung der Menschheit durch die Natur konfrontiert, während es in Morbus Kitahara der Mensch ist, welcher durch seine schiere Existenz den "Keim eines Übels" (MK 305) in eben jene legt, von welchem sie sich erst wieder erholt, nachdem der Verursacher aus ihr verschwunden ist.

Wiederholt offenbart sich, insbesondere in Morbus Kitahara, die Unfähigkeit des Menschen bzw. dessen fehlender Wille, aus der Geschichte zu lernen, als Erklärungsmuster für diese durchgehende, endzeitliche Thematik. Vor diesem Hintergrund erweist sich das intellektuelle Modell der Aufklärung wenn schon nicht als gescheitert, so doch als hochgradig der Modifizierung bedürftig. Wie sein Kollege Grass ist sich auch Ransmayr der Tatsache bewusst, dass die "Kinder" der Aufklärung dieser zwar verbunden bleiben, aber auch Einsicht in die Fehlentwicklungen demonstrieren und diese zu reformieren trachten müssen.

Man könnte sich allerdings die Frage stellen, ob Ransmayr in seinen endzeitlichen, fiktionalen Modellen zwar nicht Esoterik, aber doch mythisches gegenüber rationalem Denken aufwerte. Wie bereits von Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung dargelegt, schlägt Aufklärung in Mythos zurück, wenn sie an dessen Stelle verabsolutiert wird. Die Auffassung vom Mythos als Gegenpol zur Vernunft hat sich trotz universaler technischer wie intellektueller Rationalisierungsprozesse (oder vielmehr gerade aufgrund dieser) bis in die Gegenwart gehalten. Während die Aufklärung noch anstrebte, den Mythos von Wahrheit und Objektivität zu trennen und jenen daher scharf bekämpfte, ist bereits im Idealismus frühzeitig auf die zentrale Bedeutung von Mythemen im Bereich der Kunst hingewiesen worden. Für Friedrich Schelling z.B. stellte der Mythos als universales, "organisches Erzeugniß"(3) und ursprünglich religiös motivierte Erzählung gar die Grundlage der Poesie und der Philosophie dar, und auch Friedrich Schlegel betonte den Konnex zwischen den Bereichen Mythos und Ästhetik, hielt die Mythologie für den "Mittelpunkt" der griechisch-römischen Kultur(4) und setzte Poesie und Mythologie in eins. Bis in die heutige Zeit wird Kunst vielfach immer noch als Agens gegen die Verdinglichung der Lebenswelt begriffen und der (Ästhetik-) Mythos im Zuge dessen gegen die "bürgerliche" Gesellschaft und ihre Proklamation von "Vernunft und Vernunftherrschaft" gewendet.(5) Ihm wird ein "Wahrheitsgehalt (...) eines gleichsam noch gestaltlosen Denkens" zugesprochen, welches heute vielfach zwar als unangemessen, da irrational wahrgenommen wird, aber nichtsdestotrotz die Grundlage für eine "neue Mythologie" bilden könne,(6) deren Ziel die Etablierung eines zur Verdinglichung alternativen Denkens ist.

Bei den Reportagen und Romanen Ransmayrs fällt jedoch in diesem Zusammenhang auf, dass ihnen eine vornehmlich durch ihre Negativität und Endzeitlichkeit charakterisierte Auswahl an Mythen zugrunde liegt: Statt der "gesellschaftsstiftenden Elemente des Mythos" betonen sie "eher die auflösenden und archaischen".(7) Nicht dessen "heilende Funktion"(8) - um einen Ausdruck von Paul K. Kurz zu benutzen -, welche den Menschen mit seinem Ursprung zu versöhnen trachtet, steht bei dem Werk im Vordergrund, sondern die pessimistische, warnende. Letzten Endes findet Ransmayr im Mythos (s)ein Modell für die endzeitvisionäre Veranschaulichung einer entropischen, vom Menschen entleerten Welt. Wenn der Mythos als Erzählung auf Wirklichkeit rekurriert und insofern ein Modell der Wirklichkeit repräsentiert,(9) mit Ransmayrs erzähltheoretischer Aussage von der "Erfindung der Wirklichkeit" korrespondiert,(10) so steht für diesen Autor fest, dass Mytheme immer auch im Kontext unserer durch historische wie zukünftige Katastrophen geprägten Lebenswelt zu verorten sind. Durch die Dekonstruktion bestimmter Mystifizierungen gelangt hierbei jedoch, ähnlich wie bei Anselm Kiefer, ein durchaus als modern zu bezeichnender aufklärerischer Impetus sozusagen durch die Hintertür zurück ins Werk, ist Ausdruck der "tension and interaction between reason and myth".(11) Für Die letzte Welt beispielsweise postuliert Kurt Bartsch,

daß dieser Roman an der Destruktion irrationaler Mythisierungen, modischen apokalyptischen Denkens arbeitet, und zwar durch Bezug auf Mythen (...). Eine mythische Denkform kann solcherart zu einer aufklärenden, d.h. Herrschaft entzaubernden und furchtmindernden werden.(12)

Mein Beitrag unternimmt es, Strukturen und Implikationen des Endzeittopos im Werk Ransmayrs aufzudecken und dabei denkverwandte Ansätze in ausgewählten Arbeiten Anselm Kiefers zur Unterstützung der Befunde heranzuziehen. Seine Rechtfertigung erfährt dieser vergleichende Ansatz zum einen dadurch, dass der Essay des Österreichers, Der Ungeborene, dezidiert auf Werke Kiefers rekurriert. Zum anderen sind intertextuelle Einflüsse Kiefers auf Ransmayr insbesondere in Morbus Kitahara nachweisbar.

