Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

6.4. Transkulturelle Kompetenz in der Umwelt- und Entwicklungskommunikation
Herausgeber | Editor | Éditeur: Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Nachhaltigkeit. Zu einem Schlüsselbegriff in der politischen Kommunikation
Anhand einer vergleichenden Text- und Inhaltsanalyse von Partei-Publikationen in Deutschland und in der Schweiz

Ernest W.B. Hess-Lüttich (U Bern) [BIO]
/ Nina Meister (ETH Zürich)

 

1 Nachhaltigkeit als Schlüsselbegriff der politischen Kommunikation

Das Konzept der sog. Nachhaltigen Entwicklung hat sich seit der Umwelt- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 zu einem weltweit gültigen Leitbild etabliert. 182 Staaten haben sich in Rio dazu bekannt, ihre Politik im Sinne der Nachhaltigkeit zu gestalten. Regierungen, Organisationen und Unternehmen beschäftigen sich seither mit der Umsetzung dieses Konzepts.

Auch die politischen Parteien befassen sich damit. Sie haben nicht nur die Aufgabe, zum Thema Nachhaltigkeit Stellung zu beziehen und Umsetzungsvorschläge zu erarbeiten, sondern nehmen auch eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des Nachhaltigkeitskonzepts in der Bevölkerung ein. Um das neue Leitbild in der Gesellschaft zu verankern, muss es publik gemacht werden. Laut einer Umfrage in Deutschland ist der Begriff Nachhaltigkeit in der Bevölkerung jedoch weitgehend unbekannt geblieben (Klenner & Wehrspaun, 2001).

Deshalb ist es von Interesse, wie der Begriff von den politischen Parteien kommuniziert wird und was für Nachhaltigkeitskonzepte sie vertreten. Um dies herauszufinden, wollen wir einschlägige Publikationen der (christlich-)liberalen und der sozialdemokratischen Parteien in der Schweiz und in Deutschland mit text- und inhaltsanalytischen Methoden untersuchen.

Im Alltagssprachgebrauch und in den Medien wird das Adjektiv nachhaltig oft in der Bedeutung 'nachdrücklich', 'intensiv' oder 'besonders wirksam' verwendet (Scholz 1999; Wiemeyer 2002). Diese Bedeutung ist freilich eine Fehlinterpretation, da sie nicht die für das Nachhaltigkeitskonzept definitorisch relevante Komponente der Zukunftsfähigkeit enthält.

Im deutschen Wortschatz wird das Wort nachhaltend bzw. nachhaltig übrigens schon lange vor Rio 1992 fachsprachlich gebraucht, und zwar im Bereich der Forstwirtschaft. Im 1713 veröffentlichten Sylvicultura Oeconomica plädiert Hans Carl von Carlowitz dafür, mit dem Holz pfleglich umzugehen und "eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anzustellen, dass es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe" (Neudruck Carlowitz 2000). Die nachhaltende Nutzung des Waldes sollte das damalige wirtschaftliche Problem des Holzmangels lösen. Gut 100 Jahre später definiert Karl Kathofer in seinen Bemerkungen über die Wälder und Alpen des Bernerischen Hochgebirgs das Kunstwort 'Nachhalt' folgendermassen: "Nachhaltig wird ein Wald benutzt, wenn nicht mehr jährlich darin Holz gefällt wird, als die Natur jährlich darin erzeugt, und auch nicht weniger" (Kathofer 1818).

Lange blieb die Idee der Nachhaltigkeit auf den Bereich der Forstwirtschaft beschränkt. In der World Conservation Strategy wurden erst 1980 die drei klassischen Bereiche Ökologie, Soziales und Wirtschaft in die Definition aufgenommen: Nachhaltige Entwicklung, hieß es da, "must take account of social and ecological factors, as well as economic ones; of the living and non-living resource base; and of the long term as well as the short term advantages and disvantages of alternative actions" (Iucn, Unep, & Wwf 1980). Der sog. Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung Our common future definierte dann einige Jahre später Nachhaltige Entwicklung mit der bis heute gültigen Formel: "Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können" (Hauff 1987).

