Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
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Die Boten der Armut

Patrice Fuchs (Österreichische Hochschülerschaft, Wien)
[BIO]

 

Ein heute oft strapazierter Satz ist die Behauptung von einem Menschen, er oder sie sei 'ein richtiger Europäer - eine richtige Europäerin!'

Was sich anhört, wie eine Kulturen verbindende Eigenschaft, die jemandem zugesprochen wird, transportiert für mich mittlerweile eine starke Ambivalenz. Meistens wird die Aussage benützt, um subtil nicht nur einem Menschen zu schmeicheln - eben einem "richtigen" Europäer, einer "richtigen" Europäerin -, sondern gleichzeitig, um das Image der EU aufzuputzen - eben die Befürwortung der EU positiv zu besetzen.

Aber was bedeutet es, 'ein richtiger Europäer oder eine richtige Europäerin' zu sein? Was bedeutet das für die EU und wo liegt die Ambivalenz?

Denken wir doch an die vielen Menschen, die in der EU leben und keinesfalls von sich behaupten können, 'richtige Europäer' zu sein. Sie sind auf illegalen Wegen in unsere europäischen Länder eingedrungen. Sie sollten eigentlich gar nicht da sein. Trotzdem haben sie Forderungen mitgebracht: z.B. wollen sie bei uns arbeiten dürfen. Sie wollen ihren Aufenthalt bei uns legitimiert wissen. Uns verunsichert ihre Präsenz jedoch oft.

Ich habe mir lange überlegt, worin diese Verunsicherung begründet liegt. ImmigrantInnen lösen ein bestimmtes Bild in uns aus. In diesem Bild ist die Vorstellung von Mutter und Vater, die sie aufwachsen ließen, nicht integriert oder die Vorstellung von ihrer Lebensgefährtin/ihrem Lebensgefährten oder ihren Kindern - und auch die Vorstellung von der Angst, die sie hatten, als sie aus ihrer Heimat loszogen, ist in diesem Bild nicht integriert.

Wir können ja nichts wissen von ihrer persönlichen Geschichte, wenn sie auf der Strasse an uns vorbei gehen. Hingegen sehen wir sie eben auf der Strasse an uns vorbeigehen, etwa als männliche Einzelwesen oder kleine Gruppen von Männern, die gemeinsam ein Ziel verfolgen.

So kommt es zu dem Bild von kriegerischen Soldaten. Kämpferisch im Krieg ums Überleben und ohne Familie unterwegs. Sie belagern uns heimlich. Doch was soll das bezwecken?

Wir fürchten natürlich, dass sie mit dem Auftrag gekommen sind, unseren Reichtum zu erobern.

Was bleibt jedoch übrig, wenn wir unseren Reichtum und den Wunsch ausklammern, diesen Reichtum zu bewahren?

Dann werden die Soldaten zu Boten. Boten, die in die EU reisen, um uns von der Armut zu berichten, die rund um uns herrscht.

Ihre Nachricht ist in Europa angekommen und wir haben hysterisch einen Abwehrkampf eröffnet. Dies geschieht in einer solchen Hast, ohne zu reflektieren, dass man fast von einer Flucht nach Innen sprechen muss.

Das erste was mir einfällt, wenn ich die Überschrift 'das Verbindende der Kulturen' höre, ist die EU und dass wir in der EU versuchen - vor allem wirtschaftlich - verbindend zu sein. Wir müssen Europa noch viel mehr als kulturellen Raum und die Europäische Union als politischen Raum im umfassendsten Wortsinn des Wortes "politisch" begreifen. Ich denke aber auch daran, dass wir andere Länder oft ungerechtfertigt ausschließen und Gräben um uns bauen. Daran, dass das Plus unterm Strich, das wir erwirtschaften, ein Minus in den Ländern ergibt, die uns umgeben.

So sind wir über die Grenzen der EU hinweg schon längst verbunden - durch eine Abhängigkeit, die wir geschaffen haben, und durch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Wir müssen also ehrlich sein, das anerkennen und Schikanen abbauen - und Kulturen verbinden.

© Partice Fuchs (Österreichische Hochschülerschaft, Wien)

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For quotation purposes:
Patrice Fuchs (Österreichische Hochschülerschaft, Wien): Die Boten der Armut. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/fuchs15DE.htm

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