Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. September 2004
 

9.2. Wirtschaft und Kulturen in einer globalisierten Welt
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Olga Rösch (Wildau, Deutschland)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Der Tabubegriff in der interkulturellen Kommunikation

Pamira Kadyrbekova (Kirgisische Nationale Universität, Bischkek)

 

Vorwort

Kirgisistan hat nach der Erlangung der Souveränität im Jahre 1992 einen Weg zur Demokratisierung der Gesellschaft eingeschlagen. Dem Staat und dem Volk stehen große Aufgaben bevor, demokratische Geisteshaltungen und Traditionen müssen entwickelt werden. Die gesamte zentralasiatische Region, darunter Kirgisistan gewinnt in der Welt immer mehr Aufmerksamkeit, aufgrund seiner geographischen Lage, seiner ethnokulturellen Zusammensetzung, sowie seiner instabilen wirtschaftlichen Situation. In dieser Region besteht eine besondere Gefahr des Eindringens des internationalen Terrorismus, religiösen Extremismus bzw. Fanatismus und des Drogenhandels. Diese gefährlichen Erscheinungen können sich in einer wirtschaftlich schwach entwickelten Region, vor allem unter Analphabeten und unter armen Bevölkerungsschichten, schnell ausbreiten.

Die Besonderheit der derzeitigen Situation in Kirgisistan besteht darin, dass trotz der Deklarierung der demokratischen Veränderungen in der Gesellschaft und der Bemühungen um deren Realisierung, die kirgisische Gesellschaft noch weit von seinem Ziel entfernt ist. Deswegen stehen unsere Intellektuellen und Akademiker heute vor einer besonderen Aufgabe, und zwar einer Aufklärungsarbeit unter der Bevölkerung, die auf die Toleranzerziehung und auf die "Nichtwahrnehmung" ??? des religiösen Extremismus und des Terrorismus gerichtet sind.

Selbstverständlich hat der wirtschaftliche Faktor einen großen Einfluss auf gesellschaftliche Verhältnisse, aber er allein ist nicht immer der bestimmende Faktor in dieser Frage. Die wichtigste und aktuellste Frage ist die Analyse nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der sozialen und kulturellen Bedingungen für die Entstehung von demokratischen Institutionen in Kirgisistan. Nur einer bestimmten geistigen Welt entspricht eine bestimmte soziale Institution (K. Jaspers 1991:35). Eine solche Veränderung oder Transformation kann man sich ohne Zusammenwirkung der Kulturen schwer vorstellen.

Unter Kultur wird ein spezifisches Mittel der Organisation von Lebenstätigkeit der Menschen verstanden. Diese Tätigkeit findet ihren Ausdruck in den Ergebnissen ihrer materiellen und geistigen Leistung, sozialen Normen und Werten, der Beziehungen der Menschen zur Natur, zu einander und schließlich zu sich selbst. Das ist eine Form des menschlichen Daseins, eine soziale Erfahrung, die im Leben einzelner Individuen oder sozialer Gruppen realisiert wird. Mit anderen Worten, Kultur kann als ein universeller und für eine Nation als ein spezifischer Orientierungsprozess betrachtet werden. Dieses Orientierungssystem beeinflusst das Wahrnehmen, Denken und Handeln von Angehöriger der jeweiligen Kultur. Kultur ist ein Mittel der Wahrnehmung der Welt und zugleich auch der Konstruktion dieser Welt. Sie hat einen unikalen, einmaligen Charakter, der die Eigenart und Spezifik der Geschichte jedes Volkes bestimmt. In diesem Sinne gibt es keine Menschen ohne jegliche Kultur, dennoch sprechen wir von einem differenzierten Kultiviertheitsgrad bei den Menschen.

