Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Mai 2006
 

8.1. Traditionen, Aufklärung, Modernisierung
Herausgeber | Editor | Éditeur: Peter Horn (Johannesburg)

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"Black Paris" - über Kunst aus Afrika und afrikanische Kunst in der Diaspora

Bettina Lintig (Afrikazentrum der Universität Bayreuth)
[BIO]

 

Am Beginn des 20. Jahrhunderts fand in Paris eine Art Kulturrevolution statt, die unter anderem auf die Begegnung "Afrika" / "Europa" zurückgeführt werden kann.(1) Der Kontinent Afrika und seine Kulturen waren ins europäische Blickfeld gekommen. Nicht nur Afrika war der Auslöser von Veränderungen im Feld der Kunst(2). Aber "Afrikanisches" stand nun auch in Europa sozusagen vor der Haustür, war auf Weltausstellungen zu besichtigen, im Theater oder im Museum. Das hochpolitische Thema Kolonialismus bewegte die Menschen. Der sog. "Primitivismus" wandte sich auch anderen Lebensbereichen innerhalb der eigenen Kultur zu, die jenseits der Kunstakademien und Salons lagen, interessierte sich z.B. für die Kunst von Geisteskranken, Kindern, naiven Malern (wie Rousseau, dem Zöllner) usw.

Dass der Primitivismus sich an Afrika bediente, hatte aber sehr weit reichende Konsequenzen, denn es handelt sich immerhin um einen ganzen Kontinent und seine Kultur, wovon meist gerade einmal die Spitze eines Eisbergs wahrgenommen wurde. Aus europäischer Tradition ist Afrika z.B. bei Hegel der geschichtslose Kontinent gewesen, da dort keine indigene Schrift erfunden worden sei.(3) Die "atavistischen" Gesellschaften waren inzwischen von der europäischen Zivilisation eingeholt worden, aber noch immer galt Schwarzafrika als Ort des Unheimlichen und unbändig "Wilden". Ein Schriftsteller der deutschen Romantik, Jean Paul, hatte im "Länderreichtum" der abendländischen Seele das Unbewusste Afrika zugeordnet. (4)

Bilder und Begriffe von Afrika als Entsprechung für das Irrationale oder das Übersinnliche, Afrika als Ort, wo die "wilden" guten und bösen Phantasien auszuleben wären, bilden auch den roten Faden zur Interpretation des "Tumulte Noire"(5) in Paris zwischen 1900 - 1930. Dieser "Tumulte Noire" wird so genannt, weil er in Paris sowohl in Avantgarde Studios und Galerien, in der Kunstszene also, wie auch in populären Nachtclubs und Tanzhallen stattfand. Aus ganz verschiedenen Quellen kommende Strömungen vermischten sich darin allmählich: der Surrealismus und Dada, die Harlem Renaissance und das Entertainment.

Die Pariser "vogue nègre" oder "Negrophilie" betrifft die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Aber sie hatte schon eine Vorgeschichte und wird heute durchaus zwiespältig beurteilt.(6)

In Frankreich gab es keine Trennung nach Hautfarbe, wie in Amerika. Auf Gemälden des 19. Jahrhunderts ist wahrzunehmen, dass einzelne Schwarze in Frankreich lebten. Meist sind es Darstellungen von Bediensteten, die wie exotische Accessoires wirken und deren Dunkelheit ihrer Herrschaft die Möglichkeit bot sich als lichte Gestalten zu präsentieren.(7) Echte gesellschaftliche Anerkennung erfuhr der afroamerikanische Maler Henry Ossawa Tanner (1859-1937). Er studierte ab 1891 an der Akademie Julien unter J.P. Laurens und Benjamin Constant. Seine "Wiederauferstehung des Lazarus" erhielt eine Salon Gold Medaille und wurde 1897 für das Palais de Luxembourg angekauft. Tanner wurde ein mit zahlreichen Preisen bedachter international anerkannter Maler, der in einem konventionellen Stil arbeitete(8). Sein mehr innovativer Schüler William Harper (1873-1910) hatte von 1903 bis 1905 ein Parisstipendium(9). Die Lebenswege einiger früher schwarzer Künstler und Intellektueller, die durch die Stadt führten, bilden gleichsam die Keimzelle dessen, was hier als "Black Paris" im Sinn einer künstlerischen und intellektuellen Diaspora bezeichnet werden soll. Besonders bei schwarzen Amerikanern galt Paris als die Stadt der Toleranz:

"It must be remembered that at the beginning of the twentieth century, the myth of France as a land of political asylum and intellectual enlightenment was still alive in the consciousness of those who had not experienced the colonial yoke"(10), schreibt Simon Njami.

Afroamerikaner aus dem Umfeld der "New Negroe" Bewegung, wie DuBois oder Alain Locke, haben die französische Einstellung gegenüber den Schwarzen etwas schöngeredet.(11)Aber in Paris gab es wirklich die Tradition einer verschwommenen Idealisierung des "Südens", bzw. der "atavistischen" Gesellschaften an der Peripherie der westlichen Welt, auf die sich in gewisser Weise auch der "Primitivismus" und die "vogue nègre" bezogen.