Die Umsetzung des politischen Konzepts funktioniert nicht ohne die Akzeptanz der Bevölkerung. Hier setzt das Prinzip der Prozess- und Lernorientierung an. Nachhaltigkeit ist keine konkrete Regel, sondern eine regulative Idee, vergleichbar mit 'Gerechtigkeit', 'Gesundheit' oder 'Freiheit'. Eine regulative Idee ist "eigentlich nur ein heuristischer und nicht ostensiver Begriff und zeigt an, nicht wie ein Gegenstand beschaffen ist, sondern wie wir unter der Leitung desselben die Beschaffenheit und Verknüpfung der Gegenstände der Erfahrung überhaupt suchen sollen" (Homann 1996). Somit kann Nachhaltige Entwicklung als gesellschaftliches Projekt angesehen werden, das durch einen Such-, Lern- und Gestaltungsprozess zukunftsfähige Formen des Lebens und Wirtschaftens finden soll (Minsch et al. 1998).

 

2 Politische Kommunikation

Eine allgemein akzeptierte Definition von Politischer Kommunikation steht noch aus. Für Jarren ist sie "der zentrale Mechanismus bei der Formulierung, Aggregation, Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen. Insofern ist politische Kommunikation nicht nur Mittel der Politik. Sie ist selbst Politik" (Jarren & Donges 2002).

Das einfachste Kommunikationsmodell kommt bekanntlich aus der Verhaltenstheorie und setzt sich aus den vier Elementen Kommunikator, Kommunikationsinhalt, Rezipient und Situation zusammen. Lasswell entwickelte daraus das berühmte Wort-Kommunikations-Modell, das zusätzlich das Kommunikationsmedium und die Reaktion mit einbezieht.

In der politischen Kommunikation wird mit Bezug auf die Parteien unterschieden zwischen Parteibinnenkommunikation, die sich auf innerparteiliche Kommunikationsprozesse bezieht, und externer Parteienkommunikation, also Öffentlichkeitsarbeit und Wähleransprache. Kommunikator und Rezipient sind damit klar definiert: Politische Partei und Bevölkerung bzw. Wähler. Von den möglichen Kommunikationskanälen in der externen Parteikommunikation wählen wir für unsere Untersuchung ausschliesslich die Printprodukte der Parteien aus: Plakate, Faltblätter, Broschüren und Zeitungen.

Zur weiteren Gliederung des Kommunikationsmediums dienen die Textsorten. Strauss charakterisiert die Texte der öffentlich-politischen Kommunikation nach ihrer Zugehörigkeit und ihrer Aufgabenstellung (Strauss 1986). Er klassifiziert die Texte anhand der drei Grössen 'Sprachspiel', 'kommunikatives Verfahren' und 'pragmatischer Textgehalt'. Sprachspiele beziehen sich auf spezielle Handlungszusammenhänge oder Aufgabenfelder (z.B. politische Werbung oder Verordnung), kommunikative Verfahren charakterisieren sprachliche Handlungsformen (z.B. Informieren oder Aktivieren) und pragmatische Gehalte differenzieren nach Sprechhandlungs-, Darstellungs- und Wirkungsarten (z.B. Behaupten oder Definieren). Strauss führt die drei Grössen, welche auf verschiedenen Ebenen figurieren, zusammen und bildet die in Abbildung 3 aufgeführten Textsorten.

 

3 Corpus und Methoden

Um die Datenmenge und auch den Rechercheaufwand in angemessenem Rahmen zu halten, wurde der Untersuchungsgegenstand bezüglich der Anzahl der Parteien sowie der zeitlichen und geographischen Ausdehnung eingegrenzt. Die Untersuchung umfasst Publikationen in der Schweiz von SP und FDP, in Deutschland von SPD und CDU. Nach Marx & Stähli ist die kognitive Struktur des politischen Parteiensystems der Deutschschweiz und der Bundesrepublik Deutschland ziemlich dieselbe.

Der Untersuchungszeitraum wurde auf die Dekade zwischen 1992 und 2003 eingegrenzt, weil das Konzept der Nachhaltigkeit erst seit der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 zu einem weltweiten Politikum wurde.

Als bewährte Untersuchungsmethode wurde in begriffssystematischer Absicht die Inhaltsanalyse gewählt, die in der Medienforschung als geeignetes "Untersuchungsinstrument zur Analyse des 'gesellschaftlichen', letztlich des 'ideologischen Gehalts' von Texten" gilt (Mayring 2003). Anhand eines einfachen Kommunikationsmodells formuliert Merten: die "Inhaltsanalyse ist eine Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nichtmanifesten Kontextes geschlossen wird" (Merten 1983).