 

Strahlender Untergang

Gegenstand dieser Publikation, zuerst veröffentlicht im Jahre 1982, ist ein wissenschaftliches Projekt, dessen Natur scheinbar paradoxe Züge trägt: Ein Areal von etwa siebzig Quadratkilometern, "Terrarium" genannt (SU 38), wird eingeebnet und mit einer meterhohen Aluminiumwand von der Umgebung abgeschottet. Sonneneinstrahlung, Lufttemperatur und -feuchtigkeit sind exakt so beschaffen, dass sie in kürzester Zeit zum Tod führen. In dieses feindliche Biotop wird ein circa vierzigjähriger Europäer ausgesetzt, um als Proband einer "Neuen Wissenschaft" (SU 16) zu dienen, welche sich nicht mehr den traditionellen Kriterien der Exaktheit und Überprüfbarkeit verschrieben hat, sondern einzig und allein eine Zukunft ohne Menschen vorwegzunehmen intendiert. Diese "Neue Wissenschaft" diskutiert nicht, sondern setzt, wie bereits angedeutet, kompromisslos das in die Wirklichkeit um, was sie als "gefestigte Einsicht" (SU 43) erkannt hat: den unvermeidbaren Untergang der menschlichen Zivilisation.

Im zweiten Teil des Textes, mit dem an Brecht gemahnenden Titel "Lob des Projekts" versehen, rechtfertigt denn auch der Projektleiter das Vorhaben gegenüber einer akademischen Delegation wie folgt (SU 17):

[I]ch bitte Sie zu bedenken,
daß die Zukunft auch der
belebtesten Landschaft
Wüste
heißt;
Die Zukunft
auch der schroffsten Erhebung
Ebene,
und die Zukunft
selbst der bizarrsten Existenzen
(...)
Verschwinden.

Festzuhalten ist an dieser Stelle zunächst, dass der Begriff des Individuums keineswegs, wie in der Postmoderne handelsüblich, ad acta gelegt, jedoch stark relativiert wird. Der alternative Untertitel von Strahlender Untergang, "Die Entdeckung des Wesentlichen", weist in genau diese Richtung, nämlich auf die Notwendigkeit, die Fragilität des Menschen und seiner Stellung innerhalb der Schöpfung zu erkennen und für sich anzunehmen.

Der Anspruch des Menschen auf die Herrschaft über den Planeten, so doziert der Projektleiter weiter, habe sich aufgrund der Vernachlässigung der Bedeutung der Natur als utopisch erwiesen, der "Herr der Welt" (SU 22), ursprünglich lediglich ein "Vieh" (SU 28), ein "aufgerichtete[s] wäßriges[s] Wesen" (SU 29), vermag daher "seine einzige und wahre Zukunft, / ja sich selbst, / offensichtlich erst im Terrarium / wiederzuerkennen" (SU 22). Wissenschaft, wie sie bisher betrieben worden sei, habe in die Irre gesteuert: die Naturwissenschaften hätten einen blinden Fortschrittsglauben erzeugt, die Geisteswissenschaften ein "Konglomerat / blöder Rätsel und Fragen" geschaffen (SU 19). Daher sei es Ziel des Projektes, den Probanden zu entwässern und dadurch den Blick auf das Wesentliche, die eigene Identität freizumachen, damit der Mensch "zum erstenmal Ich sagen kann (...) / Ich, / und dann nichts mehr" (SU 36). Diese "Entdeckung" ist die zweite und entscheidende Implikation des zweiten Teils des Untertitels.

Der Zivilisationsprozess (oder besser: der Mythos der Zivilisation) sei, so setzt der "Neue Wissenschaftler" fort, mit tiefgreifenden Ansprüchen vorangetrieben worden, habe aber lediglich äußerst bescheidene und letztlich insignifikante Ergebnisse erzielt. So würden die Toten nicht mehr wie im Tierreich verzehrt, sondern mit Steinen und Erdreich bestattet - ein in den Augen des Projektleiters kaum minder archaisches Ritual, für das er lediglich einen ironischen Kommentar erübrigen kann (vgl. SU 30). Nach seiner Meinung ist der Versuch, durch Rituale allgemein Ordnung in das den Menschen umgebende Chaos zu bringen, letztendlich daran gescheitert, dass dieser blinde Herrschaft ausgeübt und verständnislose Verwüstung betrieben, dabei aber gleichzeitig den Anspruch erhoben habe, sich in die Zukunft zu projizieren, was einen unauflösbaren Widerspruch darstelle.