Ideen der Surrealisten, die ebenfalls am "Tumulte Noire" beteiligt waren, wurden etwa von Charles Baudelaire in den "Blumen des Bösen" vorweggenommen. Schon im Titel des berühmten Werks werden Gegensätze miteinander verbunden (ein Credo des Surrealismus lautet, dass "Schönheit" durch die Verbindung des Ungleichen entsteht), die in der bürgerlichen Durchschnittserfahrung wenig miteinander zu tun haben: einerseits die Schönheit von Blumen und andererseits die Wahrnehmung einer "capitale infame" durch das kontemplative Ich des Dichters. Dieser wird aber zum Alchimisten und verwandelt die Lumpen, die sein Geist aufgesammelt hat, in sprachliches Gold. So kommen die "Blumen des Bösen" doch zum Erblühen. Baudelaires Gedichte sind allegorische Landschaften der Psyche und der Stadt.(12) Das Bewusstsein der Moderne ist schon bei Rousseau Endzeitbewusstsein und auch Baudelaires dichterische Lebenslandschaft steht im Zeichen einer apokalyptischen Endzeitlichkeit. Der "Süden" hingegen, den er mit der Mulattin Jeanne Duval verbindet, bedeutet für Baudelaire, so kann es interpretiert werden, das Natürliche und Authentische. In einigen seiner Gedichte evoziert die Geliebte, von der nicht sicher bekannt ist, ob sie aus der Karibik oder aus Südafrika stammt, das Meer, Strände und tropische Inseln, die er auf Großer Fahrt einmal kennen gelernt hat.(13) Seine großbürgerliche Familie hatte den jungen Mann 1841 auf eine Reise geschickt, um ihn zur Vernunft zu bringen. Baudelaire kommt bis Maurizius und Reunion (damals Ile Bourbon), weigert sich aber, nach Kalkutta weiterzusegeln und kehrt acht Monate später wieder nach Paris zurück. Bald nachher muss er die Bekanntschaft von Jeanne Duval gemacht haben, der er, mit Unterbrechungen, sein ganzes Leben verbunden bleibt. Portraits von ihr aus Baudelaires Feder gibt es(14). Eines davon ist im Louvre zu besichtigen. (Abb.1) Aus Baudelaires Dichtung stammt die "schwarze Venus", ein Bild, das dann später auch für Josephine Baker gebraucht wird.

Die erste "schwarze Venus" war Sara Baartman, eine "Hottentotten-Frau", aus Südafrika, die sich in England und Frankreich zur Schau stellte. Ihr Körper wurde nach ihrem Tode von dem französischen Arzt und Naturforscher Cuvier (1769 - 1832) anatomisch untersucht. Erst vor kurzem wurden ihre sterblichen Überreste aus Frankreich nach Südafrika überführt und in einem Staatsbegräbnis feierlich beerdigt.(15) -

Die Schwarz / Weiß Umkehrung und Umwertung, die bei Baudelaire durch die "schwarze Venus" schon angedeutet wird, ein Erkennungszeichen des "Tumulte Noire", geschah z.B. auch in einer Parodie von Edouard Manet`s Olympia (1863) von Pablo Picasso aus dem Jahr 1901. Er malte E. Manets weiße Courtisane als schwarze Venus und ersetzte die schwarze Dienerin mit dem Bouquet durch weiße Kammerherren, die der Afrikanerin einen Korb mit tropischen Früchten überbringen.(16)


Abb. 1 Portrait der Jeanne Duval, 1865, Federzeichnung von Charles Baudelaire, Musee du Louvre copyright RMN

Schon Paul Gaugin, den die Maler der Avantgarde am Anfang des 20. Jh. wie eine Vaterfigur verehren, haben der "Süden" bzw. die Inseln der Südsee entscheidende Impulse für seine Malerei gegeben.(17)

 

"Entdeckung" der afrikanischen Kunst

"Man kann sich fragen, ob oder ob nicht, die verschiedenen Formen des Modernismus in der europäischen und in der amerikanischen Kunst, in der Literatur, der Musik und dem Tanz in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts möglich gewesen wären ohne die Kunst aus Schwarzafrika. Das trifft ganz besonders auf die bildende Kunst zu, wo dramatische Neuansätze in der Weise des Sehens, besonders bei der Darstellung der menschlichen Figur, so scheint es, in eine direkte Verbindung zur Kunst südlich der Sahara gebracht werden können. Man könnte sogar argumentieren, dass sich die europäische Modernität als Spiegelung der Maske des Schwarzseins manifestiert", schreibt Henry Louis Gates.(18)


Abb. 2 Picasso in seinem Atelier im "Bateau-Lavoir" in Paris (Kopie / Photo: Burgess Gelett, 1908)

In Deutschland waren es die Mitglieder der 1905 in Dresden gegründeten Gruppe "die Brücke", die sich mit afrikanischer Kunst aus Kamerun, die sie in völkerkundlichen Sammlungen vorfanden, formal auseinandersetzten. Bei ihren Aufenthalten an den Moritzburger Teichen 1909 - 1911 und später auf der Ostseeinsel Fehmarn lebten sie ihren eigenen Entwurf eines "afrikanischen Lebensstils" und haben sie das "freie Leben der Naturvölker" ethnozentrisch nachempfunden.(19)

