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Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. April 2006
 

2.5. Inner and Outer Determinants of Innovations, Reproduction and Traditions: Synthetic Approach
Herausgeber | Editor | Éditeur: Gennady Uzilvesky (Orel, Russia)

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Intellektuelle Ansteuerungstechnologien als innere Determinante der Innovationen in der nachindustriellen Zivilisation

Vladimir Andrejew (Orjol, Russland) [BIO]

 

Einleitung

In seiner futurologischen Konzeption der nachindustriellen Gesellschaft zählt Daniel Bell zu den bestimmenden Faktoren der Zivilisation die Entstehung "der neuen intellektuellen Technologie" (1). Der berühmte amerikanische Gelehrte gibt ihr jedoch keine eindeutige Definition, seine Auslegungen der Intellektualisierungsprozesse bedeuten grundsätzlich nur den Ersatz der intuitiven Überlegungen durch formelle algorithmische Verfahren, die auf theoretischen Grundkenntnissen unter Einsatz der Computertechnik für deren Realisierung beruhen (1-2).

Meines Erachtens nach entspricht die zu vereinfachte (mechanistische), der Tradition der klassischen Wissenschaft angepasste Auffassung von Daniel Bell über intellektuelle Technologien nicht der modernen postnichtklassischen Entwicklungsetappe. Da wird die gesamte Komplexität und Erkenntnistiefe der Begriffe und Prozesssichtweisen, die mit der Intellektualisierung und den intellektuellen Systemen, mit der Evolution von Arbeitsmitteln und mit der Rolle und Stellung des Menschen in den Mensch- Technik-Systemen und mit der Erwerbstätigkeit im Allgemeinen verbunden, sind nicht berücksichtigt.

Es ist bemerkenswert, dass die während der Ersten (Agrar-) und der Zweiten (Industrie-) Welle erfolgte Evolution der Arbeitsmittel jeweils zwei Stufen der Erwerbstätigkeitsentwicklung mit unterschiedlichem Maß der Funktionenverteilung (Arbeitsteilung) zwischen dem Menschen und der Technik, der Maschine und dem Menschen gebildet hat: und zwar die Stufen der Mechanisierung und Automatisierung der Erwerbstätigkeit (3-4). Während der Dritten Welle (3) (der nachindustriellen Zivilisation) entsteht zuerst die Informatisierung der Erwerbsprozesse. Heute erlebt man ein neues Grenzparadigma - die Intellektualisierung der Ansteuerungs- und Wissensprozesse, die auf folgendes gerichtet sind:

So wird die Entwicklung der Technologien in unserer Zeit zum inneren Ordnungsprinzip der Gesellschaftsevolution, während koevolvierende Prozesse der Wechselwirkung von Wirtschaft, Sozietät, Mensch und Natur als äu β ere Faktoren der gesellschaftlichen Entwicklung auftreten.

 

1. Traditionen und Innovationen bei der Entwicklung der Arbeitsmittel

Es sei betont, dass im Laufe der Evolution und des Wandels der dominierenden Technologien (Mechanisierungs --> Automatisierung --> Informatisierung --> Intellektualisierung) die führende Technologie immer als Tradition auftritt, die nachfolgende aber als Innovation. Einen entscheidenden Einfluss auf die Herausbildung der Ziele und Aufgaben im Bereich von Technologien, Richtung und Maβstab von Änderungen üben äußere sozial-wirtschaftliche Faktoren aus.

Heute kann man auf dem Weltmarkt zwei Prozesse beobachten:

Bemerkenswert ist, dass neue Technologie-Innovationen mit der Umgestaltung der Businessprozesse hinsichtlich der Marktsubjekte sowohl mit dem Wandel der gesamten wirtschaftlich-gesellschaftlichen Sphäre als auch mit der Änderung des Menschen selbst begleitet werden. Das hat zur Transformation der Industriellen Wirtschaft in die Dienstleistungswirtschaft geführt und notwendigerweise den Bedarf eines kreativen Menschen bedingt, eines Schöpfers, sowie neuer Technologien, die in erster Linie darauf gerichtet sind, den Menschen zur kreativen Tätigkeit zu führen. Dabei wird die wirtschaftliche Effizienz im Vergleich mit ihrer Rolle in der Industriellen Epoche zweitrangig.

Somit ist die Technologieevolution als Ergebnis derer dialektischer Wechselwirkung mit den sozial-wirtschaftlichen und anderen bedeutenden Faktoren zu betrachten. Da sehen wir zusammenwirkende Entwicklungsprozesse von Technologien, Sozietät, Menschen und Umwelt.

