Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. März 2006
 

2.4. Das Open Source Dorf - The Open Source Village
Herausgeber | Editor | Éditeur: Franz Nahrada (Wien) / Uwe Christian Plachetka (Universität Wien, Institut für Risikoforschung)

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Bericht: Das Open Source Village

Franz Nahrada (Wien) [BIO] /
Uwe Christian Plachetka
(Universität Wien, Institut für Risikoforschung) [BIO]

 

Das Thema und Ziel der Sektion in der IRICS-Konferenz war die Präsentation eines "show-cases" eines Weltsystems, das auf globalen Dörfern beruht. Globale Dörfer oder Open Source Villages sind Dörfer, die sich wesentlich auf Informationsaustausch stützen, um ihre lokale Leistungsfähigkeit zu optimieren. Dabei wurde gezeigt, dass die Oikoumenê der Andenzivilisation auf interagierenden globalen Dörfern beruht, da das Prinzip vor allem der Inkastädte dasjenige ökologisch-landschaftsplanerisch eingepasster "Globaler Dörfer" darstellt. Auch wenn die online Zusammenarbeit nicht per Internet, sondern per Knotenschnüren ("Quipus") und Post lief und die wichtigsten Daten verarbeitenden Instrumente landwirtschaftliche Versuchsstationen waren, wie Moray, welche allerdings die optimale Mobilisierung lokaler Ressourcen ermöglichten.

Das Geheimnis liegt in der Erstellung von an lokale Vegetationszyklen angepassten astronomischen Kalendern ("Fraktalkalender"), sodass die Online-Zusammenarbeit über "astronomische Rechenzentren" ermöglicht wurde, da die jeweiligen Kalender der jeweiligen Provinzen in den Regierungszentralen simuliert wurden. Das heißt, in der anthropologischen Fachsprache Perus "complimentaridad ecológica" (ökologische Komplimentarität) und "manejo cibernetico de la agricultura" (kybernetische Agrarmanagementsysteme). Damit war es, so die Arbeitshypothese, möglich, auch ohne moderne Elektronik globale Dörfer zu bauen.

Konferenzablauf

Werner Stenzel musste leider absagen, desgleichen konnte die Diskussionsleitung durch Hanns-Albert Steger aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und der damit einhergegangenen angegriffenen Gesundheit nicht stattfinden. Folglich zeichnete sich die Durchführung dieses Programms dadurch aus, dass die Referenten überzogen, die selbst von Norddeutschland her angereisten spezialisierten ZuhörerInnen lebhaft und interessiert Fragen stellten, sodass diejenigen Gäste, die meinten, um 19:00 bereits Termine zu haben, diese absagten und bis 23:00 blieben. Aus diesem Grund musste Punkt 11 entfallen und der Beitrag von John Earls sollte per Telekonferenzschaltung nach Lima / Peru stattfinden, die leider beim jetzigen Stand der Forschung der Telekonferenztechnologie mit prohibitiv hohen Kosten verbunden war, sodass John Earls ausdrücklich für die IRICS-Konferenz einen eigenen Beitrag verfasste, der jetzt im Dorfwiki steht, da er zur Publikation freigegeben wurde. Siehe: http://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?FrontPage/JohnEarls/IRICS__Paper

