Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. September 2004
 

Veranstaltungsbeiträge | Contributions at events | Contributions du programme social

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Das Verbindende der Kultur

Peter Dusek (Wien)

 

Sehr geehrte Damen und Herrn!

Bei einer Tagung über das Verbindende der Kulturen zu reden und dabei das ORF Fernseharchiv vorzustellen, ist ein recht zwiespältiges Unterfangen. Zum einen stehen wir in den Fernseharchiven der Welt vor der digitalen Revolution und die Zeit scheint nahe, wo wir den digitalen Kulturaustausch via Netzwerk ins Unermessliche steigern können. Zum anderen ist die Geschichte der audiovisuellen Archive auch eine Warnung vor den Folgen eines falschen Bewusstseins, das gerade im Medienzeitalter beinahe dazu geführt hatte, das audiovisuelle Gedächtnis der Welt verrotten zu lassen. Wir stehen also vor großen Chancen, aber ebenso großen Hindernissen und die haben wir uns vor allem selber zuzuschreiben. "Den Wald voller Bäume nicht sehen" heißt ein altes Sprichwort und so war es auch nach der Erfindung von Film, Radio und Fernsehen. Der Siegeszug der audiovisuellen Massenmedien hat zu tief greifenden Veränderungen des politischen, wirtschaftlichen und auch kulturellen Alltags geführt. Aber niemand hat sich dafür interessiert, dass wir die neuen Quellen bewahren können. Dafür unterstützt die UNESCO weltweit Bibliotheken und staatliche Archive, in denen Papier verwaltet wird, d.h. aber etwa in Afrika, dass wir die schriftlichen Dokumente der Kolonialzeit sorgsam behandeln, dass wir aber das, was afrikanische Kultur unter dem Stichwort "Oral History" ausmacht, bereits weitgehend verrotten haben lassen. Und wie sehr dies aus einem falschen Bewusstsein heraus passiert ist, zeigt die Geschichte der Fernseharchive in den reichen Ländern Europas und Amerikas. In diesem Sinn ist das Fernseharchiv des ORF ein klassisches Beispiel für derartige Versäumnisse. Dennoch, wenn ich Ihnen in der Folge das ORF Fernseharchiv vorstelle, geht es nicht nur um die Fehler von einst, sondern um einen Modernisierungsprozess nach dem Motto "per aspera ad astra".

Die Qualität der Mitarbeiter ist Trumpf oder Motivation ist alles

Es besteht kein Zweifel, dass der ORF bzw. das Fernseharchiv die größte audiovisuelle Mediensammlung Österreichs ist. Weder der Hörfunk, noch andere Mediensammlungen wie Filmarchiv Austria, Filmmuseum oder Phonothek erreichen eine ähnliche Größenordnung. Der heutige Status des ORF-Archivs ist übrigens ein Ergebnis eines Reformprozesses, in den ich seit 25 Jahren involviert bin. Damals waren die Hürden der Benützung schier unüberwindlich. Im Fernseharchiv hatte man viel zu wenig Mitarbeiter. Die Qualifikation der Mitarbeiter lag unter jenem der Sekretariatslaufbahn und es gab - an Technik - nur Filmvorführtische, Videobänder konnten in keiner Weise besichtigt oder ausgewertet werden. Jedoch: vor rund 25 Jahren begannen Vorarbeiten zu einem Geschichtsjubiläum, "25 Jahre Staatsvertrag" wurde vom damaligen Bundeskanzler Kreisky zum Anlass genommen, um österreichische Zeitgeschichte auch für die Schulen aufzubereiten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns in Österreich über die NS-Ära einfach hinweg geschwindelt. Wir hatten uns als erstes Opfer beklagt und die Tatsache, dass es viele hochrangige österreichische Nationalsozialisten, KZ-Wärter oder Denunzianten gab, wurde verdrängt und totgeschwiegen. Mit dem Erinnerungsdatum "40 Jahre Anschluss" - das zwei Jahre vor dem 25. Geburtstags des Staatsvertrages lag - begann das Umdenken. 4 Medienkoffer zur österreichischen Zeitgeschichte wurden für die österreichischen Schulen produziert und dabei stellte sich dann heraus, dass die audiovisuelle Überlieferung in unserem Land besonders lückenhaft war. Das RAVAG Archiv wurde 1938 nach Berlin überführt, dann verliert sich die Spur. Die Wochenschau des Ständestaates kam ebenfalls nach Berlin und erst seit zwei Jahren sind die Kopien wieder vollständig nach Österreich zurückgeliefert worden. Österreich als Teil des Dritten Reiches war auch in den Mediensammlungen der Bundesrepublik kein Suchbegriff und von 1945 - 1955 war unser Land in vier Besatzungszonen geteilt. Die diesbezüglichen AV-Dokumente finden sich in Washington, London, Paris oder Moskau. Unter diesen Voraussetzungen begann vor 21 Jahren der österreichische Starjournalist Dr. Hugo Portisch eine 36-teilige Serie über die Geschichte der Ersten und Zweiten Republik für das Fernsehen zu produzieren. Das war die Geburtsstunde des Historischen Archivs, das ich nach folgenden Prinzipien aufbaute:

