Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Juni 2004
 

10.6. Theater der Regionen
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Christa Hassfurther (Hallein)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Vom kleinen Rundruf über Grenzen und seinem vielstimmigen Echo - ein Erfahrungsbericht

Johanna Tomek (Wien, Theater m.b.H.)

 

Arbeitsbedingungen:

Um Bezug zum Kongressthema aufzunehmen: Selbstverständlich ist kulturellen Äußerungen und künstlerischen Hervorbringungen potentiell Menschenverbindendes immanent, weil die sich eben in vielfältiger Weise mit der Analyse menschlichen Befindens und Verhaltens sowie mit der Gestaltung und den Bedingungen individueller und gesellschaftlicher Existenz befassen.

Darüber, dass die künstlerische Produktion an sich einen eminenten gesellschaftlichen Wert darstellt, dürften sich die Anwesenden ja einig sein. Die meisten werden auf Grund sehr konkreter Erfahrungen auch die Meinung teilen, dass dieses Faktum im öffentlichen Bewusstsein mangelhaft verankert ist und dass weder die Politik durch angemessene Förderung künstlerischer Aktivitäten, noch die Medien mittels qualifizierter Berichterstattung die Rezeptionsfähigkeit und -lust eines interessierten oder noch zu gewinnenden Publikums entwickeln helfen. Beide Felder des öffentlichen Lebens - Politik wie Medien - ergeben sich in zunehmend empörendem Maß so genannten wirtschaftlichen Zwängen und begeben sich ihrer Möglichkeiten und Verpflichtungen: Gegenpositionen zu artikulieren und zu vertreten. Repräsentations- und Eventkulturerscheinungen werden gepäppelt, hofiert und dienen als Munition medialen Dauerbombardements zwecks Vernebelung des Wahrnehmungshorizontes. Phänomene der Alternativ- und Basiskulturarbeit dagegen werden ausgehungert, marginalisiert, ignoriert.

So viel zur Beschreibung des Terrains, auf dem belehrungsunwillige Querköpfe wackelige Aussichtwarten mit Blick auf Traumlandschaften menschenfreundlicherer Lebensbedingungen zu basteln versuchen.

Energie, Überzeugung, die Lust am Risiko und an der Behauptung eines "eigenen Sinns", das sind die wesentlichen Ressourcen solcher Unternehmungen. Positive Schübe erfährt man/frau, wenn er/sie auf Menschen trifft, die ähnlich unterwegs sind, und erlebt, dass er/sie nicht so ganz allein dasteht mit seinen/ihren Ideen und Sehnsüchten - vielleicht liegt darin auch der persönliche Gewinn in der Teilnahme an so einem Kongress. Eine nachhaltige Befüllung des eigenen Energietanks gewährt freilich das Gelingen eines Projektes - das ob seiner scheinbar nahe liegenden Grundidee zu verblüffen und zu greifen vermag - und dieses Gelingen nicht nur durch die eigene, subjektive Wahrnehmung sondern auch durch eine qualifizierte, breite Resonanz objektivierend bestätigt wird. Von so einem Positiverlebnis zu berichten, wurde ich hier eingeladen.

 

Das Projekt:

Das "Theater mit beschränkter Haftung" - dem ich angehöre - ist eine seit 20 Jahren in Wien arbeitende Freie Gruppe, für deren waches Interesse an zeitgenössischer Dramatik die Tatsache Beleg sein mag, dass von ihr faktisch nur Ur- und Erstaufführungen produziert und zahlreiche Stück- und Übersetzungsaufträge an in- und ausländische AutorInnen vergeben worden sind. Dass wesentliche zeitgeschichtliche Ereignisse sich im Arbeitsprozess widerspiegeln, liegt auf der Hand.