Nach diesem Modell sind Kommunikator die Parteien, Kommunikationsinhalt ihre Publikationen, Rezipient ist die Öffentlichkeit. Voraussetzung jeder Inhaltsanalyse ist die Deskription des Textes auf den syntaktischen, semantischen, pragmatische Ebenen der linguistischen Analyse, wobei wir uns bei einer begriffssystematischen Studie vor allem auf die semantische Ebene im Hinblick auf die Parteien in der Kommunikatorfunktion konzentrieren.

Wir kombinieren dabei (nach Mayring 2003) qualitative und quantitative Verfahren: am Anfang der Analyse stehen qualitative Schritte etwa der Kategorienfindung, dann folgen quantitative Schritte bei der Anwendung des Analyseinstrumentariums, deren Ergebnisse wiederum interpretiert werden müssen. Die Nachteile einer rein quantitativen Analyse versuchen wir zu vermeiden, indem wir sie durch eine qualitative Analyse der sogenannten Kernstatements ergänzen. Um die beiden Analysen zu verbinden, werden beim qualitativen Vorgehen die Variablen des quantitativen Ansatzes ebenfalls zugeordnet. Daraus ergibt sich ein Schema Untersuchungsschritte, die wir hier nur im Ausschnitt andeuten können.

 

4 Forschungsfragen und Hypothesen

Zur Ausgangsfrage "Was für Nachhaltigkeitskonzepte werden von den politischen Parteien in ihren Publikationen kommuniziert?" können wir zwei Haupt-Hypothesen formulieren:

(i) Die Nachhaltigkeitskonzepte der politischen Parteien unterscheiden sich von der 'wissenschaftlichen Definition'.
(ii) Die von den Parteien kommunizierten Nachhaltigkeitskonzepte unterscheiden sich bezüglich der Ideologien und der Länder.

Diese Hypothesen sollen hier im Hinblick auf 5 Aspekte geprüft werden:

A. Verwendung der Worte 'Nachhaltigkeit', 'Nachhaltige Entwicklung' bzw. 'dauerhafte Entwicklung' und 'nachhaltig'
B. Inhaltliche Gesichtspunkte (Dimensionen, Themen, Kernelemente, Strategien)
C. Unterschiede zwischen den Parteien
D. Unterschiede zwischen den Ländern
E. Diachrone Entwicklung

Zu diesen Aspekten ergeben sich folgende Forschungsfragen:

zu A. Wird das Wort 'Nachhaltigkeit' ('Nachhaltige Entwicklung' bzw. 'dauerhafte Entwicklung' oder 'nachhaltig' bzw. 'dauerhaft') verwendet? Wie häufig wird es verwendet? In welchem Zusammenhang (Thema) wird es verwendet?
zu B. Welche Nachhaltigkeitsthemen werden wie häufig kommuniziert? Was für Nachhaltigkeitskonzepte werden wie häufig kommuniziert (Kernelemente, Strategien, Theorien)?
zu C. Sind Unterschiede in den Nachhaltigkeitskonzepten der Parteien (SPS, FDP, SPD und CDU) feststellbar?
zu D. Sind Unterschiede in den Nachhaltigkeitskonzepten der Länder (Schweiz und Deutschland) feststellbar?
zu E. Ändern sich im Laufe der Untersuchungsperiode die Inhalte der Nachhaltigkeitskonzepte der Parteien? Ändert sich die Häufigkeit der Kommunikation über Nachhaltigkeit im Laufe der Untersuchungsperiode?

 

5 Kategorien, Codierung, Stichprobe

Das Kategoriensystem wurde aus den Forschungsfragen und Hypothesen entwickelt. Die in den Hypothesen verwendeten Begriffe werden nur in Kurzform als 'Explikation' definiert. Die Stichworte zu den Themenkategorien dürfen nicht als erschöpfende Auflistung der möglichen Themeninhalte verstanden werden. Die gewählten Nachhaltigkeitsthemen entsprechen der Themenliste des Schweizer Monitoringsystems Monet.

Das Codierbuch setzt sich zusammen aus den Identifikatoren, den formalen Variablen und den inhaltlichen Variablen. Die Relevanz der Analyseeinheiten wurde folgendermassen definiert:

Die übrigen Identifikatoren und die formale Variable bedürfen keiner weiteren Erläuterung; die inhaltlichen Variablen werden im Kategoriensystem definiert. Ein kurzer Auszug aus dem hier nicht vollständig wiederzugebenden Codierbuch diene der Veranschaulichung.