In Paris wurden Matisse, Picasso, Derain und viele andere durch Masken und Figuren aus Afrika beeinflusst (- Jacob Epstein, der in Paris auch bei Rodin studiert hatte, schuf 1912 oder 13 eine ausdrucksstarke Figur, die sich eng an die Konventionen afrikanischer Skulpturen anlehnte(20)). Picasso beschrieb seinen Biographen und Interviewern ein Schlüsselerlebnis im Depot des Trocadéro Museums mit Objekten aus Afrika mehrmals leicht variiert. Er schildert dieses Erlebnis als eines der Abwehr und des sich angezogen Fühlens und plötzlichen Verstehens:(21) Zwischen der Rationalität Afrikas und Europas liegen historische Welten und Werturteile. Der Spanier wusste über die kulturellen Kontexte, aus denen die Masken und Figuren stammten, wenig. Aber es lag gleichsam schon ein Protest gegen die Ästhetik des europäischen Museums darin, den fremdartigen Objekten im Völkerkundemuseum eine nähere Beachtung zu schenken. Picasso schildert ein sensuelles Erlebnis, dessen Schauplatz möglicherweise fiktional ist, wenn er beschreibt, wie er abgestoßen war durch den Geruch, den die "Fetische" im Museumsdepot verbreiteten und, nachdem er einen Widerstand überwunden hatte, doch etwas über sich selbst und über den Exorzismus der Kunst begriff:

"When I became interested ... in Negro art and I made what they refer to as the Negro Period in my painting, it was because at the time I was against what was called beauty in the museum. At that time, for most people a Negro mask was an ethnographic object. When I went for the first time, at Derain`s urging, to the Trocadéro Museum, the smell of dampness and rot there stuck in my throat. It depressed me so much I wanted to get out fast, but I stayed and studied. Men had made those masks and other objects for a sacred purpose, a magic purpose, as a kind of mediation between themselves and the unknown hostile forces that surround them, in order to overcome their fear and horror by giving it a form and image. At that moment I realized what painting was all about. Painting isn`t an aesthetic operation; it`s a form of magic designed to be a mediator between this strange, hostile world and us, a way of seizing the power by giving form to our terrors as well as our desires. When I came to that realization, I knew I had found my way. The people began looking at those objects in terms of aesthetics."(22)

Afrika wird auch von Picasso wieder mit dem europäischen "Unbewussten" - seinem eigenen Unbewussten letztlich, das ähnlich wirke wie die Dämonen, von denen afrikanische Künstler bedroht werden - in einen Zusammenhang gebracht. Das Motiv der "Geistervertreibung" ist, so gesehen, sowohl für die europäische wie für die afrikanische Kreativität essentiell. Diese entspricht dem Versuch das Unheimliche zu bändigen, indem man ihm eine Gestalt gibt. Ein solcher Inhalt stellt sich in weiteren, von Picasso etwas anders formulierten Berichten über dasselbe Schlüsselerlebnis noch klarer heraus.(23)

Die afrikanische Kunst wird dann in den folgenden Jahren im Rahmen der europäischen Kunst zu einem Strukturprinzip, das sich auch auf andere Felder wie Musik, Literatur oder Tanz ausgewirkt hat. Gospel und Jazz beeinflussten die klassische europäische und die "populäre" Musik.

Während dies geschah, formierte sich die Emanzipationsbewegung der Harlem Renaissance, die außer in den USA auch in Paris eine Basis hatte und wurde Paris schließlich zu einem Zentrum der schwarzen Intellektuellen und Künstler. Spätestens jetzt zeichnete sich aber ab, dass Schwarzsein nicht gleich Afrika bedeutete und Afrika nicht gleich "Primitivismus". Wie der afroamerikanische Kunstkritiker John Locke 1925 schreibt, war die Haltung schwarzer bildender Künstler aus Amerika gegenüber den "Fetischen" aus Afrika anfangs fast ebenso zwiespältig wie die der Europäer.(24)

 

"Tumulte Noire" & "Métissage"

Die Nord-Süd Beziehung "Paris-Afrika" existierte als Imagination oder als stillschweigende Annahme - in Form eines Gegensatzes: Die Kolonien werden im besten Fall als "rückständige " Zivilisationen angesehen, die in direkter Opposition zur Modernität der französischen Nationalkultur stehen.(25)

In den Kolonien selbst hatte sich ganz nebenbei die Kolonisierung gewissermaßen in allen Lebensbereichen festgesetzt. Europäisches und Afrikanisches haben sich dort längst vermischt.

In Senegal verfolgte die französische Kolonialpolitik eine "Assimilierung", d.h. es sollte gezielt eine Elite schwarzer französischer Bürger von Französisch Westafrika ausgebildet werden. In den "Quatre Communes" von Dakar, Saint Louis, Gorée und Rufisque erhielten die Bewohner Wahl-Privilegien und Bürgerrechte.(26) Einzelne dort an französischen Kolonialschulen ausgebildete Westafrikaner kamen in den 20er Jahren an Hochschulen nach Paris. Auch Leopold Sedar Senghor zählte zu ihnen.

