Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Dezember 2005
 

10.4. Virtualisierung von Raum, Wahrnehmung und Kultur
HerausgeberInnen | Editors | Éditeurs Klaus Wiegerling (Stuttgart) / Christoph Hubig (Stuttgart)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Orte der Kommunikation: in den Massenmedien, im Internet und in einer "intelligenten" Umgebung

Jessica Heesen (Universität Stuttgart, Abteilung für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie, Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft Nr. 627 "Nexus": Umgebungsmodelle für mobile kontextbezogene Systeme)
[BIO]

www.uni-stuttgart.de/wt

 

Eine Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Medien und bestimmten geografischen Orten ist zum Einen deshalb geboten, weil Orte für die Geschichte und Kultur einer Gesellschaft von herausragender Bedeutung sind, zum Anderen, weil die Zeit, in der wir uns mit unserem Bewusstsein in den Medien und nicht an konkreten Orten aufhalten, beständig zunimmt, und darüber hinaus, weil die neuesten Informations- und Kommunikationstechniken in Gestalt des Ubiquitous Computing auch die Medialisierung der gegenständlichen Welt vorantreiben (die "intelligente Umgebung").

Im Folgenden werden zunächst die Begriffe Umgebung, Ort und Raum voneinander abgegrenzt. Anschließend soll es insbesondere um den öffentlichen Ort und den öffentlichen Raum gehen, da der Begriff Öffentlichkeit in der Tradition der Aufklärung für die Findung und Repräsentation der grundlegenden gesellschaftlichen Positionen im kulturellen und politischen Bereich steht.

 

I. Unterscheidung zwischen Ort und Raum

Die bekannteste Metapher für den virtuellen Raum ist der Cyberspace, eine Wortschöpfung des Science-Fiction-Autors William Gibson . Der Begriff zeigt anschaulich, welche Assoziationen der Raumbegriff für die meisten von uns birgt. Es geht um einen Eindruck von Weite, von Unbestimmtheit, um einen Erfahrungsraum ohne physische Grenzen, bei dem auch ein Teil von Abenteuerlust mitschwingt. Die Parallele zum Weltraum mitsamt den damit verbundenen menschheitsgeschichtlichen Mythen und Visionen ist nah und erwünscht. Ein Navigator ("Netscape Navigator ") oder ein Forschungsreisender ("Internet Explorer") kann uns helfen, diesen Raum zu erfassen und in unsere eigene Lebenswelt zu integrieren.

Ähnlich verhält es sich mit dem Raumbegriff in den alltagssprachlichen Verwendungsweisen. Es gibt den schon erwähnten Erfahrungsraum, den Begegnungsraum, den Handlungsraum, den städtischen Verdichtungsraum, Kunsträume, den Wohnraum, den Zwischenraum. Kennzeichnend für alle diese Begriffe ist ihre Unbestimmtheit in Bezug auf eine konkrete Stelle. Der Raum ist assoziativ ohne eindeutige Begrenzung, er beschreibt einen Nicht-Ort wie zum Beispiel den Weltraum oder eben den Cyberspace; er eröffnet ein Bedeutungsspektrum, das von der elementaren Dimension des Raumbegriffs auf seine dematerialisierte Variante führt. Raum ist in diesem Sinne die Bezeichnung für das Medium personaler Interaktionen, natürlicher oder elementarer Beziehungen.

Anders als der Raum lässt ein Ort sich in der Regel genau abgrenzen. Ein Ort besteht immer aus mindestens zwei Komponenten: einer objektiven Umgebung und einer bestimmten historischen beziehungsweise intersubjektiven oder individuellen Sinngebung dieses abgrenzbaren Gebiets. Vereinfacht ausgedrückt: über jeden Ort lässt sich etwas erzählen, was mit der spezifischen Beziehung der Menschen mit diesem Bereich ihrer Umgebung zu tun hat. Um ein lyrisches Beispiel zu geben: das kann die Linde am Brunnen vor dem Tor sein, oder ein prosaisches: der Fahrradständer, an dem ich jeden Morgen mein Rad abstelle.

