Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
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Die Weltpolitik der UNESCO

Katérina Stenou (UNESCO/Paris) [BIO]

 

Von der Weltpolitik der UNESCO zu sprechen, würde soviel heissen, wie von der im Gründungsakt eingetragenen Mission dieser Organisation im System der Vereinten Nationen zu sprechen. Ich bin mir bewusst, dass das Thema, welches ich Ihnen heute vortragen soll, ein sehr weites Feld darstellt und zwar die Kulturpolitik der UNESCO in ihren Beziehungen zur Welt.

Ich kann sofort sagen, dass diese Bemühungen seit 1945 permanent sind, aber dass ihre Ausdrucksmodalitäten sehr verschieden sind.

Der 1946 in Kraft getretene Gründungsakt der UNESCO sieht vor, dass die "fruchtbare Vielfalt der Kulturen" geachtet wird. In der ersten Periode wurde besonders das Studium der Kulturen betont und zwar im Sinne, wie es Goethe zur Weltliteratur formuliert hatte, dass man in jeder Eigenschaft, sei sie historisch, mythisch oder einer Fabel entnommen, sei sie mehr oder weniger willkürlich erfunden, das Universelle sehen kann über den nationalen und individuellen Charakterzug hinaus. Das könnte bedeuten, dass eine Kulturpolitik vielmehr die Einfuhr der anderen als die Ausfuhr des eigenen sein sollte. So wurde schon 1948 die Einheit "Kunst und Literatur" eingerichtet, die anschliessend vom Programm Übersetzung klassischer und zeitgenössischer literarischer Werke in der "UNESCO Sammlung repräsentativer Werke" abgelöst wurde.

Auf dem Gebiet der schönen Künste, besonders in der Musik, kann man eine ähnliche Bemühung feststellen, die 1954 zur UNESCO Sammlung "Universalsammlung der Weltkunst" führte. Schon 1949 entstand das Projekt einer Weltgeschichte der Musik als Dialog der Kulturen, indem der immer noch vorhandene Internationale Musikrat (CIM) gegründet wurde. Diese vom Optimismus unserer Gründer gekennzeichnete Phase erlebt auch das Entstehen des Projektes einer Weltgeschichte der Menschheit und der Regionalgeschichten.

Nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine zweite Phase lenken, die direkt mit dem Kolonisierungsphänomen zu tun hat und ihren Höhepunkt um 1960 erlebt. 1953 entsteht die Reihe "Kulturelle Einheit und Vielfalt" mit zwei Bänden: der erste bezog sich auf eine Umfrage zur "jetzigen Auffassung der Kulturen, die den verschiedenen Ländern der Welt zu eigen sind und ihren Beziehungen zueinander": sein Titel lautet "Humanismus und Bildung in Ost und West", erschienen als Folge einer 1951 in New Delhi organisierten internationalen "Gesprächsrunde". Dieser Ansatz wurde durch die Beschleunigung des Dekolonisierungsprozesses in vielen Ländern, besonders in Afrika, betont, so dass die UNESCO allmählich von einer einschränkenden Auffassung der Kultur - als Literatur und schöne Kunst angesehen - nun zu einer viel offeneren Auffassung gelang und zwar durch grosse Sammelaktionen, die u.a. als Ziel hatten, in vielen früher durch die Kolonialmächte herabgeschätzten Sprachen die mündliche Tradition festzuhalten.

Man darf nicht vergessen, dass das Gebiet der Erziehung in der gleichen Zeit bemüht war, die Muttersprachen festzuhalten und sie zu fördern.

Man kann behaupten, dass eigentlich die Früchte dieser Erfahrungen zwanzig Jahre später gesammelt wurden, indem die MONDIACULT-Konferenz in Mexico 1982 den Kulturbegriff erweitert hat: Kultur sei nicht nur der Ausdruck der Belletristik und der schönen Künste, sondern "soll als die Ganzheit der geistigen und materiellen, intellektuellen und affektiven Eigenschaften einer Gesellschaft oder einer gesellschaftlichen Gruppe aufgefasst werden; zur Kultur gehören ausser Literatur und Künste auch die Lebensart, die Formen des Zusammenlebens, das Wertsystem, die Traditionen und der Glaube..."

Nach der Anfangsphase 1945-1960 und der zweiten Phase von 1960-1982, möchte ich nun die dritte Phase erwähnen, die mit den Herausforderungen der Globalisierung verbunden sind. Die Vorzeichen waren um 1985 durch das Weltdezennium der kulturellen Entfaltung angedeutet. Dabei war es wichtig, das Überleben einer jeden schon durch die Hegemonia einiger Grossmächte bedrohten Kultur zu sichern. Einige Jahre später wurde die Gefahr von der Weltkommission "Kultur und Entwicklung" aufgegriffen und als Ergebnis entstand 1995 die Redaktion des Berichts "Our creative diversity", der bei der internationalen Regierungskonferenz zur Kulturpolitik in Stockholm 1998 als Basis benutzt wurde.