Umrahmt von der Rassenlehre Faidherbes, die angeordnet war wie die "Tricolore" und die Menschheit nach den Farben Weiß, Rot und Schwarz ordnete(27), oszillierte das in Senegal verbreitete französische Weltbild engherzig zwischen der Suche nach einer Urrasse einerseits und der "Métissage" andererseits.

Louis Faidherbe war von 1854 - 1861 und von 1863 - 1865 Gouverneur des Senegal und gilt als Erfinder von "Schwarzafrika" als Begriff.(28) Sich selbst betrachtete er wahrscheinlich wegen seines Aussehens und seiner Herkunft aus Lille als "blonden Krieger" der nordischen Rasse, der er - wie Nietzsche oder Gobineau in derselben Epoche - die Rolle eines Motors in der Menschheitsgeschichte gab. Aber ebenso wie er auf der Suche war nach einer "reinen Rasse", die nicht infiziert werden dürfe durch Elemente von außen, bestand er gleichzeitig auf dem Nutzen einer "Rassenvermischung". Effektiv war sein Anliegen politischer Natur und wünschte er sich einheimische Partner zur Durchführung kolonialer Vorhaben. Er beobachtete, dass z.B. die Wolof und Serer angenehme Handelspartner waren und führte dies darauf zurück, dass diese senegalesischen Ethnien bereits durch die "Roten" (Berber, Nordafrikaner) befruchtet worden seien. In Beziehung auf den Begriff "Regeneration", den er verwendet, ist seine Haltung widersprüchlich: einerseits möchte er die am höchsten entwickelten Rassen auf dem kulturellen Plan (der Evolution, die hier stillschweigend vorausgesetzt wird) verjüngen, andererseits die physisch stärkeren Rassen (die Schwarzen) intellektuell entwickeln. Das Prinzip nach dem, in seinem Denken, das Verhältnis zwischen den Rassen organisiert sein sollte, zielt auf einen Austausch zwischen physischen Fähigkeiten und moralischen sowie intellektuellen Qualitäten. Die Akklimatisierung der weißen Rasse in Afrika südlich der Sahara (Schwarzafrika) müsste nach seiner Auffassung verbunden werden mit einer physischen Regeneration. Die Mauren hätten sich im Sudan und im Lebensraum der Sahara ausbreiten können, weil sie sich mit den Schwarzen genetisch vermischten, argumentiert er. Umgekehrt sei die moralische und intellektuelle Regeneration der Negerrasse nur durch europäisches Erbgut zu erreichen. Diese Überlegungen sollten praktisch umgesetzt werden.(29)

Die gesellschaftliche Stellung der Mischlinge blieb unklar.

In Afrika wurden "Métiss" in allen europäischen Kolonien geboren - aber darüber bestand relatives Schweigen von Seiten der offiziellen Erhebung - die Kinder der Signares (ein Wort aus dem Portugiesischen) aus Saint-Louis oder Gorée in Senegal, so wie diejenigen aus Verbindungen in den Kontor Niederlassungen an der afrikanischen Westküste, erhielten dort z.B. Nebenposten als Makler oder im Großhandel.(30) Die Gefühle gegenüber den Mulatten seitens ihrer sozialen Umgebung sind oft eher feindlich. Faidherbe hatte, auf die Gefahr hin sich den Zorn der katholischen Kirche zuzuziehen, das Modell einer "marriage à la mode du pays" vorgeschlagen. In dem Wunsch die schwarze Rasse durch europäisches Blut zu regenerieren, könnte auch das Motiv gesehen werden, das monotone Leben eines Offiziers auf einem Posten in den Kolonien etwas interessanter zu machen. Eine Liaison mit einer hübschen Afrikanerin ohne die Verpflichtungen einer Ehe konnte ein angenehmer Zeitvertreib sein beim Warten auf die Rückkehr nach Frankreich und die legitime Verbindung mit einer jungen Frau aus guter Familie zu Hause. Jenseits des trivialen Hauptanliegens beinhaltet Faidherbes Werk republikanische Überzeugungen. Die Vermischung der Rassen, die eigentlich durch "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" miteinander verbunden sind, wird als probates Mittel angesehen wird, sowohl die Rasse der Eroberer als auch die der Eroberten zu verbessern.

Die Stigmatisierung durch eine dunkle Hautfarbe hatte in Frankreich nie die Heftigkeit wie etwa in den Südstaaten der USA oder in Deutschland seitens der Nationalsozialisten. Dennoch waren Metiss auch in Frankreich den Weißen nicht gleichgestellt. Sie erlitten oft eine doppelte Ablehnung, einmal seitens ihres "eingeborenen" Ursprungs, dann aber auch wegen ihrer "irregulären" Geburt. Daraus konnte sich eine spezifische Form der Identität oder doch eine starke Auseinandersetzung mit Fragen der kulturellen Identität entwickeln. Dieselbe Reaktion auf eine "doppelte" Identität bewegte (europäisch) gebildete Schwarze aus der Karibik oder Afrika, die noch während der Kolonialzeit in Paris studierten. Sie waren z.B. Kinder von Afrikanern aus den "Quatre Communes", stammten nicht notwendig aus gemischten Verbindungen. "Metissage" bedeutete für sie auch ein innerer Konflikt: die durch eine koloniale Vergangenheit belastete Beziehung zu Frankreich einerseits und andererseits eine positive Einstellung zu den durch die europäische Bildung eröffneten neuen Möglichkeiten.