Orte sind die Teilbereiche einer gegenständlichen Umgebung, die mit bestimmten kulturellen, traditionellen oder individuellen Bedeutungen versehen sind. Um teil zu haben an dieser spezifischen Bedeutung eines Ortes, kann der Ort aufgesucht werden. Der Ort teilt sich mit über seine gegenständliche Erscheinung. Ein imposantes Rathaus zum Beispiel "erzählt" von der erfolgreichen Geschichte der Stadt, eine Kirche von der Herrlichkeit Gottes. Andere Orte wirken nicht unmittelbar auf den Besucher oder die Besucherin, sondern verweisen nur auf ihren Stellenwert in dem individuellen oder kollektiven Bewusstsein der mit diesem Ort bekannten Personen, den "Eingeweihten". Hierfür wäre ein Grab als Beispiel zu nennen oder das Nordkap. Diese Orte zeigen nichts als Hinweise auf die mit ihnen verbundene Bedeutung. Orte können einen Wandel durchmachen von einem Ort, der seine Bedeutung unmittelbar eröffnet zu einem symbolischen Ort wie zum Beispiel der "Ground Zero" , der zuerst als Ort der Trümmer des World Trade Center nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und nun als Gedenkstätte zu besichtigen ist.

Ein Ort hat durch seine sinnlich umfassende Präsenz eine besondere Wirkung oder Wirkmächtigkeit. Anders als sinnlich reduzierte Medien wie ein Buch oder das Internet bietet er einen unmittelbaren Eindruck. Diese Vielzahl und Unmittelbarkeit der Erfahrung verleihen dem Ort eine besondere Autorität in Bezug auf die Richtigkeit einer Erfahrung oder die Prüfung theoretischer Annahmen. Redewendungen wie "der Ortstermin", "die Begehung" oder "sich ein Bild vor Ort machen" weisen hin auf die besondere Rolle des Ortes als Fixpunkt und Verifizierungsmöglichkeit subjektiver oder kollektiver Einstellungen und Theorien.

II. Öffentliche Orte und öffentliche Räume

Einen herausgehobenen Stellenwert haben vor diesem Hintergrund die öffentlichen Orte, also solche Orte, die das gemeinsame gesellschaftliche Bewusstsein in einem besonders hohen Maße beeinflussen. Der Terminus öffentlicher Ort ist hier nicht begrenzt auf das alltägliche Verständnis als allgemein zugänglicher Ort, sondern bezieht sich auf solche Bereiche der natürlichen oder menschlich geschaffenen Umwelt, die eine bestimmte Bedeutung nicht nur für einzelne Personen, sondern für die Allgemeinheit haben. Öffentliche Orte markieren die lebensweltlichen und kulturellen Determinanten einer sozialen Gemeinschaft.Sie verbinden die gegenständliche mit der intersubjektiv-kommunikativen Komponente einer gemeinschaftlichen Identität.

Öffentlichkeit ist die Sphäre der gesellschaftlichen und kulturellen Selbstvergewisserung. Man kann unterscheiden zwischen einem gegenständlichen und einem kommunikativen Bestandteil von Öffentlichkeit. Die Funktion der kommunikativen Öffentlichkeit ist die Schaffung der Möglichkeit zu gesellschaftlicher Integration und Teilhabe. Der öffentliche Diskurs bestimmt intersubjektive Geltungsansprüche im politischen, moralischen und sozialen Bereich. Ein Teilbereich dieser Einstellungen eröffnet sich erst anhand konkreter Begegnungen mit bestimmten Orten. So ist zum Beispiel eine gut ausgestattete Oper ein Hinweis auf den Stellenwert der so genannten Hochkultur in diesem Siedlungsgebiet.

Das Verhältnis von Öffentlichkeit zu Ort und Raum wird im Folgenden unter fünf verschiedenen Hinsichten behandelt: Es kann unterschieden werden 1. zwischen Orten als Gegenstand der öffentlichen Kommunikation, 2. den Versammlungsorten, 3. der Öffentlichkeit in den Massenmedien als fiktivem Ort, 4. dem Internet als virtuellem Raum der öffentlichen Kommunikation und 5. der Medialisierung gegenständlicher öffentlicher Orte durch das Ubiquitous Computing.

