Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Januar 2006
 

6.7. Heilige vs. Unheilige Schrift
Herausgeber | Editor | Éditeur: Martin A. Hainz (Universität Wien)

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INTERPRETATION WECHSELWIRKUNG KREATIVITÄT

herbert j. wimmer (wien, österreich)
[BIO]

 

schürz-variante des vortrags

1.

sprachgebrauch also text und schon eine bewegung, ein text als bewegung und bewegung als text, interpretiere, was seine auswirkungen hat, auf mich, den autor, den autor im prozess des sprachgebrauchs, im sprachgebrauch des prozess-begriffs. (...)

doch zuerst ein gedicht von elfriede gerstl, das mir in der letzten zeit immer dann besonders brauchbar erscheint, wenn es darum geht darüber nachzudenken, wie viel man eigentlich über sich weiss und wieviel man über sich überhaupt wissen kann - und wie die wechselwirkung von glauben und wissen jeden von uns auf spezifische weise strukturiert.

check das
was weiss man schon
was man glaubt
was glaubt man schon
was man weiss(1)

so kurz und klar, so umfassend wie unabweisbar, wird es mir im folgenden nicht gelingen mich zu äussern.

 

37.2(2)

der medienkatholizist

die ins monomedium eingefalteten monomedien / den kat holen gehen bis der katalöser kommt / wiederkommt niederkommt / nach der auffahrt ins medium / der bastard oder die verbindung zweier medien ist ein moment der wahrheit und erkenntnis aus dem neue form entsteht / kraft der völligen normalität von widersprüchen / fährt die neue form herunter in das medium / und wird gebraucht in einer vorher festgelegten weise / die es jeder und jedem ermöglicht den text ohne vorhergehende kenntnis des inhalts zu lesen / ein reinigender traum der die nacht vom tage trennt / ein medium der konversion / dass sich durch seinen gebrauch in den gebraucher umwandelt / mein körper weitet sich aus / anmerkung / impuls für impuls treibt ihn auf / fonetische alfabete entplatzen mir / und überziehen mit mir die sich ausweitetenden körper der anderen / die mich mit ihren erweiterungen überziehen / ohne einander zu durchdringen / nehmen wir einander auf in uns / mir wird heiss und kalt / entfragmentarisiert departikularisiert / rede ich aus mir heraus wie es aus mir herausspricht / die azurblaue fläche des himmels / in den aufzufahren aus dem herabzukommen / in alten vorstellungen in vorstellungen des alten / rekonstruiert werden kann / funktioniert als teleprompter / die schrift zieht von horizont zu horizont / während ich mich von ihr ablese werde ich abgelesen / aus dem übertragenen himmel dem gesendeten azur / die flimmersteine der bildschirmwände screenwalls / wälle der bekehrung / der frohen konversion ins archaische / in dem als zukunft das vorweggenommene sicher aufgehoben ist / strahlende b(l)austeine der kathedralen der sendung / aus denen das feedback als immer schon mitgesendetes ausstrahlt / erregend sich vereinigend zur botschaft als medium / zum medium als botschaft / unsichtbar für die empfänger zieht der teleprompter / seine schrift über meine augen / mein mund spricht schrift / während der teletext kurzfassungen der allfaltigkeit anbietet / meinen allfaltigen speech überblendend / mit seinen interpretationen korrekturen verkürzungen ausweitungen / bewussten und unbewussten auslassungen / die früchte der fehllese ausbreitet / über die präsenz meiner erscheinung / in der alles aufgehoben ist was gehört werden kann / jenseits des blossen zuhörens diesseits des blossen verstehens / ist ja kein wunder mischt sich der freund ins mono vi deo der freundin / doch schon ist er wieder draussen / ausgeschlossen aus dem einheitsbrei des medialen rauschens / der verlorenen unio mystica / der nur als verloren glaubhaft vorstellbaren ungespaltenheit / der riss der mitten durchs globale dorf verläuft / der die existenz der globalen dörfler genauso aufrechterhält

wie die vorstellung es hätte den riss einmal nicht gegeben / und wird ihn einmal nicht mehr geben / die apokalypse der frohbotschaft als medium / wie die apokalypse als medium empfangen werden kann / weils ums empfangen geht / nicht ums verstehen / nur im empfangen wird der empfänger zum medium / jenseits von heiss oder kalt / (...)

(umbruchversion als langgedicht:
DAS OFFENE SCHLOSS - EVA UND ADAM, diskursballaden 1 - 77 )

bewegung als text, text als bewegung.

der soeben vorgetragene abschnitt aus DAS OFFENE SCHLOSS enthält (...) aus einem aufsatz derrick de kerkhoves: marshall mcluhans glaube an die kirche(3), einige aussagen zu kirche, im besonderen zur katholischen kirche und ihrer medialität (...), die ich so von mcluhan noch nicht gekannt hatte (...).

passend zum thema ein originalzitat des späten marshall mcluhan (...)

ich war nie pessimist oder optimist. ich bin apokalyptisch. unsere einzig
wahre hoffnung ist die apokalypse. (...) die apokalypse ist kein schwarzes
loch, sie ist die rettung. kein christ kann optimist oder pessimist sein. das
ist eine profane unterscheidung. die weltlichen institutionen, in denen man
sich gut oder schlecht fühlen kann, interessieren mich nicht. ich kann diese
mentalität nicht mehr begreifen. ich weiss aber, es dauerte bis ich zu dieser
einstellung kam. es geschah nicht von heute auf morgen.(4)

 

2.

auf dem weg zur kurzen beschreibung einiger funktionen von kalauern in texten ist die erwähnung von apokalypse eine gute überleitung zu (...) umberto eco.