Der Begriff "Metissage" ist daher mehrdimensional. Das Wort handelt zum einen von einem biologischen Tatbestand, nämlich der genetischen Vermischung verschiedener "Rassen", hatte aber schon bald andere Konnotationen, Fragen der kulturellen Identität, auch der Zugehörigkeit betreffend.

Der sog. "tumulte noir" bzw. die "vogue nègre" der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Paris (und andeutungsweise auch in anderen europäischen Großstädten wie Berlin) wird, wie oben schon erwähnt, zwiespältig beurteilt, weil darin alle Stereotypen des "Anderen" (Otherness) vorkommen, die der "Norden", d.h. die westliche Welt, gegenüber dem "Süden", d.h. den "atavistischen" Gesellschaften Afrikas - wobei dazu in diesem Zusammenhang auch die afro-amerikanische Kultur und das koloniale Afrika gerechnet werden -, aufbieten kann. Bilder und Begriffe von Afrika als Entsprechung für das Irrationale und Übersinnliche, Afrika als Ort, wo die "wilden" guten und bösen Phantasien auszuleben wären, bilden einen roten Faden zur Interpretation des "tumulte noir", wurde schon eingangs gesagt.

Entsprechend der Aufteilung der Fachbereiche innerhalb der Universität konzentrierten sich KunsthistorikerInnen bei der Beschreibung des Phänomens, dass die "primitive Kunst" die klassische Moderne und dadurch die Kunst des gesamten 20. Jahrhunderts stark beeinflusst hat, auf die afrikanischen Masken und Figuren, d.h. auf einzelne Objekte, die der eine oder andere berühmte Künstler besaß und durch die er möglicherweise direkt beeinflusst worden sein könnte. Aber genau genommen geht es darum überhaupt nicht.

Der Begriff "l`art négre" wurde im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts sehr weitläufig gebraucht. Er bezog sich sowohl auf die "schwarze" Musik aus Amerika, wie er auch die Skulpturen von Schwarzafrika evozierte. Musik und Tanz, die von Rasse-Theoretikern und in exotischen Reiseberichten stets als die "primitive" Kunst par Exzellenz beschrieben worden sind, wurden auch in Paris für die Veranschaulichung des "Genius" schwarzer Kreativität schlechthin gehalten.(31) Insofern gehört zum "Primitivismus" die enge Verbindung des Modernismus bzw. der klassischen Moderne mit dem Entertainment des "Jazz-Age". Erst neuere Arbeiten haben diesen Gesamtkontext berücksichtigt, der bei der Rezeption des "Primitivismus" in der Kunst des 20. Jahrhunderts bisher meist ausgeblendet war.(32) Pablo Picasso zum Beispiel, dessen (vielleicht fiktionales) Schlüsselerlebnis mit der afrikanischen Kunst im Trocadéro von Kunsthistorikern gerne als Katalysator für die Vermischung von europäischen mit afrikanischen Formprinzipien gesehen wird, lebte in Paris in einer Umgebung, wo ihm die "Negermode", die am Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris ausgebrochen war, auf keinen Fall entgangen sein konnte. Dasselbe kann über Matisse und andere Persönlichkeiten aus diesem Umkreis gesagt werden, alle mieden sie die "legitimen" Theater und "seriösen" Musikkonzerte. Die Künstler und ihre Schriftsteller Freunde waren stattdessen Anhänger von Zirkusveranstaltungen, Musikhallen oder Varietés, eben genau jener Art von Entertainment, im Zuge dessen auch afroamerikanische Varieté Künstler mit ihren Tänzen und ihrer Musik dem Pariser Publikum bekannt wurden.(33) Das Entertainment der "cakewalk" Ära und die Afrika Assoziationen, die es beim französischen Publikum hervorrief, sind nicht zu unterschätzen. Um die komplexen Ideen zu verstehen, die den Primitivismus in der modernen Kunst konstituiert haben, sollten sie beachtet werden.