 

2. Intellektuelle Technologien als Innovationen der nachindustriellen Gesellschaft

Dominierende Technologien der industriellen Epoche, wie Automatisierung und Informatisierung, hatten als Schwerpunkte Massenproduktion von Gütern und Dienstleistungen und waren nicht immer im Stande kompliziertere Ansteuerungs- und Wissensaufgaben zu lösen. Industrielle Technologien sind im Rahmen klassischer Erkenntnisvorstellungen geblieben, sie und ihre Ansteuerungsverfahren konnten nur in Systemen der "organisierten Einfachheit" und der "chaotischen Kompliziertheit" (5) verwendet werden.

Konzeptuelle und instrumentale Mittel industrieller Technologien haben sich jedoch als unzureichend für die Lösung der Analyse und Synthese in den Systemen der "organisierten Kompliziertheit" erwiesen, während die technische, technologische und gesellschaftliche Evolution gerade zur Entstehung solcher komplexen gesellschaftlich-technischen und natur-technischen Systeme geführt hat. Als Folge des oben genannten Widerspruchs, vor allem wegen des so genannten menschlichen Faktors, kommt es immer öfter zu technologischen und Naturkatastrophen und Unfällen, die selbst die Existenz des Menschen, der Gesellschaft und Umwelt bedrohen.

Einen bestimmten Ausweg aus dieser Situation bieten die in der industriellen Epoche entstandenen technologischen Innovationen an, diese werden heute nachgefragt und weiter entwickelt. Neben den systematischen Ansätzen (6) werden zu ihnen auch die Technologien des künstlichen und computergestützten Intellekts gezählt, auf Grundlage der "weichen Berechnungen" (7). Gerade diese "weichen" Technologien, die klassische Richtungen ergänzen und wesentlich entwickeln, haben ermöglicht:

Gerade diese innovativen Technologien werden in der nachindustriellen Epoche zur dominierenden Noumenos-Tradition.

Im Grunde setzen die weichen intellektuellen Technologien, die auf der rechten Gehirnhälfte lokalisierten hybriden Erkenntnis-, Ansteuerungs- und Entscheidungsmechanismen, voraus, die sich von der Denkweise unterscheiden, bei der die Bedeutung der linken Gehirnhälfte übertrieben wird. Nichtsdestoweniger hat die Entwicklungs - und Anwendungspraxis der intellektuellen Systeme gezeigt, dass traditionelle Verfahren der Synthese bei der Schaffung der neuen Systeme die Dimension Mensch nicht berücksichtigen und den Aufgaben nicht angemessen sind, die intellektuelle Technologien zu lösen haben, es geht da nur um einen ideellen rechnerisch-algorithmischen Aspekt der Prozesse bei der Lösung der Systemaufgaben.

Vom postnichtklassischen Denken (9) und den Prinzipien des synthetischen Ansatzes (10) ausgehend, schlage ich vor, das grundlegende metaphysische Paradigma bei der Intellektualisierung der Prozesse (11) unter der Berücksichtigung der in der modernen Physik eingesetzten Ideen (12) und des schöpferischen Erbes des legendären römischen Architekten Mark Vitruvius Pollio (13) zu revidieren.

 

3. Über die Metaphysik der intellektuellen Systeme

Hervorragende Errungenschaften der alten Griechen zusammenfassend und die Notwendigkeit der Harmonisierung des Schaffens unterstreichend, formuliert Vitruvius in seiner dreiteiligen Formel Hauptprinzipien der antiken Baukunst: Festigkeit (firmitas) <--> Nützlichkeit (utilitas) <--> Schönheit (venustas) (14). Im Zusammenhang mit intellektuellen Technologien als inneren Determinanten der nachindustriellen Gesellschaft wird offensichtlich, dass bei der Schaffung der modernen Artefakte und der programmierbaren-technischen intellektuellen Systeme die Prinzipien von Vitruvius Pollio den konzeptuellen Vorstellungen zugrunde gelegt werden können. In der modernen Sprache bedeutet die Triade von Vitruvius die Harmonisierung der Beziehungen dreier Faktoren, die Qualität und Effizienz der intellektuellen Systeme bestimmen: funktionaler Faktor (utilitas), konstruktiv-technologischer Faktor (firmitas) und künstlerisch-ästhetischer Faktor (venustas) (11).

