Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Juni 2006
 

7.1. Media systems: their evolution and innovation
Herausgeber | Editors | Éditeur: Ernest W. B. Hess-Lüttich (Bern)

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Die Tradition des politischen Plakates im Zeitalter des Internets.
Politische Werbung gestern und heute

Sascha Demarmels (Universität Zürich)
[BIO]

Abstract:

In meiner diachronen Untersuchung von Schweizer Abstimmungsplakaten (1848 bis zur Gegenwart) komme ich mehr und mehr zum Ergebnis, dass sich in der politischen Werbung trotz des enormen Medienwandels nicht sehr viel verändert. Politische Werbung fand schon immer auf Plakaten und in Zeitungsanzeigen statt, später auch im Fernsehen (soweit dies nicht verboten wurde) und in neuerer Zeit im Internet. Innerhalb der Abstimmungsplakate lässt sich ein Wandel in der formalen Gestaltung ausmachen. Während in früherer Zeit die Tendenz vor allem in Richtung von Textplakaten ging (wenig Bilder/bildliche Darstellungen), setzte sich nach einem Zwischenschritt über die Mischung von Text und Bild die Tendenz zu Bildplakaten fort, in denen nur noch der allernötigste Text vorkommt. Dieser Wandel ist auch vor dem Hintergrund der Entwicklung der Technik zu sehen, denn erst einmal müssen die technischen Voraussetzungen für die Einbindung von Bildern in Plakate gegeben sein. In neuester Zeit ist eine weitere Errungenschaft auf die politischen Plakate gedrungen: Die Animation. Ermöglicht wird sie durch das neue Medium "eBoard". Aber die Nutzung durch politische Parteien und Interessenverbände hat sich noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Betrachtet man den Codewandel vom Textplakat zur Animation, so ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Medienkompetenz des Betrachters, sondern auch jene des Produzenten hochgradig gefordert wird. Heute werden die meisten politischen Kampagnen in die Hände von professionellen PR-Beratern gegeben. Die Themenbehandlung bleibt dennoch stabil: Politische Werbung agiert nach wie vor auf der Ebene der Emotionalisierung.

"Media systems: their evolution and innovation" war der Titel einer Sektion am IRICS-Kongress 2005. Anstatt den Blick auf ein gesamtes Mediensystem zu lenken, möchte ich mich im Folgenden nur mit einem einzelnen Medium befassen. Nach kurzen allgemeinen Überlegungen komme ich darum zum politischen Plakat, wobei ich mich selber für meine Dissertation vor allem mit dem Schweizer Abstimmungsplakat befasse. Zunächst werde ich auf die medialen Eigenschaften eingehen, dann werde ich anhand der Geschichte des Plakates aufzeigen, dass innerhalb dieses einen Mediums eine Veränderung in der Kodierung stattgefunden hat.

 

A Allgemeine Überlegungen zum Codewandel

1. Was ist ein Code und wie wandelt er sich?

Kommunikation erfolgt immer über ein Medium, und für mediale Übertragung müssen Botschaften grundsätzlich codiert werden. Dies gilt sowohl für die technische Übertragung von Nachrichten wie auch für persönlichen Austausch. Es gibt für diese Vorgänge zahlreiche Modelle. Ich verweise hier auf das ganz einfache und vielleicht darum so bekannte Modell von Shannon und Weaver aus dem Jahre 1949 (vgl. z.B. Jarren/Bonfadelli 2001, S. 27f.). Das Modell zeigt die Umwandlung einer Botschaft in ein technisches Signal. Diese Art von Codierung nenne ich "technische Codierung". Ein Codewandel findet immer statt, wenn eine neue Technik zur Signalübertragung erfunden wird. Geht man davon aus, dass ein Medium durch seine technische Codierung definiert wird, kann es innerhalb eines Mediums nicht zu einem Codewandel kommen.