 

1. Orte als Gegenstand öffentlicher Kommunikation

Viele Orte sind bekannte Träger bestimmter geschichtlicher Erfahrungen von kollektiver Tragweite. Ihre Bedeutung zeigt sich auch darin, dass sie metaphorisch häufig auch in anderen Zusammenhängen gebraucht werden, weil an diese Orte als Bestandteil des allgemeinen Bewusstseins angeknüpft werden kann. So zum Beispiel "jemand hat sein Waterloo erlebt" oder "die Mauer in den Köpfen". Andere Beispiele für Orte als Gegenstand der öffentlichen Kommunikation wären Stone Henges oder in kleinen Gemeinden, das umstrittene Kunstwerk auf dem Marktplatz.

 

2. Versammlungsorte

An Versammlungsorten finden in der Regel öffentliche Veranstaltungenstatt. Öffentliche Veranstaltungen sind gekennzeichnet als Präsenzöffentlichkeiten mit einem überschaubaren Kreis von Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Wenn es sich um politische oder um Bildungsveranstaltungen handelt, sind sie auf ein bestimmtes Thema zentriert. Die thematische Zentrierung und die Strukturierung der Veranstaltung werden durch eine Leitung gewährleistet. Orte solcher Veranstaltungen können kleine und große Säle, Theater, Plätze oder Hallen sein.(1)

In der antiken Polis und in den mittelalterlichen Städten und Dörfern war die öffentliche Kommunikation mit bestimmten Versammlungsorten notwendig verbunden. Mit dem Aufkommen der Massenmedien, also Zeitschriften, Bücher, Hörfunk und Fernsehen, und der wachsenden Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaftsformen wurde die öffentliche Kommunikation von den gegenständlichen Versammlungsorten weitgehend unabhängig.

 

3. Medienöffentlichkeit als fiktiver Ort

Massenkommunikation setzt eine entwickelte technische Infrastruktur voraus. Im Unterschied zu den öffentlichen Veranstaltungen ist sie am Sender-Empfänger-Modell orientiert (one-to-many-Kommunikation). Sie bietet weder die Möglichkeit zur gleichzeitigen physischen Präsenz aller Kommunikationsteilnehmerinnen und -teilnehmer noch die allgemeine aktive Beteiligung am Kommunikationsgeschehen. Die Massenmedien werden häufig als Ort der öffentlichen Kommunikation genannt. An dieser Stelle ist es hilfreich, sich die oben vorgeschlagene Bestimmung des Ortsbegriffs in Erinnerung zu rufen. Der Ort wurde als Teilbereich einer gegenständlichen Umgebung, der mit bestimmten kulturellen, traditionellen oder individuellen Bedeutungen versehen ist, bezeichnet.

Kann nun sinnvoll vom Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) als öffentlichem Ort die Rede sein? Für unsere Frage nach den Orten öffentlicher Kommunikation kann man in Bezug auf die Massenmedienkommunikation eine Unterscheidung treffen zwischen dem Ort der Medienrezeption und dem Ort der Medienproduktion. So kommt man zu dem folgenden Ergebnis: Massenmediale öffentliche Kommunikation findet in Bezug auf die Rezeption an öffentlichen und an privaten Orten statt. Die Rezeption der elektronischen Massenmedien findet an Orten statt, an denen Empfangsgeräte existieren. Für den einzelnen Medienrezipienten ist das in den meisten Fällen stets derselbe Ort, zum Beispiel der Fernseher zu Hause oder das Autoradio. Presseerzeugnisse werden hingegen häufig auch unterwegs, an wechselnden Orten gelesen. Es handelt sich in beiden Fällen um private Orte oder Orte ohne größere öffentliche Bedeutung, welche aber für die Beobachtung öffentlicher Kommunikation genutzt werden.

