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Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften

16. Nr.

August 2006

 

 

5.7. Theater und Fest – Ursprünge und Innovationen in Ost und West
Herausgeber | Editor | Éditeur: Han-Soon Yim (Seoul National University)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Das koreanische Maskenspiel und das Fest Danoje in Bezug auf die antiken Dionysien(*)

Han-Soon Yim (Seoul National University)
[BIO]

 

In Korea ist kein frühzeitliches Theaterwesen schriftlich überliefert, das sich so weit verselbständigt hätte wie das dialogisch-musikalische Yüan-Drama (zaju) des mittelalterlichen und die Pekingoper des neuzeitlichen China bzw. das japanische und Kabuki. Die Hauptströmung der Theatertradition Koreas sieht man im Allgemeinen in dem volkstümlichen Talchum (Maskentanz) bzw. Talnori (Maskenspiel) genannten ,Volksschauspiel', das dem Namen entsprechend aus verschiedenartigen Tänzen mit Rezitativen und dialogischen Einlagen besteht. Das Spiel wurde meistens von bäuerlichen Spielern und ortsweise auch von professionellen Wandertruppen namens Sadangpae aufgeführt. Seit den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts werden in Südkorea die immer rarer werdenden Spieler als ,lebender nationaler Kulturschatz'

Bei aller Primitivität oder gerade wegen der bewahrten Ursprünglichkeit verbergen sich in dieser Spieltradition interessante ästhetische und kulturalistische Momente, deren Parallelität vor allem zur griechischen Antike recht frappierend ist: Wie das antike Theater untrennbar in die dionysischen Feste eingebettet war, wurde das koreanische Maskenspiel in der Regel auf dem frühsommerlichen, in der östlichen Küstenstadt Gangneung sich über einen Monat lang hinziehenden Maifest Danoje aufgeführt. In Bezug auf die beiden Feste – die Dionysien und das Danofest – sind nicht nur die religiösen und politischen Implikationen vergleichbar. Auch ihre jahreszeitlichen Bezüge legen nahe, dass Ritus und Fest unter anderem aus dem Bedürfnis des Menschen entstanden sind, in und mit der Natur zurechtzukommen: Ihre Kraft und Gewalt waren zu bewältigen entweder durch Bekämpfung, Beschwichtigung oder Ausnutzung. Vom festlichen Rahmen getrennt betrachtet, erscheint das koreanische Maskentanzspiel formal wie inhaltlich – wie dies auch in der Forschung gelegentlich behauptet wird – als verwandt mit der italienischen Commedia dellkomos genannte Prozession enthalten, in der die "Universalität der komischen Hemmungslosigkeit herrschte. In Übereinstimmung mit Karl Kerényi sehen wir hier ein typisches Zeichen des antiken Glaubens an zoë, das unzerstörbare Leben, der auch für das koreanische Danoje charakteristisch ist. Eine weitere essenzielle Triebkraft des Festes und festlichen Theaters wäre im Spieltrieb des Menschen zu suchen: Im koreanischen Maskenspiel, das an vielen Stellen der Spielvorlage das Fest sowie die festliche Stimmung selbst thematisiert, triumphiert der Homo ludens über alle psychischen und sozialen Schranken. Dies ist offenbar eine Universalität, die die alten karnevalesken Feste der Völker in Ost und West verbindet.

 

I

In dem südöstlichen Dorf Koreas Hahoe, das die britische Königin Elisabeth am 21. April 1999 bei ihrem historischen Staatsbesuch als ihren einzigen Besichtigungsort auswählte, fand noch bis 1928 alle zehn Jahre das Dorffest Seonghwangje namens Hahoe-byeolsinje (Sonderitus zu Ehren des Schutzgottes von Hahoe), dessen Höhepunkt das Maskentanzspiel Hahoe-byolsingut-nori (Maskenspiel zum Sonderritus von Hahoe, im folgenden: Hahoe-Maskenspiel) bildete.(2) Das abgelegene, von einem Fluss umschlängelte und daher Hanguk Gamyeongeuk (Das koreanische Maskentanzdrama, 1973), zählte das alle zehn Jahre aufgeführte Maskenspiel zwar nicht zum Repertoire der staatlich beförderten Darbietungskünste, unterscheidet sich aber inhaltlich wie strukturell kaum vom Sandaedogamgeuk, dem von der Akademie für Bühnenkünste der Choseon-Dynastie, Sandaedogam, anerkannten und später in modifizierten Formen vielerorts praktizierten Maskenspiel. Ebenso wie bei diesen bilden die satirischen Nummern – vor allem das Pagyeseungnori (Spiel des apostatischen Mönchs) und das Yangbannori (Spiel der Adligen) – das Mittelstück des Maskenspiels von Hahoe und reflektieren das in Lebensfreude artikulierte Selbstbewusstsein der unteren Volksschichten.

Beim Hahoe-Maskenspiel beginnt die eigentliche Spielhandlung erst in der dritten von insgesamt neun Madang (Platz) oder Gwajang (Bild, Nummer) genannten Spieleinheiten. Dort wird das Renegatentum eines alten buddhistischen Mönchs vorgeführt. Er schaut wie besessen ein tanzendes Mädchen, die kokette Konkubine Bune, an. Als sie mit gerafftem Rock hockt, Wasser lässt und dann weiter tanzt, greift der Mönch die mit ihrem Urin getränkte Erde, hebt sich einen Klumpen davon an die Nase und riecht daran, um gleich in wilde Erregung zu geraten. Beim Anblick des Alten erschrickt das Mädchen zunächst, überwindet ihre Angst allerdings rasch und erwidert seine Liebe. Als Choraengi, der Knecht einer adligen Familie, erscheint, will sich der alte Mönch das Mädchen auf die Schulter nehmen und davonlaufen. In diesem Augenblick treten – von einem Knecht geführt – der vornehme Herr Yangban und ein Gelehrter Seonbi auf und sehen dem fliehenden Paar zu. Die Herren klagen über die unmoralische Welt, während sich die Knechte ohne Bedenken an dem Fehltritt des Geistlichen nur kräftig belustigen.

Im vierten Bild handelt es sich um eine Satire auf die Oberschicht: Der vornehme Herr und der Gelehrte prahlen wetteifernd mit ihrer fragwürdigen Gelehrsamkeit sowie der ebenfalls übertriebenen Ranghöhe ihrer Ahnenväter. Sie streiten sich aber gleich um die kokette Konkubine Bune, die sich bei ihnen mit einem verführerischen Tanz einschmeichelt. Die Herren machen sich energisch an das Weib heran, bis ein Baekjeong – der Dorfschlachter – mit einer Axt und einem Hodensack eines Stiers auftritt. Als dieser die angeblich potenzsteigernde Wirkung des tierischen Geschlechtsorgans anpreist, vergessen die Herren die konfuzianische Anstandsregel der Zurückhaltung völlig und greifen gierig zu. Voller Kraft versuchen sie das Ding an sich zu reißen, bis es zu platzen droht. Der Schlachter versucht sie zu besänftigen, was aber erst der alten Frau Halmi mit einer groben Rüge gelingt. Wie hier bildet die Yangban-Nummer mit der scharfen Kritik an der Oberschicht das zweite Herzstück aller Varianten des Maskentanzspiels, ebenso in den gut überlieferten Standardwerken Yangju-byeolsandae-nori (Maskenspiel der Regionaltruppe von Yangju) und Bongsan-talchum (Maskentanz von Bongsan) wie im Tongyeong [Goseong]-Ogwangdaenori (Fünf Maskenspieler von Tongyeong [Goseong]) aus dem südöstlichen Gebiet des Landes.