Für die Analyse wurde aus der Grundgesamtheit eine Stichprobe nach folgenden Kriterien ausgewählt: Schlüsseldokumente, Vergleichbarkeit (Ideologien, Länder), Verteilung über die Zeitperiode. Schlüsseldokumente sind hier die Wahl- bzw. Regierungsprogramme. Von den 126 gesammelten Dokumenten wurden 11 für die Inhaltsanalyse ausgewählt (in Tabelle 5 fett markiert). 574 Analyseeinheiten wurden codiert. Dabei wurden bei 37 inhaltlichen Variabeln 21'330 Codierentscheidungen gefällt und mit wurden mit vorhanden [1] oder nicht vorhanden [0] codiert.

 

6 Ergebnisse der quantitativen Analyse

Die meisten Kernstatements sind bei der SPD zu finden. Gar keine Kernstatements wurden bei der FDP codiert. In den Publikationen der Schweizer Parteien wurden deutlich weniger Kernstatements gefunden. In beiden Ländern ist die Anzahl der Kernstatements sowie der relevanten Analyseeinheiten bei den Sozialdemokraten höher. Die Zeitreihe der relevanten Analyseeinheiten zeigt eine Verdopplung der Anzahl bei den deutschen Sozialdemokraten vom Jahr 1994 zum Jahr 1998.

Bei der Reihenfolge der Häufigkeiten von Themenvariablen liegt die Variable 'Arbeit' an der Spitze, gefolgt von der Variable 'soziale Sicherheit, Wohlstand' und der Variable 'sozialer Zusammenhalt, Partizipation'. Auffallend ist, dass vor allem die Umwelt-Variablen Wald, Luft, Boden und Wasser sowie Biodiversität und Klima sehr selten codiert wurden. Insgesamt fallen bei allen Variablen die meisten Codierungen der SPD zu. In der Schweiz entsprechend weniger.

Die Variablen des Bereichs der Dimensionen unterscheiden sich in ihrer Häufigkeit nicht stark. Zwischen den Variablen Ökologie und Gesellschaft gibt es kaum einen Unterschied, nur die Variable Ökonomie kommt häufiger vor. Betrachtet man die einzelnen Parteien zeigt sich dasselbe Bild auch bei den deutschen Parteien SPD und CDU. Die SPS hingegen zeigt die grösste Anzahl Codierungen bei der Variable Gesellschaft; die FDP dafür keine bei der Variable Ökologie.

In der Zeitreihe zeigt sich, dass die Häufigkeit der Dimension Ökonomie von den Jahren 1994/1995 bis 2002/2003 stark zugenommen hat. Die Häufigkeiten der Dimensionen Ökologie und Gesellschaft haben demgegenüber von 1994/1995 bis 1998/1999 leicht zu und bis 2002/2003 wieder leicht abgenommen.

Bei den Häufigkeiten der Variablen des Bereichs Kernelemente steht an erster Stelle die Variable 'intragenerationelle Gerechtigkeit, national', die mit Abstand am häufigsten codiert wurde. Nur noch ungefähr halb so oft wurde die Variable 'Integration der Dimensionen' gefunden. Die Variable 'act local' wurde insgesamt nur 3 mal codiert. Erstaunlich ist auch das Resultat der Variable 'intergenerationelle Gerechtigkeit', die an vorletzter Stelle steht. Bei Betrachtung der Parteien fällt auf, dass der grösste Anteil der Codierungen auf die SPD entfällt.

Bei den Häufigkeiten der Variablen des Bereichs Strategien fällt auf, dass die Strategien des technischen Fortschritts (Effizienz) deutlich häufiger codiert wurden als die Strategien des sozio-kulturellen Fortschritts (Substitution). Kaum gefunden wurden Aussagen zur Variable 'Prozess- und Lernorientierung'. Auffallend ist zudem, dass bei der FDP (CH) keine der Variablen codiert wurde.