Für die Medienproduktion kann man festhalten, dass die konkreten Orte, an denen Radio- und Fernsehbeiträge hergestellt werden, keinen öffentlichen Charakter im herkömmlichen Sinne haben, sie erhalten ihn nicht über ihre räumliche Eigenart als Versammlungsort. Dies wird besonders augenfällig in Hinblick auf die Fernsehstudios als professionellen Räumen der Herstellung einer Medienöffentlichkeit, die für die Allgemeinheit oder für Laien völlig unzugänglich sind. Studios und andere Produktionsstätten erlangen den Charakter eines öffentlichen Ortes über die vorübergehende Herstellung einer Massenkommunikationssituation, also die filmische und/ oder akustische Übertragung. Die Kommunikation ist insofern öffentlich, als sie durch eine Öffentlichkeit beobachtet werden kann. Die Beteiligten sind sich dieses Charakters ihrer Kommunikation bewusst und stellen ihr Verhalten darauf ein. Inhalte der Massenmedien, Berichte, Reportagen, Unterhaltungssendungen, Sportübertragungen, Filme werden jedoch an realen Orten und nicht in den Medien hergestellt. Die Kommunikation findet nicht in den Medien, sondern mittels der Medien statt. Diese Kommunikation hat ihren Ausgang und ihr Ziel an physisch betretbaren Orten. Diese Orte selbst sind aber für das Zustandekommen der Kommunikation als öffentliche nicht von Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund scheint es präziser, für die Massenmedienkommunikation den Begriff des Raums als Kennzeichnung eines Interaktionsverhältnisses ohne konkrete Situierung, zu verwenden. Allerdings können Massenmedien nur bedingt als öffentlicher Interaktionsraum beschrieben werden, da nicht die Allgemeinheit, sondern nur verhältnismäßig wenige Personen aktiv kommunizieren können. Es handelt sich weniger um einen öffentlichen Interaktionsraum, als vielmehr um die öffentliche Rezeption und Beobachtung der Kommunikation weniger Personen. In dieser Rolle nimmt die beobachtete Öffentlichkeit - ähnlich den gegenständlichen Orten - den Stellenwert einer Orientierungskonstante ein. Massenmedien sind somit fiktiver Ort der öffentlichen Meinung, der wichtigen Themen und der Werte einer Gesellschaft, der sozialen Integration und Teilhabe.

Für die Unterscheidung zwischen einer gegenständlich sichtbaren und einer diskursiven Form von Öffentlichkeit kann für die massenmedial hergestellte Öffentlichkeit festgehalten werden: Es handelt sich um eine rein diskursive Öffentlichkeit. Es lassen sich zwar gegenständliche Orte der Medienproduktion und -rezeption bestimmen, diese haben in der Regel jedoch keinen öffentlichen Charakter.

 

4. Das Internet als virtueller Raum der öffentlichen Kommunikation

Wie verhält es sich nun mit den Orten der öffentlichen Kommunikation in Bezug auf das Internet? Orte der Rezeption sind, wie beim Fernseher, in der Regel der Rechner zu Hause oder am Arbeitsplatz. Eine mobile Nutzung, ähnlich wie bei Zeitungen, ist durch internetfähige Mobiltelefone und Laptops ebenfalls möglich. Hier unterscheidet sich das Internet also nicht von den Massenmedien. Das Internet ist im Unterschied zu den herkömmlichen Massenmedien jedoch durch das entscheidende Merkmal Interaktivität charakterisiert; die Einbeziehung dieses Merkmals in die Überlegungen zu den öffentlichen Orten der Kommunikation bringt andere Antworten hervor.

Viele interaktive Kommunikationsmöglichkeiten des Internets können als öffentlich bezeichnet werden, weil sie generell für eine breite Allgemeinheit zugänglich sind. Es handelt sich hier zumeist um kleine Öffentlichkeiten beziehungsweise öffentliche Veranstaltungen, die aufgrund der räumlichen Trennung der Kommunikationsteilnehmerinnen und -teilnehmer nur mittels einer Auflösung der gegenständlichen Verortung der Kommunikationsumgebung verwirklicht werden können. Als typische Kommunikationsweisen des Internets weisen viele Foren und Chats Kennzeichen der öffentlichen Veranstaltungen wie Zentrierung auf ein Thema und Anwesenheit einer Veranstaltungsleitung auf. Ein Forum kann als virtueller öffentlicher Ort bezeichnet werden, der reale Veranstaltungsorte wie Säle oder Plätze ersetzt. Öffentliche Veranstaltungen sind Präsenzöffentlichkeiten. Eine solche Kommunikation unter Anwesenden - auch wenn sie nicht immer in Echtzeit, sondern zum Teil zeitlich verschoben stattfindet - erfordert im Rahmen der elektronischen Netzwerke virtuelle Orte, oder bedenkt man das Fehlen einer gegenständlichen Situierung der Kommunikationssituation: virtuelle Räume. Dem Raum wurde vorangehend die Eigenschaft eines Mediums für personale Interaktion, natürliche oder elementare Beziehungen zugeschrieben. Insofern kann im Unterschied zur massenmedialen Kommunikation in bestimmten Kommunikationsformen des Internets durchaus von der Entstehung virtueller (Versammlungs)Räume gesprochen werden. Im Unterschied zum Rundfunk ist der Ort der Kommunikation nicht die Lokalität, an der sich der oder die Teilnehmer/in aufhält, sondern "Orte" beziehungsweise Räume innerhalb des Mediums selbst. Der Grund liegt darin, dass der Gegenstand der Kommunikation neben den Inhalten der Prozess der Kommunikation selbst ist. In den nicht-interaktiven Medien wie Fernsehen oder Zeitung ist dagegen ein fertiges Medienprodukt Gegenstand der Kommunikation. Ein Artikel wird in der Zeitung gedruckt, eine Reportage wird im Fernsehen ausgestrahlt. Sie stehen jedoch nicht im Augenblick ihrer Herstellung zur Rezeption oder Mitgestaltung zur Verfügung.