Die Besorgnis, jeder Kultur nicht nur Überlebens- sondern auch Entfaltungschancen zu geben, kennzeichnet die neue UNESCO-Politik und neulich fand sie ihren Ausdruck in der Weltdeklaration der UNESCO zur kulturellen Vielfalt (2001). Diese neue Orientierung der Organisation wird einerseits durch die Wiederkehr des Gründungsprinzips der "gleichen Würde aller Kulturen" sowie, andererseits, durch eine Warnung gegen den kulturellen Relativismus, der im folgenden Satz enthalten ist, gekennzeichnet: "niemand kann sich auf die kulturelle Vielfalt berufen, um Menschenrechte zu verletzen oder einzuschränken".

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

wir haben mit schnellem Tempo ein halbes Jahrhundert institutioneller Geschichte nun hinter uns gebracht. Nach diesem kurzen geschichtlichen Teil möchte ich mit Ihnen einige Gebiete ansprechen, wo das Denken und das Handeln der UNESCO in den Vordergrund treten. Ich möchte zwei Gebiete ansprechen, das erste betrifft die Begriffe:

Kultur ist nicht nur ein Erbe, das über eine Lebensbeziehung unter seinen Mitgliedern verfügt, sondern auch ein Lebensprojekt, das sich dauernd durch den Kontakt mit den anderen neu konstituiert und demzufolge definiert sich der Mensch nicht nur durch die mitbekommene Kultur, sondern er selbst definiert seine Kultur.

Seit eh und je und besonders heutzutage in einer Zeit der Globalisierung und der Mobilitaet definiert sich der Mensch nicht nur durch die bei der Geburt mitbekommenen Kultur - auch wenn sie in seiner Identitaet eine regulierende Rolle innehat Kontakt mit den anderen neu konstituiert und dem zu Folge definiert sich der Mensch nicht, sondern er trägt in sich implizit die Fähigkeit, sich an andere Kulturen zu wenden, um die eigene Identität neu zu gestalten.

Das zweite Gebiet ist pragmatischer:

In dieser neuen Landschaft nimmt die interkulturelle Kommunikation viele Formen an, die sich gegen Dogmatik sträuben und immer in ihrer atypischen Form etwas Zauber beibehalten. Dieses Geheime soll man akzeptieren, denn die Kulturen bestätigen sich und erklären sich ungültig, sie verhandeln, sie adaptieren sich und adoptieren einander dauernd.

Das Bewusstsein der Eigenschaft einer jeden Kultur wird den Widerstand gegen die Oberherrschaft einer anderen Kultur rechtfertigen; diese Einzigartigkeit, dieses Spezifische der Kulturen entsteht nicht nur als Behauptung in der Gegenwart, sondern auch als potentielle Projekte für die Zukunft.

Im Vergleich zu 1945 entsteht heute ein klareres Bild; die internationale Gemeinschaft braucht ein offizielles Forum, das die Spielregeln definiert und die Mobilität sowie das Überleben der Kulturen gegen die Trägheit und den Tod garantiert, denn die Kulturen stellen nicht nur ein neben- oder übereinander gestelltes Erbe der Menschheit dar, sondern sie helfen dabei, sich die Welt kohärenter, verschiedenartiger und nicht fremd auszudenken.

Die UNESCO, die sich in sehr verschiedenen Situationen - Barbarei des Krieges, koloniale und postkoloniale Zustände, Konflikte zwischen Grossmächten, Prüfung des Entwicklungsparadigmas - für die Kulturen eingesetzt hat, steht heutzutage vor einer neuen Herausforderung und zwar muss sie gegen eine "Makro-Kultur" ankämpfen, die anstelle der glänzenden Vielfalt der Kulturen treten möchte und gegen die identitären Einkapselungen, die kulturelle Fundamentalismen in sich tragen.

Zum Schluss möchte ich unseren Optimismus mitteilen, denn ich bin sicher, dass Sie unsere Überzeugung teilen, dass die kulturelle Vielfalt für die Gesellschaft eine Bereicherungsquelle darstellt, indem sie ein weites Spektrum an Weltanschauungen, Beleuchtungen, Ideologien und schöpferischer Feinfühligkeit aufweist, so dass jeder Bürger mehrere Lebensprojekte haben kann, ob individuell oder in Gemeinschaft.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

© Katérina Stenou (UNESCO/Paris)

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For quotation purposes:
Katérina Stenou (UNESCO/Paris): Die Weltpolitik der UNESCO. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/stenou15DE.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 21.11.2003     INST