Im fünften Bild des Hahoe-Maskenspiels wird eine Familiengeschichte dargestellt. Eine Greisin Halmi, die kurz nach der Hochzeit vom ihrem Mann im Stich gelassen wurde oder frühzeitig verwitwet ist, schildert allein oder gemeinsam mit ihrem vaterlosen Sohn Ddokdari ihre armseligen Leidenswege. In der sechsten Nummer wird ein Stier geschlachtet. Davon will der Schlachter dem Publikum die Innereien – das Herz und die Hoden voran – verkaufen. Ursprünglich soll er einen Henker gespielt haben. Das siebte Bild zeigt einen korrupten Beamten, der sich beim Getreideeintreiben an den Bauern bereichert. In den zwei letzten Bildern wird eine Hochzeit vorgeführt, die tragisch endet: Aus dem Kleiderschrank der Braut, den sie in der Nacht aufmacht, schleicht ihr Geliebter, ein Mönch, heraus, um den gerade eingeschlafenen Bräutigam mit einem Dolch zu erstechen. Es ist kennzeichnend für das koreanische Maskenspiel, daß es mit einem Tod abschließt: In anderen Varianten stirbt die alte Frau Miyal oder Halmi bei einer Zankerei mit ihrem Mann bzw. mit ihrer Nebenbuhlerin, die der Familie gerade einen gesunden Jungen geschenkt hat. Der Tod der Alten sollte eigentlich tragisch wirken, echte Trauer empfinden jedoch weder die Zuschauer noch die Darsteller im Spiel. Sowohl bei der Brautwerbung von Nojang (alter Mönch) und Chybari (lediger Tempelknecht), die sich um das Mädchen Somu (junge Schamanin) streiten (Yangju, Bild 6.3), als auch in den Eifersuchtsszenen von Halmi (Grossmutter, alte Frau) und ihrer Rivalin (Yangju, Bild 8), kommen stets die Jüngeren als Sieger hervor. An diesen Streitszenen ist erstens die aufrührerische Stimmung der Unterdrückten deutlich zu spüren; kulturgeschichtlich wird zum zweiten, wie der Vertreter der jüngsten Forschung Dong-il Cho nachdrücklich hervorhebt(3), der uralte anthropomorphe Kampf vom Frühling und Winter ausgetragen. Theaterästhetisch sollten wir zum dritten auch der Tatsache Aufmerksamkeit schenken, dass in den meisten Streit- und Kampfszenen jene von Schiller konstatierte und geforderte ,moralische Indifferenz(4) zutage tritt: Das Lachen beherrscht sowohl das ganze Spiel als auch dessen karnevalesk-festlichen Rahmen.

Die Ursprünge des koreanischen Maskenspiels sind noch umstritten. Auf jeden Fall lassen sich die allgemein bekannten Vorformen des Theaters wie Lieder, Tänze, religiöse Rituale und akrobatische Schaustellereien auch in der koreanischen Kulturgeschichte nachweisen. Die Forschung hat drei alte Darbietungsformen als die wichtigsten und plausibelsten Vorstufen des Maskenspiels festgemacht: 1) die klassischen ritualen Tanzspiele wie Cheoyongmu(5) ([Schamanen]tanz von Cheoyong) aus dem Silla-Königreich (57 v. Chr. bis 935 n. Chr.), 2) Seonanggut (Schamanistische Dorfrituale) und 3) Nongak (Bauernmusik [mit gruppentänzerischen und akrobatischen Darbietungen]). Das Hahoe-Maskenspiel geht ebenfalls auf diese Spielformen zurück, die in der Anfangsperiode der Choseon-Dynastie im 15. und 16. Jahrhundert aufblühten. In der späten Periode der Dynastie verloren sie – geschwächt insbesondere durch die japanischen (1592, 1597) und mandschurischen (1627, 1636) Invasionen und dann endgültig durch die Auflösung der königlichen Beförderungsstelle Sandaedogam – ihre höfischen Mäzene. Sie überlebten zunächst in einer reduzierten Form auf dem Dorf- und Marktplatz vieler Orte wie Yangju und Songpa in der Umgebung der Hauptstadt Seoul, Bongsan im Nordwesten, Goseong, Hahoe u.a. im Südosten. Die so überlieferten Maskenspiele wurden allmählich von neuen Mäzenen aus dem kaufmännischen Stand und der niederen, aber reichen Beamtenschicht unterhalten und auf diese Weise im ganzen Land verbreitet.

Die Spiele bestehen in ihrer heutigen Gestalt aus zwei konstitutiven Vorführungsteilen: Tanz und Gesang mit musikalischer Begleitung einerseits und witzigen, bissig-satirischen Dialogszenen zum anderen. Die Darstellenden sowie die Musikanten waren ursprünglich alle Männer. Die vielfältigen, variationsreichen Masken sind auf die Rollen und Handlungen abgestimmt, die sich thematisch etwa in vier Kategorien gliedern: die rituale Vertreibung böser Geister am Spielbeginn und dann die oben am Beispiel vom Hahoe-Maskenspiel skizzierten satirischen Darstellungen der drei Lebensbereiche von Sakralem, Sozialem und Familiärem. Die Aufführung wird vorwiegend mit Schlaginstrumenten begleitet. Zu den Aksa (Musikanten) gehören oft auch ein paar Flötenspieler. Bis 1930 war der Dialog wahrscheinlich nicht schriftlich festgehalten, pflegte daher unter Beibehaltung zentraler Themen und wesentlicher Handlungsgerüste von den Darstellern mehr oder weniger improvisiert zu werden. Die Sprache sowie die Gestik sind zwar durchweg satirisch und parodistisch gefärbt, wirken aber meistens eher humoristisch als aggressiv oder verletzend, zumal das Spiel grundsätzlich an bestimmten Festen – vor allem am Danofest – aufgeführt wurde. Die Kommunikation wird dadurch erleichtert, daß es zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum keine strenge Trennung gibt. Im Spiel fallen die Darsteller und der Chefmusikant gelegentlich aus der Rolle und wenden sich an die Zuschauer, um sie über den Spielverlauf oder den Sinn bestimmter Szenen bzw. Ereignisse zu informieren. Auch zwischen Musikanten und Schauspielern kann sich ein kurzer Dialog entwickeln. Die Spiele wurden meistens auf einer provisorisch hergerichteten offenen Bühne namens Sandae an einem niedrigen Berghang aufgeführt. In Yangju wurde das Byeolsandaenori, so Duhyon Lee (1973: 206), hauptsächlich am 8. April zum Geburtstag Buddhas(6) und am 5. Mai am Danofest aufgeführt. Das Spiel soll "gegen 10 Uhr abends begonnen und nicht selten bis in die Morgendämmerung gedauert" (207) haben. Der Volkskundler Sang-su Choe lokalisiert die Provinz, in der das Maskenspiel mit dem Danofest eine Verbindung eingegangen ist, noch genauer: "On the fifth day of the fifth moon which is called dano Day, in Bongsan, Girin, Seoheung, Hwangju, Haeju, Gangryeong, so on of Hwanghae-do (province), the Mask Dance used to be held."(7) Zur Aufführungszeit heißt es: "The mask dance will be performed at night. They build fires with wood to illuminate the scene and the dance lasts until the day breaks" (112). Zur Beleuchtung werden heute noch gerne Holzfeuer gemacht und Fackeln aufgestellt. Für das städtische Publikum werden auch moderne Theaterbühnen verwendet, wobei sich allerdings die ursprüngliche, folkloristische Frische und Lebendigkeit erheblich abschwächen.

 

II

In der vergleichenden Forschung hat man das Maskenspiel nicht nur mit den chinesischen und japanischen Theatertraditionen(8) in Verbindung gesetzt, sondern auch mit den abendländischen Spielarten wie dem antiken Satyrspiel und der italienischen Commedia dell(9) Ferner fühlt man sich geneigt, das Lebens- und Arbeitsverhältnis der (männlichen) beruflichen Darstellertruppen etwa mit dem der englischen Komödianten oder der Wandertruppen, die in Deutschland bis vor dem Aufklärungsjahrhundert tätig waren, zu vergleichen. Die Tradition des deutschen Volksschauspiels(10) dürfte auch – wenn man von dessen durchweg biblischer Thematik und kirchenkalendarischem Hintergrund absieht – zur Erhellung der Symbiosität von Theater und Fest in Korea ergiebig sein.

Besonders augenfällig ist aber die strukturelle sowie thematische Affinität zur italienischen Commedia dell' Arte. Wie diese beschränkt sich das koreanische Maskenspiel auf wenige Grundmotive der Handlung, deren Wahrscheinlichkeit wie die der Charaktere keine wesentliche Rolle spielt. Das Spiel hat einen festen Figurenbestand, die Typen. Sie tragen freilich alle Vollmasken, während in der italienischen Komödie personengemäß Halb- oder Vollmasken benutzt werden und Frauen und Liebhaber ausnahmsweise ohne Masken auftreten. Die typisierende, assoziative Funktion der Masken wird im koreanischen Spiel so effektvoll ausgenutzt, daß der Zuschauer allein an ihren grotesk-humorvollen Formen den Stand und die Charakter der betreffenden Figuren leicht erraten kann. Einer der interessantesten Vergleichsmomente, die sich aus der thematischen Verwandtschaft zwischen dem Maskenspiel und der Commedia dell¡¯Arte ergeben, ist die Herr-Knecht-Beziehung, die in der Motivik der europäischen Komödie schon in der Antike einen festen Platz erhalten hatte und in der Neuzeit dazu noch eine nationale Bedeutung gewonnen hat. Jeder Zuschauer, der mit der alten oder neuen europäischen Volkskomödie – sei es italienischer, französischer oder deutscher Prägung – vertraut ist, wird an den koreanischen Knechtfiguren namens Malddugi (Pferdeknecht), Soeddugi (Ochsenknecht), Choraengi usw. unschwer ein Pendant zu den komischen Figuren wie Arlechino (frz. Harlekin), Jean Potage, Hanswurst u.ä. erkennen. Wenn die italienische Komödie ihre emanzipative Wirkung "auf der Ebene der dargestellten Handlung in der Überlistung und dem Verlachen der Figurengruppe der Alten durch die Diener" und "auf der Ebene des theatralischen Geschehens im Ausspielen und Feiern" jeglicher Instanz der Kulturforderung(11)erzielt, so lassen sich diese Aspekte grundsätzlich auf das koreanische Maskenspiel übertragen. Die italienische Commedia wurde als "die radikalste und produktivste Neuaneignung des dionysisch-orgiastischen Momentes der Komödie" (69, 75) bezeichnet, der sowohl die Struktur der Handlung als auch deren theatralische Darbietung bestimmt:

 

Die Handlung [der Commedia dell'Arte] wird in Szenarien festgehalten, die nur die Drehpunkte des Geschehens verzeichnen [...]. Der Körper wird ausgestellt, in seiner Motorik, auch in obszön hervorgehobenen Deformationen, in einer exzessiven Mimik, Gestik, in einem Taumel von Bewegung bis hin zur hochartifiziellen Akrobatik [...]". (69 f.)