Die Häufigkeiten des Vorkommens der Begriffsvariablen: am häufigsten wurde das Wort 'nachhaltig' gefunden, am zweithäufigsten 'dauerhaft'. Die Begriffe 'nachhaltige Entwicklung' und 'Nachhaltigkeit' kamen insgesamt nur 10 mal vor. In nicht wenigen Fällen (meist bei der CDU) wurden die Adjektive 'nachhaltig' und 'dauerhaft' als 'Fehlinterpretation' eingestuft.

Nehmen wir uns nun die Variablen der Bereiche Kernelemente, Strategien und Begriff einzeln vor. Bei der Betrachtung der Parteien fällt auf, dass bei den Sozialdemokraten insgesamt häufiger Aussagen zur 'Integration der Dimensionen' gefunden wurden als bei CDU & FDP. Die deutschen Parteien zeigen höhere Werte als die Schweizer Parteien. Die Zeitreihe zeigt, dass die Anzahl Aussagen über die 'Integration der Dimensionen' bei der SPD vor allem von 1998/1999 bis 2002/2003 zunimmt. Die CDU zeigt von 1994/1995 bis 1998/1999 einen starken Abfall und danach bis 2002/2003 wieder eine Zunahme.

Aussagen zur 'intragenerationellen Gerechtigkeit' auf nationaler Ebene machen die Sozialdemokraten häufiger als die (Christlich-)Liberalen und die deutschen Parteien häufiger als die Schweizer Parteien. Zeitlich nimmt die Häufigkeit der Variable 'intragenerationelle Gerechtigkeit, national' bei den Schweizer Parteien im Laufe der Untersuchungsperiode leicht zu. Bei der SPD ist von 1994/1995 bis 1998/1999 ein starker Anstieg, danach aber wieder eine Abnahme erkennbar. Umgekehrt verhält es sich bei der CDU: nach der Abnahme der Häufigkeit von 1994/1995 bis 1998/1999 folgt eine starke Zunahme bis 2002/2003.

Bei der Variable 'intragenerationellen Gerechtigkeit' auf internationaler Ebene ergibt sich ein ziemlich ähnliches Bild, nur dass sie bei der FDP in der Schweiz heute praktisch gar keine Rolle mehr spielt.

Auch zur 'intergenerationellen Gerechtigkeit' enthalten die untersuchten Publikationen der deutschen Parteien mehr Aussagen als diejenigen der Schweizer Parteien. Während der Wert der (Christlich-)Liberalen der Schweiz höher ist als derjenige der Sozialdemokraten, verhält es sich in Deutschland umgekehrt. Die Zeitreihe der Variable 'intergenerationelle Gerechtigkeit' zeigt folgendes Bild: während die Werte der SPS, FDP und CDU während der Untersuchungsperiode leicht zunehmen, ist bei der SPD nach der Zunahme bis 1998/99 dann wieder eine leichte Abnahme festzustellen.

Hinsichtlich Häufigkeitswerte der Variablen 'think global' / 'act local' weisen die Schweizer Parteien wiederum deutlich tiefere Werte auf als die deutschen Parteien, wobei die Anzahl Aussagen zur Variable 'think global' der SPD von 1994/1995 bis 2002/2003 stark zunimmt. Die Werte der CDU sinken von 1994/1995 bis 1998/1999 und nehmen danach wieder zu. Insgesamt sind die Werte sehr tief. In den untersuchten Publikationen der Schweizer Parteien wurden gar keine Aussagen zur Variable 'act local' gefunden, in denjenigen der deutschen Parteien nur drei.

Auch die Häufigkeitswerte der Variable 'Prozess- und Lernorientierung' sind sehr klein, d.h. dass die Strategien des sozio-kulturellen Fortschritts in den untersuchten Publikationen kaum anzutreffen waren. Anders bei den 'Fehlinterpretationen': da zeigt vor allem die CDU einen hohen Wert. In den Publikationen der Schweizer Parteien wurden keine Fehlinterpretationen codiert. Die Zeitreihe zeigt, dass sowohl bei der SPD, als auch bei der CDU der Begriff im Jahr 2002/2003 sehr viel häufiger verwendet wurde als in den Jahren zuvor. In der Zeitreihe der Variable 'Fehlinterpretation' fällt auf, dass die meisten davon wiederum bei der CDU im Jahr 2002/2003 gefunden wurden.