in seiner aufsatzsammlung apokalyptiker & integrierte und beschäftigt er sich mit - wie er definiert - zwei grundhaltungen der interpretation massenkultureller phänomene durch angehörige der intellktuellen schicht. erstens diejenigen, die in diesen massenmedialen erscheinungen vor allem den untergang der kultur wahrzunehmen und zu thematisieren sich gezwungen sehen, die "apokalyptiker" also, dagegen die "integrierten", die lustvoll und produktiv mit fernsehen, comics, trashigem aller art umzugehen imstande sind. selbst nimmt eco in diesen aufsätzen keine wertung vor, er beschreibt aus einer position "zwischen den stühlen", wie er sagt.

mit anderen worten, um damit noch einmal auf mcluhan zurückzukommen, könnte man die unterscheidung ecos auch als die zwischen optimisten, den integierten und pessimisten, den apokalyptikern darstellen. wenn mcluhan in seiner selbtbeschreibung sich als apokalyptiker bezeichnet, so nimmt er damit allerdings keine position zwischen den stühlen ein, sondern zeigt die traditionelle haltung eines jenseitsgläubigen, dem alles diesseitige notwendig zum untergang bestimmt ist, damit die dringlichkeit eines jenseits bestätigend. (...)

fasziniert mcluhan, wie sich die entwicklung der kultur aus der entwicklung der medien ergibt (in seinem weiten begriff, alles was die möglichkeiten des menschen erweitert, ist ein medium), so beschäftigt sich der semiotiker und dichter eco besonders intensiv mit dem unaufhörlichen bezugnehmen aller texte (oder alles, was text ist) aufeinander:

alle bücher sprechen immer von anderen büchern, und jede geschichte
erzählt eine längst schon erzählte geschichte.(5)

indem alle bücher immer von anderen büchern sprechen, interpretieren alle bücher einander, legen einander aus, kritisieren einander, schreiben einander um, schreiben sich aneinander heran und so weiter und so fort.

ein spezieller (sprach-)schöpfungs- und tauf-akt ist das wortspiel, der kalauer, a pun, wie die engländer sagen.

in seinem buch das offene kunstwerk(6)erzählt eco von james joyce und seiner beobachtung, dass die katholische kirche auf einen kalauer gegründet ist: du bist petrus, auf diesen fels will ich meine kirche bauen.

diese beobachtung versteht eco als eine für joyce ausreichende rechtfertigung für die extensive anwendung des kalauers im traumlogisch strukturierten finnegans wake.

durch benennung eine institution begründen, einen sinn übertragen, schöpferisch sein im akt des vergleichens und so eine verschränkung von metafer und metonymie herstellen, wo ein teil buchstäblich beim wort genommen wird, als anfangsbedingung sozusagen für ein ganzes, das plötzlich da ist, generiert und interpretiert zugleich.

eine der vielen anderen möglichen funktionen von kalauern kann sein, sie als textstrukturierendes element einzusetzen, um stimmungswechsel herbeizuführen, unterbrechungen einzufügen, aufmerksamkeitslenkung zu erzielen oder schlicht als möglichkeit der interpunktion, wenn der text ansonsten auf die gebräuchlichen formen der interpunktion verzichtet.

derart syntaktisch gebraucht ergeben die kalauer strukturen, abgesehen von ihren inhalten bilden sie nach, in welchen rhythmen der autor denkt, welche rhythmen den autor denken, ihn aus gedanken reissen indem sie ihn in andere gedanken stossen beziehungsweise kippen.

in dieser funktion der gliederungsmöglichkeiten und -rhythmen anzeigenden unterbrechung habe ich kalauer vor allem in das offene schloss benützt. (...)

© herbert j. wimmer (wien, österreich)


anmerkungen:

(1) erstmals abgedruckt in: DIE DICHTER UND DAS DENKEN. wechselspiele zwischen literatur und philosophie, profile Nr. 11; hg. österreichisches literaturarchiv - klaus kastberger, konrad paul liessmann; zsolnay-verlag, wien 2004, s. 227

(2) DAS OFFENE SCHLOSS - AMBIVALENZROMAN, verlag sonderzahl, wien 1998, s. 152 - 153

(3) derrick de kerkhove, schriftgeburten - vom alphabet zum computer, wilhelm fink verlag, münchen 1995

(4) a.a.o., s. 120

(5) umberto eco, nachschrift zum "namen der rose", dtv nr. 10552, münchen 1986, s. 28

(6) umberto eco, das offene kunstwerk, suhrkamp tbw nr. 222, frankfurt am main 1983, s. 395


literatur:

herbert j. wimmer; WECHSELWIRKUNGEN - VORLESUNGEN ZUR LITERATUR, wespennest nr. 90, wien 1993

herbert j. wimmer; DAS OFFENE SCHLOSS: AMBIVALENZROMAN; sonderzahl verlag, wien 1998

herbert j. wimmer; ROMAN ARTIGKEITEN - VORLESUNGEN ZUR LITERATUR, kolik nr. 17/18, wien 2001/2002

DIE DICHTER UND DAS DENKEN. wechselspiele zwischen literatur und philosophie, profile Nr. 11; hg. österreichisches literaturarchiv - klaus kastberger, konrad paul liessmann; zsolnay-verlag, wien 2004

DIE WELT AN DER ICH SCHREIBE; hg. kurt neumann, sonderzahl verlag, wien 2005


6.7. Heilige vs. Unheilige Schrift

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For quotation purposes:
herbert j. wimmer (wien, österreich): INTERPRETATION WECHSELWIRKUNG KREATIVITÄT. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/06_7/wimmer16.htm

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