Der "cakewalk" hat ziemlich genau datierbar zwischen 1902 - 3 Einzug gehalten in Paris, als der "Nouveau Cirque" "den Kuchentanz" vom Stapel ließ. Um dieselbe Zeit haben Personen aus dem Umkreis von Matisse und Picasso begonnen afrikanische Kunst zu sammeln, z.B. die ovale Fang Maske, die André Derain von Maurice de Vlaminck erwarb, die auch auf einem Atelierphoto zu sehen ist.(34) - Das Stolzieren und Posieren des "cakewalk" waren ursprünglich eine Satire afroamerikanischen Ursprungs auf das gespreizte Benehmen der Sklavenhalter in den Südstaaten. Ironischerweise war es auch der erste afroamerikanische Tanz, der von Weißen übernommen wurde. - Seit 1907 wurde der Einfluss der "art nègre" in den Arbeiten der Künstler manifest, die heute zur Klassischen Moderne zählen. Besonders offensichtlich ist das in "les Demoiselles d`Avignion", dem Gemälde in dem Picasso erstmals Gesichter durch stark stilisierte Formen ersetzt hat, die sich auf bestimmte afrikanische Masken zurückführen lassen und dessen Entstehung mit seinem schon mehrmals erwähnten "Schlüsselerlebnis" in Verbindung gebracht wird. Die Aneignung von Aspekten aus dem formalen Vokabular der "Stammeskunst" durch Künstler der klassischen Moderne ereignete sich um dieselbe Zeit wie Komponisten offen waren für Inspirationen durch afro-amerikanische Musik. Claude Debussys "Gollywog`s cakewalk" entstand z.B. um 1906-8.(35)

Gleichzeitig war das Volk in Ragtime und "cakewalk" vernarrt. Die Pariser Künstler - oder diejenigen der "Brücke Gruppe" in Dresden - waren nicht allein bei der "Entdeckung" dessen, was kurz davor noch als Kunst der "Wilden" verschmäht worden war. Das populäre wie auch das avantgardistische Interesse am "Primitiven" geben eine Ahnung von der untergründigen Unzufriedenheit mit dem, was im weitesten Sinn als die "zivilisierte" Welt der westlichen Kultur galt.

Der "Ragtime" wurde 1900 mit einem Tusch von John Philip Sousa auf der "Weltausstellung" in Paris eingeführt. Der "cakewalk", der nach dem Preis benannt ist, der in einem Tanzwettbewerb damit gewonnen werden konnte, folgte dann 1902. Der vereinfachte Ragtime Stil des "two-steps" wurde zu synkopierten Märschen mit durchgebogenem Rücken und nach vorn gestreckten Hüften getanzt, die Arme halten die Balance, und in Paris erstmals von der afroamerikanischen Gruppe "Les petits Walkers" in einer Produktion mit dem Titel "Les joyeux Nègres" im "Nouveau Circque" aufgeführt. Die Popularität der "cakewalk"- und Ragtime Melodien hielt bis über die mittleren Jahre der Dekade an. Der Nouveau Cirque glänzte über vier Spielzeiten mit "cakewalk" Nummern. Dem folgten die führenden Musiktempel, das Alcazar, Ambassadeurs, Eldorado und Folies-Bergères, Folies-Marigny, Moulin Rouge oder Scala.(36) Ihren großen Auftritt hatten bei diesen Veranstaltungen auch einige Afroamerikaner wie Mattie Phillips und L.F. Vierro (Folies-Marigny 1903) sowie eigentlich jeder der französischen Stars aus diesem Genre(37) Um den Modefimmel zu befördern, wurden Tanzwettbewerbe veranstaltet, wo es keinen Kuchen, sondern Champagner oder ein Auto zu gewinnen gab. Pioniere unter den Filmemachern verwendeten das Thema in ihren Drehbüchern. Hier schlichen sich dann bald die rassistischen Stereotypen ein, "pétits nègres" oder "scheußlicheTeufel" werden dort inszeniert. Anleitungen zum "cakewalk", die in Musikjournalen erschienen, sollten es den Parisern ermöglichen beim Tanzen in den eigenen vier Wänden zu bleiben, um nicht in der Öffentlichkeit "unanständig" und "lächerlich" zu wirken(38). Das heißt, eigentlich distanzierte sich das Publikum von dieser Art des Vergnügens, bei allem Enthusiasmus. Die Haltungen waren ziemlich ambivalent: die populäre Begeisterung für Ragtime und "cakewalk" haben nicht zu einer Aufgabe alter Vorstellungsklischees geführt. Im Gegenteil waren es die von den Europäern so wahrgenommene haarsträubende Primitivität der afroamerikanischen Musik und des Tanzes, die sozusagen ihren Sex Appeal konstituierten. Der "cakewalk" Fimmel schien vom Standpunkt der guten Sitten und der gängigen ästhetischen Standards aus betrachtet wie die Kapitulation der "Zivilisation" vor der "Barbarei" - und genau deshalb haben die Pariser ihn so enthusiastisch zelebriert. Im europäischen Bewusstsein evozierten Ragtime und "cakewalk" im besten Fall warme Plantagen irgendwo in den alten Südstaaten, in Louisiana vielleicht. Auf Cartoons wurden "Eingeborene" - diesmal in Afrika - dargestellt, die in Grasröcken und von Tam-Tam begleitet den "cakewalk" tanzten.(39)

