Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Juni 2006
 

7.2. Dominierende Innovationsdiskurse zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Ignoranz
Dominating Innovation Discourses between Social Relevance and Ignorance

Herausgeber | Editors | Éditeur: Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin)

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Neuheit als Problem der Gesellschaft. Zur Bedeutung eines problematisierenden Selbstverständnisses einer Wissenschaft

Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) [BIO] / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin) [BIO]

 

1. Soziologie und ihre Probleme im babylonischen Sprachgewirr

Die Soziologie scheint bis auf die Soziologen kaum noch jemand für nützlich zu halten. So werden soziologische Fakultäten im Vollzug von Sparmaßnahmen geschlossen. Lehrstühle werden reduziert oder als Feigenblatt anderen Studiengängen und Disziplinen beigeordnet. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie und vor allem der Berufsverband deutscher Soziologinnen und Soziologen führen folglich seit einiger Zeit Debatten zur gesellschaftlichen Relevanz der Soziologie und deren Anpassung an die neue (vermeintlich) praxisorientierte Bachelor-Master-Universität (z.B. Dimbath 2005, Howaldt 2005, Latniak/Wilkesmann 2005). Bei dieser Debatte geraten allerdings die spezifischen Eigenheiten der Soziologie aus dem Blick, die sie schon immer in höherem Maße als viele andere Wissenschaften dazu zwangen, sich legitimieren zu müssen.

Die Feststellung alltagsweltlicher Aneignung soziologischer Begriffe ist nun um so erstaunlicher, als doch gleichzeitig über deren Unverständlichkeit geklagt wird - dabei bedienen sich diese gar nicht so vieler Fremdwörter und Neologismen wie andere zur Zeit populäre Wissenschaften (Kieserling 2004). Und so kreisen die öffentlichen Auseinander­setzungen und politischen Parolen immer wieder um soziologisches Vokabular. Dies wurde schon vor anderthalb Jahrzehnten von Ulrich Beck und Wolfgang Bonß (1989) als Pyrrhus­sieg der Soziologie gedeutet: Das Durchsickern der Begriffe in den Alltag schafft zwar Aufmerksamkeit, reduziert jene dabei aber auf ihre kurzweilige Signalwirkung. Anschlüsse für weiterführende Debatten ergeben sich kaum, und wenn, dann in unzureichender Weise. Zudem hat es den Anschein, dass die Soziologie auf eine Beobachtung hinausläuft, der die Exklusivität fehlt: Wo sie auftaucht, sind andere Beobachter schon da und scheinen genauer zu wissen, wovon die Rede ist, was als wichtig und was als unwichtig zu deklarieren ist. Und wenn doch einmal hinter die Kulissen der strukturell etablierten Oberflächlichkeit geschaut werden muss, dann greift man auf Psychoanalyse oder die Experimantalmethodik der Psychologie, auf Zahlenarithmetik oder die Marktkenntnis der Betriebswirte, auf die Drei-Variablen-Kombinatorik der Volkswirte oder auf die machtinduzierten Interessenakteurskon­stellationen politikwissenschaftlich geschulter Beobachter zurück.

Vor dem Hintergrund der Rhetorik leerer öffentlicher Kassen, der final gesetzten Orientierung an einer Ökonomisierung gesellschaftlicher Tatbestände ist es nicht weit, wenn vor allem die akademische Soziologie als starke Sparoption wahrgenommen wird. Denn es findet sich noch immer keine leichte Antwort auf die sich aufdrängende Frage: Wozu Soziologie?

Schon August Comte, der Namenspatron, hat diese Frage beantworten müssen, und zwar - wenig erstaunlich - in einer Weise, bei der er seine Begriffs-Erfindung an die Spitze der Wissenschaften stellte. Freilich glaubten das nur wenige und so blieb die Soziologie zunächst eine weitere esoterische Randerscheinung. Die akademischen Weihen erfolgten dann auch erst spät, aber sie trafen immerhin ein. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Soziologie war damit aber längst nicht hinreichend und schon gar nicht endgültig beantwortet. Der Verbleib an der Akademie mag zur Zeit nicht zur Debatte stehen, der Verbleib in der effizienten, nutzenorientierten Universität sehr wohl.

Vor etwa dreißig Jahren war die Frage "Wozu Soziologie?" von ähnlicher Brisanz wie heute, wie ein vergessenes Buch Dieter von Merveldts (1974) ins Gedächtnis ruft. Jedoch waren die Umstände andere. Nachdem sich die Soziologie nach mehreren Anläufen auch in Deutschland etabliert hatte, wurde sie Anfang der 1970er Jahre von einem gänzlich neuen Interesse überrascht: Der Fortschrittsglaube, der meinte, soziale Probleme in technisch lösbare übersetzen zu können, war dahin; Soziologie erschien als die soziale Technologie der Zukunft und war - wie man heute sehen kann - überfordert.

Blickt man in die Geschichte der Soziologie, erreichten die Bewohner der immer noch jungen Wissenschaftsinsel Soziologie nur große Sympathiewellen, die ihre Schiffchen davontrieben, oder aber Perioden dürrer Gleichgültigkeit, die diese aufs Trockene setzte. Aus Sicht hoffnungsvoller Sympathie enttäuschte die Soziologie allerdings fast jede an sie gestellte Erwartung. Und so blieb in guten und schlechten Zeiten eine grundsätzliche Anforderung an die Soziologie konstant, nämlich die ihrer Rechtfertigung. Wenn der Soziologie heute ihre Begriffsschiffchen abhanden kommen, weil sie sich im kommunikativen Geflecht der Gesellschaft verfangen haben, ist das zum Teil eine Folge nachklingender Popularität, ist aber auch einer schlechten Vertäuung im soziologischen Hafen mit Theorie geschuldet. Viele dünne Fäden halten dann doch schlechter als ein festes Tau.

Aber muss man die enteignende Popularisierung soziologischen Begriffsreichtums überhaupt bedauern, zumal diese Wissenschaft in ihrer starken Anlehnung an die Alltagssprache gar kein besonderes Recht auf ihre Begriffe verbuchen kann? Muss man sich nicht eher ob des Erfolges des soziologischen Projektes erfreuen?

Man kann sich durchaus, wie schon von Merveldt, freuen, wenn die soziologische Aufklärung auch ohne soziologische Aufklärer funktioniert. Aber die popularisierende Diffusion geht eben mit einer Vulgarisierung der Begriffe einher, aus der sie die soziologische Reflexion zuvor herausgehoben hat. Die diffundierenden Begriffe werden zu Pörksenschen "Plastikwörtern" (1988), wie zum Beispiel Identität und Individualität, Nachhaltigkeit, Globalisierung, Netzwerke und Sozialisation. An einem weiteren Begriff zeigt sich das in letzter Zeit auf besondere Weise: Innovation. Der inflationär anwachsende Gebrauch dieses Wortes scheint auf den Schlagwortcharakter ohne weiteren Aussagewert hinzudeuten.