Heute, in Zeiten der Globalisierung, ist es besonders aktuell, die Fähigkeit der Menschen zur interkulturellen Kommunikation und Toleranz zu entwickeln. Eine Demokratisierung der Gesellschaft ist erst dann möglich, wenn die Gesellschaft bereit ist, ihre Toleranz zu leben, zu zeigen und zu verstehen, dass es auch fremde Werte und Normen und nicht nur die eigenen zu respektieren gilt. Dieser Gedanke erhält eine besondere Aktualität in der gegenwärtigen Situation. "Vielmehr steht das Verhältnis zwischen Eigenem und Fremdem neu zur Debatte" (A. Wierlacher. 1993). Es mangelt heute in unserer Region an "Fremdheitswissen", vor allem in jenen Berufen, die tagtäglich mit "Fremdheitsbegriffen" konfrontiert sind: Politiker, Pädagogen, Sozialarbeiter, Unternehmer, Kaufleute, Verwaltungskräfte oder Diplomaten.

Unter interkultureller Kommunikation versteht man in der einschlägigen Literatur den gegenseitigen Verständigungsprozess unter Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachgemeinschaften. Die Missverständnisse in der interkulturellen Kommunikation entstehen vor allem dadurch, dass Kommunikationspartner die Situation oder Behavioreme durch die "Brille" ihres soziokulturellen Rahmens sehen und entsprechend interpretieren. Interkulturelle Aspekte wie Höflichkeitsnormen, Toleranzbegriffe oder Tabunormen in vergleichenden Sprachen bzw. Kulturräumen, aber auch kulturelle Unterschiede in den semantischen Strukturierungen von Bejahen/Verneinen, Schweigen/Reden, Anbieten/Zurückweisen sind in interkulturellen Kontaktsituationen von großer Bedeutung.

Im Folgenden wird einer dieser Aspekte, nämlich Tabu, näher betrachtet.

 

Bedeutung von Tabu

Das Wort Tabu ist ein ethnologischer Begriff und stammt ursprünglich aus dem Tonga Polynesiens und findet heute seinen Ausdruck in allen Kulturen der Welt. Zum ersten Mal wurde dieses Wort von James Cook (1768-80) verwendet und kann im Allgemeinen im Sinne von Verbot verstanden werden. Es existieren jedoch unterschiedliche Übersetzungen dieses Wortes, wie etwa "außerordentlich", (Schmidt 1987,S.218). Tabu heißt auch "heilig" und "unrein" zugleich. Weiterhin bedeutet Tabu seinem Wortsinn nach, etwas, was zugleich heilig, über das Gewöhnliche erhaben ist, wie auch "gefährlich", "unrein" und "unheimlich" (Freud 1974, S.315). Das Wissen über den Tabubegriff ist, neben allen anderen Aspekten der interkulturellen Kommunikation, wie Anredeformen, Höflichkeitsformeln, Toleranzerziehung u. a. für die Entwicklung interkultureller Kompetenzen von enormer Bedeutung. Die Tabubegriffe unterscheiden sich von Kultur zu Kultur und ändern sich im Laufe der Zeit. Die Begriffe, die für eine Generation ein Tabu waren, können für eine andere/nächste Generation kein Tabu mehr darstellen.

Die ersten Tabus erstrecken sich auf den Kannibalismus, sie waren zuerst mit der Teilung des Essens in der Urgesellschaft verbunden. Ein weiteres Tabu betrifft die sexuellen Beziehungen (Inzest). Dieses Tabu (Inzest) ist eine universelle Erscheinung in allen Kulturen und wird in jeder sozialen Gemeinschaft streng eingehalten. Das Tabu des Inzests ist entwicklungsgeschichtlich älter, als das des Kannibalismus. Eine allgemeine Verbreitung eines solchen Tabus lässt vermuten, dass dieses Tabu in der Natur der Menschheit verankert ist und so selbstverständlich für die Menschen war, dass nur die königlichen Hoheiten von Ägypten bis Peru es gebrochen haben, um ihre Überlegenheit gegenüber anderen Menschen/den Untergebenen zu demonstrieren. Das Verbot oder Tabu des Inzest ist sicherlich erst dann entstanden, als Eheschließungen unter den Angehörigenunterschiedlicher Stämme möglich wurden. Obwohl diese Tabus viele Jahrhunderte Jahre vor unserer Zeitrechnung in der Steinzeit entstanden sind, scheinen sie heute immer noch unbewusst in unserem Bewusstsein verankert zu sein.