 

Die übertriebene Mimik ist im koreanischen Maskenspiel zwar zu einem unbeweglich-grotesken Gesichtsausdruck erstarrt, der aber an Komik und Unterhaltsamkeit nicht jener nachsteht.

Die lockere Folge der Spielabschnitte beim Aufbau der Handlung und der Vorrang der Gestik vor der Sprache zählen zu den wesentlichen Merkmalen des koreanischen Maskenspiels, wie Meewon Lee konstatiert:

 

Masked drama was organized into episodes which had no natural order or connection to each other in terms of plot. [...] Organizationally talnori [Maskenspiel] began and concluded with a dance and a ceremonial and, in between, acrobatic and story episodes unfolded. [...] These literary episodes were utilized for communicating theme and thus form the kernel of talnori, contrasting with those dance episodes which had no story lines or had poor structures. It is believed that today¡¯ s talnori is the graudual introduction of linguistic drama into the acrobatic dramatic tradition.(12)

 

Das Tanzspiel Cheoyongmu z. B., das zu den ältesten, ritualen Maskenspielen Koreas gehört und vom Königshof sowie der Oberschicht bei Festlichkeiten bevorzugt in Anspruch genommen wurde, besteht allein aus Tanz und Begleitmusik. Die Maskentänze dieser Art wurden in der Neuzeit vom Volk übernommen und zu komischen Maskenspielen aus Tanz, Musik und Dialog weiter entwickelt. Die dabei erfolgte ,Einführung des dramatischen Textes ins theatralische Körperspiel(13)zu deuten. Die Dialogtexte, die erst im Übergangsprozess vom Tanz- zum Sprechtheater entstanden sind, dienen – anders als etwa das europäische Aufklärungsdrama – weder zur Festigung der bestehenden noch zur Einführung einer neuen Ordnung durch das sinnstiftende Wort, sondern sie bringen gerade das Prinzip des Lachens zum Ausdruck, das die offiziellen Institutionen und das Sakrale gegen jenen "primitiven Materialismus" im Brechtschen Sinn in Frage stellt und zu Fall bringt. Unverkennbar ist auch die Nähe zur von Michail Bachtin herausgearbeiteten "Lachkultur des Karnevals" im europäischen Mittelalter.

Das koreanische Maskenspiel lässt sich in der Tat als einen der "karnevalesken Restbestände im 20. Jahrhundert"(14) auffassen, die bis heute lebendig geblieben sind. An die Stelle des buddhistischen Spiritualismus bzw. der konfuzianischen Benehmenslehre, der/die in Hahoe allein vor der Anziehungskraft der weiblichen Sinnlichkeit und des tierischen Hodensacks hinfällig wird, tritt der "Materie- und Körperjubel" als "die erste und letzte Wahrheit des Volkes", die sich nach Bachtin im Spiel von Geschlechtsakt, Geburt und Tod, Essen und Entleerung offenbart. Die Bachtinsche, karnevaleske "Aufwertung der Mateire, des Körperlichen" (16) durchzieht die gesamten Themenkomplexe des koreanischen Maskenspiels. Wie auf dem Karnevalmarkplatz entsteht auf dem Spielplatz des Maskenspiels ein "ideal-realer Kommunikationstyp", der im konfuzianischen Alltag nicht denkbar war und heute noch recht provokativ wirkt. Im Spiel werden nämlich alle hierarchischen Unterschiede und Schranken zwischen den Menschen aufgehoben, bestimmte Normen und Tabus fallen weg. Im Bongsantalchum (Maskentanz von Bongsan) ist der alte Mönch, der durch langjährige asketische Übungen den Stand eines "lebenden Buddhas"(15) erreicht haben soll und als ein solcher gelobt wird, bei seinem ersten Auftritt körperlich so gebrechlich, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten kann. Trotzdem kann er der Lebendigkeit des Marktplatzes, auf dem eben das Maskenspiel stattfindet und dessen fröhliche Musik die jungen Mönche aus ihrem entlegenen Tempel anlockt, nicht widerstehen. Dem verführerischen Tanz einer jungen Schamanin, der er dann dort begegnet, erliegt er anstands- und hemmungslos. Seine körperliche Schwäche überwindet er allmählich, indem er sich ihrem Tanz anschließt, um sie mit Mühe und Insistenz wirbt und sie endlich zur Frau gewinnt. In der Yangju-Version nimmt er sogar zwei Mädchen (16). Triumphiert doch hier der "Köperjubel" als die "letzte Wahrheit" ausgerechnet eines Asketen.

Die Kennzeichen des Karnevals hat Bachtin als Folge von vier Prinzipien dargestellt, die dessen Funktionieren gewährleistet. Das sind "Familiarisierung", "Exzentrizität", "Mesalliance" und "Profanisierung".(17) Familiarisierung heißt die Aufhebung jeglicher Distanz zwischen den Karnevalteilnehmern. Goethe spricht im Römischen Karneval von "Freiheit und Gleichheit [...] in dem Taumel des Wahnsinns". Er betont mehrmals, daß das Volk in dem Fest sich als Spieler und Zuschauer zugleich gibt. Der Karneval sei "ein Fest, das dem Volke eigentlich nicht gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt."(18) Zur familiarisierenden Funktion des Karnevals heißt es weiter: "Der Unterschied zwischen Hohen und Niederen scheint einen Augenblick aufgeboben: Alles nähert sich einander, jeder nimmt, was ihm begegnet, leicht auf, und die wechselseitige Frechheit und Freiheit wird durch eine allgemeine gute Laune im Gleichgewicht erhalten" (485). Die provokativ-heitere Umstülpung der geltenden Institutionen und ihrer Hierarchie, die vorgeführt wird, gilt im koreanischen Maskenspiel sogar für die Familie, die heilige Urquelle und allerletzte Bastion der konfuzianischen Morallehre. Gleichsam unter dem Schutz der Narrenkappe halten sich Vater und Sohn in der Familienszene nicht einmal davor zurück, erotische und beinahe blutschänderische Bemerkungen über die Leiche der gerade getöteten Frau/Mutter zu machen:

 

Doggi: Vater – hier ist noch warm.
Shinharabi: Ich schau mal nach.
Doggi: Die Stelle, die du am liebsten hast.
Shinharabi: Sicher – wo ihr in die Welt rausgekrochen seid.(19)

 

Das zweite Charakteristikum, die "Exzentrizität", erlaubt nach Bachtin "den verborgenen Seiten der menschlichen Natur, sich in konkret-sinnlicher Form zu zeigen und auszudrücken." Der Karneval feiert das Essen und die Exkremente, die Geburt und das Sterben. Goethe berichtet von der Darstellung einer Karnevaltruppe, in der eine Frau in einer Nebenstraße "zu großer Belustigung der Umstehenden irgendeine unförmige Gestalt zur Welt" bringt. Im Koreanischen Maskenspiel findet sich ein vergleichbares Motiv im Bild des alten Mönchs: In einem Zweikampf entreißt der Tempeldiener Chyibari dem offenbar zeugungsunfähigen alten Mönch das junge Weib und schwängert es gleich bei einem erotischen Tanz. Die Kampfszene gelangt durch die Geburt eines kräftigen Jungen zu einem naturgemäß-harmonischen Abschluss; den Siegesjubel des Tempeldieners beklatschen die Zuschauer (Yangju, 6.3; Bongsan, 4.3). Sie machen sich wohl keinen Gedanken darüber, dass ein Bankert gezeugt und geboren wird, was besonders in der konfuzianischen Gesellschaft eine Katastrophe für das Kind und die Mutter bedeutete. Gemeinsam wird lediglich der Sieg der Lebenskraft, des zoë, gefeiert.