Soziologisch interessant aber ist nun nicht ein womöglich wesentlicher Bedeutungskern von Innovation, sondern deren Funktionalität, die sich an der Kombination einer bemerkenswerten Aufmerksamkeit und systemübergreifender Kommunikationsanschlüsse ablesen lässt. Innovation steht als Symbol für das unbedingt Richtige. Gerade die Politik bedient sich immer wieder der Innovationssymbolik, so als die vergangene deutsche rot-grüne Bundesregierung das Jahr 2004 zum Innovationsjahr erklärte, aktuell, wenn auf Initiative der neuen Regierung der "Rat für Innovation und Wachstum" am 24. Mai 2006 seine Arbeit unter Leitung des Siemens-Aufsichtsratschefs Heinrich von Pierer aufnimmt. Bekanntlich war das Innovationsjahr nicht innovativer als sonst jedes andere zuvor; der Erfolg des Rates muss sich erst beweisen. Aber - und diese Frage ist entscheidend - woran misst sich eigentlich der Erfolg? Dessen ungeachtet, lässt sich Innovation als Signal für den Willen zum Neuen, für Dynamik und gar für das Neue selbst sowie viele andere ambivalente Bedeutungen ge- und missbrauchen und kommt oft nicht anders als bloßes Label daher.

Die nicht mehr zu fassende Flut von Äußerungen schärft den Begriff nicht, sondern pustet ihn wie eine Fettblase auf der Diskurs-Suppe hin und her. Jeder kann mitmachen und darauf zeigen, ohne eintauchen zu müssen. Jeder kann davon ausgehen, man wüsste schon, was gemeint sei - und behält Recht. Kann man sich mit der Funktion von alltagstauglichen Symbolbegriffen zufrieden geben, für (un-)verbindliches Orientierungswissen zu sorgen? Oder reicht die tradierte soziologische Aufgabe, diese funktional dysfunktionale, soziale Vereinfachungsprozedur aufgedeckt und gegebenenfalls in kritischer Selbstüberhöhungs­manier zu glauben, dies entlarvt zu haben?

Was ist nun dabei die Funktion der Soziologie? Kann sie nur als schon bekannte, aber unerwünschte wie folgenlose Mahnerin auftreten, als eine Art moderne Kassandra? Welche darüber hinausgehenden wissenschaftsinternen und gesellschaftlichen Möglichkeiten gibt es hier, die es nur stärker herauszustellen gilt?

Die Fragen nach dem Sinn der Soziologie lassen sich nur anhand ihrer konkreten Gegenstände bearbeiten, an den tagtäglich anfallenden gesellschaftlichen Phänomenen. Nur indem diese Phänomene unter soziologischer Beleuchtung mehr von sich preis geben, kann die Soziologie sich auch beweisen und - wie vorläufig auch immer - legitimieren. Innovation ist so ein populäres Phänomen, anhand dessen diese Problematik diskutiert werden kann, sicherlich ohne gleich auf eine letztlich befriedigende Lösung hoffen zu können.

Zunächst geht es um eine Sondierung. Ein erster Schritt besteht darin, auf eine Begriffs- und Verständnisschärfung hinzuarbeiten, um zunächst das Problem der semantischen Unschärfe angehen zu können. In einem zweiten Schritt könnte es sich lohnen, sich das Verhältnis von Gegenwartsgesellschaft und Innovation näher anzusehen. Wie sich zeigen wird, lässt sich mit dem Blick auf strukturelle Umstellungen die soziale Relevanz des Innovationsthemas auf brauchbare Anschlüsse hin untersuchen. Nach dem Blick auf gesellschaftliche Großtrends können dann Verweise auf soziologisch vorhandenes Wissen über strukturelle Aspekte und prozessuale Verkettungen vorgenommen werden.

 

2. Semantische Verkürzungen

Als Thema besetzt Innovation mit einer beeindruckenden Vehemenz öffentliche, politische und wissenschaftliche Diskursarenen. Reformvorhaben können ebenso wenig auf das begehrte Attribut verzichten wie ein zeitgemäßes Produktmarketing oder die schon inflationären Preise für Gründer, einfallsreiche Unternehmer sowie Erfindungskooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Nicht zuletzt macht die Wirtschaftspolitik Innovation zum Kernthema gesellschaftlicher Steuerung.

Die Begeisterung für Innovation kann aber einige mittlerweile etablierte Verkürzungen nicht verdecken (Aderhold/John 2005). Ohne Unterlass wird verkündet: Innovationen seien technischer Natur, gut und hilfreich. Mit aller größter Selbstverständlichkeit meint man technische Neuerungen, womit Merkmale wie Wohlstandsanhebung, die Implikation von Verbesserung und dann auch gesellschaftlicher Fortschritt als soziale Neuerungen assoziiert werden. Ohne Prüfung zieht man das Neue dem Alten vor. Bestehendes gilt ohne Begründung als rückständig und wird damit als ein zu überwindendes Übel behandelt. Wenn Fortschrittlichkeit sich mittlerweile nur noch technisch zu legitimieren vermag, verwundert es nicht, dass technische Neuerungen zum fast alleinigen Hoffnungsträger gesellschaftlicher Entwicklung stilisiert werden. Von erfolgreich durchgesetzten Innovationen erwartet man wirtschaftliche und gesellschaftliche Prosperität. Das Phänomen Innovation teilt in diesem Sinne zumindest ein Merkmal mit anderen Bedeutungsträgern, wie zum Beispiel mit Nachhaltigkeit, Kultur, Netzwerk oder Gemeinwohl: Ihre gesellschaftliche Bedeutung korreliert mit einer begrifflichen Unschärfe sowie mit ungedeckten gesellschaftlichen Relevanzunterstellungen.

Allerdings ist die thematische Ausrichtung der sozialwissenschaftlichen Innovations­forschung an der semantischen und strukturellen Dominanz technischer Innovationen nicht ganz unschuldig. Denn sie hat sich ohne Not mit einer Statistenrolle angefreundet. Möglicherweise ist sie von der Vorstellung beeindruckt, als konstruktive und zuweilen kritische Begleitwissenschaft bei der Beobachtung, Beschreibung, Analyse und Gestaltung von technischen Innovationen ausreichend Außenlegitimation und -loyalität sicherstellen zu können. Demgegenüber haben sich andere Disziplinen und deren spezifische Perspektiven gesellschaftsweit etablieren können. Sie haben das Themenfeld nicht nur inhaltlich besetzt und methodisch ausgestaltet, auch der gesellschaftliche Alltag ist von der Dominanz, von der Wirkungsweise technischer und wirtschaftlicher Innovationen sichtlich beeindruckt. Sicherlich ist auch das ein Grund dafür, dass technikzentrierte und instrumentell ansetzende Argumentationen momentan auf breite Resonanz stoßen.