 

7 Ergebnisse der qualitativen Analyse

Die in der Codierung als Kernstatements bezeichneten Analyseeinheiten stellen die für die Untersuchung interessantesten Stellen der Publikationen dar. Aus diesem Grund wurden sie genauer unter die Lupe genommen. Dabei zeigte sich, dass in den Publikationen der Schweizer Freisinnigen (FDP) überhaupt keine Kernstatements gefunden wurden. Auch Schweizer Sozialdemokraten (SPS) kaum ein Kernstatement codiert. Im Gegensatz dazu enthalten die Publikationen der deutschen Parteien (CDU und SPD) grösstenteils mehrere Kernstatements. Die Konservativen in Deutschland und der Schweiz liegen in Bezug auf Anzahl und Umfang der Kernstatements deutlich hinter den Sozialdemokraten zurück.

Die SPS (CH) definiert nachhaltige Entwicklung 1995 noch gar nicht, sondern erwähnt nur, dass nachhaltige Entwicklung eine effiziente Energie- und Ressourcennutzung erfordere. Zentraler Begriff ist hier der 'ökologische Umbau'. Im Jahr 2003 fordert die SPS den Schutz der Lebensgrundlagen Wasser, Luft und Boden weltweit und in der Schweiz und Investitionen in nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum. Der Begriff nachhaltig wird hier auf die Dimension Wirtschaft bezogen und von der Ökologie getrennt betrachtet.

Die SPD (D) fordert schon 1994 die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen durch umweltgerechtes Verhalten und nachhaltiges Wirtschaften. Zentrales Element dieses Kernstatements ist die Integration der Dimensionen Ökologie und Ökonomie. Nebenbei wird auch die Dimension Gesellschaft erwähnt. Das zweite Kernstatement der SPD im Jahre 1994 spricht von der globalen Mitverantwortung Deutschlands für die Bewahrung der natürlichen Umwelt und für dauerhafte Entwicklung in den Ländern des Südens. Gefordert wird, dass die dauerhaft umweltgerechte Entwicklung im eigenen Land beginnen und Lebens- und Wirtschaftsstil geändert werden müsse. Die Elemente globale Sichtweise, internationale Verantwortung und lokales Handeln sind hier zentral.

Im Jahre 1998 fordert die SPD erneut die Verantwortung für gegenwärtige und zukünftige Generationen und legt als Ziel die dauerhaft soziale und umweltverträgliche Entwicklung fest. Das zweite Kernstatement ist wie 1994 auf globale Probleme und die Frage der Entwicklung der Länder des Südens ausgerichtet. Nachhaltige Entwicklung wird als erstrebenswert bezeichnet aus menschlicher Solidarität und Eigeninteressen an Frieden und menschenwürdigen Lebensbedingungen in allen Weltregionen. Die SPD definiert, dass es Aufgabe aller Staaten, NGO's und der Wirtschaft sei, nachhaltige Entwicklung umzusetzen.

Die ausführlichsten Kernstatements der SPD sind im Jahr 2002 zu finden. Die SPD verlangt eine Langfristpolitik und macht damit eine klare Aussage zur eigenen Verantwortung. Nachhaltigkeit verbindet sie in erster Linie mit konsequentem Umweltschutz mit dem Ziel, Naturkatastrophen zu verhindern. Nachhaltige Politik soll auch für dauerhafte Stabilität des Wohlstandes und langfristige Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme sowie von Freiheit und Frieden sorgen.

Hier sind einige wichtige Kernelemente der Nachhaltigkeit zu finden: die Integration der Dimensionen, die intragenerationelle Gerechtigkeit und die intergenerationelle Gerechtigkeit. Das zweite Kernstatement definiert als Ziel die nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. 'Nachhaltig ist eine Entwicklung, wenn sie die Interessen künftiger Generationen berücksichtigt'. Die SPD fordert die Umsetzung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie in allen Fachpolitiken.

Die CDU fordert im Jahr 1994 den Schutz der Umwelt als Teil der Schöpfung. Damit kommt klar der christliche Hintergrund zum Ausdruck. Es wird keine Aussage über Nachhaltig-keit gemacht. Die Forderung nach Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen wird nicht mit Umsetzungsvorschlägen verbunden. 1998 spricht die CDU von Verantwortung für Frieden und nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert. Sie versteht unter Nachhaltigkeit die Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung und den gleichzeitigen Schutz der natürlichen Ressourcen. Zudem nimmt die CDU eine globale Sichtweise ein, indem sie feststellt, dass viele Umweltprobleme nicht auf nationaler Ebene zu lösen seien.