Audiovisuelle Quellen müssen endlich als eigene Quellengattung von den Hilfswissenschaften verstanden werden. Methoden, wie man sie bei der Erfassung von Kaiser- und Papsturkunden anwendet, sind auf die Welt von Film und Photo bzw. Video umzulegen und neu zu entwickeln. Dazu müssen aber journalistische Kenntnisse über die Produktion von Radio und Fernsehbeiträgen kommen, sowie Spezialkenntnisse über Technik und Urheberrecht. Dieses anspruchsvolle Programm hat sich voll bewährt. Seit mehr als zehn Jahren unterrichte ich am Institut für Österreichische Geschichtsforschung audiovisuelle Quellenkunde und ab diesem Wintersemester (WS 2003/2004) gibt es ein eigenes Vertiefungsmodul für die Ausbildung von Medienarchivaren.

Das Historische Archiv des ORF war von Anfang an sehr erfolgreich. Wir initiierten Zeitgeschichtesendungen, brachten Bücher heraus, kümmerten uns um die bis dahin verwaiste Rundfunkgeschichte und galten durch den gezielten Computereinsatz als dynamische Eliteeinheit des ORF. Die Folge war, dass vor 15 Jahren mir und meinem Team die Leitung des überalteten Fernseharchivs übertragen wurde, das infolge der ungeheuren Materialansammlung zu kollabieren drohte. Mit zunächst insgesamt 60 Mitarbeitern begann ich den Reformkurs, der auch bald international anerkannt wurde. In gewisser Weise haben wir unsere Wachstumsphase dadurch möglich gemacht, dass wir dem Hause gezeigt haben, wie sehr ein gutes Fernseharchiv nicht nur die Qualität des Programms hebt, sondern auch - mit der Methode des "Recycelns" - die Kosten der Produktionen minimiert. Immer wieder kamen Prüfer und analysierten unsere Arbeit. Am Ende kam es immer zu dem Satz: "Dieses Archiv ist ein Beispiel, wie man durch Zusatzinvestitionen Kosten sparen kann und die Qualität des Programms steigert". Was in all den Jahren nicht gelang, war der Themenkomplex "Öffnung nach Außen". Zunächst waren es die unerschlossenen Altbestände, die ein großes Hindernis darstellten. Dazu kommt der Datenschutz: Immer wieder werden wir gefragt, warum nicht wenigstens unsere Computererschließung öffentlich zugänglich ist. Aber wir haben auch personenbezogene Daten, Informationen über das nicht gesendete Material und damit den Schutz über das Redaktionsgeheimnis zu wahren. Außerdem gibt es noch etliche Probleme bei der Digitalisierung von Daten. Sendequalität kann selbst im Newsroom nicht länger als ein Monat garantiert werden. Dann entstehen wieder analoge Bänder, und wenn man auf diese zugreifen will, muss man erneut digitalisieren. Das Zauberwort heißt Datenreduktion und Key Frames. Wir liefern seit mehr als drei Jahren so genannte Bildstreifen zu den Nachrichten und Dokumentationen. Das ist eine erste optische Annäherung zum Inhalt der Sendung und bindet so geringe digitale Kapazitäten, dass wir diese Art von Spezialinformation nach Außen tragen könnten. Wenn man die vorhin geschilderten juridischen Hürden meistern könnte.

Das ORF Fernseharchiv hat seit Jahren die internationale Kooperation forciert. Ich gehöre seit 13 Jahren zum Vorstand des Internationalen Dachverbandes der Fernseharchive FIAT/IFTA. Vier Jahre lang war ich der Präsident dieses internationalen Vereins und derzeit bin ich Vize-Präsident. Hier beschäftigen wir uns seit Jahren mit dem Thema dieser Tagung hier in Bonn. Denn alle unsere Anstalten müssen sich immer mehr Druck der Öffentlichkeit in jene Richtung gefallen lassen: Warum stehen die Fernseharchive nur den Fernsehmitarbeitern offen?