Der vierte und letzte Abschnitt behandelt die Reflexionen des Probanden innerhalb des Terrariums. Für ihn zählen, gleichfalls wie gesehen, allein "Schmerzfreiheit" und "Denkstopp" durch einen schnell eintretenden Tod (SU 54). Die Vertreter der "Neuen Wissenschaft" sind für ihn "Idioten", bestenfalls "Fanatiker" (SU 49), deren Theorien die Masse in ihrem Streben nach Anleitung blind folgt: Man schreibt sich in die verteilten Namenslisten für die Terrarien ein, die Städte leeren sich und werden schließlich selbst zu neuen Terrarien eingeebnet - ein Arbeitsprozess, der dann von "Automaten" ausgeführt wird (SU 49). Der Proband erfährt den "allesumfassende[n] Verlust" (SU 58). Er erkennt eine übergreifende Gemeinsamkeit zwischen sich und der Schöpfung, imaginiert sich gleichermaßen als Schlachter wie als Schlachttier, als Täter und Opfer, bevor Koma und Tod eintreten (vgl. SU 60f). Das Ziel des Projekts, die "Selbstabschaffung des Menschen",(13) hat sich, so gesehen, erfüllt. In dieser Hinsicht bietet der Titel eine letzte Doppeldeutigkeit: Rekurriert wird auf die Sonnenstrahlung, aber in paradoxer und ironisierender Manier auch auf den "strahlenden" Abgang der hoffärtigen Spezies Mensch.

Strahlender Untergang schildert diese Vorkommnisse in einer nüchtern-lakonischen Sprache. Dem Leser, welcher zunächst meint, es handle sich um einen als Parabel auf eine irrsinnig gewordene Wissenschaft zu lesenden Text, wird schnell deutlich, dass dieses Projekt durchaus ernst gemeint ist: Das "Terrarium" ohne Menschen ist der letzte Schluss der menschlichen Vernunft. Die Verwüstung, welche der Mensch betrieben hat, schlägt auf ihn selbst zurück, und die Automation, welche implizit auf die kapitalistischen Prinzipien der Rationalisierung und der Effizienz verweist, hat eine Form der Entfremdung hervorgebracht, angesichts derer das Individuum nur im Moment seines Ablebens noch "Ich" sagen, also sein Selbst definieren kann. Von Ransmayrs Standpunkt erscheint eine solche Welt ohne Menschen nicht schlichtweg als Katastrophe, sondern zunächst einmal als eine potentielle Möglichkeit von vielen und stellt schließlich den unvermeidlichen Kulminationspunkt aller menschlichen Bemühungen dar. Ransmayr selbst hat diese Auffassung wiederholt im Interview einerseits bestätigt und andererseits radikalisiert:

Die vom Homo sapiens entleerte Erde [muss] ja nicht unbedingt die apokalyptische, atomar verseuchte Wüste sein. Was aber ist so schrecklich an einer wuchernden, blühenden Wüste ohne uns?(14)

Die durch das Wort "entleeren" geweckte Assoziation legt dabei nahe, dass das Verschwinden des Menschen geradezu den Nährboden des natürlichen Wachstums darstelle - eine Aussage, wie sie sich übrigens auch aus dem Eingangskapitel von Morbus Kitahara erschließen lässt, wenn die beiden Protagonisten Ambras und Bering als Tote umgehend in den Nahrungskreislauf der Natur integriert werden. Das Oxymoron "blühende Wüste" des Zitats hingegen unterstreicht anschaulich, wie was aus der Humanperspektive als Wüste erscheint, als Positivum wahrgenommen werden kann. Auch in der Preisrede Fatehpur Oder die Siegesstadt wird die Vorstellung einer Leere "wie am Anfang der Zeit" als durchaus paradiesisch gezeichnet (DWNS 234). Im Interview mit Paul Jandl stellt Ransmayr jedoch klar:

Ich bin nicht vernarrt in Untergangsszenarien, es ging mir auch nie bloß um die Vorstellung, wie eine Welt ohne Menschen aussieht, nie bloß um jenen seltsamen Frieden, nachdem alles vorbei und ausgestanden ist. Aber die Welt ohne Menschen entspricht einem Zustand, der die längste Zeit auf diesem Planeten geherrscht hat.(15)

In Strahlender Untergang steht am Ende jedoch nicht einmal mehr eine blühende Wüste, sondern nur noch Wüste (nebst Robotern). Ein Topos der Ökologiebewegung, die ursprüngliche und unkontrollierbar wuchernde Natur (Green Desert), ist auf das entropische Minimum reduziert. Insbesondere aufgrund dieser Totalität ist Ransmayrs Text im Kontext der existentiellen Ängste der achtziger Jahre zu lesen.