Auch im Jahr 2002 fordert die CDU, dass mit der Schöpfung nachhaltig umgegangen werden muss, um die Lebensgrundlagen für heute und für die Kinder zu erhalten. Sie definiert: nachhaltige Entwicklung bringt wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand mit der Erhaltung von Umwelt und Natur in Einklang. Zudem werden einige Umsetzungsansätze angefügt, wie Eigeninitiative und Selbstverantwortung sowie Vorsorge statt Nachsorge.

© Ernest W.B. Hess-Lüttich (U Bern) / Nina Meister (ETH Zürich)


LITERATUR

Agricola, C., & Agricola, E. (1992). Duden Wörter und Gegenwörter: Wörterbuch der sprachlichen Gegensätze (2., durchges. Aufl. ed.). Mannheim: Dudenverlag.

Alemann, U. v. (2001). Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland (Vol. 26). Opladen: Leske + Budrich.

Bonfadelli, H. (2001). Was ist (Massen-)Kommunikation? Grundbegriffe und Modelle. In O. Jarren & H. Bonfadelli (Eds.), Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern: Verlag Paul Haupt.

Carlowitz, H. C. (2000). Sylvicultura oeconomica oder hausswirtschaftliche Nachricht und naturgemässe Anweisung zur wilden Baum-Zucht. Freiberg: TU Bergakademie.

Costanza, R., Cumberland, J., Daly, H., Goodland, R., & Norgaard, R. (2001). Einführung in die Ökologische Ökonomik. Stuttgart: Lucius & Lucius Verlag.

Enquete-Kommission. (1998). Konzept Nachhaltigkeit. Vom Leitbild zur Umsetzung. Abschlussbericht der Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltigen zukunftsfähigen Entwicklung" des 13. Deutschen Bundestages. Bonn: Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit.

Franz-Balsen, A. (2001). Der Nachhaltigkeitsdiskurs - Schauplätze, Akteure und Saboteure. In A. Fischer & G. Hahn (Eds.), vom schwierigen Vergnügen einer Kommunikation über die Idee der Nachhaltigkeit (Vol. 3). Frankfurt: Verlag für Akademische Schriften.

Gabriel, J. M. (1997). Das politische System der Schweiz: eine Staatsbürgerkunde (5 ed.). Bern: Paul Haupt Verlag.

Gesetz über die politischen Parteien(1994).

Gruner, E. (1977). Die Parteien in der Schweiz (Vol. 4). Bern: Francke Verlag.

Häberlin, R., Gessler, R., Grossenbacher-Mansuy, W., & Lehmann Pollheimer, D. (2002). Vision Lebensqualität: Nachhaltige Entwicklung - ökologisch notwendig, wirtschaftlich klug, gesellschaftlich möglich; Synthesebericht des Schwerpunktprogramms Umwelt Schweiz. Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.

Hauff, V. (1987). Unsere gemeinsame Zukunft. Greven: Eggenkamp Verlag.

Homann, K. (1996). Sustainability: Politikvorgabe oder regulative Idee? In L. Gerken (Ed.), Ordnungspolitische Grundfragen einer Politik der Nachhaltigkeit. Baden Baden.

IDARio. (1996). Nachhaltige Entwicklung in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft.

IUCN, UNEP, & WWF. (1980). World Conservation Strategy. Living Resource Conservation for Sustainable Development.

Jarren, O., & Donges, P. (2002). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung (Vol. 1). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Kathofer, K. (1818). Bemerkungen über die Wälder und Alpen des Bernerischn Hochgebirgs : Ein Beitrag zur Bestimmung der Vegetationsgrenze schweizerischer Holzarten, des Einflusses der Waldungen auf die Kultur des Hochgebirgs des Verhältnisses der Forstwirthschaft zur Landwirthschaft und der Bedinge für Verbesserung der Alpenwirthschaft (2. ed.). Aarau: Sauerländer.

Klenner, K., & Wehrspaun, M. (2001). Jenseits von Wohlstand und Angst: Anmerkungen zu Stellenwert und Problematik der Umweltkommunikation anlässlich der Ergebnisse der neuen Umfrage: "Umweltbewusstsein in Deutschland 2000". In A. Fischer & G. Hahn (Eds.), Vom schwierigen Vergnügen einer Kommunikation über die Idee der Nachhaltigkeit (Vol. Bd. 3). Frankfurt: Verlag für Akademische Schriften.