Vor diesem Hintergrund bereitet es den Sozialwissenschaften einige Schwierigkeiten, die Relevanz des Sozialen in die wissenschaftliche, aber vor allem in die öffentliche Debatte wieder einzuführen. Sie versuchen dies erstens dadurch, dass sie das Soziale als Bedingung der Möglichkeit technischer Neuerungen darstellen (North 1990; Sauer 1999). Die Betonung liegt hier auf den sozialen Voraussetzungen der gesellschaftlich erwünschten technischen und wirtschaftlichen Innovationen. Hinterfragt wird diese als Setzung deklarierte Asymmetrie aber nicht. Zweitens wird die Förderung von Kreativität sowie das Managen von Innovation als gesellschaftlich unabdingbar herausgestellt (u.a. Goldenberg/Mazursky 2002; Oldham/Cummings 1996; Hauschildt 2004). Im Kern geht es eigentlich nur um eine Technisierung individuellen Handelns und sozialer (Organisations-)Strukturen im Sinne zu überwindender psychischer und sozialer Barrieren (u.a. Brockhoff 1996; 1999; Guzzo/Dickson 1996; Hauschildt/Gemünden 1999). Drittens wird immer wieder auf die soziale Einbettung eben dieser so benötigten Antriebskräfte aufmerksam gemacht. Verwiesen wird auf die Bedeutung sozialer Institutionen (staatliches Handeln, gewerkschaftliche Interessenvertretung u.a.m.) sowie auf die Nutzung von Technik selbst, also deren handlungstheoretische und -pragmatische Implikationen. Gesellschaftlichkeit wird auf die instrumentelle Ebene einer geeigneten bzw. auf Eignung hingezwungenen Mittelwahl reduziert. In diesem Zusammenhang wird viertens auf den Übergang vom einzelnen Erfinder zur kooperativen Prozessualität von Innovation aufmerksam gemacht. Längst wurde der Unternehmer als schöpferischer Zerstörer von netzwerkförmigen Verflechtungen abgelöst (Weyer 1997), in denen nicht nur Ideen reifen, sondern auch erste wichtige Schritte im immer schwieriger werdenden Diffusionsprozess durchlaufen werden müssen (Rogers 1995). Dieser auf personale und soziale Akzeptanzprobleme zuschneidbare Zugriff scheint dann auch auf das einzig verbliebene soziologisierbare Schlupfloch im Kontext von Innovationsforschung zuzulaufen.

Die anzutreffende sozialwissenschaftliche Kritik an der technologischen und technischen Sichtverengung auf Innovation ist folglich so notwendig wie aktuell. Bislang ist sie aber nur in abgeschwächter Form als Technikfolgenabschätzung evident (u.a. Renn 1994; Sauer/Lang 1999; Simonis 1993). Abgesehen von diesen durchaus beachtenswerten Resultaten, wird zu fragen sein, ob sich die sozialwissenschaftliche Forschung mit dieser Vierfach-Strategie auf Dauer wird zufrieden geben können.

Hierzu ist aber ein Innovationsbegriff vonnöten, der auf normative Setzungen und auf asymmetrisierende Vorentscheidungen verzichtet. Er muss darüber hinaus in der Lage sein, den in der Innovationsforschung verloren gegangenen Bezug zur Gesellschaft wieder herzustellen. Darüber hinausgehend sollte nicht nur die Paradoxie der Neuheit, nämlich die Gleichzeitigkeit von Nicht-mehr und Noch-nicht empirisch zugänglich sein, sondern gerade auch der gesellschaftliche Umgang mit der paradoxen Form von Innovation. Dann wird auch deutlich, dass Innovation als Störung routinierter Abläufe in jedem Fall als sozialer Prozess zu charakterisieren ist; unabhängig von der jeweils betrachteten Objektspezifik.

 

3. Verständnis von Innovation

Über alle Unterschiede hinweg ist Unzufriedenheit mit dem bisher erreichten Stand der Innovationsforschung nicht zu übersehen. Vor allem fällt die Beliebigkeit der begrifflichen bzw. theoretischen Fundierung vorgelegter Forschungsanstrengungen auf. Nahezu jeder Sachverhalt erscheint als Innovation, sofern er auch nur in die Nähe einer Neuerung gerückt werden kann. Innovation wird mit Neuerung gleichgesetzt, wobei nicht selten ungeklärt bleibt, woher das Attribut Neuheit eigentlich stammt bzw. auf welcher Grundlage diese Aussage beruht. Auch bleibt die Differenz von Neuheit und Innovation merkwürdig verdeckt.

Semantisch und symbolisch aufgeladene Differenzierungen sachlicher oder zeitlicher Art werden der interessierten Öffentlichkeit vorgeführt. Die Erfindung eines Airbags wird schon allein durch die kommunikativ inszenierte Etablierung einer zeitlichen Differenz zu einer Innovation: Aufprallschutz vor bzw. nach der Einführung des Airbags. Das Kriterium der Neuheit scheint schon für den Gebrauch des Innovationsattributes auszureichen. Damit wird aber die Unterscheidungsproblematik nur auf das temporale Paradox des Neuen in der Gegenwart als Grenze des Zugleich von Vergangenheit und Zukunft verschoben. Der Gebrauch dieser Unterscheidung hängt vom jeweiligen Beobachter ab. Sind dann aber Debatten um Begründungskriterien für Innovation mit dem Verweis auf differente Beobachter überhaupt noch theoretisch zu führen? Das Problem um die Bestimmung von Innovation scheint sich nur immer weiter zu verschieben, aber nicht lösen zu lassen. Dabei geht es nunmehr um die Frage, inwiefern zwischen berechtigten und unberechtigten Maßstäben bei der Beobachtung der Innovativität eines Prozesses oder Gegenstandes zu unterscheiden ist.

Das Kriterium, das eine Innovation konstituiert, kann nicht von der Wissenschaft selbst geliefert werden, z.B. in Form normativ gesetzter Gründe. Diese Kriterien können nur in der Gesellschaft von der Gesellschaft selbst eingeführt und begründungsfähig(1) ausgestattet werden. Erst Prozesse sozialer Kommunikation entscheiden bezüglich sachlicher und zeitlicher Aspekte, was als Innovation in Frage kommt und in welchem Systemzusammen­hang die Innovation als Innovation erscheint (Aderhold 2005).

Die in der Wissenschaft beliebte typisierende Einteilung fällt noch leicht. Auf Harvey Brooks (1982) geht eine nützliche Klassifikation(2) zurück, die nahezu reine technische Innovationen (z.B. neue Materialien), sozio-technische Innovationen (z.B. Infrastruktur für die private Motorisierung) und soziale Innovationen unterscheidet. Innerhalb sozialer Innovation sind dann noch Untertypen der Marktinnovation (z.B. Leasing), der Managementinnovation (z.B. neue Arbeitszeitregelungen), der politischen Innovation (z.B. Gipfeltreffen) und der institu­tionellen Innovation (z.B. Selbsthilfegruppen) möglich (Zapf 1994). Diese Einteilungen, so nützlich sie in mancher Hinsicht sein mögen, sagen aber wenig über den inhaltlichen Kern des Innovationsphänomens sowie über dessen gesellschaftliche Einbettung aus.

Ist von Innovation die Rede, wird, wie schon betont, der Verweis auf eine Neuerung, auf Neues mitgeführt. Neuerungen sind Diskontinuitäten. Wird etwas bezeichnet, was es vorher bzw. früher nicht gab, so ist von einer Neuheit die Rede (Nowotny 1997, S. 33). Neues ist folglich nicht mit einer Innovation identisch. Die eingebürgerte ausschließliche Identifikation von Innovation mit Neuerung übersieht, dass der Begriff der Neuheit selbst problematische Aspekte beinhaltet. Er ist mit anderen Worten "ein ontologisches Unding: Etwas ist, obwohl, ja weil es alles nicht ist, was bisher war" (Luhmann 1995a, S. 323). Der Neuheitsbegriff basiert auf einer vermuteten und so festgestellten Ähnlichkeit und zugleich Andersartigkeit des betrachteten Objektes oder Ereignisses; bezogen auf einen spezifischen Vorgänger. Die Konstruktionsebenen der Wahrnehmung oder allgemeiner der Beobachtung sowie die der Ähnlichkeit lassen sich unterscheiden (Weik 1997, S. 11). Folglich lässt sich festhalten, dass die Attribuierung mit Neuheit nicht kontextfrei erfolgt. Die Abhängigkeit umfasst aber nicht nur den sozialen Kontext, in dem Neuheit als Faktum registriert wird. Das Urteil, ob etwas neu oder nicht neu ist, wird zugleich von kollektiven und individuellen Strukturen, d.h. Erwartungen und Erfahrungen geprägt (ebenda, S. 12). Die Bezeichnung von Neuheit setzt demnach einen Beobachter in einem sozialen Kontext stehend voraus, der auf der Basis kontextspezifischer Erwartungsstrukturen eine Abweichung als Neuerung bezeichnet (Luhmann 1994, S. 216).