Inmitten der digitalen Revolution

Es gibt doch so etwas wie einen öffentlich-rechtlichen Kultur- und Öffentlichkeitsanspruch. Diese Debatte läuft in jedem EU-Land - nur die Antworten sind sehr unterschiedlich. Beginnen wir in Frankreich: Hier hat man früher als anderswo erkannt, dass Medienarchive ähnlich wichtig sind wie Museen und Aktensammlungen, wie sie in Staatsarchiven verwaltet werden. Fernseh- und Radioanstalten sind verpflichtet, alles was sie produziert haben, an die INA, das Institut Nationale Audiovisuelle, nach der Ausstrahlung abzuliefern. Nach ein Paar Jahren verlieren die Produzenten sogar ihre Rechte, denn die Kosten der INA mit ihren rund 1500 Mitarbeitern sind ja nicht gering. Gegen das Modell INA spricht nicht nur der Verlust der Produzentenrechte, sondern auch etwas, was wir im ORF bei der Neuinstallierung des digitalen Newsrooms erreichen konnten: moderne Medienarchive müssen in Zukunft schon im Produktionsprozess beginnen, relevante Daten zu sammeln und zu sichern. Bis jetzt war es ja so, das zunächst erst aufwendig produziert wurde und dann sozusagen wieder von vorne ein aufwendiger Rechercheprozess bei der archivarischen Dokumentation begann. In Zukunft wird man noch viel mehr Informationen zu den Bildern dokumentieren, etwa die Kader-genaue Rechteverwaltung. Aber das ist nur denkbar, wenn die digitale Dokumentation schon in der Entstehungsphase einer Sendung beginnt. Das Modell INA ist also ein französischer Sonderfall.

Bei anderen Fernsehanstalten kommt es wieder darauf an, wie gut die jeweilige Finanzsituation ist, das hängt wieder damit zusammen, wie groß die Seherdichte ist bzw. wie groß die Sprachfamilie ist, in der gesendet wird. Großbritannien und Italien sind hier Beispiele für große öffentlich-rechtliche Anstalten, die viel mehr Mittel zur Verfügung haben als kleine Länder. Zum Unterschied von Dänemark, Norwegen oder Schweden, hat etwa das kleine Österreich auch noch der Konkurrenz aller deutschsprachigen Satellitenprogramme standzuhalten /Paroli zu bieten.. Wir sind also in einer doppelten Zwickmühle. Allerdings sehe ich doch mehrere Hoffnungsfelder: die alten Formate sind in fünf bis zehn Jahren nicht mehr abspielbar, nicht nur weil Videobänder eine kürzere Lebensdauer als Filme haben. Das Hauptproblem sind die Maschinen, die nicht mehr nachgekauft werden können. Dazu kommt der Druck der Öffentlichkeit in Richtung "Öffnung der Mediensammlung", der stetig zunimmt. Wie also soll es weitergehen? Die digitale Revolution kommt langsamer voran als man vor zwei, drei Jahren annahm; dennoch ist nicht aufzuhalten. Internet und neue Breitbandleitungen werden rein technisch gesehen die Zugangsfrage lösen helfen. Was fehlt sind Informationen über Rechte und internationale Rahmenbedingungen, denn auf Dauer kann es nicht sein, dass von Land zu Land eine andere Antwort auf die Frage nach dem öffentlichen Zugang audiovisueller Mediensammlungen und deren Öffnung gegeben wird. Zumindest eine "Version light" mit Key Frames und verbal-textueller Beschreibung unserer Dokumente wird man in ein Paar Jahren via Internet abfragen können. Die Kooperation, die etwa zwischen dem ORF und dem SWR oder NDR in Sachen Archiven seit Jahren mustergültig läuft, wird zum Maßstab für internationale Kooperationen werden. In diesem Sinn: Wir kennen die Richtung, in die wir zu gehen haben. Setzen wir unseren Weg konsequent fort. Die digitale Zukunft der audiovisuellen Archive hat nämlich noch gar nicht begonnen!

© Peter Dusek (Wien)

Veranstaltungsbeiträge | Contributions at events | Contributions du programme social


TRANS       Inhalt | Table of Contents | Contenu  15 Nr.


For quotation purposes:
Peter Dusek (Wien): Das Verbindende der Kultur. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/veranstaltungen/dusek.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 7.9.2004     INST