Die eindrücklichsten und beunruhigendsten Geschehnisse des letzten Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts waren für uns die grauenvollen und von außen so schwer zu durchschauenden Vorgänge in unserem Nachbarland, dem ehemaligen Jugoslawien. Die öffentliche Berichterstattung schien ebenso wenig vertrauenswürdig wie die konfuse Politik der Vertreter der "westlichen Hemisphäre", Erläuterungen von Emigranten klangen höchst widersprüchlich, evident war nur das Leid der Betroffenen.

Unter den Geflüchteten, mit denen wir in Kontakt kamen, waren Künstler und Intellektuelle. Uns dämmerte nicht nur, welchen Verlust für ihr jeweiliges Herkunftsland dieser braindrain bedeutete und welchen potentiellen Gewinn für uns, sondern auch, wie viel Ignoranz wir - in der Folge des kalten Krieges und der Jahre, da der bestenfalls bemitleidete, ungebildete Gastarbeiter unser Balkanbild prägte - gegenüber dem südslawischen Kulturleben aufzubringen gewohnt waren, vor allem aber, dass ja wohl nicht alle hellen Köpf ihre Heimat verlassen haben konnten. Kontakte zu Menschen in den mittel- und unmittelbaren Kampfgebieten aufzunehmen bzw. zu halten, war schwierig und wurde unter dem 1992 verhängten Embargo, das auch kulturelle, wissenschaftliche und sportliche Belange betraf, noch schwieriger.

Nach vielen Gesprächen und Grübeleien schälte sich die Idee heraus, DramatikerInnen der diversen Nachfolgstaaten, die sich dem nationalistischen Wahn verwehrt und daher wohl auch "zu Hause" kaum Möglichkeiten des Publizierens hatten, mittels eines Wettbewerbes zum Schreiben zu animieren. Schließlich braucht das Theater aufregende neue Stücke und SchriftstellerInnen wünschen sich ein hellhöriges Forum. Eine der PreisträgerInnen brachte es später auf den Punkt. Sie bezeichnete ihr Schreiben in der damaligen, spezifischen Situation als "mentales Kotzen".

Nach nicht unkomplizierten Vorbereitungen wickelte also das Theater m.b.H. in den Jahren 1999 und 2000 seinen Dramenwettbewerb für AutorInnen in und aus Ex-Juoslawien ab. Glücklicherweise hatten wir keine Ahnung davon, welche Dimension und welchen Aufwand das Unterfangen annehmen würde. Hoffnungsfroh starteten wir diese - unserem Wissen nach erste, alte und neue Grenzen gleichermaßen überschreitende - Kulturinitiative.

 

Der Ablauf

Die Qualität eines Wettbewerbes wird wesentlich durch die Qualität seiner Jury bestimmt. In unserem Fall war die Auswahl der Jurymitglieder, die aus dem Ex-Jugoslawischen Raum kommen sollten, eine besonders heikle Aufgabe. Die Juroren, die wir zur Kooperation einladen wollten, kamen ja aus einem vormals gemeinsamen Land, das inzwischen in verfeindete Staaten zersplittert war. Ihre fachliche wie politische Integrität sollte nachträglich von allen TeilnehmerInnen akzeptiert werden können. Schon diese konspirative Phase des Unternehmens brachte uns unschätzbare Einblicke in Vergangenheit und Gegenwart des kulturellen Lebens in unserem zerrissenen Nachbarland. Dem selbstlosen Einsatz dieser Juroren - hier seien sie genannt: Jovan Cirilov, künstlerischer Leiter des international höchst renommierten Belgrader BITEF-Festivals, Dusan Jovanovic, Dramatiker und Regisseur aus Ljubljana, Dejan Dukovski, Dramatiker aus Skopje und Slobodan Snaijder, Dramatiker und derzeit Theaterleiter in Zagreb, damals Emigrant - ist ein großer Teil des Erfolges zu danken. Sie diskutierten schriftlich und fernmündlich nicht nur den Text der Ausschreibung mit uns, sie kümmerten sich auch um dessen Veröffentlichung in den einschlägigen Medien ihrer Länder, an Theatern und Universitätsinstituten.