Die Betriebswirtschaftslehre sieht noch in der erstmaligen Nutzung einer technischen, produktions- oder verfahrensorientierten Neuerung den Fall von Innovation, obwohl schon im Begriff der Neuerung die Erstmaligkeit mit aufgeführt wird (Luhmann 1991, S. 388). Etwas präziser formuliert, kann unter Innovation ein kontrainduktiver Entscheidungsprozess verstanden werden, "der anders entscheidet, als zu erwarten wäre, und dadurch Erwartungen ändert" (ebenda, S. 373). Auszugehen ist von der Frage, wie Unterbrechungen kontinuiert werden, wie also Kontingenz sozial normalisiert wird. Dabei geht es darum, wie in sozialen Prozessen Vorkehrungen getroffen und mitgeführt werden und ob die Ergebnisse in das Spektrum der mitgeführten Vorkehrungen, also in den Bereich der bekannten Alternativen hineinfallen. Von Innovation kann man folglich erst dann reden, wenn die Entscheidungs­resultate nicht im Bereich der aufgemachten, bekannten Alternativen liegen, wenn also die getroffenen Vorkehrungen nicht greifen und die Variation folglich als Überraschung bisherige Erwartungsstrukturen sozialer Systeme ändert.

Innovationsbereitschaft herzustellen bedeutet unter dieser Voraussetzung nichts anderes als die Erzeugung von Alternativbewusstsein, das sich nicht auf eine Ereignisbezogenheit zusammenziehen darf, sondern welches stetig und ständig präsent bleiben muss (ebenda, S. 375). Ein angemessenes Verständnis von Innovation lässt sich folglich nur dann erarbeiten, wenn einerseits relevante Erwartungsstrukturen und andererseits kommunikativ strukturierte Beobachtungsprozesse unterschieden werden.

Aufgrund vieler gescheiterter Versuche, Innovation über objektive, von gesellschaftlichen Zusammenhängen und von der Unterschiedlichkeit sozialer Beobachterstandorte unabhängi­ge Kriterien zu definieren, setzt sich folgerichtig die Vorstellung durch, die davon ausgeht, dass es gar nicht so sehr um das Innere, das Wesen oder die Idee einer Neuerung geht. Der Blick wendet sich von der Bestimmung sachlicher Kriterien zur Beobachtung sozialer Konstruktionsprozesse ab, die entscheiden, was in der Gesellschaft als Innovation anzusehen ist, wobei in der kommunikativen Bestimmung sachliche Aspekte wieder auftauchen können; aber unter den Bedingungen sozialer Erwartungsstrukturen.

In der Innovationsforschung kann folglich nahezu Einigkeit darüber festgestellt werden, dass ein Hervorbringen neuer Ideen allein nicht ausreicht (Hauschildt 2004). Eine Innovation kommt erst dann zustande, wenn die Idee z.B. in einem Unternehmen auch zu einem neuen Produkt oder zu einer neuen Dienstleistung führt, wobei diese zugleich die Akzeptanz bei Markt und Kunden erreichen muss (Joseph/Knauth/Gemünden 1992; Rogers 1995). Neuerungen werden somit nicht generell zu Innovationen. Unter Innovationen sind folglich überraschende Neuerungen zu fassen, die durch soziale Akzeptanz und die kollektive Attribuierung von Neuheit gekennzeichnet sind.(3) Das bedeutet:

Der Erfolg eines Vorhabens, das sich selbst als Innovation beschreibt, hängt darum nicht von der etwaigen Güte einer Idee oder eines Ziels ab, sondern ist von Bedingungen sozialer Akzeptanzbeschaffung in unterschiedlichsten sozialen Systemen abhängig. Einzurechnen sind die nur bedingt zu beeinflussenden Entwicklungsprozesse der Erwartungsstrukturen in den jeweiligen gesellschaftlichen Bereichen. Eine von innovationsorientierten Akteuren ausgehende Perspektive greift dann deutlich zu kurz. Zumindest wäre diese durch eine Perspektive zu ergänzen, die die sozialen Systemreferenzen und -zusammenhänge zu erfassen in der Lage ist. Innovationsforschung müsste sich also mit Fragen, Möglichkeiten und Einbettungen kommunikativer Prozesse sozialer Akzeptanz(4) sowie den systemübergreifenden Diffusionserfordernissen beschäftigen (Huber 2004).

 

4. Die auf Neuheit programmierte moderne Gesellschaft

Wenn die Innovationsforschung (wünschenswerte) Strukturveränderungen der Gesellschaft ins Visier nimmt, geschieht dies nicht selten mit einem starken technizistischen Bias (vgl. u.a. Bell 1976; Castells 2000; Hübner/Dunkel 1995; Nefiodow 1991; 1996; Mayntz 1993, S. 99; Ogburn 1969). Sobald derartige Erklärungsmuster mit gesellschaftstheoretischen Fragen konfrontiert werden, fällt sofort einer der vielen blinden Flecken der Innovationsforschung auf: Eine wechselseitige Befruchtung von Innovationsforschung und einer Theorie der modernen Gesellschaft findet bis auf wenige Ausnahmen nicht statt. Zum einen ist nicht zu übersehen, dass in den Theorien der modernen Gesellschaft, die gerade auch die Entwicklungsdynamik und deren Folgen in den Augenschein nehmen, kaum oder eher zufällig Bezüge zu Innovation(5) hergestellt werden (Luhmann 1992; 1997; Habermas 1988). Zum anderen fällt auf, dass viele sozialwissenschaftliche Beiträge, die ihren Blick auf das Thema Innovation lenken, ohne weitergehende, das heißt ohne eine gesellschaftstheoretisch abgestützte Begründung innovationsrelevante Fragestellungen abhandeln.

Diese wechselseitig stabilisierte Ignoranz überrascht umso mehr, als Niklas Luhmann bereits 1971 auf Veränderungen universell ausgreifender Interaktionsfelder der Wissenschaft, der Technik, der Wirtschaft sowie der öffentlichen Kommunikation hingewiesen hat. Er konstatiert eine Schwerpunktverlagerung gesellschaftlicher Erwartungsstrukturen, d.h. der sozialen Strukturen der Teilsysteme und damit der Gesellschaft insgesamt. Systeme, die kognitive, auf Lernen bezogene Erwartungen bevorzugen, gewinnen gesellschaftlich an Einfluss, Systeme, die primär durch normative, nicht-lernbereite Erwartungen gekennzeich­net sind, wie Politik, Recht und Religion, treten zunächst mit Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft relevanzseitig zurück, um in der Folgezeit zum Teil sich selbst auf die Produktion des Neuen einzustellen.