Klöti, U., Knoepfel, P., Kriesi, H., Linder, W., & Papadopoulos, Y. (1999). Handbuch der Schweizer Politik. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung.

Kluge, F. (2002). Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (24., durchges. und erw. Aufl. ed.). Berlin: Walter de Gruyter.

Knaus, A., & Renn, O. (1998). Den Gipfel vor Augen: unterwegs in eine nachhaltige Zukunft (Vol. 29). Marburg: Metropolis-Verlag.

Kroeber, S., & Spalier, M. (1997). Synonym-Wörterbuch. Der treffende Ausdruck - das passende Wort. Gütersloh: Bertelsmann Lexikon Verlag.

Marx, W., & Stähli, L. (2001). Subjektive politische Strukturen in der Deutschschweiz. Swiss Journal of Psychology, 60(3), 192-201.

Mayring, P. (2003). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (8 ed.). Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

Merten, K. (1983). Inhaltsanalyse: Einführung in Theorie, Methode und Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Minsch, J., Eberle, A., Meier, B., & Schneidewind, U. (1996). Mut zum Ökologischen Umbau. Innovationsstrategien für Unternehmen, Politik und Akteurnetze. Basel: Birkhäuser.

Minsch, J., Feindt, P., Meister, H., Schneidewind, U., & Schulz, T. (1998). Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit. Berlin: Springer-Verlag.

Nachhaltige Entwicklung messen. Einblick in MONET - das Schweizer Monitoringsystem. (2002). BFS/BUWAL/ARE.

Ninck, M. (1997). Zauberwort Nachhaltigkeit: Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.

Princen, T. (2003). Principles for Sustainability: From Cooperation and Efficiency to Sufficiency. Global Environmental Politics, 3:1.

Radke, V. (1999). Nachhaltige Entwicklung. Konzept und Indikatoren aus wirtschaftstheoretischer Sicht (Vol. 30). Heidelberg: Physica-Verlag.

Sarcinelli, U. (1987). Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur. In U. Sarcinelli (Ed.), Politikvermittlung. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur (Vol. 238). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Schmidheiny, S. (1992). Kurswechsel: Gobale unternehmerische Perspektiven für Entwicklung und Umwelt. München: Artemis & Winkler Verlag.

Scholz, R. W. (1999). Nachhaltigkeit: Worthülse oder neue Grundregel der Regionalentwicklung - Seven Views: Dokumentation Kommunalentwicklung, Ernst Basler + Partner AG.

Simpson, J. A., & Weiner, E. S. C. (1989). The Oxford English Dictionary (Second Edition ed. Vol. Volume XVII). Oxford: Clarendon Press.

Springer, O. (1996). Langenscheidt's Encyclopaedic Dictionary of the English and German Languages. "Der Grosse Muret-Sanders" (Vol. Second Volume N-Z). Berlin: Langenscheidt.

Strauss, G. (1986). Der politische Wortschatz: zur Kommunikations- und Textsortenspezifik (Vol. 60). Tübingen: Gunter Narr Verlag.

Weizsäcker, E. U., Lovins, A. B., & Lovins, L. (1997). Faktor vier. Doppelter Wohlstand - halbierter Verbrauch. Der neue Bericht an den Club of Rome (Vol. Vollständige Taschenbuchausgabe). München: Droemersche Verlagsanstalt TH. Knaur Nachf.

Wiemeyer, C. (2002). 'Sustainable development' und die lokale Agenda 21: Ein neues Arrangement auf dem Weg zur Zukunftsfähigkeit?. Eine fallstudienintegrierende Analyse aus steuerungs- und partizipationstheoretischer Sicht. Marburg: Tectum Verlag.

Wiesendahl, E. (1998). Parteienkommunikation. In O. Jarren, U. Sarcinelli & U. Saxer (Eds.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen: Westdeutscher Verlag.


6.4. Transkulturelle Kompetenz in der Umwelt- und Entwicklungskommunikation

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS       Inhalt | Table of Contents | Contenu  15 Nr.


For quotation purposes:
Ernest W.B. Hess-Lüttich (U Bern) / Nina Meister (ETH Zürich): Nachhaltigkeit. Zu einem Schlüsselbegriff in der politischen Kommunikation. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/06_4/luettich15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 9.8.2004    INST