 

Die Schrecken des Eises und der Finsternis

Diese endzeitthematische Thematik hat auch im 1984 publizierten Romandebüt Ransmayrs ihren Ort, wo sich als "zweiter Exkurs" ein "Formblatt aus der Chronik des Scheiterns" findet, welches minutiös sämtliche Bemühungen der Polarforscher um die Entdeckung verschiedener Routen durch das Eis sowie deren deprimierende Ergebnisse auflistet (DSDE 92f). Die Weyprecht-Payer-Expedition von 1872, nominell insofern erfolgreich, als der 82. Breitengrad überschritten und einige Archipele neu entdeckt wurden, erscheint Weyprecht selbst im Rückblick als der falsche Weg. Er sieht, dass die Polarforschung durch die sich abzeichnende Hatz auf die Pole zu einem "sinnlosen Opferspiel" verkommen ist (DSDE 263), an dessen Aufkommen er sich eine Mitschuld zuschreibt. Dies verdeutlicht ein in den Text montiertes Originalzitat Weyprechts (DSDE 264):

Indem ich diese Principien öffentlich ausspreche, klage ich mich selbst an und breche den Stab über den größten Theil meiner eigenen, mit harter Arbeit erkauften Resultate.

Der Bericht des Chronisten bilanziert sodann die Ergebnisse dieser Bemühungen, und die Bilanz steht in einem negativen Verhältnis zu dem betriebenen Aufwand. Die Natur zeigt sich letzten Endes von den zivilisatorischen und ästhetischen Bestrebungen des Menschen unbeeindruckt, ihre Gesetze walten "unbewußt ihrer Schrecken" (DSDE 114) und bewahren ihre Gültigkeit und Bedeutung, zu welchen der Mensch im Vergleich dann tatsächlich als ein sich weit überschätzendes "wäßriges Wesen" erscheint: "Die Schiffe versanken. Die Chronisten schrieben. Der arktischen Welt war es gleich" (DSDE 50).

Der Chronist macht sich sodann Weyprechts Sicht zu Eigen, dass hektischer Aktionismus der Erreichung eines langfristigen Ziels eher hinder- als förderlich ist. Man solle, so seine Argumentation, nicht vergessen, dass der Mensch, evolutionsbiologisch betrachtet, ein Fußgänger sei und der zunehmenden Beschleunigung unserer Lebenszeit daher eine individuelle Verlangsamungstaktik entgegensetzen (vgl. DSDE 9). Auch aufgrund der herausgehobenen Positionierung am Anfang des Textes stellt dieser Kontrast von Geschwindigkeit und Langsamkeit ein zentrales Motiv des Romans dar. Das Plä doyer fü r Langsamkeit als eine die Beobachtung schärfende, ja lebensrettende Eigenschaft findet sich bereits in einem weiteren Roman der achtziger Jahre in Gänze ausgebreitet, Nadolnys Die Entdeckung der Langsamkeit. Während der unter seinem Kommando stehenden Nordpol-Expedition von 1845-1847 verliert Nadolnys historisch belegter Protagonist, John Franklin, niemals Zeit, gerade weil er so langsam ist (vgl. 103). Für ihn gilt: "Langsamkeit kam zu Ehren, Schnelligkeit stand zu Diensten" (193), und sein Kampf gilt der "‘fatale[n] Beschleunigung des Zeitalters’" (208), ist "Kampf gegen unnötige Beschleunigung" (339).

In Die Schrecken des Eises und der Finsternis hingegen ist es Julius Payer, welcher für diese Beschleunigung steht. Selbst angespornt von unbändigem Ehrgeiz, treibt der "Expeditions-Kommandant zu Lande" die Crew immer weiter voran und geht dabei bis an die Grenze der physischen wie psychischen Belastbarkeit. Indem Payer später prägnante Begebenheiten der Expedition auf seine Leinwände fixiert, scheint er vom Rausch der Geschwindigkeit geläutert. Der Chronist schließt mit der Deutung, der Erste Weltkrieg habe Payer die sozusagen strukturalistische Einsicht vermittelt, dass seine statische Eiswüste im Vergleich zu den Orten der Materialschlachten letztlich doch ein "Paradies" dargestellt habe (DSDE 273). Dies spielt auf die sich um den Nordpol rankenden Mythen an, wie z.B. das "Land jenseits des Nordwinds", die Heimat der Hyperboräer, wo sich nach Auffassung der alten Griechen der Nabel der Welt befand und stets ein angenehmes Klima herrschte. Darüber hinaus wollen moderne Esoteriker am 83. Breitengrad eine Öffnung zum Innern der Erde und darunter eine paradiesische "Hohlwelt" erkennen, welche zu unserer Welt parallel sei. Im Text wirkt die Anspielung auf diese Paradiese jedoch weit eher als Verstärker des Waffenlärms und der Schrecken des Weltkriegs, welche auch ein Ergebnis des technischen Fortschritts und der Beschleunigung repräsentieren, denn als begeisterte Schilderung der Eislandschaften im Norden. Im Gegensatz zur Dekonstruktion von profanen Fortschritts- und Geschwindigkeitsmythen lässt sich dem Roman eine Bejahung der esoterischen Verschleierung des Pols jedenfalls nicht entnehmen: "Was in den polaren Wüsten an Mythen zu zerstören war, ist mittlerweile zerstört" (DSDE 272); das Land ist "wüst und unzugänglich wie je" (DSDE 275).