Tabus entstanden mit den Anfängen der Kultur, also in einer mehr oder weniger zivilisierten Gesellschaft. Tabu und Kultur scheinen eng miteinander verbunden zu sein. Im Sinne von S. Freud kann Kultur als System der Verbote und Beschränkungen verstanden werden.

Die Tabus können in zwei große Gruppe unterteilt werden, in:

a) allgemeinmenschliche Tabus
b) soziale, kulturspezifische Tabus.

Zu (a): Alle Gesellschaften haben den Mord eines Menschen zu einem Tabu erklärt. Solche Tabus haben sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt und sind in allen Gesetzen der zivilisierten Völker verankert. Sie stellen die Norm einer modernen Gesellschaft dar. Zu den allgemeinmenschlichen Tabus gehören Vorstellungen wie: "man soll nicht töten", "man soll nicht stehlen" usw.

Zu (b): In der europäischen Kultur wird z. B. ein soziales Tabu derKrankheiten verbreitet, ein Bespiel hierfür stellt etwa AIDS dar. In der kirgisischen Kultur existiert ein Tabu des Todes. Man sagt z. B. nicht direkt, wenn jemand gestorben ist, besonders den Kindern des Verstorbenen. Über den Tod der Eltern wird in diesen Fällen verhüllend oder mit Umschreibungen informiert.

Die Tabus sind also oft aus dem Sprachverhalten zu erschließen. In der kirgisischen Sprache gibt es zwei Bezeichnungen für den Begriff Tabu. Das ist einerseits das inzwischen internationale Wort Tabu und andererseits das Namensverbot: tergöö. Der eigentliche Bedeutungsumfang des n tergöö im Kirgisischen ist aber nur auf das Verbot bestimmter Namen oder Anredeformen beschränkt.. In diesem Fall ist die Bedeutung von Tabu wie "heilig" zu verstehen und deswegen darf man es nicht aussprechen. Diese Regel gilt in der kirgisischen Kultur insbesondere für Schwiegertöchter, die die Namen der Verwandten ihres Mannes nicht aussprechen dürfen. Das ist ein strenges Tabu/Tergöö. Für Schwiegertöchter existieren in der kirgisischen Kultur generell viele Tabus, darunter auch Namenstabu. In diesen Fällen müssen sie Periphrasen verwenden, um das entsprechende Tabu nicht zu brechen. Die Schwiegereltern werden nicht bei ihren richtigen Namen genannt, sondern mit ata (Vater) und apa (Mutter) bezeichnet. Aber auch für die anderen Verwandten ihres Ehemannes gibt es Periphrasen, entweder durch Umschreibungen der Namen z. B. kis oder kitschi kis (kleines Mädchen), kitschi bala (kleiner Junge) - für die jüngeren Geschwister des Ehemannes. Die Verwandten können auch nach ihren Charaktereigenschaften, nach ihren Berufen, nach ihrem sozialen Status genannt werden. Die Verletzung dieser Tabunormen kann zu Konflikten führen.

Fragen die Sexualität betreffend und selbst das Wort "Sex" wird in der kirgisischen Kultur auch als Verstoß gegen Tabunormen aufgefasst. Die Nichtbeachtung dieser Konvention in der interkulturellen Kommunikation kann bei Kirgisen einen "Kulturschock" verursachen.