Mit der Bildung von Erwartungen ist im Allgemeinen ein gewisses Maß an Verlässlichkeit und Sicherheit in einer ansonst unsicheren Welt verbunden. Lernbereite Erwartungshaltungen sind so angelegt, dass zumindest einige Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten(6) hinterfragt werden können. Lernen zielt also auf die Änderung der orientierungsleitenden Erwartungen, wirkt darum als Prämisse sozialen Handelns erst einmal destabilisierend. Eine Steigerung erhält das Ganze, wenn Lernen als Forderung nicht nur einmalig, sondern als Dauerforderung in Organisation(7) und Gesellschaft Einzug hält (Nowotny 1997, S. 34f.). Die Erwartung permanenter Veränderung wird gesellschaftlich zur normativ gesetzten Leitwährung, wobei die Folgen dieser Entwicklung noch nicht abzusehen sind.

Vor allem in der Wissenschaft, in den Künsten sowie in der massenmedial dominierten Öffentlichkeit sind Entwicklungen zu konstatieren, die auf eine Verbreitung von neuartigen und überraschenden Informationen setzen. Vor allem kommt es darauf an, dass sich diese von den gewohnten Sichtweisen, i.S. von Erwartungen absetzen können. Diese Präferenz für Neues steht nun im direkten Zusammenhang mit der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft. In dieser Lesart läuft Modernisierung auf eine jeweils separat ablaufende Rationalisierung einzelner Teilsysteme hinaus: Die in den jeweiligen Funktions­systemen eingebauten "Variablenkombinationen [d.h. die] Schemata für das Auffangen von Veränderungen", wie z.B. Märkte, Organisationen, Theorien, Modelle , Konzepte oder Kunststile, provozieren weit reichende Lernpotenziale (Luhmann 1975, S. 58), die aber ihrerseits durchaus mit ambivalenten Effekten einhergehen. Um einerseits die sich einspielenden Veränderungen sowie um die hiermit einhergehenden Ambivalenzen aufzeigen zu können, sollen diese Effekte für zwei Teilsysteme - Kunst und Wissenschaft - sowie die gesellschaftsweit ausgebildete Zumutung einer individualisierten Lebensführung skizziert werden.

(1) Kunst: Damit Kunst als eine besondere Form sozialer Kommunikation in Erscheinung treten kann, muss sie selbst für genügend unterscheidungsrelevante Anhaltspunkte(8) Sorge tragen. So hat sich hier schon frühzeitig die Norm etabliert, Kunstwerke müssten neu sein, wenn sie gefallen sollen (Luhmann 1995b, S. 70). Kunstkommunikation stellt sich folge­richtig und funktionsadäquat auf Ablehnung bzw. Abweichung vergangener Formen und Stile(9) ein (Hauser 1988, S. 436ff.). Verschärfend tritt dann das Erfordernis hinzu, für unbekannte Käufer, d.h. für einen (unbekannten) Markt produzieren zu müssen. Kunst hat dann nicht mehr nur neu zu sein, sondern das Neue muss zugleich Gefallen finden. Neben der Herausbildung von Trivial- bis Kunsthandwerk wird der Weg für provokative Entwürfe frei, die darauf hinauslaufen, nicht nur Vorhandenes, sondern die (vorgefundene) Kunst als Kunst selbst in Frage zu stellen. Die nicht selten auf die Spitze getriebene Ablehnung tradierter Darstellungen wird durch provozierende Themenwahl und neuartige Stilmittel markiert.

Wenn nun aber Kunstkommunikation vermehrt auf Abweichung, auf Provokation ein­schwenkt, tritt das Problem hinzu, dass zum einen die Markierung des Abweichens zugleich den für ‘kunstfremde’ Beobachter instruktiven Hinweis mitführen muss, worin das Neue besteht. Zum anderen ist dafür zu sorgen, dass der Betrachter hieraus einen wie auch immer gearteten, aber für ihn brauchbaren ‘Informationsgewinn’ alltagsweltlich im eigenen Relevanzbereich verbuchen kann. Kunstkommunikation setzt nun voraus, dass die in die Kunstwerke eingelassenen Beobachtungen auch verstanden werden können; von Akzeptanz ganz zu schweigen.(10) Wie mittlerweile beobachtet werden kann, wird dieses für Kunst voraussetzungsreiche Erfordernis kaum noch bearbeitet. Gerade in dieser Hinsicht werden die (neuen) Funktionsprobleme des aktuell praktizierten Kunstsystems offensichtlich.

Der Kreis derjenigen, der an einer Kunstkommunikation - die permanent auf Abweichung und auf Innovation programmiert ist - verstehend teilnehmen kann, wird kleiner. Die auf Irritation und Provokation abstellenden Beobachtungsangebote (post-)moderner Kunstoffer­ten haben Tendenzen zur Publikumsüberforderung. Das gesellschaftlich ausdifferenzierte Funktionssystem der Kunst läuft aber dann Gefahr, auf der Basis einer auf die Spitze getriebenen ‘Abweichungsnorm’ die eigene gesellschaftliche Funktionalität zur Disposition zu stellen.

(2) Wissenschaft: Während sich die frühneuzeitliche Wissenschaft(11) noch großenteils um die Sichtung, Aufbereitung und Erhaltung schon vorhandenen Wissens kümmern konnte, so muss sich die moderne Wissenschaft strukturell auf eine neue Form der Wissensverarbeitung einstellen (Stichweh 1996). Höchst folgenreich wird die normativ verankerte Erwartung ausgebildet, dass Abweichung zu bevorzugen und zugleich von Bekanntem deutlich und in für andere nachvollziehbarer Weise darlegend unterschieden werden muss. Die Neuheitserwartung wird zur wissenschaftlichen Norm. Nun dürfte die leicht klingende Aufforderung aber alles andere als leicht auszufüllen sein, stellt man sich doch mit einer Neuerung zugleich gegen tradierte Gewissheiten. Insofern sind Parallelanstrengungen notwendig. Wissenschaft hat folglich empirische oder theoretische Kriterien erfunden (und institutionell abgestützt), die angeben, warum ein neues Argument, eine abweichende Begriffsauffassung zu akzeptieren sei.

Obwohl das Leitprogramm der Wissenschaft nach wie vor die Suche nach Abweichung, nach Neuheit und innovativen Ideen bzw. Argumenten prämiert und die Differenzierung der Wissenschaft neue Re-kombinationen hinsichtlich interdisziplinärer Forschung ermöglicht, ist nicht mehr zu übersehen, dass sie zunehmend wahrheitskonservierende Züge annimmt. Die Differenzierung der Disziplinen, das Problem eines zunehmenden Komplexitäts­überschusses sowie die milieubildende und -verfestigende Kombination aus institutionalisier­ten Stellenpools, Reputation, Zitierzirkeln und tradiertem Wissen hat zu einer Segmentierung und Verfestigung vorhandenen Wissens geführt, in deren Folge weitere wissenschaftliche Erkenntnis durch die Erfolge wissenschaftlichen Operierens erschwert wird. Die auf Wahrheit(-ssuche) getrimmte Wissenschaft wird lernbehindert und innovationsavers (Kuhn 1973).