Die Verwendung von verschiedenen Zeichen wie Verbalsprache, Bilder oder Ton nenne ich "mediale Codierung", da sie innerhalb der Grenzen und Möglichkeiten eines bestimmten Mediums abläuft. Veränderungen im medialen Code lassen sich dadurch feststellen, dass zur Realisierung einer Botschaft andere Zeichen verwendet werden, statt mit Symbolen kommuniziert man zum Beispiel plötzlich vermehrt mit Ikonen.

Eine weitere Art der Codierung sehe ich auf der Inhalts- beziehungsweise der Ausdrucksebene. Ich nenne diesen Code darum "sprachimmanenter Code". Hier geht es darum, wie konventionelle Zeichen eingesetzt werden, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. In der Werbung kann die Botschaft "Kaufe!" beispielsweise mit einem informierenden, mit einem überredenden oder mit einem emotionalen Code verschlüsselt werden.

 

2. Medienwandel

Der Codewandel hängt mit dem Medienwandel zusammen und zwar sowohl was den technischen wie auch den medialen Code anbelangt. Durch neue technische Möglichkeiten werden neue Medien mit einem neuen technischen Code geschaffen oder es wird bisherigen Medien ermöglicht, einen weiteren medialen Code in ihr Inventar aufzunehmen.

Holly (1996, S. 9 und S. 13) unterscheidet mit Verweis auf Hunziker (1988) verschiedene Stufen von Medien, deren Herleitung technisch bedingt ist: Primäre Medien bedienen sich körpernaher Ausdrucksmittel. Die Codes, die hier verwendet werden, sind technisch gesehen ganz einfach. Der mediale Code erstreckt sich von Sprachzeichen über handgemalte Bilder bis hin zum Ton, der allerdings auf dieser Stufe nicht konserviert werden kann. Als sekundär bezeichnet Holly Medien, die durch einen technischen Vorgang hergestellt werden. Beispiel hierfür sind Druckmedien. Der mediale Code reicht hin bis zur Druck-Reproduktion eines Gemäldes. Unter tertiären Medien fasst Holly alles, was sowohl für die Herstellung wie auch für die Übertragung und für die Rezeption technische Mittel benötigt. Es sind dies beispielsweise die elektronischen Medien. Bezüglich des medialen Codes sind diesen Medien heute kaum mehr Grenzen gesetzt.

 

B Das politische Plakat und Codewandel

3. Mediale Eigenschaften des Plakats und seiner Codierung

Das Plakat kann als sekundäres Medium identifiziert werden, da es heute ein Druck-Erzeugnis ist, also durch den Einsatz von technischen Hilfsmittel hergestellt wird. Es handelt sich um ein bedrucktes Papier, das auf speziell dafür geschaffenen Flächen in der Öffentlichkeit ausgehängt wird.

Das Plakat ist ein monologisches Medium, d. h., die Rezipienten haben keine direkte Möglichkeit, dem Sender Feedback zu geben. Dies ist nur möglich, wenn ein Plakat in anderen Medien thematisiert wird, weil es beispielsweise negativ kritisiert wird. Paradoxerweise lassen solche Reaktionen dem kritisierten Plakat weitere Aufmerksamkeit zukommen. Es ist auch möglich, dass ein Plakat auf ein anderes Plakat reagiert. Dabei handelt es sich um einen innermedialen Diskurs, der allerdings relativ selten vorkommt und sich meist auf die Kommunikation von Parteien untereinander beschränkt.

Durch seinen Standort in der Öffentlichkeit wird das Plakat weit herum wahrgenommen, wovon wiederum seine Gestaltung abhängt und damit die verwendeten medialen und sprachimmanenten Codes: Ein Plakat sollte möglichst auffällig gestaltet sein und für gute Erinnerung die Rezipienten emotional ansprechen. Weil der Platz auf einem Plakat relativ bescheiden ist, müssen sich Botschaften auf das Wesentliche konzentrieren. Da Plakate gleichen Inhalts nicht nur einmal, sondern an zahlreichen Orten in einer Stadt ausgehängt werden, wiederholt sich ihre Botschaft für den Rezipienten ständig. Auch kann man ihnen kaum ausweichen und "für ihre bloße Registrierung" ist, so Kamps, "keine große Eigeninitiative seitens des Passanten erforderlich" (Kamps 1999, S. 4).