"Mesalliance" meint dann die Verschmelzung der Gegensätze: Begriffspaare wie heilig und profan, vornehm und niedrig, weise und dumm verlieren an Trennschärfe. Auch im koreanischen Maskenspiel tritt diese Erscheinung an vielen Stellen, an denen z. B. ungewöhnliche, im Alltag tabuisierte sexuelle Praktiken wie der Koitus zwischen Mensch und Tier (Yangju, 6.2: Schuhverkäufer und Affe) offen zur Sprache gebracht oder gestisch vorgeführt werden. Das vierte Karnevalsprinzip schließlich, die "Profanisierung", meint die zahlreichen karnevalesken Degradierungen, Erniedrigungen und Lästerungen. Jede Autorität wird während des Festes auf der Körper-, der Lachebene besiegt. Diese Profanation ist wohl das markanteste Kennzeichen des koreanischen Maskenspiels. In allen Varianten geht es im wesentlichen um drei tradierte Bewusstseinsformen, deren Hohl- und Verlogenheit an der praktischen Handlung der dargestellten Typen entlarvt und zum Lachen preisgegeben werden: Verlogenheit der Geistlichen, Dummheit und falscher Herrschaftsanspruch der Oberschicht und inhumanes konfuzianisches Patriarchat. Aus religionsgeschichtlicher Perspektive scheint die uralte Wurzel des Schamanismus noch Oberhand zu gewinnen, wenn sagenhafte Tiere wie Löwe, Juji (tierischer Schutzgeist im Hahoe-Maskenspiel) und Yeongno (Schlange in Fünf Clowns) bzw. Geister wie Yeonip (Lotusblatt, eher buddhistisch) und Nun-ggeumjeogi (Blinzler) als reinigende oder strafende Instanzen gegen die korrumpierte Geistlichkeit und Oberschicht fungieren. In der Schlussszene des dritten, famliären Themenkompexes wird die Seele der getöteten Greisin nicht mit einem buddhistischen oder konfuzianischen, sondern in der Regel mit dem volksnahen schamanistischen Bestattungsritual von einer Mudang (Schamanin) versöhnlich gemacht und ins Jenseits verabschiedet.

 

III

In der bisherigen Forschung ist beinahe völlig übersehen worden, dass die Signatur des Karnevals im koreanischen Maskenspiel eng auf dessen volksfestlichen Rahmen bezogen war. Das Maskenspiel wurde, wie schon gesagt, meistens beim frühsommerlichen Danofest aufgeführt. In diesem Fall lässt sich das Verbindende der Kulturen am besten durch einen Vergleich dieses Festes mit den antiken Dionysien erschließen. Von den bekannten politischen Hintergründen zur Zeit der Peisistratiden, in der die Großen Dionysien und die agonalen Theaterspiele etabliert wurden, wollen wir weitgehend absehen. Interessante Vergleichspunkte lassen sich eher in den religiösen und anthropologischen Bezügen beobachten, die bei der Zusammenkunft von Gott und Mensch zum Vorschein kommen. Zwei entscheidende Rahmenbedingungen beider Feste bilden zum einen die kalendarischen Begebenheiten und zum anderen die Funktionalisierung des jeweiligen Fruchtbarkeits-, Freuden- und Glücksgottes zum Gewährsmann für die karnevaleske Festlichkeit.

In den vier dionysischen Festen der Athener – das sind die Ländlichen Dionysien, die Lenäen, die Anthesterien und die Großen [Städtischen] Dionysien –, die in den Wintermonaten vom November/Dezember bis zum Februar/März jeweils in Abstand von ungefähr einem Monat gefeiert wurden, manifestierte sich Dionysos als Vegetationsgott, der die Furchtbarkeit garantierte, die Unsterblichkeit des Lebens personifizierte und den Menschen die Weinkultur spendete. Dieser Gott musste alljährlich erneut wiedergeboren werden, und zwar im Hinblick auf den Gärungsprozess des Weins und die von der Sonne abhängige jahreszeitliche Vegetation: "Die Adventzeit begann sowohl in bezug auf den reinen, fertigen Wein als auch auf das göttliche Kind" (Kerényi, 183). Die Geburt des Gottes wurde bis in den kältesten Monat Januar – den Monat der Lenäen – versetzt, weil der Wein die Kälte zur letzten Gärung brauchte. Ein weiterer Grund war "die winterliche Sonnenwende, durch die auch die christlichen Feste Weihnachten und Epiphanien bestimmt werden sollten" (185). Dagegen brauchten die Koreaner für ihren Ackerbau, der im wesentlichen heute noch auf dem Reisanbau basiert, die Sonne und den Regen gleichermaßen, wobei zum Fest Dano eben aus den jahreszeitlichen Gründen die Sonne im Mittelpunkt stand. Während es bei den Dionysien darum ging, die immer tiefer niedergehende winterliche Sonne durch die alljährliche Neugeburt des Dionysos zu retten, galt es beim Danofest von Gangneung, wie es gleich am Geburtsmythos des dort verehrten Berggottes zu zeigen sein wird, die Zeugungskraft der Sonne genau im Augenblick ihrer höchsten Leistung auszunutzen.

Dano ist nach dem Mondkalender der fünfte Mai, heißt auch Suri oder Cheonjung-jeol und entspricht ungefähr der Sommersonnenwende. Dieser Tag wurde früher in Korea als einer der vier größten Festtage gefeiert: das Neujahr (1. 1.), der erste Vollmond (15. 1.), Dano (5. 5.) und der Erntetag Chuseok (der Vollmond am 15. 8.). Gemäß dem dualen Prinzip von eum-yang (chin. yin-yang: dunkel und hell), das sich u.a. im Taoismus niedergeschlagen hat, gilt die Zahl fünf als positiv, hell und männlich, weil sie ungerade ist. Dano hat diese Zahl ja in Verdopplung. Die doppelt ungeraden Zahlen galten im chinesischen Kulturkreis als glücklich und heilig. Das Wortzeichen dan im Dano (chin.: duan-wu) bedeutet Anfang, o die Mitte oder den Höhepunkt. Die Bezeichnungen Suri (Scheitel, Haupt, Spitze, auch Räder Sure) und Cheonjung-jeol (Jahreszeit der höchsten Himmelssphäre/Sonne) gehen wohl auf den Gedanken zurück, dass die Wirkung der Sonne und des Weltalls an diesem Tag den höchsten Stand erreiche. Es ist die Jahreszeit des beginnenden Sommers mit neuen Jungblüten. Die Leute haben die Reiskuchen zusammen mit den grünen Beifuß-Blättern gebacken. Die Bauern haben einen phallischen Stein zwischen die Zweige des Dattelbaums gesteckt: So haben sie den Baum verheiratet und schwanger gemacht. Dieser Brauch musste genau am Mittag des Dano vollzogen werden, damit der weiblich konnotierte Baum die höchste Zeugungskraft der/des männlichen Sonne/Steins empfange und im Herbst reichlich Früchte trage. Die zeugende Kraft der Sonne am Dano sollten nicht nur die Pflanzen und Tiere, sondern auch die Menschen ausnutzen. Das ursprünglich aus China stammende, aber bereits im alten Korea wesentlich umgeformte Dano(20) gehört damit – wie der z. B. in Shakespeares Komödie A Midsummer Night ¡¯s Dream angedeutete Mai-Ritus – zu den Riten und Bräuchen, die zur Wiederherstellung bzw. Beibehaltung der Fruchtbarkeit der Natur und des Menschen gehalten wurden: ^

 

At times they have resorted to sexual orgies to induce fertility in the earth, or they have staged ritual combats between representatives of Winter/Death and Spring/Life, ending with the triumph of the latter(21)

 

Der Antagonismus zwischen alt und jung, Herrn und Knecht im koreanischen Maskenspiel ist oft in diesem Sinne gedeutet worden, allerdings meistens ohne Berücksichtigung des festlichen Rahmens.