 

Die letzte Welt

Auch dieser zweite Roman thematisiert die Domestizierung der Mythen und der Fantasie. Wenn jene von Augustus "zur Vernunft gebracht" werden (DLW 93), so zeitigt dies aber nicht nur das Umschlagen von Aufklärung in Totalitarismus im Sinne Horkheimers und Adornos, sondern ist gleichermaßen indexikalisches Zeichen für den Niedergang der menschlichen Zivilisation generell. Ransmayrs Naso deutet dies durch seine im "Stadion zu den sieben Zufluchten" gehaltene Rede an, wenn er anhand der Parabel des Ameisenstaates auf Aegina die Ablösung der durch eine Pestepidemie vollständig ausgelöschten Bevölkerung schildert (vgl. DLW 61-64). Was sich aber in Ovids Metamorphosen noch als von Jupiter gegebene Vergünstigung liest, mutiert in Die letzte Welt zu einem Szenario der Verwandlung des Individuums in einen Organismus aus dem, pointiert gesprochen, "Tier-Mensch-Übergangsfeld" der Biologie. In diesem Zusammenhang lohnt es sich in Erinnerung zu rufen, dass bereits Hegel in seiner Ästhetik bei der Betrachtung der Metamorphosen darauf verwiesen hat, wie "das Tierische und andere unorganische Formen zu einer Gestalt der Erniedrigung des Menschlichen" werden:(16)

[Das Ameisenvolk] war willig und ohne Fragen und folgte den neuen Herrschern, die von gleicher Herkunft waren, in die Triumphe wie das Elend der Zeit (...), in Kriege, Eroberungszüge und selbst ins Feuer; es war ein genügsames, starkes Volk, das zu einem Heer von Arbeitern wurde, wo Gräben zu ziehen, Mauern zu schleifen und Brücken zu schlagen waren; in Zeiten des Kampfes wurde dieses Volk zu Kriegern, in denen der Niederlage zu Sklaven und im Sieg zu Herren und blieb durch alle Verwandlungen doch beherrschbar wie kein anderes Geschlecht.

Hinter der vorgeblich unpolitischen Metamorphose verbirgt sich in Die letzte Welt also eine Aussage politischer Natur: Die römische Zivilisation, welche unserer in vielerlei Hinsicht gleicht, was durch die technischen Errungenschaften der Moderne, wie sie im Roman anachronistisch aufscheinen, unterstrichen wird, hat der zeitlosen Wahrheit des Mythos nichts intellektuell Gleichwertiges entgegen zu setzen. Der vom Leser zu vollziehende transponierende Denkschritt ist offensichtlich: Auch unsere gegenwärtige Zivilisation, die vermeintlich vernünftige westliche, wird vergehen, trägt bereits das "Wasserzeichen der Vergänglichkeit" (DLW 111, ähnlich 145).

Bei Tomi, im Roman als Gegenpol zu Rom gezeichnet, handelt es sich um einen "erloschenen Ort" (DLW 256), in dessen Schicksal sich geradezu emblematisch die "von der Zeit verwüstete Welt" (DLW 189) spiegelt. Ebenso wenig wie der Nordpol der Schrecken des Eises und der Finsternis taugt der Ort als alternatives Elysium: Tomi ist vielmehr eine "Stadt im Krieg" (DLW 245). Dies verweist auf die Auseinandersetzung der Bewohner mit der Natur, welche für Tomi allerdings nie und nimmer zu gewinnen ist. Der Verfall menschlicher kultureller Artefakte ist nicht aufzuhalten. Die "gleichgültige Küste" (DLW 161) ist größtenteils bereits der "unbeirrbar vorrückenden Natur" (DLW 219) anheim gefallen oder steckt inmitten ebendieses Prozesses. In dieser Lebenswelt ist alles Zarte und Weiche prädestiniert für die Auslöschung (vgl. DLW 227) und letztlich "der Tod doch alles" (DLW 266). Ähnlich endzeitlich, als "Mimesis an das Tote",(17) deutet Echo in Tomi die Schriften Nasos als Indikatoren des "Endes der wölfischen Menschheit" (DLW 162).(18) Man hat sich auf eine durch Abgestumpftheit motivierte Weise stoisch an immer neue Plagen und Umweltkatastrophen (vgl. DLW 120, 122 und passim) zu gewöhnen gelernt: "Was kam, verging" (DLW 259). Auch diese Perspektive ist dem Leser wohlvertraut: Sie ist charakteristisch für die resignative Distanz angesichts immer neuer (Umwelt-) Katastrophen.

Rom und Tomi stellen also zwei Facetten ein und derselben Welt, der letzten, dar, deren Bewohner sich vergeblich mit ihrer Projektion in die Zukunft abmühen. Wie die Tomier ist auch der moderne Mensch ein Wesen auf der Durchreise und wird lediglich aus Zufall an einen bestimmten Ort verschlagen. Das letztendliche Reisezielfür alle ist jedoch bereits vorgezeichnet: Auf das "eiserne Zeitalter" folgt die Vernichtung. Hier wird eine Parallele zur obigen Deutung von Strahlender Untergang deutlich, denn der "wölfischen" Spezies Mensch, im Krieg miteinander und mit der Natur, wird eine Zukunftsperspektive eindeutig nicht zugesprochen.