Die endlich einlangenden Stücktexte mussten in vielen - vornehmlich unbezahlten - Arbeitsstunden vervielfältigt, verschickt, lektoriert werden. Besonders viel versprechende Stücke wurden vorerst roh ins Deutsche übersetzt, auf dass auch mir - des Serbokroatischen nicht mächtig, aber als Initiatorin und Moderatorin in der Jury stimmberechtigt - ein blasser Schimmer der Verhandlungsmaterie vermittelt werde. Gegen Ende der Einreichungsfrist türmten sich die einlangenden Manuskripte und die kalkulierten Kosten waren längst überschritten.

Die Subventionen, die Theater m.b.H. erhält, sind widmungsgemäß für Theaterproduktionen zu verwenden, Extratouren sind nicht mitgemeint. So mussten andere Quellen aktiviert werden: "Kulturkontakt Austria", ein Verein, der den kulturellen Austausch mit Ländern Ost- und Südosteuropas fördert und uns schon zuvor etliche Male kompetent und zuverlässig geholfen hatte, sagte die Finanzierung von einigen Übersetzungen zu. Auch das Außenamt stellte eine bestimmte Summe in Aussicht. Das Budgetloch und die Manuskriptstapel wurden überschaubarer.

Dann begab sich die Jury in zweitägige Klausur, um die Wertungen vorzunehmen. Die Namen der Juroren waren den Bewerbern nicht bekannt gegeben worden, um jeglichem Interventionsversuch vorzubeugen und auch die Texte waren selbstverständlich anonymisiert. Dennoch waren einige Stücke schon auf Grund sprachlicher Zuordenbarkeit lokalisierbar. Es war aufregend und berührend zu beobachten, wie sehr die Juroren - bemüht um Fairness und Toleranz - versuchten, Stücke des jeweiligen "Auslandes" zu favorisieren.

Drei Geldpreise hatten wir - neben der Zusage der Übersetzung der drei besten und der Aufführung von einem der drei Stücke in Wien - in Aussicht gestellt, aber neben den drei endlich gekürten Dramen gab es weitere, die uns hervorragend schienen. So etablierten wir kurzer Hand zwei Zusatzpreise. Nachdem diese Entscheidungen gefallen waren, wurden Mutmaßungen zu den AutorInnen angestellten, die sich als überwiegend grundfalsch erwiesen, sobald die entsprechenden Namen und Biografie endlich verlesen wurden. Keiner hätte das statistische Ergebnis vorherzusagen gewagt, dass nämlich das Geschlechterverhältnis 3:2 zugunsten der Dramatikerinnen lauten würde, und alle fünf Prämierten der jüngeren Generation zuzurechnen wären. Die Freude über ein solches Resultat war angemessen groß.

Bemerkenswert am Ergebnis der statistischen Auswertung des gesamten Einreichungsvolumens von 95 Stücken, die den Einreichungskriterien entsprachen, war der absolut phänomenal hohe Frauenanteil von 45% und die Tatsache, dass 30% der Dramen von unter 35jährigen verfasst waren. Von den 20 Texten, die in die enger Wahl gekommen waren, war exakt die Hälfte von Frauen und mehr als die Hälfte von jüngeren AutorInnen geschrieben worden.

So unterschiedlich die Sujets der Stücke, so verschieden die dramaturgischen Zugriffe der AutorInnen waren, in den meisten Texten, auch denen, die sich nicht unmittelbar mit den Kriegsereignissen auseinandersetzten, sind deren Folgen ablesbar, die Erschütterungen des gesellschaftlichen Gefüge nachspürbar. Anmerkenswert ist auch das überdurchschnittlich hohe professionelle Niveau der Einreichungen, das sich vermutlich aus die sehr lebendigen Theatertradition einerseits, andererseits aus der spezifischen universitären Ausbildung erklärt, die so im deutschsprachigen Raum nicht angeboten wird.