Die Sonne hat auch in der Mythenbildung in Korea eine zentrale Rolle gespielt. In der östlichen Küstenstadt Gangneung, deren "tausendjähriges" Danoje im November 2005 von der UNESCO – bezeichnenderweise gegen das Bedenken Chinas als Ursprungslandes des Festes – als ein koreanisches Weltkulturerbe (World Heritage) anerkannt wurde, ist nämlich ein Geburtsmythos überliefert, der eine enge Verbindung mit dem Fest eingehen sollte.(22) Ein Dorfmädchen, das Wasser holen geht, stillt ihren Durst am Brunnen, wobei sie in ihrem Wassergefäß aus einer Kürbisschale die helle, widergespiegelte Sonne anblickt und dadurch schwanger wird. Ihr uneheliches Kind wird von ihren Eltern ausgesetzt, gleich aber von einem Tiger, dem Berggott, aufgehoben und ernährt. Aus ihm wird ein berühmter einflussreicher Mönch namens Beomil. Er wird nach seinem Tod zum Berg- und Schutzgott der Stadt geheiligt, der als solcher dem Volksglauben gemäß die Gestalt eines Tigers annimmt. Der Gott-Tiger verliebt sich beim Einzug in die Stadt zum Danofest in ein Dorfmädchen aus der Familie Jeong und raubt und verschleppt es zum nahen Gebirgskamm Daegwallyeong, als seine Brautwerbung von den Eltern des Mädchens abgelehnt wurde. Ihre verschwundene Tochter finden die Eltern gemeinsam mit den Dörflern am Tempel des Schutzgottes im Berg wieder, allerdings bereits tot und steif. Jetzt huldigen sie dem göttlichen Bräutigam; auf Anhieb findet das Hieros gamos, die Heilige Hochzeit, statt. Das Haus der Familie Jeong wird dann zum Tempel der Göttin geweiht, wo das göttliche Ehepaar alljährlich zum Danofest seine Flitterwochen verbringen sollte.

Die Festzeit beginnt bereits am 5. April nach dem Mondkalender, einen Monat vor dem Hauptfest, mit der Herstellung des göttlichen Reisweins (Shinju). Am 15. April wird die Tafel des Schutzgottes zusammen mit einem abgesägten jungen Ahorn, wo die Gottheit mittlerweile kraft der Zaubergebete der Schamanen heruntergestiegen ist, bei einer feierlichen Prozession in die Stadt getragen. Der Gottesbaum wird zunächst im Tempel der Göttin aufgestellt. Auf dem Altar kommt die Namenstafel des Gottes neben die seiner Gattin, was den Vollzug der Ehe andeutet. Zwei Wochen später (am 3. Mai abends) wird das heilige Ehepaar in einer großen Prozession in den Tempel geholt, der sich am obersten Teil des Festplatzes befindet. An den folgenden Festtagen findet jeden Morgen am Altar des Tempels ein konfuzianisches Verehrungsritual namens Jojeonje (Morgenritual) unter der Führung des Bürgermeisters statt. Jetzt ist der Gott bereit, unter seinen Anhängern und Verehrern Glück zu verteilen, weil er auch selber glücklich geworden ist. Unter dem Vorwand, ihren Schutzgott gemäß der Jahreszeit zu empfangen, verehren und zu unterhalten, amüsieren die Menschen in Wirklichkeit sich selbst als aktive oder passive Teilnehmer an einer Reihe tradierter ritueller Spiele. Am letzten Festtag, dem 7. Mai werden dann sämtlichen Requisiten für die Riten einschließlich des Gottesbaums gesammelt und verbrannt. Nur die göttlichen Namenstafeln werden in die jeweiligen Tempel in der Stadt bzw. am Berg zurückgebracht, und damit endet das Fest des Jahres.

 

Abb 1. Lageplan für das Danofest von Gangneung 2003

 

Die heutige Raumgestaltung für das Danofest von Gangneung (vgl. Abb 1) ist in unserem Zusammenhang von großer Relevanz, auch wenn darüber keine zuverlässigen historischen Nachweismaterialien vorliegen. Der klassische Teil des Festplatzes wird augenscheinlich in zwei Hälften – in eine sakrale und eine weltliche – geteilt, wobei sich die erste wiederum in fünf Segmente (vgl. auch Abb. 2) gliedert: 1) Am westlichen Rande, d.h. am obersten Teil des Platzes, der sich über ein Kilometer lang in die Flussrichtung nach Osten erstreckt, steht der zeltförmige Gutdang (Tempel/Altar für die Schamanenriten) aufgeschlagen, der für mehrere hundert BesucherInnen und Gläubige ausreicht. Hier werden im Anschluss an das morgentliche konfuzianische Anbetungsritual die musikalisch-theatralen Riten der Mudangs (Schamaninnen) tagsüber fast ununterbrochen aufgeführt; 2) nebenan in der Flussrichtung liegt das Geune [Schaukel]platz für Mädchen und junge Frauen, wo das wettkämpferische Schaukeln ein erotisches Pendant zum 3) kraftvollen männlichen Ssireum (Ringkampf) bildet, der an der dritten Stelle zu sehen ist; 4) das vierte Segment ist für die Nongak (Bauernmusik) – den bäuerlichen Gruppentanz – bestimmt, der dem antiken Dithyrambenagon ähnlich als Wettkämpfe ausgeführt wird; 5) dann kommt zum Abschluss der klassischen Festveranstaltungen das Theaterzelt für das Gwannogeuk (Maskenspiel der Stadtknechte), das ausnahmsweise als ein pantomimes Maskentanzspiel allein in Gangneug überliefert ist. Inhaltlich ist dies eine ziemlich ernsthafte Liebesgeschichte von einem adligen Herrn Yangban und seiner treuen Braut Gagshi.

 

Abb 2. Danofest von Gangneung 2004, Titelbild des Programms
(von links unten: Morgenritual, Ringkampf, Schaukeln, Schamanentanz, Maskenspiel der Stadtknechte)

 

An diesem Theater, auf dem neben der Pantomime auch andere ortsgebundene Varianten des Maskenspiels als Gastspiele aufgeführt werden, grenzt sich größenmäßig die erste Hälfte des klassischen Teils von der zweiten ab, die sich breit und lang weiter in Richtung Ostsee hinzieht. Eine breite Brücke (Namsanbrücke = Südbergbrücke), die über dem Ufer hängt, fungiert gleichsam als die Grenze zwischen beiden Hälften. Die letztere, Nanjang genannte Hälfte, stellt einen riesigen, einem Kirmes ähnlichen Marktplatz dar, der von offenen Bühnen für privatunternehmerische Gaukeleien oder Schaustellereien eigener wie fremder Herkunft, Imbissen und Kleinlokalen zum Essen und Trinken, Krämerläden für sieben Sachen, Lebensmittel und teils zweifelhafte Heilskräuter usw. voll besetzt ist. Die Einwohner der Stadt sind sicherlich nicht übermäßig stolz, wenn sie meinen, es gebe nichts, was man auf ihrem Danomarkt nicht kaufen könnte. Aus der Größe und Dynamik dieses Marktes lässt sich schließen, dass die Kaufleute die eigentlichen Hauptträger des Festes waren und sind.

In Anbetracht der Struktur sowie Funktionen einzelner Segmente erinnert das Festgelände an die Gestalt eines Lebewesens, sei es eines riesigen Insekts oder des menschlichen Körpers. Wie aus dem Lageplan (Abb 1) ersichtlich ist, steht das Gotteshaus Gutdang, der Tempel für den Großmeister und Berggott Beomil, gleichsam für den Kopf mit dem Gehirn, dem Sitz der Seele. Die Schauplätze für die folkloristischen und künstlerischen Spiele vom Schaukeln bis zum Maskentanzspiel betrachten wir als die Brust mit dem Herz, dem Zentrum der festlichen Stimmung, allgemeinen Lebensfreude und kollektiven Identität. Die hier praktizierte ,karnevaleske Lachkultur

 

IV

Jetzt kommen wir auf das antike Griechenland zurück, um zu überprüfen, inwieweit die Dionysien mit dem in Gangneung überlieferten Danofest vergleichbar sind. Auch wenn der Theateragon den Höhepunkt der beiden durch Theateraufführungen gekennzeichneten antiken Festen, den Lenäen und den Großen Dionysien, bildete, lässt sich die Bindung des theatralen Wettkampfes an die letzteren Dionysien, das bedeutendste attische Stadtfest, kaum aus den überlieferten antiken Dramen erschließen. Denn die Verbindung ergab sich "nicht über eine Vorgeschichte oder den Ursprung der Tragödie in archaischen dionysischen Kulten, sondern aus der Bedeutung des Dionysos Eleuthereus für das Athener Gemeinwesen, wie es sich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts neu konstituierte."(23) Verwandte Momente sind zum einen in der religiös markierten Liminalität des Festbeginns und -abschlusses und zum anderen in der "Universalität der komischen Hemmungslosigkeit" zu suchen, die in den dionysischen Ursprüngen der antiken Komödie konstatiert wurde. Zu den in der attischen Komödie verbundenen Brauchtumsformen zählen "Kulte der Phallos-Verehrung [...], desgleichen der Dionysos-Kult, aber auch rituelles Verspotten, Vermummung und Rügebräuche" (Brauneck, 17).