 

Morbus Kitahara und Der Ungeborene

Durchweg wurden in den bisher angesprochenen Texten (Rück-) Verwandlungen von Menschen (und den von ihnen hervorgebrachten Artefakten) in den Urzustand thematisiert. Auch Morbus Kitahara bildet hier keine Ausnahme: Der Moorer Bahndamm wird zu einem "nutzlosen Wall" (MK 34). Blut wird zu Sand (vgl. MK 59) und Straßen versumpfen (vgl. MK 417). Nach dem "Großen Krieg" ist alles ruiniert oder im Verfall begriffen. Die Rede ist von "Kraterlandschaften" (MK 16); Moor liegt als "verlorener Posten" (MK 63), als ein "Nichts" (MK 112) in einem "Niemandsland" (MK 16, 32 und passim), wo die Zeit stillsteht und gar rückwärts läuft. Dies gilt jedoch nicht nur für jenen Ort allein, sondern ganz Mitteleuropa ist (und bleibt) eine Ruinenlandschaft (vgl. MK 407). Es ist diese zivilisationskritische Sicht, welche Ransmayr durch die Rezeption von Hans Leberts Die Wolfshaut erneut vergegenwärtigt worden sein wird. Folgende Passage aus jenem Roman z.B. könnte bis in stilistische Einzelheiten wie Wortwahl und Syntax hinein auch aus einem Ransmayrschen Werk entnommen sein (W 171f):

[D]ie Zeit ließ die Geschöpfe altern, der Tod nahm ihnen das Leben weg, das Vergessen deckte sie zu: und man mußte noch froh sein, daß es so war. Die Tongefäße würden zerbrechen, in den Schiffsrümpfen würden die Fische laichen, und der Schädel von Regenwürmern bewohnt sein wie ein alter Blumentopf. Dann war es so, als sei man nie gewesen; jede Arbeit war letzten Endes vergeblich.

Der ohnehin in thematisch verwandten Romanen wie der Wolfshaut oder auch Alfred Kubins Die andere Seite bereits stark ausgeprägte Verfallstopos wird allerdings in Ransmayrs Romanen noch erweitert und überboten.

Der Titel des Essays Der Ungeborene enthält gleichfalls einen intertextuellen Verweis, hier auf Anselm Kiefers gleichnamiges Bild, welches die ungeborenen Kinder im Vergleich zur Anzahl der tatsächlich Geborenen und Verstorbenen als ein infinites Potential darstellt. In seinen jüngsten Werken, den "Sternenbildern", sind es auf die Leinwand geheftete Blei-Hemdchen, welche metonymisch für diese Kinder stehen.(19) Kiefer hat mit seinen Arbeiten - ganz wie Morbus Kitahara durch die Schilderung der Verdrängungsmentalität der Moorer Bevölkerung angesichts der von ihr begangenen Verbrechen - verschiedentlich das Erinnerungsvermögen des Betrachters herausgefordert, so z.B. durch Unternehmen Barbarossa (1975), ein Werk, das Originalphotographien der Invasion der Sowjetunion verwendet, welche mit Acrylfarbe, Leimöl und Kohle überarbeitet worden sind, oder auch durch Unternehmen Seelöwe (1981), welches Hitlers dilettantischen Plan zur Besetzung Englands dadurch ironisiert, dass es Kriegsschiffe in einer Badewanne situiert und durch diesen Rahmen geradezu an ein kindliches, militärisches Sandkastenspiel gemahnt.(20)

Derartige Ironie wurzelt nun jedoch weder in der Provokation um der Provokation willen noch in einem nihilistischen Impetus oder postmoderner Unverbindlichkeit, sondern vielmehr in einem gerade für Kiefers Frühwerk charakteristischen Zug zur Dekontextualisierung. Insbesondere Mythen, die von den Nationalsozialisten besetzt worden waren, hat Kiefer dabei zu dekonstruieren versucht.

Zweifellos hat der Österreicher im Hinblick auf die Themen Endzeit, Verwilderung und Mythos Gemeinsamkeiten zu Kiefer entdecken können. Dessen Nürnberg,(21) zum Beispiel, entstanden 1982, erscheint ähnlich versteppt wie der gleichnamige Ort in Morbus Kitahara. Der Titel des Kiefer-Bildbandes über euren Städten wird Gras wachsen ist gleichermaßen symbolisch und programmatisch aufzufassen: Alles vom Menschen Gemachte ist dem "allesvernichtenden, allesfressenden Lauf der Zeit" (DU 19, vgl. auch U 86) unterworfen. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Personendarstellung in Kiefers Werk. Wenn Personen überhaupt erscheinen, sind sie zumeist an den Rand gedrängt, passive Beobachter, Katastrophen und Naturereignissen ausgeliefert. Für Ransmayr ist Kiefer folglich

ein Maler Schriftzeichen tragender, menschenleerer Landschaften und Äcker, ein Maler verschneiter, wüster Ruinenfelder oder finster aufragender Architekturen der Despotie, für die Monumentalbauten, Säulenhallen und Denkmäler einer im Bombenschutt versunkenen Barbarenherrschaft als Modell gedient hatten. (DU 18)