Vielfältig Gelegenheit ihre Phantasien über "den Süden" haptisch zu unterfüttern hatten die Pariser angesichts nachgestellter "Szenen aus dem Leben der Afrikaner" in Freizeitparks und auf dem Messegelände in den Jahren um 1900. Angeblich echt afrikanisches Leben wurde ebenfalls in Zoologischen Gärten, formellen Ausstellungen oder bei Zirkusveranstaltungen gezeigt. Obwohl das Anliegen des Zoos wissenschaftlicher Natur war und das der Ausstellungen darin bestand, sich für die Kolonialpolitik einzusetzen, waren die didaktischen Veranstaltungen als Freizeitvergnügen gedacht. Auch der "Jardin d`Acclimatation" stellte in Paris regelmäßig Afrikaner aus. Zoobesucher konnten zwischen 1877 bis 1903 "ethnographische Ausstellungen" mit nachgestellten Alltagsszenen aus dem Leben der Nubier, Ashanti und vieler anderer Völker sehen. Unter der Fuchtel philanthropischer Manager fanden einige Truppen aus Afrika ihren Weg direkt in die Unterhaltungsbranche. Kriegstänze der Zulu jagten nicht nur dem Pariser, sondern auch dem Berliner und dem Wiener Publikum Schauer über den Rücken. Bei sich zu Hause leisteten die Zulus der kolonialen Vereinnahmung Widerstand seit Großbritannien ein starkes imperiales Interesse an den 1860 entdeckten Gold- und Diamantenminen auf ihrem Territorium entwickelt hatte. In Paris wurden die Repräsentanten der tapferen Zulus im renommierten Theater der "Folies-Bergères" empfangen.(40)

Die französische Regierung ließ anlässlich der Weltausstellungen von 1889 und 1900 in Paris afrikanische Dörfer nachbauen. Um für das nationale koloniale Anliegen zu werben, war der gesamte Trocadero den französischen Kolonien gewidmet, Dahomey und Senegal etwa neben ein paar anderen teilnehmenden Nationen. Um die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit zu erreichen, wurden Vergnügungen von dubioser Authentizität angeboten. Das Pittoreske überwog auf jeden Fall das Didaktische. Es war ein "Basar der Klimazonen, Architekturen, Gerüche, der Farben, der Küchen und der Musik", befand ein zeitgenössischer Kritiker.(41)

Im spanischen Pavillon der 1900er Ausstellung hing auch ein Bild von Picasso.(42) Vermutlich hat Picasso selbst die Kolonialausstellung besucht und sind ihm ganz allgemein die "ethnographischen Ausstellungen" lebendiger Afrikaner in Paris nicht entgangen.(43) Der Bericht über sein "Schlüsselerlebnis" im Trocadero Museum kann auch als Kritik daran und am Kolonialismus gedeutet werden.


Abb.3 Palmer C. Hayden, Titel: Wir drei in Paris, 1930

Zwischenräume, Diaspora

Wie gestaltet sich die Nord / Süd Beziehung für diejenigen, die in einem "Zwischenraum" leben, d.h. kulturell etwas aus dem Süden und dem Norden mitbekommen haben? - Eine intellektuelle schwarze "Elite" wurde im Rahmen der Politik der "Assimilation" in Senegal in den "Quatre Communes" Dakar, Saint Louis, Gorée und Rufisque ausgebildet. Es fällt schwer sich dies angesichts der "Freizeitparks" mit indigener Bevölkerung als Ausstellungsobjekt um dieselbe Zeit in Paris vorzustellen. Aber die französische Zusammenarbeit mit der einheimischen Elite in Westafrika war ein halbherziges Entgegenkommen und erlaubte zu behaupten, man sei wirklich daran interessiert die Kolonien zu "zivilisieren". Die Kritik an der französischen Kolonialpolitik wurde Anfang der 20er Jahre immer lauter, auch nachdem eine "Bewertung" und Bestandsaufnahme der französischen Leistungen in Westafrika in Form von Häfen, Strassen, Bewässerungssystemen usw. des Kolonialministers Albert Sarraut veröffentlicht worden war.(44) Im Herbst des Jahres 1921 erhielt viel sagend Batouala, der erste Roman von René Maran, eines bescheidenen Schriftstellers aus Martinique den hoch angesehenen "Prix Concours". Maran war seit 1909 als Verwalter in der afrikanischen Kolonie Ubangi-Shari (heute Zentralafrikanische Republik) tätig gewesen und berichtet in dem Buch aus seiner beruflichen Erfahrung, was ihn anschließend seine Stellung kostete.(45) In der amerikanischen Zeitschrift "Negro World" wird Batouala rezensiert und als Meilenstein der sich gerade konstituierenden transnationalen Diaspora begriffen. Der Roman bringe eine "universelle" Unzufriedenheit aller Schwarzen mit Selbstachtung über die Zustände in den Kolonien zum Ausdruck.(46) Immerhin schon im Jahr 1918 organisierte William E.B. Dubois, einer der Pioniere afroamerikanischen Denkens den ersten Panafrikanischen Kongress in Paris und wurde dabei von Clémenceau unterstützt. Die amerikanische "lost generation" bestehend aus Figuren wie Gertrude Stein, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway oder Nancy Cunard gehörte ebenso ins Bild der Zeit. Auf der Theaterbühne erlaubt sich Habib Benglia laszive Tänze mit spärlich bekleideten weißen Partnern. Er taucht später in"Dainah, la Métisse", einem Film von Jean Grémillion wieder auf. Paris bewahrt sein frivoles Flair. In den Varietes von Montmartre sieht man auch Schwarze, sei es im Publikum oder auf der Bühne und jeder, der etwas darstellt, strömt dorthin. Auf dem Bal Bullier oder dem Bal Nègre in der Rue Blomet erreicht die Party ihren Höhepunkt. Hier kommen die Nachteulen der besseren Gesellschaft zusammen, vermischen sich, als sei im Pariser Nachtleben tatsächlich die "Egalité" verwirklicht, mit Künstlern und Schriftstellern, die auf der Suche nach Exotik sind und reiben sich die Schulterpolster auch mit Arbeitern aus Übersee oder Studenten.(47) "Afrikanisches" wurde mit dem afroamerikanischen Jazz assoziiert. Dieser wurde bekannt gemacht durch die Mitchell`s Jazz Kings im Casino von Paris von 1919 bis 1923, durch Ada "Bricktop" Smith im Grand Duc oder durch Sydney Bechet`s Ankunft 1920 auf dem Montmartre im Théatre de l`Apollo mit dem Southern Syncopated Orchestra, durch Copeland und McHenry, die ebenso auf dem Montmartre Konzerte gaben, sowie durch Josephine Baker und Bechet 1925 in der legendären "Revue Nègre" des "Théatre des Champs-Elysées".(48)