Die Gattungsbezeichnung Komödie, die ursprünglich nur auf dem zweiten dionysischen Fest, den Lenäen, aufgeführt und erst seit 486 v. Chr. in den Theateragon an den Großen Dionysien aufgenommen wurde, hat die Forschung in Anlehnung an Aristoteles aus dem Umzug komos bzw. komodoi (Komossänger) hergeleitet. Dieser schrieb, daß die Tragödie von den Improvisationen der Dithyrambendichter, die Komödie dagegen von den phallischen Tänzen und Gesängen des Komos herkam.(24) Komos oder komazein war von jeher die Form der Verehrung des Weingottes durch umherziehende Schwärme von maskierten und ithyphallischen Männern. Während tragodia als Zusammensetzung aus tragos und ode "das Lied aus dem Anlaß des Bockes, des Opfertieres" (Kerényi, 203) bedeutete, heißt komodia aus komos und ode soviel wie Lied aus dem Anlaß des Komos, also ,Komosgesang’. Charakteristisch für Komos waren Maske und Vermummung, burlesk-vitale und spielerische Atmosphäre, Lachen und Obszönitäten. Eine weitere Quelle der Komödie war das Rügebrauchtum: "Zu einer bestimmten Zeit des Jahres und in einer festgelegten rituellen Form wurden mißliebige Bürger, die Obrigkeit oder knauserige Reiche einer schonungslosen Verspottung ausgesetzt" (Brauneck, 17). Die Entwicklung der Komödie aus diesem Brauchtum, das vom attischen Dorf Kome herkommen soll, beschreibt Kerényi folgendermaßen:

Es waren angeblich arme Bauern, die nachts in die Stadt zogen, zu den Häusern jener reichen Leute, von denen sie Unrecht erlitten hatten, und da ihre rächenden Spottlieder sangen. Sie spielten Rachegeister. Nur mit [mittels der im Weinfass zurückgebliebenen Hefe – Verf., H.-S- Yim] beschmierten Gesichtern durften sie dies tun, damit sie im Theater, wo man sie öffentlich auftreten ließ, nicht erkannt würden [...]. Man machte aus dem Ausdruck privater Rachegelüste eine unschädliche, ja erzieherische, staatliche Veranstaltung (Kerényi, S. 204).

Dieser Entstehungsprozess der antiken Komödie deckt sich zwar nicht wörtlich mit dem Ursprung des koreanischen Maskenspiels, lässt sich aber auf jene Szenen beziehen, in denen die Adligen von ihrem Knecht an der Nase herumgeführt werden. Da die Darsteller wie die des Hahoe-Maskenspiels aus den armen gemeinen Volksschichten des jeweiligen Orts stammten und in ihrer Existenz lebenslang von reichen Familien der Oberschicht abhängig waren, hatten sie im Spiel ihre Gesichter – sei es in der Rolle der Knechte oder der Herren – hinter der Maske zu verbergen. Die auf diese Weise geduldeten "Rachegelüste" der armen Bauern und Knechte brechen am radikalsten in der Variante Tongyeong-Ogwangdae (Fünf Maskenspieler von Tongyeong) hervor: Im zweiten Bild (Duhyon Lee: 1973, 372 f.) wird die angeblich hochadlige, in Wirklichkeit aber höchst problematische Abkunft der Herren gerade von ihrem Pferdeknecht Malddugi schonungslos bloßgestellt. Sie werden sogar physisch verprügelt und im folgenden, dritten Bild (374) vom richtenden Dämon Yeongno, einer Schlange, zu Tode gehetzt. Die Übermacht des Knechtes gegenüber seinen Herren kommt auch durch das ungewöhnliche Größenverhältnis der Masken zum Vorschein: Seine Maske (Abb 3)(25) ist überhaupt die größte von allen im Spiel verwendeten Menschenmasken, unterscheidet sich in der Größe von 40 (H) x 37 (B) cm erheblich von der seines ersten Herrn Wonyangban (Abb 4)(26), die knapp 28 (H) x 17 (B) cm beträgt (333). Flächenmäßig ist die Maske des Knechts also mindestens dreifach so groß wie die seiner Herren. Auch in Farben und Gesichtszügen wirkt jene viel mächtiger als diese (vgl. Abb 2 und Abb 3). Im Vergleich mit dem Ursprung der griechischen Komödie lässt sich freilich ein umgekehrtes Verhältnis von Realität und Spiel beobachten: Die Armen im alten Korea durften, wenn nicht bei Revolten und Revolutionen, wohl nicht auf der Straße Rügelieder gegen die Reichen singen, so dass die theatrale Darstellung des Herr-Knecht-Antagonismus als ein Ausdruck ihrer öffentlichen Anklage gegen die Ständegesellschaft erschienen sein müsste.

 

Abb 3. Malddugi (Pferdeknecht)

Abb 4. Wonyangban

 

Die festlichen Bezüge des antiken griechischen Theaters konnten bezeichnenderweise nicht aus Tragödien, sondern aus Komödien – und zwar hauptsächlich aus dem Antikriegsdrama Die Acharner von Aristophanes – erschlossen werden. Am Anfang der Komödie begeht der Protagonist mit dem sprechenden Namen Dikaiopolis (gerechter Staat) in Begleitung seiner Familie die ersten, ländlichen Dionysien. Als anständiger Athener will er mitten im aussichtslosen peloponnesischen Krieg mit den Spartanern für sich selbst einen Privatfrieden schließen. Zur Vorbereitung des Dionysosfestes trägt er in feierlicher Prozession einen Phallos als Fruchtbarkeitssymbol um sein Gehöft herum und stimmt einen Gesang auf Phales an:

 

DIKAIOPOLIS
                Tritt vor da, mit dem Opferkorb, und du
                Stell hin den Phallos aufrecht, Xanthias!
                Den Korb vom Haupt, mein Kind! Wir fangen an!

TOCHTER
                Gib mir die Kelle, Mutter! Diesen Kuchen
                Muß ich mit Bohnensuppe übergießen.

DIKAIOPOLIS
                Gut so! Und nun: Dionysos, unser Herr!
                Laß dir gefallen diesen frommen Gang,
                Den Umzug und das Opfer meines Hausvolks!
                Laß mich das Dionysosfest in Ruh
                Hier auf dem Land begehn, erlöst vom Krieg,
                Und segne mir den dreißigjährigen Frieden!(27)

 

Vor der Eröffnung des Festes versicherte man sich also der Präsenz des Gottes.

An den Großen Dionysien wurde das Kultbild des Dionysos, eine kleine hölzerne Statue aus dem Ursprungsort Eleutherai,(28) einige Tage vorher oder am Vortage von seinem Heiligtum am Südhang der Akropolis in einen kleinen Tempel außerhalb der Stadtmauern gebracht, am Vorabend nach Einbruch der Dunkelheit mit Fackellicht wieder zu seinem angestammten Standort zurückgeleitet und dann für die Festtage im Dionysostheater aufgestellt. Dieses Ritual fand zur Erinnerung dessen statt, dass der Gott einstmals aus Eleutherai nach Athen gekommen war. Die "Heimholung" des Schutzgottes, vermutlich "noch kein integrierender Bestandteil der Dionysien,"(29) unterschied sich von der Hauptprozession, die wohl am ersten Festtag den 10. des Monats Elaphebolion an einer heute unbekannten Stelle in der Stadt begann und vor dem Tempel des Dionysos beim Theater endete. Dabei wurden auch Phalloi getragen. Die Prozession fand ihren Höhepunkt bei der Darbietung des Opfers. Dazu wurden traditionell hunderte Stiere geschlachtet, von denen dann am Abend die Festteilnehmer sowie viele andere Bürger opulent essen konnten (vgl. Parke, 127). Nachher wurde am Abend möglicherweise noch ein Komos gefeiert. Ab nächstem Morgen rollte dann eine Reihe von theatralen Wettkämpfen, der Agon zwischen den Dithyrambenchören aus ganz Attika voran, ab.