Konferenzergebnisse

Die Inka-Expedition von Wilfried Hartl und Uwe Christian Plachetka hatte als Ergebnis eine gewaltige Menge an Indizien erbracht, dass das Inkareich als zum Empire kulminierten Weltsystem der größte Show-case für die Prinzipien der Globalen Dörfer und deren Anwendbarkeit darstellt. Grundsätzlich gehören die Anden zu den Zentren originärer Biodiversität und werden daher nach Nikolaj Ivanovich Vavilov als "Vavilovzentren" der Genreserven bezeichnet. Es handelt sich hierbei um "open source food" und daher ist das naturwissenschaftliche Erkenntnisinteresse insbesondere in Peru an den Globalen Dörfern deren möglicher Einsatz zum "germplasm conservation in situ", das bedeutet, den Erhalt der Genreserven in gestärkten Systemen biologischen Landbaus und, da es sich hierbei um traditionelle landwirtschaftliche Betriebe handelt, der Verbesserung der Lebensmöglichkeiten der dortigen Bauern. Professor Kromp meint, dass zwar die modernen Globalen Dörfer einer Risikoanalyse bedürfen (Verletzbarket der root-server usw. die das Internet in Gang halten), aber die Technologie mehrortiger landwirtschaftlicher Versuchsstationen an einem Ort (die Versuchsstation in Moray) und die Technologie der Sozio-Ökologie (nicht: Sozio-Ökonomie, sondern Sozio-Ökologie) ist laut Wilfried Hartl in Österreich weitgehend unbekannt und sollte im Interesse eines konkurrenzfähigen Biolandbaus, wie Wilfried Hartl eindrucksvoll bewies, eingeführt werden. Analog zur klimatischen vertikalen Heterogenität in den Anden herrscht in Österreich eine horizontale klimatische Heterogenität, sodass mehrortige landwirtschaftliche Versuchsstationen an einem Ort zu konzentrieren eine strategische Aufgabe ersten Ranges für den österreichischen Biolandbau zu sein hat, da die bisherige Technik mehrortiger landwirtschaftlicher Versuchsstationen an die Grenzen der Machbarkeit gerät: Die Versuchsstationen nach Bodenbeschaffenheit und Klima an mehreren Orten zu sein haben - daher mehrortige landwirtschaftliche Versuchsstation. Allerdings gehört dazu eine Versuchsstation in Chile, die Grundfläche der benötigten mehrortigen landwirtschaftlichen Versuchsstationen die Fläche des Bundesgebietes überschreitet. Infolge dessen ist die Übernahme von Versuchsstationen aufgrund der INCMAS-Technologie ("Integrated micro-Climatic Management Systems") der Andenzivilisation ein dringendes Gebot der Stunde, um krisenfesten, biologischen Landbau zu haben. In weiterer Folge sind auch die Algorithmen der astronomischen Rechenanlagen zu analysieren.

Folgeprojekte aufgrund der Konferenz

Obwohl es sich bei der IRICS-Konferenz um eine kulturwissenschaftliche Konferenz handelt (Innovation and Reproduction in Cultures and Societies) sind die Folgeprojekte aufgrund der IRICS-Konferenz eher naturwissenschaftlich im Rahmen folgender Fragestellungen:

1. Agrikultur ohne Kultur - ist dies überhaupt möglich? Hier geht es um die "farmer based selection criteria" in so genannten 'vavilov-based civilizations' wie der Andenzivilisation und die Frage nach aktiven, passiven und toten Vavilovzentren. Die Hypothese lautet, dass die INCMAS - Technologie als greifbares Ergebnis des wissensbasierten Vektors der sozio-ökologischen Evolution (Koevolution zwischen crop evolution and cultural evolution) ein Zentrum originärer Biodiversität in Gang hält, da die Selektionskriterien für die Ernte (insbesondere der Kartoffel) nach erfolgter Ernte aufgrund tradierten, mythologischen Wissens aus dem Formativum (der Weltsysteme der so genannten neolithischen Revolution) durchgeführt wird und damit die Biodiversität in Gang hält. Verschwindet dieses Wissen, so stirbt auch das Vavilovzentrum, sodass die Landrassen nicht mehr als solche erkannt oder behandelt werden. Methodisch ist dies eine Kombination aus Agrarbiologie und den modernen Ansätzen der sozialen Evolution, wie sie etwa von Bruce Winterhalder und Helmut Lukas aufgrund seiner Teilnahme an der Empire-Konferenz in Chapel Hill / USA vertreten werden. Dazu ist klassische Ethnologie vonnöten.

2. Filmprojekt zum Thema Globale Dörfer und deren Umsetzung in der Andenzivilisation. Dies ist der Gegenstand der Filmexpedition unter der Leitung von Uwe Christian Plachetka, die am 25. März 2006 in Lima startet. Dabei soll ein Film entstehen, der die Prinzipien des "massiven Parallelismus" laut John Earls im Ökomanagement der globalen Dörfer dokumentiert, also wie die wissensbasierte Landwirtschaft in globalen Dörfern in der Praxis aussieht. Ziel ist, die Funktionsweise der globalen Dörfer einer breiteren Öffentlichkeit darzulegen, nach dem Motto "science goes public".