Der Raum der Realisierung einer interaktiven Kommunikationssituation ist innerhalb des Mediums Internet, weil hier mit Hilfe der Medientechnik ein Handlungsangebot geschaffen wird. Es wird in diesem Fall ein Möglichkeitsraum für Kommunikation geschaffen, der als virtueller Raum oder virtuelle Realität beschrieben werden kann. Der Raum der öffentlichen Veranstaltungen im Internet ist das Medium selbst. Die Entstehung eines virtuellen Raumes der öffentlichen Kommunikation hat also zwei Voraussetzungen: Erstens, der Kommunikationsgegenstand wird durch einen Handlungsraum in dem Medium selbst erzeugt. Zweitens, er erfüllt das Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit.

Im Internet ist die aktive Teilhabe an öffentlicher Kommunikation also möglich, die Lösung von einem gegenständlichen Veranstaltungsort wird durch die Entstehung virtueller Räume ausgeglichen.

 

5. Die Medialisierung gegenständlicher öffentlicher Orte durch das Ubiquitous Computing

Das Internet ist eine Kommunikationsplattform, die der Distribution von Wissen und der sprachlichen Interaktion von Personen dient. Eine der neuesten Fortentwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik trägt den Namen Ubiquitous Computing (auch: Pervasive Computing). Die englische Bezeichnung ubiquitous weist schon auf die Allgegenwärtigkeit, auf das Eindringen einer fast unsichtbaren Computertechnik bis in den Bereich der gegenständlichen Umwelt hin.

Mit Hilfe von Smart Chips werden im Rahmen dieser technischen Erschließung der Umgebung die Dinge selbst mit bestimmten Informationen ausgestattet. Die Sensorinformationen sind durch eine Kommunikationsplattform lesbar, das heißt, die Software reagiert auf einen Sensor mit der Entschlüsselung seiner Daten, oder aber es werden mit Hilfe einer Positionsbestimmung Daten zur Verfügung gestellt, die in einem virtuellen Umgebungsmodell des Anwenders abgelegt sind. Notwendig für die Nutzung dieser Anwendungen sind mobile Computer (zum Beispiel ein Personal Digital Assistent, Laptops oder internetfähige Mobiltelefone), die an den Gegenstand heran getragen werden. Solche Informationssysteme beinhalten Auskünfte über den Gegenstand selbst oder darüber hinausgehende Informationen zu Einkaufsmöglichkeiten, Verkehr, Positionierung usw.. So könnte zum Beispiel ein Stadtinformationssystem entsprechend ausgestattete Touristen auf die richtigen Wege, interessante Besichtigungsorte, allgemeine Stadtinformationen, Restaurants ihrer Wahl oder günstige Einkaufsangebote hinweisen.

Zu Beginn dieser Ausführungen wurde die Rolle von Orten als Ausdruck und Symbol gesellschaftlicher Determinanten dargestellt. Es wurde verdeutlicht, dass Orte versehen sind mit bestimmten Zuschreibungen, mit einer Geschichte und einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis. Diese Fixierung der Sinngebung eines Ortes ist Ergebnis eines gemeinschaftlichen Prozesses, in dem diskursive Elemente (und auch gesellschaftliche Machtverhältnisse) eine Rolle spielen.

