Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. April 2006
 

6.6. Das Jiddische als Kulturvermittlung
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Astrid Starck Adler (Basel)

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Bericht: Jiddisch als Kulturvermittlung

Astrid Starck Adler (Basel, Schweiz)
[BIO]

   

Thema dieser Sektion war es, Jiddisch in seiner grenzüberschreitenden Funktion, seiner Vermittlerrolle zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Kulturen sowie seine Stellung und Bedeutung im 21. Jahrhundert zu ergründen. Dabei wurde nicht nur das europäisch-jiddische Schaffen ins Auge gefasst, sondern auch das außereuropäische, das sich in Emigrationsländern und -kontinenten wie Südafrika und Südamerika entwickelte. In diesen entfernten Gebieten, zu denen auch Nordamerika, Israel und Australien gehören, wurde Jiddisch weitergepflegt, so dass nach der Shoah alle diese sich erhebenden Stimmen ein Weiterleben außerhalb Europas ermöglichten. Heutzutage stellt sich die Frage nach Impuls und Rezeption: sie ist wichtiger Bestandteil der Referate und der Diskussion, denn wenn Jiddisch als Kulturvermittlung selbstverständlich ist, so bleibt heute die Vermittlung der jiddischen Kultur in der Originalsprache fragwürdig.

Von den sieben auf Jiddisch und Deutsch gehaltenen Referaten befassten sich zwei mit einem der wichtigsten Träger der Kulturvermittlung - der Übersetzung. Hervorzuheben ist hier, dass im Grunde genommen die Übersetzung der Heiligen Schriften aus dem Hebräisch-Aramäischen in einer von der Landessprache (Deutsch) geprägten jüdischen Sprache (Jiddisch) als Auslösungsfaktor der jiddischen Sprache und Literatur überhaupt anzusehen ist. In der Sektion ging es um die Übersetzung zweierlei, zeitlich umrahmter Literaturen: einerseits der deutschen Literatur mit Schiller, einem der meist bewunderten, übersetzten und parodierten Schriftsteller auf West- und Ostjiddisch im 19. Jahrhundert, andrerseits der Weltliteratur, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzt und die sich bis in die vierziger und fünfziger Jahre hinein verfolgen lässt. Peter Varga (Budapest) weist im Schillerjahr anhand von konkreten Beispielen auf die Spuren einer "heißen" Rezension Schillerscher Texte, auf die intertextuellen Einflüsse und auf die Reaktualisierung des Übersetzungsverfahrens kanonischer Werke. Armin Eidherr (Salzburg), der an einem Register aller auf Jiddisch übersetzten Schriften arbeitet, liefert ein breites Panorama der wichtigsten Übersetzungen der bedeutendsten Schriftsteller, setzt sich mit den heutigen, im Vergleich dazu spärlichen Ansätzen auseinander und stellt die unumgängliche Frage nach dem Sinn und Zweck eines solchen Unternehmens, vor allem in Abwesenheit einer größeren Leserschaft.

Sich auf die Lücke eines der Sprache unkundigen Publikums stützend, versucht Thomas Soxberger (Wien) die Stellung und Vermittlung des Jiddischen in der Gegenwart näher zu erforschen. Er entwickelt dabei den Begriff der "sekundären jiddischen Kultur", der auf die eigentliche Kluft zwischen akademischer und kultureller Szene, traditioneller jiddischsprachiger Welt der Chassidim und moderner am Sprachverlust leidenden Welt der Schriftsteller und Künstler beruht.

Zwei weitere Referate befassen sich mit einem wichtig ergänzenden Aspekt des im Westen entstandenen, sich später im Osten entwickelnden Jiddisch: der Kulturvermittlung zwischen Ost und West und der Zentralstellung Mitteleuropas in diesem Prozess. Vom Einfluss des Ostjudentums auf die westjüdische Kultur am exemplarischen Beispiel Kafkas und seiner Rede über die jiddische Sprache («Jargon») ausgehend, versucht Ekkehard W. Haring (Usti nad Labem, Tschechien), die Diskussionen und Debatten um Jargon in ihren wichtigsten Aspekten zu beleuchten und nach der kulturellen Symbolik solcher Debatten in den Konzeptionen literarischer Identität zu fragen. Umgekehrt geht es Mikhail Krutikov (Ann Arbor, Michigan) darum, das Ringen um ein kulturelles Kontinuum zwischen West- und Ostjudentum nach der Entstehung der Sowjetunion zu zeigen. Dabei stützt er sich auf den jiddischsprachigen Literaturhistoriker Meir Wiener (1893-1941), einem österreichischen, in die Sowjetunion ausgewanderten Intellektuellen und dessen unveröffentlichten, in Moskau verfassten Roman.

Die Untersuchung der außereuropäischen jiddischen Literatur ihrerseits kennzeichnet sich durch eine vermittelnde Wechselwirkung zwischen der alten und der neuen "Heimat", die sich sowohl auf geistiger als auch auf gesellschaftlich-materieller Ebene vollzieht. In seinem breitgefächerten Referat, das einen umfassenden Einblick in das südamerikanische jiddische Schaffen inkl. Kuba ermöglicht, legt Alan Astro (San Antonio, Texas, U.S.A) den Akzent auf die Doppeldeutigkeit des Wortes Vermittlung auf Jiddisch, farmitlung und shtadlones Dabei werden Intertextualität und Distanz in den Vordergrund gerückt. Schriftsteller wie Leib Malach, Mordechai Alpersohn, A. J. Dubelman, Salomon Zytner, Isaac Berliner und Simon Brainsky bieten den Ansatz zu einer kulturhistorisch-wirklichkeitsnahen Lektüre in den Emigrationsländern. Mit Südafrika beschäftigt sich das Referat von Astrid Starck-Adler (Basel, Schweiz). Dadurch, dass das jiddische Schaffen nicht vereinzelt, sondern in den mehrsprachigen südafrikanischen, jüdischen und nicht-jüdischen Kontext gestellt wird, tritt es als Teil der vielfältigen und vielseitigen "Gesamtproduktion" hervor. Es wirkt als pars pro toto schlechthin für die Untersuchung der jiddischen Literatur auf den verschiedenen Kontinenten und knüpft mit deren eigentlichen früheren Funktion an: der Grenzüberschreitung, welches das Eigene und das Fremde vereint. Dies führt zur Entstehung und Anwendung eines neuen Begriffs: der Jiddischophonie, die diesem Vorgang gerecht zu werden scheint und neue Perspektiven eröffnet.

© Astrid Starck Adler (Basel, Schweiz)


6.6. Das Jiddische als Kulturvermittlung

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For quotation purposes:
Astrid Starck-Adler (Basel, Schweiz): Bericht: Jiddisch als Kulturvermittlung. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/06_6/starck-adler_bericht16.htm

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