Die medialen Codes sind sehr vielfältig: Am meisten Verwendung haben die verbale Sprache, visuelle Bilder und symbolische Zeichen. Audiovisuelle Effekte sind hingegen nicht möglich, also keine mediale Codierung über Ton und bewegtes Bild.

 

4. Inhalte und Abgrenzung

Die Sender von Abstimmungsplakaten müssen zum Teil sehr trockene Themen verkaufen, die im Gegensatz zur Produktwerbung auf den Einzelnen zuweilen keine große Anziehungskraft ausüben. Für manche, eher unbestrittene Abstimmungsvorlagen gibt es teilweise gar keine Plakate. Andererseits schaffen es die Plakatmacher auch immer wieder, selbst die unscheinbarsten und sachlichsten Themen hochgradig zu emotionalisieren.

Inhaltlich fordert jeder Themenbereich eine spezielle Codierung. So lässt sich zwar feststellen, dass Werbung im allgemeinen sehr oft mit Emotionalisierungsstrategien arbeitet, die Produktwerbung sich dabei aber immer auf die Erweckung von positiven Emotionen beschränkt, während es in Abstimmungskämpfen gang und gäbe ist, die Rezipientenschaft mit negativen Emotionen zu mobilisieren, d. h., Verunsicherung, Angst und Wut auszulösen. Abstimmungsplakate grenzen sich also von der Produktwerbung durch die Verwendung eines anderen sprachimmanenten Codes ab.

Den Kampf um Aufmerksamkeit müssen politische Abstimmungsplakate dennoch gleich doppelt führen: Zum einen kämpfen sie, wie alle anderen Medien auch, in erster Linie darum, überhaupt wahrgenommen zu werden. Mitten in der Alltagshektik stehen nicht nur andere Medien, sondern auch die ganze Umgebung mit Verkehr, Natur und Menschen in Konkurrenz. An ruhigeren Orten wie Tram- und Bushaltestellen und in Bahnhöfen jedoch - wo mögliche Rezipienten auch längere Zeit wartend verbringen - geht es im Kampf um die Aufmerksamkeit vor allem darum, sich von den anderen Werbeträgern abzuheben und aufzufallen.

Da die Theorie des "MediaMix", die Verwendung von verschiedenen Medien zur gleichen Zeit, auch für Abstimmungsplakate längst Praxis ist, realisieren sich die meisten Kampagnen nicht auf Plakaten alleine. Damit stehen Medien nicht nur in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich auch.

 

5. Geschichte des Plakats und seiner Codes

Wo ist nun der Codewandel im Medium "Plakat" anzusetzen? Zum einen versucht das Plakat in der heutigen Zeit aus seiner medialen Beschränkung auszubrechen und durch die Verwendung von neuen technischen Mitteln mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zum anderen hat aber schon während der ganzen Zeit ein steter Codewandel innerhalb des Mediums selbst stattgefunden: Vom reinen Textplakat über das gemischte Plakat mit verbalem Text und visuellem Bild zum Bildplakat. Auch was die Verwendung von sprachimmanenten Codes angeht, hat ein beobachtbarer Wandel stattgefunden.

Die Entwicklung des Mediums Plakat und seiner Codes ist eng verknüpft mit der Entwicklung der Technik, welche zum Teil erst die Voraussetzungen für einen medialen Code schaffen, zugleich aber auch immer mit sozialen Umwälzungen, die ihrerseits wiederum Einfluss auf die Codierung öffentlicher Kommunikation haben können.