Auch ohne genauere Wiedergabe der antiken Festordnung, über die wir ohnehin nur mangelhaft unterrichtet sind, ist die Analogie der Dionysien zum Danofest ersichtlich. Sie liegt vor allem in der Kommunikation mit den Göttern, die nach der koreanischen Auffassung eben aus drei Stadien – Empfang (Yeongshin), Unterhaltung (Oshin) und Verabschiedung des Gottes (Songshin) – besteht. Am Danofest von Gangneung werden freilich keine Stiere geopfert, sondern der einen Monat lang gereifte Reiswein stellt die wichtigste Opfergabe dar. Er wird am ersten Festtag beim Eröffnungsritual dem Schutzgott Beomil dargebracht, indem Stadtbeamte als Priester unter der Leitung des Ritenmeisters unzählige tiefe Verbeugungen machen und das gefüllte Trinkgefäß wiederholt auf den Altar stellen, der wie bei anderen üblichen schamanistischen Riten (Gut) bereits mit Kuchen, Früchten und anderen genießbaren Gaben farbenprächtig gedeckt ist. Bei diesen und anderen Unterschieden in Einzelheiten spielte doch die Präsenz des Gottes offenbar genauso an den Dionysien eine zentrale Rolle wie am koreanischen Danofest. Es wird sich lohnen, wenn wir bei der Betrachtung der dionysischen Feste den Verlauf des Danofestes mit berücksichgen, zumal der Umgang mit dem Gott in der gängigen Literatur über die Dionysien m.W. nicht so detailliert dargelegt ist wie im koreanischen Fall. Einige wesentliche Spielarten am Danofest und dessen Abschluss schildert Choe folgendermaßen:

On the same ground, there will be a rope-swinging meet for women during the daytime, and a wrestling contest for men. The mask dance will be performed at night. They build fires with wood to illuminate the scene and the dance lasts until the day breaks. People think that the masks and costumes attract many evil spirits during the performance of the mask dance and when it ends at dawn, they put them into the fire. Here the masks and costumes are burnt surrounded by all the team solemnly praying with their hands pressed together. This is the closing ceremony of the ritual mask dance (S.-S. Choe, 112 f.).

Das ist zugleich die allgemeine Schlussfeier des Danofestes. In Gangneung werden zusätzlich der Gott und die Göttin in ihre Tempel zurückgebracht, wie die Athener zum Abschluss der Großen Dionysien das göttliche Idol wieder aus dem Theater in den Tempel des Gottes zurückgestellt haben müssten.

Abb 5a. Schaukelndes Mädchen, von Silen bedient.
Rückseite des Skyphos

Abb 5 b. Vornehme Athenerin, von Silen zum Fest begleitet.
Skyphos des Penelope-Malers. Staatliche Museen zu Berlin.

Verwandte Momente finden sich nicht erst an den Festtagen der Großen Dionysien, sondern bereits in der Adventzeit, die einerseits auf den Wechsel der Jahreszeiten sowie den Gärungsprozess des Weins, andererseits in der mythischen Fiktion auf die ungewöhnliche, mehrfache Geburt und die Parusie des Weingottes abgestimmt war und daher bereits an den Ländlichen Dionysien im November/Dezember anfing. In diesem Zusammenhang hat Kerényi einige interessante Praktiken der AthenerInnen dargelegt, die sie in der Erwartung bzw. zur Begrüßung des kommenden Gottes durchführten. Am zweiten Tag der Anthesterien (12. Anthesterion [Januar/Februar]) gab es z.B. das Schaukeln der Mädchen zu Ehren des Dionysos: "In der erotisch-gespenstischen Atmosphäre fand die Aiora statt, das Schaukeln der Jungfrauen, im Haus und Hof, wo die Pithoi offen standen" (188; vgl. Abb 5a [Kerényi, Abb 42b]). Der Forscher hat einen weiteren archaischen Kern, einen geheimnisvollen Akt des zoé, rekonstruiert, der wahrscheinlich auch in den späteren Zeiten bei den Frauenmysterien außerhalb Attikas fortgesetzt wurde: Im Bukoleion, dem Namen nach einem Stierstall, fand am 3. Tag der Anthesterien ein ,Frauenmysterionagalma, der primitiven Andeutung der phallischen Eigenschaft des unzerstörbaren Lebens" (191, vgl. Abb 5b [Kerényi, Abb 42a]), darstellte. Die Griechen haben den FruchtbarkeitsgottBeomil. Nachdem sie ihre Götter physisch und seelisch glücklich gestimmt hatten, widmeten sich die Menschen im Ost und West ihrem eigenen Vergnügen, indem sie aßen, tranken und spielten.

Aus Platzmangel sollen diese und weitere Analogien bzw. Entsprechungen nicht näher ausgeführt, sondern tabellarisch zusammengefasst und überblickt werden:

 

I. Danofest von Gangneung
(http://www.danojefestival.or.kr/)

Advent und Empfang des Schutzgottes Beomildaesa (Großpriester Beomil)

5. April (lunar): Vorbereitung des göttlichen Reisweins (Shinju) durch Reisspende der Bürger

15. April: Suche nach einem heiligen Baum am Schrein im 10 km entfernten Daegwallyeong nach dem Mythos des Berg- und Schutzgottes Beomildaesa; Prozession zur Heimholung des Gottes in der Gestalt des Gottesbaums und der Namenstafel in die Stadt zum Tempel der Göttin, des ehemaligen Dorfmädchens Jeong; Hochzeit und Flitterwochen

3. Mai: Vorabend, Prozession und Empfang des göttlichen Paares in den Tempel (Gutdang)

Festfolge

4. Mai: 1. Festtag. Morgenritual am Altar (Jojeonje, Confucian Rituals); Schamanenritual (Danogut) mit Tanz, Rezitativ und Begleitmusik; Wettkämpfe in Schaukeln, Ringen, Bauernmusik und Maskenspiel u.a. (vgl. Abb 5)

5.–6. Mai. 2. und 3. Festtag mit Morgen- und Schamanenritual sowie Wettkampfspielen

7. Mai: 4. Festtag. Schlussfeier und Verabschiedung des Gottes

Gestaltung des Festplatzes in Gangneung (2003)
(2006: http://www.danojefestival.or.kr/ground.htm)

1. Oben: Geist und Seele
Heiligtum/Tempel (Gutdang) für das göttliche Paar und den heiligen Baum, das Morgen- und Schamanenritual

2. Mitte: Herz und Liebe
Spiel- und Schauplätze für Wettkampfspiele
Schaukeln der Jungfrauen (Geune)
Ringen der Jungen (Ssireum)
Bauernmusik mit Gruppentanz (Nongak)
Maskentanzspiel der Stadtknechte (Gwannogeuk, pantomimisch) und andere Varianten

3. Unten: Bauch und Glieder
Marktplatz (Nanjang) für Schaustellereien, Siebensachen, Essen und Trinken

 

II. Dionysien

Advent und Empfang des Dionysos

November März: Kelterung und Gärung des Weins vs. Geburt und Parusie des Dionysos

2. Tag der Anthesterien (12. Anthesterion [Januar/Februar]): Aiora (Schaukeln der Mädchen auf dem Weinfass)

3. Tag der Anthesterien (13. Anthesterion): Wetttrinken der Männer; Frauenmystherion: Heilige Hochzeit des Dionysos mit der Königin, Gattin des archon basileus

Festfolge der Großen Dionysien(30)

8. Elaphebolion (Februar/März): Proagon; Vorstellung der Dichter und ihrer Stücke (seit 444 im Odeion des Perikles)

9. Elaphebolion (abends): Einholen des Götterbilds

10. Elaphebolion: 1. Festtag: Prozession. Festopfer, Dithyramben (jew. 10 [?] Männer- und Knabenchöre), Komos (?)

11. Elaphebolion: 2. Festtag: Komödienagon (5 Stücke)

12.–14. Elaphebolion: 3.–5. Festtag: Tragödienagon (je 1 Tetralogie)

16. Elaphebolion: Volksversammlung im Theater
[Zurückstellen der Gottesstatue, Ende des Festes – vom Verf., H.-S. Yim]

 

V

Sowohl die Dionysien als auch das Danofest wären insofern als ein Welttheater im weitesten Sinne zu bezeichnen, als sich dort die Gesamtheit des Menschenlebens in universaler, von Goethe in Rom erlebter Ursprünglichkeit widerspiegelte. Zum Abschluss des Römischen Karnevals resümiert Goethe seine Beobachtung wie folgt:

Wenn uns während des Laufs dieser Torheiten der rohe Pulcinell ungebührlich an die Freuden der Liebe erinnert, denen wir unser Dasein zu danken haben, wenn eine Baubo auf öffentlichem Platze die Geheimnisse der Gebärerin entweiht, wenn so viele nächtlich angezündete Kerzen uns an die letzte Feierlichkeit erinnern, so werden wir mitten unter dem Unsinne auf die wichtigsten Szenen unsers Lebens aufmerksam gemacht (HA 10, 515).