Zusammenfassend kann man alle diese Befunde (durchaus positiv konnotiert) als Absage an den Kult der Aufklärung und als alternatives Plädoyer für eine anti-intellektualistische Weltsicht deuten, aber gleichermaßen darin auch die (negative) Proklamierung der "Entropie als Ausweg aus dem vitalen Zirkelschluß" erkennen.(22) In letzter Konsequenz mag man versucht sein, eine derartige Sicht, zu welcher Ransmayr sicherlich auch durch seine ethnologischen und philosophischen Studien gelangt ist, als nihilistisch oder zumindest fatalistisch einzustufen. So ist denn auch behauptet worden, Ransmayrs Sprache luxuriere "im apokalyptischen Exzess".(23)

Es ist aber gleichfalls zu konstatieren, dass Ransmayr mit seiner poetisierenden, aber anhand fiktionaler Modelle drastisch auf die möglichen negativen Konsequenzen hindeutenden Sicht der globalen Lage der Menschheit keineswegs allein steht, sondern sich vielmehr in einen bestehenden ideen- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang einordnet. Spätestens mit den ernüchternden Diagnosen des "Club of Rome" und der durch diesen initiierten Debatte ist jedoch das Prinzip des permanenten ökonomischen Wachstums in Zweifel gezogen worden.(24) Verschiedene Ökologie- und Ästhetikbewegungen ("Eco-criticism") sowie politische Parteien haben sich der Umsetzung alternativer Konzepte verschrieben. Der Mensch wird hierbei als Teil der Natur, nicht aber als ihr Beherrscher gedacht, eine Ansicht, welche bereits in der Naturauffassung der Romantiker, welche gegenüber der anthropomorphistischen Auffassung ein Naturrecht zu etablieren versuchten, angelegt ist. Ransmayr steht - soviel sollte nach den obigen Ausführungen deutlich geworden sein - zweifelsfrei in dieser zivilisationskritischen und ökologisch motivierten Tradition.

Es ist allerdings abschließend anzumerken, dass für Ransmayr hierbei eine romantisierende Naturdarstellung jeglicher Grundlage entbehrt. Nicht nur anhand der Naturdarstellung in Die Schrecken des Eises und der Finsternis, sondern auch am Essay Der Ungeborene lässt sich dies festmachen. Auch wenn das folgende Zitat durch seinen emphatischen Grundton sowie seine Semantik eine gewisse Affinität zur Romantik dahingehend suggeriert, dass die Größe der Natur zur Insignifikanz des Menschen in Beziehung gesetzt wird, so wird dieser Eindruck gleichzeitig durch die Einstreuung physikalisch-technischen Vokabulars dekonstruiert (DU 12):

Die Mainacht ist windstill, wolkenlos. Aber friedlich? Friedlich! Als ob die über Lichtjahre und Lichtjahre hinweg tobenden Gasorkane und atomaren Feuersäulen dort oben, dort unten, dort draußen!, diese elektromagnetischen Strahlenfluten und rotierenden Höllenöfen aus einer namenlosen, milliardenjährigen Vergangenheit und in alle Himmelsrichtungen davonjagenden, von Kernfusionen durchpulste Wolkenfäuste aus sich verdichtender und wieder zerstäubender Materie..., als ob dieser ungeheuerliche Raum, durch den Spiralnebel und Sternhaufen wirbeln als kaum aufglänzende und schon wieder erlöschende Staubpartikel in einem eisigen Abgrund..., als ob dieses ganze rasende Schauspiel von der illusorischen Größe und Dauer einer Ewigkeit irgendetwas mit Geborgenheit, mit Frieden und Stille zu tun haben könnte! Abendfriede!

© Markus Oliver Spitz (Exeter M.O.)


ANMERKUNGEN

(1) Ransmayr, Christoph: Der Weg nach Surabaya. Reportagen und kleine Prosa. Frankfurt a. M. 1999, S. 41 bzw. 47 (hier weiterhin abgekürzt als DWNS). Hinsichtlich der Primärtexte Ransmayrs werden die folgenden Ausgaben und Siglen verwendet: Strahlender Untergang. Ein Entwässerungsprojekt oder: Die Entdeckung des Wesentlichen. Frankfurt a. M. 2000 (SU); Die Schrecken des Eises und der Finsternis. Frankfurt a. M. 1997 (DSDE); Die letzte Welt. Frankfurt a. M. 1996 (DLW); Morbus Kitahara. Frankfurt a. M. 31995 (MK); Die Unsichtbare. Tirade an drei Stränden. Frankfurt a. M. 2001 (U); Der Ungeborene oder Die Himmelsareale des Anselm Kiefer. In: Kiefer, Anselm: die sieben HimmelsPaläste 1973-2001. Ostfildern-Ruit 2001 (DU).

(2) Vondung, Klaus: Die Apokalypse in Deutschland. München 1988, S. 12.

(3) Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Philosophie der Mythologie. Band I. Darmstadt 1966, S. 53.

(4) Schlegel, Friedrich: Rede über die Mythologie. In: Ders.: Schriften und Fragmente. Ein Gesamtbild seines Geistes. Stuttgart 1956, S. 121.

(5) Harbers, Henk: Die Erfindung der Wirklichkeit: Zu Christoph Ransmayrs Die letzte Welt. In: The German Quarterly, Bd. 67, Nr. 1, S. 60.