(3) Individualisierung: Funktionale Differenzierung erfordert bekanntlich eine multifunktionale Inklusion der Individuen, die letztlich mit den unterschiedlichen Systembezügen und Erfordernissen der funktionalen Teilsysteme zurechtkommen müssen. Mit der Herauslösung der Individuen aus tradierten Bindungen und sozialen Lagen gewinnen die Menschen zwar mehr Gestaltungsspielräume für ihr Leben. Die neue Freiheit ist aber teuer erkauft. Die Auflösung traditioneller Bindungen ist mit dem Zwang zur Individualisierung verbunden (Beck 1986).

Aufgrund gesellschaftsweiter Umstellung von inklusionsregulierender Schichtzugehörigkeit auf ‘Freiheit’ der Individuen, ihre (Gesellschafts-)Karriere selbst in die Hand nehmen zu müssen, in dem sie u.a. verstärkt auf die Wirkung der Selbstdarstellung setzen müssen, entstehen neue zum Teil prekäre Handlungsnotwendigkeiten. Während die Gesellschaft für genügend anschlussfähige Erwartungen sorgen muss, sind die Individuen angehalten, sich systemspezifische und darüber hinaus eine systemübergreifende soziale Adresse anzulegen, die gewünschte Inklusionen wahrscheinlich macht. Die Arbeit an der eigenen Adresse ist aber alles andere als einfach (Giddens 1991). Zum einen stellt die Gesellschaft eher diffus ausfallende Erwartungslagen bereit, an denen nur in grober Form brauchbare Handlungsstra­tegien abgelesen werden können (Nassehi 2000, S. 53). Zum anderen hilft Imitation nur wenig, da als gelungen beobachtete Inklusionsverhältnisse kaum zu generalisieren sind.

Um aufzufallen, muss folglich die eigene Individualität in der zu kommunizierenden Adresse zumindest durchschimmern. Der Versuch, eine individuelle Adressierung aufzubauen, kann sich dabei rasch in einem Paradox verfangen: die Adresse muss anschlussfähig sein, also auf Wiedererkennbarkeit und insofern mindestens auf Selbst-Imitation beruhen. Gleichzeitig muss Adressierung Neuerungen beinhalten, i.S. von Irritation durch Individualität. Der Umgang mit diesem Paradox gelingt dem Individuum nur durch Oszillation, also durch den Einbau von Zeit. Biographisierung nun ist eine Strategie, dieses Paradox langfristig bearbeitbar zu machen. Auf der gesellschaftlichen Ebene tritt das Paradox in der Normierung, zeitlich in der Normalisierung von Abweichung auf; das individuelle Selbstverfertigungspa­radox wird sozialisiert: Abweichung wird nicht nur in Beruf und Freizeit zur Norm, die individuell, d.h. unter Einrechnung individueller Risiken umzusetzen ist. So überrascht es nicht, dass deviante Sozialisationskarrieren in der komplexen Gesellschaft von heute wahrscheinlicher werden (Luhmann 1993, S. 202), was den sich zur Dynamik aufschwingen­den Zwang, individuell bemerkbar "anders sein zu müssen als die anderen" weiter verschärfen dürfte.

Über diese leicht verlängerbare Liste struktureller Effekte hinausgehend, lässt sich zeigen, dass gesellschaftsrelevante Probleme vor allem dort auftauchen, wo die Schnelligkeit kognitiver Strukturen auf die Langsamkeit und Beharrlichkeit normativer Strukturen trifft. Die sich forcierende Umstellung einzelner Teilsysteme auf Abweichung führt nun zum einen zu stabilisierenden bzw. konservierenden Effekten, sie löst zum anderen eine sich selbst verstärkende Neuerungs- und Abweichungsdynamik mit unabsehbaren Folgen aus. Es lässt sich diagnostizieren, dass die Gesellschaft ihre Strukturen auf Neuheit umgestellt hat. Dieser Blick auf gesellschaftliche Veränderungen ermöglicht zugleich die Frage, ob diese Präferenz von Neuheit zugleich auch mit Innovation gleichgesetzt werden kann. Aber dabei ist auf die Unterscheidung von Neuheit und Innovation zu achten, was zur Frage führt, welche Funktion von einer ausufernden Semantik von Innovation in einer auf Neuerung eingestellten Gesellschaft zu erwarten ist. Die äußerst diffus vorgetragene und sich analytischen Zugriffen entziehende Semantik von Innovation scheint auf die Etablierung eines nichts sagenden Eigenwertes hinauszulaufen, der dazu dient, eine zu bevorzugende Seite anschlusseröffnend auszuweisen. Die Innovationsrhetorik lässt sich dann als Problemhinweis interpretieren, dass die erforderlichen Umgangsformen erst noch entwickelt werden müssen, auf deren Grundlage es möglich wird, sich auf die neuen, auf Neuerung eingestimmten Strukturen der Gesellschaft angemessen einstellen zu können. Es geht somit um nicht weniger als um die Herstellung von Aufmerksamkeit. Innovation ist in dieser Lesart der Hinweis auf unklare Verhältnisse, der dahingehend zu lesen ist, dass bisher keine Routinen und Bearbeitungsmuster für den Umgang mit den neuen gesellschaftlichen Strukturen vorhanden sind.

 

5. Innovation und der evolutionäre Blick

Soziologie, verstanden als Mittel der Selbstbeobachtung der Gesellschaft, muss sich zunächst darauf beschränken das Innovationsgeschehen auf ihre Weise zu beobachten und nicht zu beurteilen. Die von ökonomischen und politischen Zwängen emanzipierte soziologische Thematisierung von Innovation eröffnet die begrifflichen Probleme der Innovation, die unter dem operativen Druck pragmatisch beiseite gedrängt werden. Soll die soziologische Beob­achtung ihre Unterscheidungen begründen, muss sie für die Probleme Lösungen anbieten und Kriterien gewinnen, anhand derer sie sich selbst überprüfen kann. Die etablierten Unterschei­dungen, wie die zwischen Prozess und Produkt, Basis- und Verbesserungsinnovation usw. führen nicht allzu weit, wie Reichert (1995) aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zeigt. Einzig das Neuheitskriterium bleibt übrig aus einer Vielzahl von anderen Möglichkeiten, führt aber geradewegs zur Zeitparadoxie. Eine Paradoxie ist für die Beobachtung nicht operabel, denn das als Innovation zu Bezeichnende entzieht sich der Bezeichnung an der Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft. Um dem Innovationsphänomen trotzdem habhaft zu werden, muss das Zeitparadox in eine andere Differenz überführt werden.

Neuheit weist an der gegenwärtigen Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft auf Veränderung, auf Wandel. Evolutionäre Wandlungstheorien scheinen heute am besten geeignet die Dynamik der Gesellschaft abzubilden. Dabei haben sich die meisten dieser Theorien längst von einer fortschrittsorientierten Teleologie verabschiedet und machen sich die in der Biologie so erfolgreich angewandten Strukturationsprinzipien Variation, Selektion und Restabilisierung zu eigen. Neben der evolutionären Ökonomik (England 1995) gibt es auch in der Soziologie einige jüngere Vorschläge einer nichtteleologischen, evolutionären Wandlungstheorie (Preyer 1998). Im Folgenden bleiben wir jedoch an Luhmann (1997) orientiert, um kursorisch die Beobachtungsmöglichkeiten von Innovation im Evolutions­schema aufzuzeigen.