Hier soll angemerkt werden, dass sich auch die postnichtklassische fundamentale Wissenschaft, nämlich die Physik an die antike Metaphysik sowie an die grundlegenden Begriffe, die die Welterkenntnis bestimmen wendet, um die Realität tiefer zu erfassen und vorzustellen. So betrachtet Jurij Wladimirow die Evolution von Auffassungen in der Physik und den Naturwissenschaften und unterscheidet 8 unterschiedliche metaphysische Paradigmen, die die Weltanschauung der Wissenschaftler bestimmen, zwei ontologische und methodologische Ansätze zur Erdfassung der Realität: Reduktionismus und der holistische Ansatz (12).

Bemerkenswert ist, dass die Kategorienreihe von Vitruvius auf metaphysischen Grundsätzen beruht und als notwendige Universalie bei der Schaffung der "zweiten Natur" dienen kann, z. B. bei der Schaffung gesellschaftlich-technischer Systeme auf Grundlage intellektueller Technologien. Im Rahmen des aussichtsreichen monistischen metaphysischen Paradigmas wird die dialektische Einheit Funktionales (Ideelles), Konstruktiv-technisches (Materielles), und Künstlerisch-ästhetisches (Geistiges) zum Schlüssel zur Synthese der modernen intellektuellen Ingenieursysteme, die die Beziehungen zwischen "Mensch - Gesellschaft - System - Umwelt" harmonisieren sollen.

 

4. Über den synthetischen Ansatz zur Synthese der intellektuellen Technologien und Ansteuerungssysteme

Unter einem intellektuellen System verstehe ich die Gesamtheit von Hard- und Software, das autonom oder zusammen mit einem Menschen (einer Gruppe von Menschen) funktioniert, Daten über den eigenen und den Zustand der Umwelt stützend Ziele synthetisiert, Entscheidungen trifft und rationelle Lösungen zur Erreichung der Ziele findet (15). Hier soll unterstrichen werden, dass der reine Rationalismus ohne Berücksichtigung aller Kategorien der metaphysischen Triade nicht zu harmonischen intellektuellen Ansteuerungssystemen, sondern zu übertrieben einseitigen Lösungen führen kann.

Für die Schaffung der echten intellektuellen Systeme, die für die Zusammenwirkung mit komplizierten Ansteuerungsobjekten bestimmt sind, muss eine enge fachliche Spezialisierung einzelner Wissenschaften überwunden und ein einheitliches Verständnis in Bezug auf Ansteuerungsprobleme und Ansteuerungstechnologien erarbeitet werden, solches Verständnis, das wesentliche Aspekte der oben formulierten Tetrade umfasst. Man braucht einen interdisziplinären Ansatz, der die Errungenschaften der humanitären, technischen, Geistes- und Naturwissenschaften synthetisiert und das neue Verständnis von Natur, Menschen, Technik und Gesellschaft als einem einheitlichen koevolvierenden Prozess sichert, von den a priori gewählten metaphysischen Auffassungen und Methodologie ausgehend.

Meines Erachtens ist hier der synthetische Ansatz zweckmäβig, weil der sehr aussichtsreich ist und den systematischen Ansatz sowie die dialektische Methodologie für komplizierte technische und Ergosysteme der Ansteuerung weiter entwickelt (10-11). Von dem synthetischen Ansatz ausgehend sollen wesentliche Besonderheiten der intellektuellen und Ergosysteme von unten nach oben betrachtet werden, im Vordergrunde müssen dabei Interessen der Natur und des Menschen stehen, des Menschen, für den solche Systeme geschaffen werden, und der im ständigen Kontakt mit materiellen, ideellen und geistigen Komponenten dieser Systeme steht und deren direktem und indirektemEinfluss ausgesetzt ist.

Ich glaube, dass der synthetische Ansatz zur Untersuchung der komplizierten Ansteuerungssysteme ermöglichen soll, ihre wesentlichen äuβeren und inneren Determinanten zu ermitteln und die synthetische Methodologie zur Schaffung effizienter und harmonischer Ansteuerungskomplexe zu entwickeln. Dabei können auch massiv die Erforschungsergebnisse aus solchen Bereichen wie Ökologie, Ergonomie, Ergosemiotik, Mensch-Maschine-Wechselwirkung usw. eingesetzt werden (11).

Der synthetische Ansatz soll in vielen Fällen durch synthetische Analyse ergänzt werden, was iterative Integration äu β erer holistischer Systembeschreibung und innere Darstellung dessen Komponenten ermöglicht, das führt ihrerseits zum tieferen Verständnis der Ansteuerungsprobleme und - technologien (11). Die realisierten Bespiele der intellektuellen Technologien und Systeme aufgrund des synthetischen Ansatzes und der synthetischen Analyse sind in den Untersuchungen (11;16) zu finden.