Schon im Altertum soll es Plakate gegeben haben, die damals noch von Hand angefertigt worden sein mussten, womit das Plakat zunächst also ein primäres Medium gewesen ist, das erst durch die Technik, aber unter Beibehaltung seiner medialen Codierung, zu einem sekundären Medium geworden ist. Es wird sich später zeigen, dass sich das Plakat mittlerweile sogar schon in die Stufe der tertiären Medien vorgewagt hat.

Die eigentliche Geburtsstunde des Plakates als massenmediales Medium fällt zusammen mit der Technik, die eine Massenproduktion von schriftlichen Erzeugnissen überhaupt erst zulässt: dem Buchdruck. Dieser wurde 1440 von Johannes Gutenberg erfunden. Obwohl der Buchdruck in erster Linie für die Reproduktion der Bibel geschaffen worden war, wurden sofort auch Plakate hergestellt. Nicht nur die Werbung hielt in dieser turbulenten Zeit Aufschwung, sondern auch das politische Plakat. Schon in der Reformationszeit wurde das Plakat für politische Zwecke genutzt.

Zunächst wurden Plakate meist nur typographisch gestaltet, d. h., ohne visuelles Bild. Ich nenne solche Plakate "Textplakate". Beispiele habe ich nicht nur in meinem Korpus von Schweizer Abstimmungsplakaten gefunden sondern auch in den Sammlungen anderer europäischer Länder.

Eine große Neuerung brachte die Erfindung der Farblithographie 1837, denn mit ihr wurde das preisgünstige Drucken verschiedener Farben möglich. Damit erhielt auch das Bild endgültig Einzug in die Plakatgestaltung. Technisch war die Möglichkeit des Druckes von Bildern durch den Kupferstich bereits im 15. Jahrhundert gegeben. 1839 wurde das Drucken von Fotografien möglich (vgl. zu den verschiedenen Erfindungen im Druckbereich Leutert 1993, S. 17ff.). Daraus entwickelte sich in neuerer Zeit eine Tendenz zum "Bildplakat", einem Plakat also, das hauptsächlich aus Bild besteht und auf Text weitestgehend verzichtet. Das Bild hat aber nicht nur Einfluss auf den medialen Code, sondern gestaltet auch den sprachimmanenten Code um, indem nun ganz andere und viel intensivere Möglichkeiten der Emotionalisierung vorhanden sind. Auf der Bildebene können Rezipienten viel unbewusster und tiefgreifender angesprochen werden. Zwischen diesen beiden Extremen von Textplakat einerseits und Bildplakat andererseits liegt die Mischform, in der Text und Bild gleichermaßen Anteil an der Botschaft und der Plakatwirkung haben.

Ganz abgesehen von den technischen Möglichkeiten der Codierung ist es in meinem Korpus aber so, dass zuerst eher das Textplakat dominiert hat, dann kam es zur Vermischung von Text und Bild und schließlich ist heute das Bild dominant, wie in vielen anderen Medien auch. Dabei handelt es sich allerdings immer nur um Tendenzen, denn meist wurden alle realisierbaren medialen Codes ausgenutzt.

Anzumerken bleibt noch, dass sich die Wissenschaft nicht immer gleichermaßen für alle Codes interessiert hat. So ist für das Bild erst wieder in neuerer Zeit ein Boom ausgebrochen, nachdem bereits Eco und Barthes in den 1960er Jahren das Bild ersten Untersuchungen unterzogen haben.

Heute sind weitere Entwicklungen im Gang, die das Medium Plakat auch technisch verändern. Grund dafür ist der bereits vorhin angesprochene Kampf um Aufmerksamkeit: Jedes Plakat möchte mehr auffallen als die anderen. Auch diese neuen Plakate werden technisch hergestellt, benötigen aber im Gegensatz zu ihren Vorgängern auch für die Rezeption eine technische Vorrichtung. Damit handelt es sich um Medien der dritten Stufe, um tertiäre Medien. Da eine wichtige Eigenschaft des Plakates darin liegt, die Rezipienten einfach zu umgeben, ohne dass diese viel dagegen tun können, wäre es äußerst ungünstig, wenn eine Neuerung technische Voraussetzungen vom Rezipienten verlangen würde. Die Rezeptionstechnik wird aber in diesen Fällen in der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Als erste Neuheit tauchte das "Leuchtplakat" auf. Es handelt sich dabei um ein Plakat, das auf einen speziellen Medienträger, das so genannte "Leuchtplakat-Papier", aufgedruckt wird und dann in einem Plakatkasten von hinten beleuchtet wird. Damit ist es auch bei ungünstigen Lichtverhältnissen und in der Nacht sichtbar, hat also eine größere Beachtungszeit und fällt außerdem mehr auf.