Alle Tabus der modernen Religionen enthalten allgemein menschliche Werte, die mit der Entwicklung einer Gesellschaft verbunden sind. Die aus der Religion stammenden Tabus können sich z. B. auf ein bestimmtes Essen beziehen. Das sind die sog. Nahrungstabus. So darf man in den moslemischen Kulturen kein Schweinefleisch essen. In diesem Fall tritt die Bedeutung von Tabu "unrein" auf. Genauso ist das Pferdefleisch in anderen Kulturen tabuisiert, weil dass das Pferd als "heilig" definiert ist.

Tabu kann wie bereits oben erwähnt einerseits "heilig", andererseits "schrecklich" bedeuten. So erhält ein Tabu im Zusammenhang mit der Furcht vor Naturerscheinungen die Bedeutung "schrecklich". Dieses Tabu ist in uralten Zeiten entstanden, als sich der Mensch die Naturerscheinungen nicht erklären konnte und deswegen diesbezügliche Äußerungen mit einem Tabu belegt wurden. Ein gutes Beispiel dafür stellt die Religion des alten Ägypten dar, wo für eine bestimmte Menschengruppe z. B. die Sonne, für eine andere der Mond und für eine dritte wiederum der Fluss Nil ein Tabu darstellte. ,.

Der bekannte deutsche Psychologe und Philosoph W. Wundt (1832-1920) hat festgestellt, dass viele Tabus aus den Bestrebungen der Menschen entstanden sind, sich vor den dämonischen Kräften der Natur zu schützen. Er schrieb: "Während der Naturmensch glaubte, Dämonen zu erzürnen und durch die Verletzung des Verbots leibhaftigen Schaden davonzutragen, bedingen heute vorwiegend die Angst, Aufsehen, Peinlichkeit, Scham und Verletzung zu erregen, also Rücksichtnahme und Respekt, die Achtung der Gebote" (zitiert nach Balle, 1990.S.20).

Einige Tabus aus Furcht sind in der kirgisischen Kultur mit der Schwangerschaft verbunden. Für eine schwangere Frau gelten viele Tabus: sie darf bestimmte Speisen nicht essen, ihre Haare nicht schneiden usw. Man kauft nichts für das Kind, bevor es zur Welt gekommen ist. Das alles würde eine Gefahr für das noch ungeborene Kind bedeuten.

Man muss hier aber deutlich zwischen Verbot und Tabu unterscheiden. Zum Unterschied zwischen einem direkten Verbot und Tabu, das insbesondere für die interkulturelle Kommunikation von Bedeutung ist, bleibt schließlich noch zu erwähnen, dass "bei der Verletzung eines direkten Verbots bestimmte (oft konventionalisierte) Entschuldigung und/oder Reinigungsrituale möglich sind, für Tabubrüche aber keine konventionalisierten Reparaturmechanismen verfügbar sind." (Schröder, 1999.S.228). Für Tabuverletzungen gibt es also keine direkte Bestrafung. Für Verletzungen der Regeln, die einen Sachverhalt verbieten, existieren sehr wohl Strafemaßnahmen. Ein Tabubruch wird also als Verstoß gegen eine Moral verstanden, ein Verbot nicht. Als Verbote können z. B. die "trockenen" Gesetze (1930) in den USA und Anti-Alkohol-Maßnahmen in der UdSSR (1985) verstanden werden. In einer Gesellschaft mit dem Glauben an Magie gibt es Verbote der Berührung bestimmter Gegenstände oder Tiere, die als heilig gelten, z. B. Kühe in Indien.

Vom sozialen Standpunkt aus betrachtet ist das Tabu als eine "Unterordnung ohne weitere Fragen" zu verstehen. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Tabus ist es, dass sie nicht, wie Verbote markiert sind.. Verbote sollen, müssen sogar formuliert werden, Tabus hingegen verlangen, dass jeder weiß, was tabu ist. Ein Verstoß gegen verbietende Regeln wird bestraft, eine Tabuverletzung hingegen kann nur Schuldgefühle hervorrufen. Nach Freud ist Tabu ein ungeschriebenes Gesetz der Menschheit. Die Menschen können nicht ohne Tabus leben. Eine Enttabuisierung würde zum Verschwinden der menschlichen Gesellschaft selbst führen.