Die "wichtigsten Szenen" beziehen sich auf drei elementare Momente des Lebens, die wir auch im koreanischen Maskenspiel beobachtet haben: Liebe, Geburt und Tod. Eine ähnliche Auffassung des Welttheaters vertrat auch Shakepeare, als er in seiner Komödie As You Like It dem Melancholiker Jaques den berühmten Spruch in den Mund legte: "All the world

Die Dionysien hatten einen dreifachen Zweck, der auf das Danofest übertragbar ist: Sie wurden zu Ehren von Göttern, Staats- bzw. Gemeindewesen und Bürgerschaft gefeiert. Neben religiösen Funktionen hatten sie "ihren Geldgebern und Organisatoren einen Prestigegewinn zu verschaffen, die Leistungskraft des Staatswesens zu demonstrieren und die Bürgerschaft in einem Massenvergnügen zu vereinen."(31) Die einst derart religiös, politisch und sozial begründete Symbiosität von Fest und Theater war nicht haltbar, wenn die entsprechende Motivation verschwand, sich als falsch oder anachronistisch erwies. Der politische Missbrauch festlicher Theaterformen durch den Nationalsozialismus z. B. konnte nicht von Dauer sein und hatte nur massive negative Auswirkungen auf das Schicksal der von Richard Wagner und Max Reinhardt entwickelten Konzepte des Festspiels. Dass die christliche Tradition des Volkschauspiels in Europa mit wenigen Ausnahmen bereits vor 1950 beinahe völlig in Vergessenheit geraten ist, lässt sich wohl u.a. auf das veränderte Verhältnis der modernen Zeit zur Religiosität zurückführen. Auch das Danofest von Gangneung dürfte das Schicksal anderer, längst verschwundener Feste wiederholen, wenn seine dreifach integrativen Funktionen nicht mehr gewährleistet würden. Wie Goethe gerade in lustvoll spielerischen Torheiten die wichtigsten Momente des Lebens entdeckte, dürfte die dritte, mittels Massenvergnügen vereinende Funktion des Festes bereits in der Antike als die letzte Wahrheit wahrgenommen und genossen worden sein. Auch für Innovationen und Reproduktionen von "Theater im Fest" bzw. "Theater und Fest" müsste man dann am ehesten nach dieser Wahrheit fragen. Im koreanischen Maskenspiel wird der im Sinne Schillers angeborene, unwiderstehliche und ununterdrückbare Spieltrieb des Menschen immer wieder angedeutet oder offen ausgesprochen. Dem Signalton des Maskenspiels "dungeodung!", den die Trommler mit ihren Instrumenten hervorbringen, kann niemand widerstehen – weder die frommen alten Mönche, noch die adligen Gelehrten und die strengen Familienväter: Dies behauptet und beansprucht das Maskenspiel auf dem Festplatz selbstbewusst, die Kunst allgemein vertretend.

Han-Soon Yim (Seoul National University)


ANMERKUNGEN

(*) This work was supported by the Korea Research Foundation Grant. (KRF-2005-013-A00066) (Sonderdruck: yim.pdf)

(1) Karl Kerényi: Dionysos. Urbild des unzerstörbaren Lebens, Stuttgart: Klett-Cotta 1994 (zuerst München und Wien: Langen Müller 1976), S. 203 f., 208 f., 213.

(2) Die folgenden Auskünfte und Inhaltsangaben basieren auf Duhyon Lee: Hanguk Gamyeongeuk (Korean Mask-Dance Drama). Research Institute of Korean Mask-dance Drama, Seoul 1973, S. 159–172; Duhyon Lee: Hanguk Gamyeongeuk Seon (Gesammelte koreanische Maskentanzdramen), Seoul: Gyomunsa 1997, S. 427–448.

(3) Dong-il Cho: Prinzipien des Talchum und Sinmyungpuri. Seoul: Jishiksaneobsa 2006, S. 27 f.

(4) Friedrich Schiller: SW, 5. Bde., 5. Aufl., München 1975, Bd. 5, 845: " [...] jene geistreiche Heiterkeit und Freiheit des Gemüts, welche in uns hervorzubringen das schöne Ziel der Komödie ist, läßt sich nur durch eine absolute moralische Gleichgültigkeit erreichen".

5) Zu diesem Tanz von Ch¡¯ oyong [Cheoyong] heißt es bei Duhyon Lee: "It was intended to celebrate the life of Ch¡¯ oyong and to ward off evil spirits on the eve of the lunar new year. It was performed for the royal court and the aristocracy or as a popular entertainment at 60th birthday banquets." Tu-hyon Yi (= Duhyon Lee): Ancient–1945: A History of Korean Drama, in: Korean Performing Arts. Drama, Dance & Music Theater. Edited by Yang Hye-suk, written by Yi Tu-hyon et al. Jipmoondang: Seoul 1997, S. 15–35, hier S. 18–19.

(6) Die koreanischen Daten sind im folgenden alle lunar.

(7) Sang-su Choe: Annual Customs of Korea. Seoul: Seomun-dang Publishing Company 1983, S. 110.

(8) Das Maskentanzspiel stammt vermutlich aus der Sui- und Tang-Dynastie Chinas, wurde über das altkoreanische Königstum Baekje in Japan eingeführt und dort zum Maskentanzspiel Bugaku bzw. zum pantomimischen Maskenspiel Gigaku entwickelt. Vgl. Duhyon Lee, a.a.O., S. 16; auch Thomas Leims: Die Kontinuität der Form. Probleme der japanischen Theatergeschichte, in: Klassische Theaterformen Japans, hg. vom Japanischen Kulturinstitut Köln, Köln 1983, S. 3 f.: "Gigaku wurde mit der Einführung des Buddhismus nach Japan durch chinesische und koreanische Mönche ab 538 n. Chr. ermöglicht. Bugaku war mit zwei dominierten Farben der Kostüme gekennzeichnet. Rot repräsentiert Indien, Indochina und China, während Grün auf koreanischen Ursprung schließen läßt."

(9) Dong-il Cho: Ästhetik des koreanischen Maskenspiels, Seoul 1975, S. 186 u. passim.

(10) Diez-Rüdiger Moser: Volksschauspiel, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, 4 Bde., Bd. 4, Berlin und New York 21984, S. 772–786.

11) Bernhard Greiner: Die Komödie. Tübingen 1992, S. 75.

(12 Meewon Lee: Tradition and Esthetics of Korean Drama, in: Korea Journal 37 (1997) 3, S. 22–39, hier S. 24.

(13) Bernhart Greiner: Die Komödie, S. 69.

(14) Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Übers. Von Gabriele Leupold. Hrsg. und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 12 (Vorwort von Lachmann).

(15) Duhyon Lee: Gesammelte koreanische Maskentanzdramen, S. 165.

(16) A.a.O., S. 51 f., 59.

(17) Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt, S. 21 f.

(18) Goethe: HA 101, 484.

(19) Spieltext Yangjusandae 1957 (= Maskenspiel der Regionaltruppe von Yangju), in: Dong-il Cho, a.a.O., S. 622.

(20) Der Schwerpunkt des chinesischen Danofestes liegt auf dem Drachenmythos und der Kanufahrt, die noch heute in Taiwan zu Ehren des sagenhaften, im Fluss ertrunkenen Dichters Qu Yuan (ca. 340 bis ca. 278 v. Chr.) wettkämpferisch ausgetragen wird. In China hat auch keine kalendarische Verbindung vom Dano und Theateraufführung stattgefunden. Vgl. Jeong-Ryong Jang u. a.: Dano-Folklore in Asien. Seoul 2002, S. 9–19 (China).

(21) Oscar G. Brockett: History of the Theatre, Second Edition. Boston, London, Sydney, Toronto: Ilyn and Bacon, Inc. 1974, S. 5.

(22) Über die Entstehung und Geschichte des Danofestes von Gangneung vgl. Jeong-ryong Jang: Folkloristische Reise ins Danofest von Gangneung. Seoul 1998, S. 29–67.

(23) Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters, Bd. 1. Stuttgart und Weimar: Metzler 1993, S. 7.

(24) Aristoteles: Poetik, IV. 1449 a 11–13.

(25) Abb 3: Duhyon Lee (1973), S. 334.

(26) Abb 4: A.a.O., S. 336.

(27) Aristophanes: Die Acharner. Leipzig: Reclam 1925. Zit. nach Karl Kerényi, a.a.O., S. 206.

(28) Vgl. H. W. Parke: Festivals of the Athenians. Ithaca, New York: Cornell Univ. Press 1977, S. 126.

(29) Horst-Dieter Blume: Einführung in das antike Theaterwesen. Darmstadt: WBG 1978, S. 19.

(30) Nach Horst-Dieter Blume, a.a.O., S. 25 f. Vgl. auch abweichende Angaben in: Kenneth McLeish, A Guide to Greek Theatre and Drama. London: Methuen 2003, S. 5.

(31) Matthias Warstat : Fest, in: Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart und Weimar: Metzler 2005, S. 102.


5.7. Theater und Fest – Ursprünge und Innovationen in Ost und West

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For quotation purposes:
Han-Soon Yim (Seoul National University): Das koreanische Maskenspiel und das Fest Danoje in Bezug auf die antiken Dionysien. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2006. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/05_7/yim6.htm


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