Etwas später wurde die Plakatlandschaft durch den "RollingStar" bereichert. Auch hier wird das Plakat beleuchtet, gleichzeitig kommt ein weiterer Code hinzu, nämlich die Bewegung. Sie spielt in der psychologischen Ansprache des Rezipienten eine wichtige Rolle: Was sich bewegt, ist ungleich attraktiver und findet mehr Beachtung. Ein hochformatiges Plakat wird mit zwei anderen, gleich großen Plakaten zu einer Bahn verarbeitet. Diese wird auf Rollen gewickelt und in einen Plakatkasten gesteckt. Die Rollen schieben nun die Plakatbahn abwechselnd nach unten und oben. Dabei drehen sie für den Wechsel der Plakate schnell und bleiben anschließend kurz stehen, damit das Plakat für sechs Sekunden ruhig im Raum hängt. Ähnliches gibt es in Form der Bandenwerbung beim Fußball schon länger.

Die Plakate, die in einem RollingStar zu sehen sind, sind die gleichen, die auch auf herkömmlichen Plakatwänden zu finden sind. Durch den RollingStar sind jetzt auf ein und der selben Fläche aber mehrere verschiedene Plakate zu sehen, die allerdings durch die Bewegung auch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Zum Teil sind auch Konkurrenzplakate auf dem gleichen Band vorhanden, was mir schon bei Abstimmungsplakaten aufgefallen ist: Zuerst wirbt ein Plakat für ein JA, das nächste dann für ein NEIN.

Wenn sich der technische Code zu verändern beginnt, dann handelt es sich vielleicht gar nicht mehr um ein Plakat, sondern um ein ganz neues Medium. Beim RollingStar kann kaum bezweifelt werden, dass die vorbeirollenden Medienträger noch Plakate sind, denn wenn man die Bahn auseinanderschneiden würde, dann hätte man wieder ganz normale Plakate. Anders ist das beim "eBoard", dem zur Zeit modernsten Werbeträger der Außenwerbung.

Auch das eBoard ist ein tertiäres Medium und auch hier wird die Technik, die für die Rezeption nötig ist, in der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um einen riesenhaften Bildschirm, der zum Beispiel in Bahnhöfen aufgestellt wird. In der Schweiz gibt es vier eBoards; das größte befindet sich in Zürich und nimmt eine Fläche von etwa 60 Quadratmetern ein. Begleitet wird es von weiteren kleinen "Screens" in der Größe eines durchschnittlichen digitalen Fernsehers. Es können folgende so genannte "SpotPosters" dafür verwendet werden: Ein Standbild, entsprechend einem herkömmlichen Plakat oder Print-Inserat, eine klassische Animation, in der sich ein Schlüsselelement bewegt und damit die visuelle Wirkung erhöht, eine aufwändige Animation, die von den Vorüberhastenden noch mehr Aufmerksamkeit gewinnen kann oder die Adaption eines TV-Spots, der zu diesem Zweck erheblich gekürzt werden muss. Die Spotlänge kann zwischen 10 und 210 Sekunden liegen, wobei unter Beachtung der Rezeptionsbedingungen eine Länge von 10 bis 20 Sekunden empfohlen wird.