 

Folgeerscheinungen

Die Preisverleihung, zu der wir die GewinnerInnen - von denen manche nach Jahren der Isolation und des Horrors erstmals wieder Grenzen passieren oder zumindest überfliegen durften - und unsere Juroren nach Wien luden, geriet zu einem hoch gestimmten Fest. Die allgemeine Euphorie verleitete uns dazu, gleich noch ein Folgeprojekt zu konzipieren, das uns später auch tatsächlich zu realisieren gelang: die zweisprachige Buchausgabe der Siegerstücke. Nach wenigen Monaten konnten wir eine zweibändige Ausgabe mit dem Titel "Schutzzone" präsentieren - in Wien bei geringem medialen Interesse trotz hochkarätig besetzter Diskussionsrunde im Rahmenprogramm, in Zagreb, Beograd, Pula, Sarajewo und Maribor vor vollbesetzten Reihen motivierter Journalisten aller medialen Sparten.

An die 300 Exemplare dieser Buchausgabe lieferten wir Universitäts- und Kulturinstituten, Bibliotheken und Dramaturgien der Theater in den Nachfolgstaaten, um sie der Öffentlichkeit und der Fachwelt zugängig zu machen.

Im Ausland einen Preis zu gewinnen, bedeutete für unsere AutorInnen, die bis dahin in ihrer Heimat kaum wahrgenommen waren, einen vehementen Karriereschub, für die jüngste unter ihnen die Aufnahme in den Berufsverband - und das Anrecht auf Krankenversicherung ist für eine Alleinerzieherin nicht unbedeutend. So manches über konkrete Lebensbedingungen anderswo kam uns sehr plastisch in den Blick. Wer denkt schon dran, wenn er verärgert auf eine E-Mail zwecks Besorgung eines Visums wartet, dass es in Belgrad eben längere Stromabschaltungen gibt? Der heftigste Wunsch einer Dramatikerin, eines Dramatikers bleibt es vermutlich, den eigenen Text auf der Bühne erprobt zu sehen. Erfreulicher- und überraschenderweise haben einige Theater - auch außerhalb der jeweiligen Entstehungsländer - prompt reagiert. Die Produktionen erfuhren trotz oder wegen der kritischen bis gnadenlosen Befunde, die diese Zeitstücke abgeben, durchwegs sehr positive Reaktionen. Ob sich die Texte auch im deutschsprachigen Theater durchsetzen werden bleibt abzuwarten. Immerhin haben wir 15 Stücke aus dem Wettbewerb ins Deutsche übersetzen lassen, 11 davon hat ein Österreichischer Theaterverlag in seinen Vertrieb übernommen. Und immerhin hat der gewiefte Theaterfuchs und Doyen unserer Jury, Jovan Cirilov, prognostiziert: "dass diese Dramen ... in ihrer Kombination aus Universalität und Einmaligkeit das zeitgenössische europäische Theater bereichern werden." Wir persönlich fühlen uns jedenfalls bereichert um intensive Erfahrungen und so herzliche wie produktive Freundschaften.

Es war ein Projekt mit vielen Risken, das durch die Begeisterungsfähigkeit vieler Beteiligter, die mit großem Einsatz mitgeholfen haben, Bewegungen bei manchen Menschen und in manchen Bereichen provoziert hat. So überzeugend unser Konzept für viele offenbar war - hätten wir es bei jenen Kulturförderstellen eingereicht, die sich für zuständig halten sollten, und auf Zusagen gewartet, wäre es über die Papierform nicht hinausgewachsen.

© Johanna Tomek (Wien, Theater m.b.H.)

10.6. Theater der Regionen

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For quotation purposes:
Johanna Tomek (Wien, Theater m.b.H.): Vom kleinen Rundruf über Grenzen und seinem vielstimmigen Echo - ein Erfahrungsbericht. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/10_6/tomek15.htm

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