 

Funktionen von Tabus

Wie bereits erläutert erfüllen Tabus eine wichtige soziale Funktion und tragen zur Stabilität von Gesellschaften und Gruppen bei. Gesellschaften können ohne Tabus nicht existieren. Andererseits können zu viele Tabus aber auch die Entwicklung einer Gesellschaft gefährden.

Es wird zwischen Tabus der Handlungen, den sog. Handlungstabus, und Tabus der Wörter, den sog. Worttabus bzw. Tabuwörter und den tabuisierten Handlungen unterschieden. Am meisten sind Sprachtabus und Handlungstabus verbreitet. Die Unterschiede lassen sich wie folgt beschreiben:

1. Sprachtabus: darüber spricht man nicht, und man tut es auch nicht (z.B. Inzest)

2. Handlungstabus: darüber spricht man nicht offen, aber man tut es (z.B. Sexualität und Körperfunktionen). In diesen Fällen werden verhüllende oder beschönigende Wörter verwendet, die sog. Euphemismen. Krankheit und Tod gehören auch zu diesem Bereich.

3. Tabuisierte Handlungen: das macht man eigentlich nicht, aber wenn man es macht, spricht man darüber nur in einer versteckten Weise. Zu diesem Typ gehören nach Meinung von Schröder Tabus im Bereich der Politik und Wirtschaft (Schröder. 2002.S28). Diesem Typ ist auch die Korruption in Kirgisistan zuzuordnen. Tabuisierte Handlungen sind - anders als die direkt verbotenen Handlungen - stark an grundlegende internalisierte Werte gebunden.

 

Tabubruch

Die Wörter Tabu und Tabubruch sind in der deutschen Mediensprache hoch frequent (Schröder 2002, S.30). Insbesondere seit der so genannten Möllemann-Debatte in Deutschland im Frühjahr 2002, in der es um das Problem ging, ob eine Antisemitismus-Diskussion in Deutschland ein Tabu ist oder nicht, und ob es durch eine solche Diskussion gebrochen wird. Die Analyse der deutschen Mediensprache zu den Stichwörtern Tabu/Tabubruch Tabuisierung und Enttabuisierung anhand der Zeitung FAZ in der Zeit von 1993 bis 2002 zeigte, dass das Stichwort Tabu im Titel der FAZ 188 Mal und im Gesamttext 3135 Mal; das Stichwort Tabubruch im Titel 22 Mal und im Gesamttext 327 Mal verwendet wurden. (Schröder 2002, S.31). Das bedeutet, dass die deutsche Gesellschaft heute noch mit den Tabubegriffen zu tun hat.

Tabubrüche kommen in der kirgisischen Gesellschaft wesentlich seltener vor, da die Traditionen und Gebräuche sehr stark sind. In der Literatur wird auf einige Tabubrüche hingewiesen, wenn z. B. im Roman von Tschingis Aitmatov "Djamila" eine junge verheiratete Frau Djamila ihren Ehemann verlässt und mit ihrem Geliebten weggeht. Diese Liebesgeschichte wird in der kirgisischen Kultur sehr stark als Tabubruch gerügt (Tschingis Aitmatow, Djamilja, S.502). Als Tabubruch wird heute auch die Tatsache betrachtet, wenn in kirgisischen Massenmedien Werbung für Damenbinden und erotische Filme rund um die Uhr gezeigt werden.

Auch die Menstruation stellt ein strenges Tabu in der kirgisischen Kultur dar. Obwohl dieser Begriff auch ein strenges Tabu im Islam ist, finden sich im Koran, ähnlich wie im Judentum und Christentum Äußerungen über den Umgang mit Frauen, die menstruieren. So steht in der zweiten Sure, 223:

"Auch über die monatliche Reinigung der Frauen werden sie dich befragen, sage: diese bringt euch Schaden, darum haltet während ihrer monatlichen Reinigung von ihnen fern, kommt ihnen nicht zu nahe, bis sie gereinigt haben".