 

5. Schlussbemerkung

In der vorliegenden Arbeit sind wir zu folgenden Ergebnissen gekommen:

  1. In Anlehnung an die Werke von D. Bell wurde der Begriff "intellektuelle Technologie" neu definiert.
  2. Es wurde Evolution der Arbeitsmittel als dialektischer Wechsel dominierender Traditionen durch Innovationen aufgedeckt.
  3. Es wurde gezeigt, dass im Prozess der technischen Evolution Mechanisierung, Automatisierung und Informalisierung aufeinander folgende Traditionen sind, sie treten als innere Determinanten gegenüber der Intellektualisierung auf.
  4. Es wurde gezeigt, dass intellektuelle Technologien dominierende Innovationen sind, innere Determinanten der nachindustriellen Gesellschaft, die sich in die Noumenos-Tradition verwandeln.
  5. Es wurden metaphysische Auffassungen der intellektuellen Systeme analysiert.
  6. Es wurde der Vorschlag gemacht, den synthetischen Ansatz "von unten nach oben" zur Synthese der intellektuellen Systeme und Technologien der Ansteuerung zu verwenden.

© Wladimir Andrejew (Orjol, Russland)


LITERATUR

1. Bell, D. (1973) The coming of post-industrial society. A venture of social forecasting. N.Y.: Basic Books, Inc., 507 p.

2. Bell, D. (1980) The Social Framework of the Information Society. In: The Micro Electronics Revolution: The Complete Guide to the New Technology and Its Impact on Society. Cambridge, Mass.: The MIT Press, p. 500-549.

3. Toffler, A. (1980) The Third Wave. N.Y.: W. Morrow & Co., 776 p.

4. Toffler, A., Toffler, H. (1994) Creating a New Civilization. Atlanta, GA: Turner Publ., 112 p.

5. Weaver, W. (1958) Science and complexity. In: American Scientist, 36 (4), p. 536-544.

6. Bertalanffy, L. von (1962) General System Theory - a critical review. In: General Systems, Vol. 7, p. 1-20.

7. Zadeh, L. A. (1997) What is Soft computing. In: Soft Computing. A Fusion of Foundations, Methodologies and Applications. Vol. 1, N 1, p.1-1.

8. Harris, C. J., Moore, C. G., and Brown, M. ( 1993 ) Intelligent Control: Aspects of Fuzzy Logic and Neural Networks . London & Singapure: World Scientific Press, 400 p.

9. Stjopin, W. S. (2003) Teoretitscheskoje snanije (Theoretisches Wissen). М oskau: Progress-Traditsija, 744 p..

10. Uzilewskij, Gennadij J. (2005) Sintetitscheskij podchod "snisu-wwerch" k issledowaniju zivilisazii (Synthetischer Ansatz "von unten nach oben" in den Zivilisationsforschungen). In: Postindustrialnaja zivilisazija i kultura uprawlenija. Orjol: ORAGS, p. 9-58.

11. Andrejew, Wladimir O. (2005) Intellektualisazija uprawlenija sloshnymi organisazionno-technologitscheskimi sistemami: sintetitscheskij podchod i sintetitscheskij analis (Intellektualisierung der Ansteuerung der komplexen organisationstechnischen Systeme: synthetischer Ansatz und synthetische Analyse). In: Postindustrialnaja zivilisazija i kultura uprawlenija. Orjol: ORAGS, p.. 94-138.

12. Wladimirow, Jurij. S. (2000) Metafisika (Metaphysik). Moskau: BINOM, Laboratorija basowych snanij, 534 p.

13. Wlassow, W. G (2000) Antitschnoje iskusstwo (Kunst der Antike). In: Bolschoi enziklopeditscheskij slowar isobrasitelnogo iskusstwa w 8 t. Band 1. Sankt-Petersburg: LITA, 864 p..

14. Lebedewa, G. S. (1976) Triada Witruwia i sowremennaja teorija architektury (Triade von Vitruvius und moderne Theorie der Baukunst). In: Architektura SSSR, № 6, p. 54-56.

15. Pupkow, K. А ., Konkow, W. G. (2003) Intellektualnyje sistemy (Intellekt. Moskau, 348 p.

16. Andrejew, Wladimir O. (2002) Ergatitscheskije systemy uprawlenija (Ergonomische (interaktive) Steuersysteme). Uprawlenije, control, diagnostika. № 5. Moskau, p. 39-41.


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Vladimir Andrejew (Orjol, Russland): Intellektuelle Ansteuerungstechnologien als innere Determinante der Innovationen in der nachindustriellen Zivilisation. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/02_5/andrejew16.htm

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