Evolution stellt Luhmann als zufällig(12) gekoppelte Bearbeitungsformen von Strukturänderun­gen dar. Integriert man hier Innovation, so taucht dieses Phänomen in allen drei Evolutions­funktionen als positive Seite auf. Innovationen sind dann die sich aufgrund permanenten Irritationsdrucks ausbildenden Variationen, also gegenwärtige Möglichkeiten für die Zukunft. Über diese wird durch Selektion entschieden. Das Selegierte erscheint hier als Innovation, nämlich als andere Struktur, als im Unterschied zu den vorigen Erwartungsnormalitäten neuartige Erwartungen, die auch unter anderen als den Entstehungsbedingungen mit Erfüllung rechnen können. Allerdings ist damit noch nichts über die Persistenz der gewandelten Systemstruktur in der jeweiligen Umwelt entschieden. Denn jede Veränderung führt über strukturelle Kopplungen zu weiteren, anschließenden Veränderungen in der Umwelt. Je nachdem, ob sich Anschlüsse an oder Zurückweisungen von diesen Zumutungen gegenüber den Systemveränderungen einstellen, sich also die Kopplungen verändern können auch hier Innovationen beobachtet werden.

Die Evolutionsfunktionen Variation, Selektion und Restabilisierung eröffnen also Perspektiven auf das Innovationsphänomen. Die Beobachtungen von Strukturveränderungen als Innovation lassen sich damit begründen und auf die unwahrscheinlichen Möglichkeiten der internen Sinnanschlüsse externer Irritationen ausrichten; auf die selegierenden Entschei­dungen und auf die unwahrscheinliche Neuausrichtung der strukturellen Kopplungen. Klar wird dadurch, dass es bei Innovation nicht um einen einzelnen Gegenstand oder um einen Prozess geht, sondern um komplexe Strukturänderungen, die Anlässe haben, die interne Anschlüsse finden müssen, über die als zukünftige Normalerwartungen entschieden wird und die jenseits eigener Strukturen in der Umwelt Anschlüsse finden müssen. Die Einbettung von Innovation in das Evolutionsschema muss aber von der Analyse der Innovationssemantik begleitet werden, die zweifelsohne zum kommunikativen Erfolg von Innovationszumutungen beiträgt.(13) Was als gut und richtig gilt, kann nicht schlechterdings abgelehnt werden, sondern verlangt nach besonderer Begründung. Hier kommen dann Debatten über divergente Werte und deren Geltung zum Tragen, die sich immer öfter in Ethik-Kommissionen wieder finden. Und das hat Folgen für die Art von Planung, wie sie in der Wirtschaft und Politik dominieren, nämlich als selbstgefällige Illusion der Beherrschbarkeit sozialen Wandels. Das zumindest kann man mit Soziologie wissen. Aber was ist daraus jenseits der Warnung zu gewinnen?

 

6. Soziologische Aussichten

Eine auf kritische Distanz setzende Begriffsaufladung durch die Soziologie, wie hier am Beispiel der Innovation expliziert, führt nicht schon von selbst zu einer Klärung. Denn solche Klärungen werden von der Soziologie vielfältig und konkurrierend in Abhängigkeit von der gewählten theoretischen Perspektive angefertigt. Die Folge ist nicht zuletzt deshalb auch eine Begriffsverwirrung, was wiederum nur als praxisfern gelten kann. Der durch Soziologie gewonnene Facettenreichtum wechselt beinahe unvermeidlich mit einer pragmatischen bis praktikablen Gebrauchsarmut ab. Die Begriffe werden der Soziologie auf diese Weise immer wieder enteignet, und Soziologen können diesen Prozess nicht aufhalten. Aber die Diffusion der soziologischen Begriffswelt kann und muss Anlass für die soziologische Ermächtigung sein, die Debatten in Politik und Ökonomie und jedem anderen Bereich der Gesellschaft anzureichern. Hier bieten sich Möglichkeiten, die in den letzten Jahren vieldiskutierte Relevanz der Soziologie unter Beweis zu stellen.

Aus Sicht der Soziologie ist die Frage nach dem Nutzen einer Kombination von Begriffsanreicherung und soziologischer Reflexion leicht zu beantworten. Ihr nutzt es in doppelter Hinsicht: Zum einen kann sie ihre Relevanz unter Beweis stellen, zum anderen bessere Anschlussmöglichkeiten für ihre Ergebnisse herstellen. Wie kann aber die Gesellschaft auf diesen Relevanzanspruch anders reagieren, als sich aus der Vielfalt der Begriffsangebote nach ihrem Gusto zu bedienen? Dann zeigt sich für die Soziologie wiederum: Es kommt zunächst nicht so sehr darauf an, was ihr Begriffs-Fall ist, sondern eben doch auf den Bedarf nach pragmatischer Aufbereitung der Begriffe und der Formulierung eines Angebotes, das bei der Notwendigkeit, reflektiert damit umgehen zu wollen, eingesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang muss sich die Soziologie immer auch die Frage stellen, wen überhaupt die Verwirrung durch die Soziologie, die Einlassungen professionalisierten Zweifelns und darüber hinaus die analytischen und pragmatisch orientierten Angebote interessieren soll und kann. Jedoch ist dann aber auch nach dem Umgang der Gesellschaft mit ihrer soziologischen Selbstbeobachtung zu fragen: Unter welchen Umständen kann und will sie sich ihre Selbstbilder leisten und ertragen und in welchen Hinsichten zerschlägt sie nicht beleidigt ihre Spiegel?

Soziologie ist zunächst keine anwendungsorientierte Reflexionswissenschaft, die unmittelbar die Abläufe in den Funktionsbereichen der Gesellschaft beobachtet und ihre Erkenntnisse dort ungefragt wieder einspeisen kann. Es gibt keine funktionale Beschränkung für die Soziologie, und so gibt es auch kein gesellschaftliches Geschehen, das nur ihr Gegenstand wäre. Exklusiv kann die Soziologie nur ihre Beobachterposition zur Gesellschaft halten, die immer den Umweg und die schon vorliegenden Antworten funktionsspezifischer Reflexionsinstanzen einrechnen muss. Die Soziologie hat als einzige Wissenschaft den Vorteil wie den Nachteil, dass die Gesellschaft und nicht ein funktional differenziertes Geschehen ihr Gegenstandsbereich ist. Sie ist aber momentan nicht in der Lage, die hiermit einhergehende Komplexität adäquat zu reflektieren oder zu handhaben. Die gegenwärtig zu beobachtende Strategie setzt auf eine nicht mehr zu vermittelnde Theorievielfalt, die es schwierig macht, in disziplinärer und in pragmatischer Hinsicht zu verbindlichen Aussagen zu kommen. Die Möglichkeiten, selbst für Sinnfälligkeit zu sorgen, sind damit eingeschränkt. Soziologisches Wissen kommt in anderen als ihren eigenen Zusammenhängen entweder vulgarisiert und banal oder als Geheimwissen zum Zuge, wenn zum Beispiel der soziologisch informierte Berater klüger sein will als sein Feld. Die Soziologie taucht in anderen Bereichen außer ihren eigenen nicht mehr auf. Und erneut handelt sie sich die Legitimationsfrage ein. Was soll das also? Wozu ist sie in der Welt?