Tadschikistan hat neuerdings z. B. Fernsehprogramme aus Russland verboten, da vieles als Tabubruch verstanden wird und die Befürchtung geäußert wird, dass dies die tadschikische Kultur negativ beeinflussen könnte.

 

Tabu in der interkulturellen Kommunikation

Tabus spielen eine große Rolle in der interkulturellen Kommunikation. Wenn man nicht weiß, welche Tabus es in anderen Kulturen gibt, kann man sie unbeabsichtigt verletzen, was zu Missverständnissen und/oder gar zum Kulturkonflikt bzw. Kulturschock führen kann.

Tabus entstammen einerseits den Gesetzen der Natur und andererseits der Etikette und der Moral. Man verwendet Tabus, ohne zu wissen, warum und reflektiert zu wenig darüber. So gibt es Tabus in der nonverbalen Kommunikation, z. B. das Tabu des Augenkontakts. Eine kirgisische Schwiegertochter darf nicht in die Augen ihres Schwiegervaters und anderer älterer Personen, insbesondere der Männer blicken. Die Proxemik in der kirgisischen Kultur spielt eine große Rolle. Männer und Frauen dürfen bei offiziellen religiösen Essenszeremonien nicht zusammen in einem Raum sitzen. In der usbekischen Gesellschaft galt es in früheren Zeiten für Frauen als Tabu, ihr Gesicht zu zeigen. Sie mussten deswegen ihre Gesichter verschleiern. Diese Konvention gibt es auch in einigen arabischen Ländern und in der Türkei.

In der Forschungsliteratur finden sich Beispiele dafür, dass auch in modernen Gesellschaften Tabus eine wichtige Rolle spielen (Schröder, 2002. S.27). Diese Tabus betreffen vor allem die negativen Konventionen des Handelns (Handlungstabus), bestimmte Themen (Schweigebereiche bzw. Kommunikationstabus - darüber spricht man nicht bzw. darüber spricht man nur auf eine bestimmte Art und Weise) und die zu vermeidenden sprachlichen Ausdrücke (Sprachtabus - das sagt man nicht).

Daher wäre es erstrebenswert eine interkulturelle Kompetenz zu entwickeln und sich fremdkulturelles Wissen anzueignen, damit man nicht über tabuisierte Wörter, Handlungen, Objekte und Sachverhalte "stolpert" und sich bei Bedarf darüber verständigen kann.

© Pamira Kadyrbekova (Kirgisische Nationale Universität, Bischkek)


LITERATURVERZEICHNIS

1. Balle, Christel: Tabus in der Sprache. Frankfurt a. M. 1990.

2. Freud, Sigmund: Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker, Studienausgabe. Band 1X. Frankfurt a. M. 1974.

3. Kadyrbekova P. K. Interkulturelle Aspekte des Fremdsprachenunterrichts. In:

4. Kadyrbekova P.K., Atakeeva, A. Tabu oder Tabubruch? (Ein interkultureller Vergleich) In:

5.

6. Schmidt, Axel. Tabu. In: Bernard Streck (Hg): Wörterbuch der Ethnologie. Köln 1987. S.218-220.

7. Schröder, H. Tabuforschung als Aufgabe interkultureller Germanistik. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 21. 1995.

8. Schröder, H. Tabu und Tabuvorwurf in der Politik, Kommunikative Aspekte inszenierter Tabubrüche. In:

9. Wierlacher A.(Hg.) Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung.1993. 2.Auflage. München 1993.

10. Tsch. Aitmatov. Djamilja. . 1978.


9.2. Wirtschaft und Kulturen in einer globalisierten Welt

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For quotation purposes:
Pamira Kadyrbekova (Kirgisische Nationale Universität, Bischkek): Der Tabubegriff in der interkulturellen Kommunikation. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/09_2/kadyrbekova15.htm

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