Wie verändern die neuen Möglichkeiten des Ubiquitous Computing nun das Verhältnis zwischen Medien und Orten? Pointiert ausgedrückt kann man sagen, dass die Umgebung durch das ubiquitous computing selbst Programm eines neuen Mediums wird.

Die vormals frei fluktuierende öffentliche und kollektive Bedeutungszuschreibung wird schon am Objekt selbst medialisiert. Informationen werden räumlich an dem Ort versammelt, zu dem sie in einem Verhältnis stehen. Das heißt, die Geschichte eines Ortes wird im Prozess ihrer Erfassung durch ein ubiquitäres Computersystem durch den Programmierer kanonisiert und den gegebenen technischen Rahmungen angepasst - ähnlich wie bei der redaktionellen Bearbeitung eines Stoffes in den herkömmlichen Medien. Das Ubiquitous Computing stellt sich jedoch nicht in den Kontext traditioneller Medien, sondern geht im Gegenteil von der Vorstellung selbstständig kommunizierender Computer oder auch einer engen, gleichsam symbiotischen Mensch-Maschine-Interaktion aus.

Während uns üblicherweise ein Medium oder ein anderer Mensch über die dingliche Welt informiert, wird in einer "smarten", informationstechnisch erfassten Umgebung suggeriert, die Dinge selbst gäben über sich Auskunft. Diese Assoziation ist nicht zuletzt damit begründet, dass die an den virtuell repräsentierten und den gegenständlichen Orten zu findende Information durch die Interaktion verschiedener Datenträger selbsttätig veränderbar ist, die "intelligente Umgebung" erscheint als eine gleichsam natürliche Umwelt.

Anders als bei der üblichen Begehung eines Ortes der Fall, steht hier nicht der Ort in seiner Gegenständlichkeit oder das auf den Ort bezogene Wissen der anwesenden Person im Vordergrund, sondern die Botschaft des lokalen Mediums. Die Ortserfahrung wird somit auf das Medium fokussiert.

Wie oben bereits ausgeführt sind Orte dadurch gekennzeichnet, dass sie mit einer bestimmten Geschichte und Interpretation ausgestattet sind. Diese Zuschreibungen sind offen und wandelbar, sie unterliegen einer allgemeinen Sinnstiftung und sind für die Allgemeinheit zugänglich und erfahrbar. In diesem Sinne können sie als öffentliche Orte beschrieben werden. Durch die Fähigkeit des Ubiquitous Computing, die Orte mit Hilfe von implantierten Medien kommunizieren zu lassen, verlieren sie einen Teil ihres öffentlichen Charakters und werden Ausdruck der partiellen oder individuellen Interpretation der Anbieter der jeweiligen Informationssysteme. Vor diesem Hintergrund kann man festhalten, dass es sich bei den Orten, die als Teilbereiche der Umgebung in die Informationssysteme des Ubiquitous Computing eingehen, nicht um öffentliche Orte, sondern vielmehr um veröffentlichte Orte handelt. Das heißt, sie werden der Allgemeinheit zur Nutzung bereitgestellt, sind selbst aber nicht länger Ausdruck spontaner öffentlicher Bedeutungszuschreibungen.

Das Ubiquitous Computing medialisiert und fixiert somit eine vormals öffentliche Bedeutungszuschreibung konkreter Orte. Es veröffentlicht einen Bereich der gegenständlichen Umwelt ohne Einbezug einer allgemeinen Legitimation, die sich auf einen gemeinschaftlichen Diskurs oder eine gemeinschaftliche Praxis berufen könnte.

© Jessica Heesen (Universität Stuttgart)


ANMERKUNG

(1) Zum Thema öffentliche Veranstaltungen vgl.: Jürgen Gerhards, Friedhelm Neidhardt (1991): Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit: Fragestellungen und Ansätze, in: Stefan Müller-Doohm, Klaus Neumann-Braun (Hg.): Öffentlichkeit, Kultur, Massenkommunikation. Beiträge zur Medien- und Kommunikationssoziologie, (Studien zur Soziologie und Politikwissenschaft) Oldenburg: BIS, 29 - 89.


 

10.4. Virtualisierung von Raum, Wahrnehmung und Kultur

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For quotation purposes:
Jessica Heesen (Universität Stuttgart): Orte der Kommunikation: in den Massenmedien, im Internet und in einer "intelligenten" Umgebung. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/10_4/heesen15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 3.1.2006     INST