Die Soziologie betreibt nichts weiter als entfremdende Beschreibung der Gesellschaft. Wie ein Spiegel entfernt sie das Selbst-Bild vom Beobachter. Erst dadurch kann er sich sehen - freilich nicht in toto, sondern immer nur aus einer bestimmten Perspektive. Und genau da ist die Soziologie schon in der Praxis als Soziologie! Die Soziologie lernt nämlich bei ihrem empirischen Vorgehen von den Probanden als Experten ihrer Praxis. Dieser erste Praxisbezug genügt freilich nicht. Die Soziologie darf ihre Erkenntnisse dem Publikum nicht nur einfach vorstellen, sondern muss beratende Anschlüsse bieten. Und hier findet sich der andere Praxisbezug der Soziologie, der aktuell allenthalben als Legitimationsfeld eingeklagt wird: Wie spiegelt die Soziologie ihre Erkenntnisse wider? Die Antwort auf diese Frage ruft aber auch das disziplinäre Selbstverständnis auf den Plan, nämlich wie die Soziologie ihre wissenschaftliche Identität beim relevanten Wissenstransfer wahren kann. Die aktuelle Fachdebatte zeigt gerade, dass ein marktgerechtes Handwerk der Methoden, der pragmatischen Problemorientierung und Teamfähigkeit dazu nicht ausreicht, um ein soziologisches Verständnis der Begriffe oder gar die gesellschaftliche Relevanz der Soziologie zu vermitteln. Sie muss ihre mühsam gewonnenen Perspektiven als alltägliche Selbstbeschreibungskategorien vermitteln und darf dabei ihre eigene Beschränktheit nicht vergessen, denn es gibt immer noch weitere Perspektiven. Wie aber kann die Rückspiegelung soziologischer Erkenntnisse bei Vermeidung praxisintendierter Banalität in politikrat­schlagender Absicht erfolgen? Es drängt sich die Antwort auf: nicht als Soziologie, sondern mit Soziologie in ihrer praxisfernen Vielfalt! Als Entscheidungsgrundlage, z.B. in Innova­tionsprozessen, als Sozialtechnologie des Neuen ist Soziologie darum nicht zu empfehlen.

In den Debatten um die Zukunft der Soziologie sollte es um mehr gehen, als die Arbeitsmarktchancen von akademisierten Soziologen zu diskutieren. Denn diese hängen weniger von der konkreten Orientierung auf Berufsbilder ab als von dem dauernden Erweis gesellschaftlicher Relevanz. Soziologie bleibt im Humboldtschen Sinne eher Berufsvor­bildung - daran wird auch der Umbau der Universität zur Berufsausbildungsstätte nichts ändern. Dann verabschiedet sich die Soziologie eher aus der Universität. Aber seinen Beruf und seine Relevanz muss der Soziologe sowieso ständig selbst erfinden. Und so ist Soziologie auch Innovation in perpetuum.

© Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin)


ANMERKUNGEN

(1) An dieser Stelle könnten dann kommunikations- oder diskurstheoretische Überlegungen ansetzen (etwa aufbauend auf Luhmann, Habermas oder Foucault).

(2) Die Betriebswirtschaftslehre unterscheidet hingegen Produkt-, Prozess und soziale Innovationen, wobei das Kriterium, welches die Trennung provoziert, merkwürdig verschwommen bleibt, denn es bleibt völlig im Dunkeln, dass erst eine von mehreren Akteuren - also interaktiv bzw. kommunikativ untersetzte - vorgenommene Bewertungsverschiebung eine Produktinnovation zu generieren in der Lage ist, was natürlich auch auf dem Fall der Prozessinnovation zutrifft.

(3) Siehe Baitsch et al. (2000) und Schulz et al. (2000).

(4) Die Technikfolgenabschätzung (u.a. Blättel-Mink/Renn 1997; Minx/Meyer 2001; Renn/Zwick 1997) und die Diffusionsforschung (u.a. Attewell 1992; Rogers 1995; Schenk/Dahm/Sonje 1997) beschäftigen sich eingehender mit dieser Frage.

(5) Erste viel versprechende Versuche finden sich bei Rudolf Stichweh (2000, S. 245 ff.), der für die Entstehung der Weltgesellschaft vier bedeutsame soziostrukturelle Innovationen - Funktionale Differenzierung, Organisationen, Kommunikationstechniken und soziale Netzwerke - verantwortlich macht.

(6) Noch im 16. Jahrhundert lässt sich eine Dominanz des normativen Erwartungsstils konstatieren. Dies geht soweit, dass evolutionär unwahrscheinliche Verhaltensweisen zementiert werden konnten (Luhmann 1975, S. 56).

(7) Was man sehen kann, ist, dass in den Organisationen der Wirtschaft Lernen zur Norm wird (vgl. Aderhold 1999).

(8) Im Kunstsystem wurden unterschiedlichste Beschreibungen ausprobiert. Sofern Kunst als schöne Künste aufgefasst wurde, orientierte man sich an der vollendeten Darstellung des Geistigen in den Erscheinungen. In der Erscheinung des Geistigen vermutet(e) man die Schönheit, die es nachzubildend zu erfassen gilt.

(9) "Die besondere Schwierigkeit der Frage nach der Art dieses Wandels, nach dem Sinn der Kontinuität und Diskontinuität beim Übergang von einem Stil zum anderen, folgt aus dem Umstand, dass der Bruch mit der Vergangenheit und die Anknüpfung an sie, dass Entwicklung und Fortschritt in der Kunst eine andere Rolle spielen und sich auf andere Faktoren stützen als sonst in der Geschichte der Kultur, namentlich in der der Wissenschaft und Technik. In dieser ist der Geschichtsprozeß im Grunde kontinuierlich und progressiv, in der Kunst hingegen abgerissen, abwegig und, was die Qualität der Leistungen betrifft, mit dem Begriff des Fortschritts unvereinbar" (Hauser 1988, S. 437).

(10) Für ein Beispiel rückgewiesener Innovationsansprüche und die Folgen für die Kunstorganisation am Beispiel der Berliner Schaubühne siehe John (2005).

(11) Vgl. hier und im Folgenden Stichweh (1996).

(12) Zufällig heißt dabei zunächst, dass die Kopplungen nicht notwendig kausal von einer Ursache auf eine Wirkung schließen lassen, sondern dass eine Wirkung mehrere Ursachen, eine Ursache mehrere Wirkungen haben kann. Diese komplexen Kausalitäten entziehen sich der Beobachtung. Dieses Defizit an Beobachtbarkeit wird hinter dem Zufall gleichsam versteckt (Luhmann 1978).

(13) Wichtige Hinweise zur Funktion der Innovationssemantik wurden von Susanne Fragel (2005) ausgearbeitet.


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7.2. Dominierende Innovationsdiskurse zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Ignoranz
Dominating Innovation Discourses between Social Relevance and Ignorance

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For quotation purposes:
Jens Aderhold (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/ISInova Berlin) / René John (Universität Hohenheim/ISInova Berlin): Neuheit als Problem der Gesellschaft. Zur Bedeutung eines problematisierenden Selbstverständnisses einer Wissenschaft. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/07_2/aderhold_john.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 1.6.2006     INST