(6) Wuthenow, Ralf-Rainer: Mythologie und Mythos in der Literatur des 18. Jahrhunderts. In: Schrödter, Hermann (Hrsg.): Die neomythische Kehre. Aktuelle Zugänge zum Mythischen in Wissenschaft und Kunst. Würzburg 1991, S. 199, 213.

(7) Wilke, Sabine: Aufklärung und Mythos in der letzten Welt: Christoph Ransmayrs Texte zwischen Moderne und Postmoderne. In: Dies.: Poetische Strukturen der Moderne. Zeitgenössische Literatur zwischen alter und neuer Mythologie. Stuttgart 1992, S. 253.

(8) Kurz, Paul Konrad: Apokalyptische Zeit. Zur Literatur der mittleren 80er Jahre. Frankfurt a. M. 1987, S. 29.

(9) Diese Tatsache behält auch dann Gültigkeit, wenn - wie Thomas Epple für Die letzte Welt korrekt ausführt - "die wahrnehmbare Realität und ihre (Natur-) Gesetze (...) im Text außer Kraft" gesetzt werden (Phantasie contra Realität - eine Untersuchung zur zentralen Thematik von Christoph Ransmayrs Die letzte Welt. In: Literatur für Leser, Heft 1 (1990), S. 31).

(10) Näheres hierzu in Mosebach, Holger: Endzeitvisionen im Erzählwerk Christoph Ransmayrs. München 2003, S. 43-55.

(11) Cook, Lynne: The Novels of Christoph Ransmayr: Towards a Final Myth. In: Modern Austrian Literature, Bd. 31, Heft 3/4 (1998), S. 230.

(12) Bartsch, Kurt: Dialog mit Antike und Mythos. Christoph Ransmayrs Ovid-Roman Die letzte Welt. In: Modern Austrian Literature, Bd. 23, Heft 3/4 (1990), S. 128.

(13) Fetz, Bernhard: Der "Herr der Welt" tritt ab. In: Wittstock, Uwe (Hrsg.): Die Erfindung der Welt. Zum Werk von Christoph Ransmayr. Frankfurt a. M. 1997, S. 36.

(14) Just, Renate: Erfolg macht müde. In: Zeitmagazin, Nr. 51, 16. Dezember 1988.

(15) Jandl, Paul: "Der Gnom ist entschlüsselt". In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 181, 07. August 2000.

(16) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik. Mit einer Einführung hrsg. von Rüdiger Bubner. Stuttgart 1995, S. 476.

(17) Wilke, Sabine: Aufklärung und Mythos in der letzten Welt, S. 250.

(18) Vgl. hierzu z.B. Ibsch, Elrud: Zur politischen Rezeption von Christoph Ransmayrs Die letzte Welt. In: Ders. und Ingen, Ferdinand van (Hrsg.): Literatur und politische Aktualität. Amsterdam 1993, S. 243f.

(19) Vgl. Kiefer, A.: die sieben HimmelsPaläste 1973-2001, Abb. S. 98.

(20) Für Nachweise der Bilder vgl. http://www.praemiumimperiale.org/eg/laureates/kieferhtmlpages/kiefergallerycontent.html und Schütz, Sabine: Anselm Kiefer - Geschichte als Material: Arbeiten 1969-1983. Köln 1999, Abb. 51, 53-54.

(21) Vgl. http://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/kiefer/nuremberg.jpg; Schütz, Sabine: Anselm Kiefer, Abb. 67 und S. 306ff sowie Wagner, Monika: Anselm Kiefer: Nürnberg. Das Gedächtnis des Materials. Frankfurt a. M. 1993.

(22) Preußer, Heinz-Peter: Reisen an das Ende der Welt. Bilder des Katastrophismus in der neueren österreichischen Literatur / Bachmann - Handke - Ransmayr. In: Knapp, Gerhard P. und Labroisse, Gerd (Hrsg.) unter Mitwirkung von Visser, Anthonya: 1945-1995. Fünfzig Jahre deutschsprachige Literatur in Aspekten. Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Nr. 38/39, S. 374.

(23) Nordhofen, Eckhard: Das Glück ist anders: Aktualität zwischen Mythos und Neomythos. Das Beispiel Ransmayr. In: Schrödter, Hermann (Hrsg.): Die neomythische Kehre, S. 229.

(24) Vgl. lediglich Meadows, Donella H. und Meadows, Dennis L.: The Limits to Growth. New York 1972; Hirsch, Fred: Social Limits to Growth. London 1977 sowie Meadows, Donella H., Meadows, Dennis L. und Randers, Jørgen: Beyond The Limits: Global Collapse or a Sustainable Future. London 1992.


5.16. Apocalypse Now? Eschatologische Tendenzen in der Gegenwartsliteratur

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For quotation purposes:
TRANS Nr. 15: Markus Oliver Spitz (Exeter M.O.): "Die Zukunft auch der belebtesten Landschaft heißt Wüste" - Zum Endzeittopos und seinen Implikationen im Werk von Christoph Ransmayr unter Berücksichtigung komplementärer Arbeiten Anselm Kiefers. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_16/spitz15.htm

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