3. Die allgemein verständliche Darlegung und Publikation der Algorithmen der INCMAS-Technologie. Dies ist ebenfalls nur in Peru möglich, weil dort die wichtigsten Experten leben und arbeiten. Dabei wird dem Thema "the Indian Summer of '69'" weiter nachgegangen, aber aus wissenssoziologischen Gründen mit peruanischem Geleitschutz. In weiterer Folge könnte es sein, dass sich aufgrund der laufenden Forschungen über die Anlage Samaipata in Bolivien herausstellt, dass das Vavilovzentrum 8b im brasilianischen Matto Grosso auf die Anwesenheit inkaisch erzogener Entwicklungsagenten unter den Guaraníes zurückführen lässt. Es gibt randseitige Quellen, die davon sprechen, die in der hervorragenden Arbeit von Martii Pärsinnen zitiert werden. Die Guaranies wurden später das Staatsvolk des so genannten Jesuitenstaates in Paraguay, dessen Schicksal vom österreichischen Dramatiker Fritz Hochwälder mit seinem Theaterstück „Das Heilige Experiment'' auf die Bühne gebracht wurde. Es gibt in Österreich eine Tradition der Forschung, die sich schon in den 1950er Jahren damit auseinander gesetzt hatte, ob der Jesuitenstaat nun das Ergebnis der Utopien von Tommaso Campanella oder Thomas Morus war. Der mit diesem Thema groß gewordene österreichische Historiker Gustav Otruba meinte auch, dass aufgrund der Biographie des ersten Jesuitengenerals in Paraguay, Diego de Torres Bollo, auch die Missionsstation in Juli am Titicacasee von Interesse sei. Dort hätten die Jesuiten aufgrund der Missionsarbeit von Inka-Aristokraten das Inkasystem einigermaßen kennen gelernt und dann in Paraguay eingesetzt. Das Thema Juli ist etwas kompliziert, da es mehr mit der Entwicklung der außerordentlichen Missionspraxis der Jesuiten, sich an die Kultur der zu Missionierenden anzupassen, zu tun hat. Hier gibt es peruanische Forschungen, wie diese missionspraktischen Erfahrungen aus Peru dann für die Aktivitäten der Jesuiten in Ost- und Südostasien exportiert wurden. Mit der aufgrund lokaler Quellen anzunehmenden Anwesenheit von Inka-Aristokraten in der Gegend Paraguays, die Itatin genannt wurde, bzw. in der "Provincia de los Orejónes" aufgrund der Konflikte mit den Guaranies in Santa Cruz de la Sierra, Bolivien, dürften die Inka für den Jesuitenstaat in Paraguay aber bei weitem mehr Vorarbeiten geleistet haben, als bloß mit den Jesuiten einen - keineswegs herrschaftsfreien -- Dialog in Juli geführt zu haben. Damit haben wir eine Situation, die wir besonders schätzen: Einen 'Kriminalfall' mit dem Titel: Jesuitenstaat - der Erbe des Inkareiches? Die entwicklungspolitischen Implikationen des Komplexes Inkareich - Jesuitenstaat - Erste Republik Paraguay sind zur Stunde nicht abschätzbar. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt geht es, um Nicolaj Ivanovich Vavilov zu zitieren, nun nicht mehr nur um "den Mörtel und die Ziegelsteine" des Pflanzenbaus, sondern auch um die Baupläne für das Haus - also: Wie baut man ein Vavilovzentrum?

© Franz Nahrada (Wien) / Uwe Christian Plachetka (Universität Wien, Institut für Risikoforschung)


2.4. Das Open Source Dorf - The Open Source Village

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For quotation purposes:
Franz Nahrada (Wien): Bericht 2.4 "Open Source Village". In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/02_4/nahrada_bericht16.htm

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