Dieses eBoard ist genau betrachtet eine Mischung von verschiedenen Medien und ihren Codes, grob gesagt eine Hybridform zwischen Plakat und Fernsehen, wobei es allerdings auf den Code des Tones ganz verzichtet. Damit ist es nicht ein völlig neues Medium, erlaubt aber dem alten Medium Plakat die Verwendung von medialen Codes, die diesem bisher nicht zugänglich waren. Dass es sich beim eBoard aber immer noch um ein Plakat handeln soll, dafür spricht, dass es auch bloße Standbilder gibt und dass die Form, in welcher diese Spots vorliegen "PosterSpots" genannt werden, das Plakat also noch in der Bezeichnung enthalten ist.

Auch die medialen Codes, die es verwendet, lehnen sich zum Teil an jene des herkömmlichen Plakats an, werden dann aber durch Codes aus dem Filmbereich ergänzt, wobei die Begriffe aus dem Filmbereich stammen, die Codes sich aber auch auf herkömmlichen Plakaten beobachten lassen. So kann ein PosterSpot beispielsweise als Fullscreen oder als Splitscreen (zusammen mit anderer Information) gebucht werden.

Was die inhaltliche Gestaltung der Codes anbelangt, ist auch hier festzustellen, dass es vor allem darum geht aufzufallen. Die "überdimensionale" Werbefläche kommt diesem Umstand entgegen: Spots wirken intensiver und eindrücklicher. Allerdings stehen die Rezipienten normalerweise nicht stundenlang vor diesem riesigen Bildschirm, sondern laufen darauf zu und darunter hindurch und verpassen dadurch natürlich einen Großteil der Spots, die sich jeweils alle fünf Minuten wiederholen.

Vom technischen und medialen Code möchte ich nun noch auf den sprachimmanenten Code kommen, den ich an den Plakaten in meinem Korpus untersuche, wobei ich vor allem an den Strategien zur Emotionalisierung interessiert bin. Die unterschiedliche Verwendung von Sprach- und Bildzeichen als Code zeigt mir dabei auf, dass sich diese Strategien nur wenig verändern, wohl aber die Anwendung der verschiedenen sprachimmanenten Codes. So ist beispielsweise in der Verwendung des Symbols des Schweizer Kreuzes, dem weißen Kreuz auf rotem Grund, zu beobachten, dass dieses in seiner Codierung einen Wandel durchmacht. In den Anfängen des Schweizerischen Abstimmungsplakats wird es eingesetzt als Zeichen für und Aufruf zum Patriotismus. In den 1970er Jahren wandelt sich seine Verwendung und es wird durch Verformung und Ironisierung zum Vermittler zwischen Schweiz und Ausland, der dazu mahnt, dass sich die alten und zum Teil veralteten Schweizer Werte der neuen Zeit anpassen müssen. Schließlich wird es ab den 1990er Jahren wieder dazu verwendet, eine Einigung aller Schweizer, über die Sprachgrenzen hinaus zu bewirken und wird dazu entsprechend codiert.(1)

 

6. Schluss

Ich finde es sehr bemerkenswert, wie sich das Plakat seit so langer Zeit als Medium im Zentrum der Kommunikation hält. Obwohl sich sein technischer Code nur schwer wandeln kann, ohne dass daraus ein neues Medium resultiert, verändert sich der mediale und der sprachimmanente Code ständig, abhängig von sozialen und kulturellen Strömungen. Aber auch das Plakat muss mit der Zeit und mit dem Medienwandel gehen. In seinem Kampf um Aufmerksamkeit versucht es daher, seine medialen Grenzen zu überschreiten und neue Wege und Codes zu beschreiten.

Wagt man einen kleinen Ausblick auf das Internet, so lässt sich außerdem noch Folgendes ergänzen: bei den dort vorhanden Bildern kann nun eigentlich nicht mehr von Plakaten gesprochen werden, denn diese Bilder sind digitale Bilder im Netz. Jedoch ist es so, dass meistens die gleichen Bilder herunter geladen werden können, wie auch Plakate auf den Strassen ausgehängt werden. Es werden also eigentlich die herkömmlichen Plakate digital ins Netz gestellt. Darum wäre es auch denkbar, dass diese "Internetplakate" ergänzend mit medialen Codes des Internets ausgestaltet würden, also beispielsweise mit Animation. Das wird aber kaum gemacht. Diese Codes werden vernachlässigt, vielleicht aus Zeit- und Geldmangel, vielleicht, weil die Rezipientenschaft zu gering ist.

Ein wichtiger Code des Internets ist die Hypertextualität. Natürlich gab es diese schon vor dem Internet, aber im Internet kann oder könnte sie mit sehr viel weniger Aufwand der Rezipienten verwirklicht werden. Positionen, Plakate, Informationen könnten noch sehr viel mehr miteinander verknüpft werden. Doch insgesamt muss man sagen, dass der Hypertext für den politischen Bereich außerhalb des Internets besser realisiert ist als im Netz, rein durch den politischen Diskurs und durch den MediaMix der Werbung.

So ist anzunehmen, dass auch in Zukunft das Medium Plakat den Rezipienten erhalten bleibt, sie begleitet und vielleicht mit weiteren medialen Codes aufwartet.

© Sascha Demarmels (Universität Zürich)


ANMERKUNG

(1) Ich habe diese Veränderungen etwas ausführlicher in einem Aufsatz für das Internetmagazin IMAGE beschrieben, vgl. Demarmels (2006): Funktionen des Bildstils von politischen Plakaten.


LITERATUR

Allgemeine Plakatgesellschaft (APG): www.apg.ch/, 23.4.2006.

Barthes, Roland (1964): Rhetorik des Bildes. In: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Frankfurt am Main 1990.

Demarmels, Sascha (2005): Emotionalisierungsstrategien auf Schweizer Abstimmungsplakaten im 20. Jahrhundert. In: Paul Michel (Hg.): Unmitte(i)lbarkeit. Gestaltungen und Lesbarkeit von Emotionen. Zürich (=Schriften zur Symbolforschung, Band 15), S. 287-317.

Demarmels, Sascha (2006): Funktionen des Bildstils von politischen Plakaten. Eine historische Analyse am Beispiel von Abstimmungsplakaten. In: Martina Plümacher (Hg.): Bild-Stil: Strukturierung der Bildinformation (=Themenheft zu IMAGE 3, herausgegeben von Klaus Sachs-Hombach et al., http://www.bildwissenschaft.org/VIB/journal/, 23.4.2006).

Eco, Umberto (1994): Einführung in die Semiotik. München, 8. Auflage (=UTB 105).

Holly, Werner (1996): Zur inneren Logik der Mediengeschichte. In: Bernd Rüschoff/Ulrich Schmitz (Hgg.): Kommunikation und Lernen mit alten und neuen Medien. Beiträge zum Rahmenthema Schlagwort Kommunikation bei der 26. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik, GAL e.V. Frankfurt am Main et al., S. 9-16.

Hunziker, Peter (1988): Medien, Kommunikation und Gesellschaft. Eine Einführung in die Soziologie der Massenkommunikation. Darmstadt.

Jarren, Otfried/Bonfadelli, Heinz (Hgg.) (2001): Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern/Stuttgart/Wien.

Kamps, Johannes (1999): Plakat. Tübingen (=Grundlagen der Medienkommunikation, Band 5).

Leutert, Armin (1993): Allgemeine Fachkunde der Drucktechnik. Baden.

Stöckl, Hartmut (2004): Die Sprache im Bild - das Bild in der Sprache. Zur Verknüpfung von Sprache und Bild im massenmedialen Text. Konzepte, Theorien, Analysemethoden. Berlin / New York (=Linguistik - Impulse & Tendenzen 3).


7.1. Media systems: their evolution and innovation

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For quotation purposes:
Sascha Demarmels (Universität Zürich): Die Tradition des politischen Plakates im Zeitalter des Internets. Politische Werbung gestern und heute. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/07_1/demarmels16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 26.6.2006     INST