Abb. 4 Chéri Samba, Quand il n`y avait rien d`autre que … l`Afrique restait une pensée, 1997, coll. A. Magnin,
© BvL; mit freundlicher Genehmigung Musée du Montparnasse, 2006


Abb. 5 Photo mit Widmung von Josephine Baker; Photo E. Bieber, Hamburg (Privatsammlung),
mit freundlicher Genehmigung Le Musée du Montparnasse-Paris, Juni 2006

Josephine Bakers frühe Performances erscheinen wie die Fortsetzung der den Parisern durch koloniale Ausstellungen bekannten Menschenzoos auf künstlerischer Ebene. Das Bühnenbild erinnert an einen Dschungel, durch den sich die Tänzer spärlich bekleidet bewegen. Josephine selbst soll den strassbestickten Bananenrock erfunden haben, der zu ihrem Markenzeichen wurde. Die Shows, in denen sie auftritt, bedienen rassistische Stereotypen humorvoll und dabei sehr erotisch. Das Publikum ist von dieser Selbstprimitivisierung einer "schwarzen Venus" hingerissen. Die Tänzerin und Sängerin ist eine afroamerikanische Metiss und eine ihrer Großmütter war indianischer Abstammung. Erst später wird die Baker zum glamourösen Revuestar und scheint auf der Bühne und im Leben darum bemüht sich dem europäischen "Über-Ich" anzugleichen.

Einige der französischen Ethnologen, die bald an Einfluss gewinnen sollten, hatten eine enge Beziehung zum Jazz. Michel Leiris, der zusammen mit George Bataille durch die Clubs von Montmartre zog, bekannte, dass diese Atmosphäre und der Jazz für ihn eine prägende Erfahrungen im Hinblick auf seine späteren Afrika Studien und auf die Ethnologie gewesen seien.(49) Zwischen 1929 und 30 schrieb er Musik und Buchkritiken für die "Documents". Hier schrieb er zum Beispiel, dass Jazz die einzige "sakrale Musik" dieser Zeit sei, durch die Massen in Trance versetzt würden. In der Rezension eines Buches über Haitianische Voodoo Zeremonien stellte er fest, nichts an diesen Zeremonien könne Europäer mehr erschrecken angesichts der Rituale, die Nacht für Nacht in ihren Großstädten vollzogen würden.(50) Im Jahr 1932 nahm Leiris dann an der Mission Dakar-Djibouti teil. Eine Sondernummer der Kunstzeitschrift Minotaure wird danach dem Volk der Dogon und seiner Kultur sowie den Forschungen der Mission Dakar-Djibouti gewidmet.(51) In der surrealistischen Zeitschrift "Documents" veröffentlichte Michel Leiris 1930, also noch vor dem großen Unternehmen, einen Text(52) mit dem Titel "Das Auge des Ethnographen", in dem er sich mit dem großen öffentlichen Echo der Expedition und seiner eigenen Beziehung zu "Afrika" befasst(53).

Kritik am ganzen kolonialistischen Konzept kam aus einer ungewöhnlichen Verbindung von ehemaligen und noch amtierenden Kolonialverwaltern, zu denen wenig später französische Ethnologen, besonders Schüler von Marcel Mauss und Lucien Levy-Bruhl, stießen. Diese Koalition wurde institutionalisiert durch die Gründung des Ethnologischen Instituts im Jahr 1925. Sie führte in den 30er Jahren zur Umgestaltung des "Musée d`Ethnologie-Trocadéro" in das "Musée de l`Homme"(54). Die Gelehrten und Beamten argumentierten, dass Afrikaner eine eigene Kultur hätten und nicht unbedingt in Franzosen umgeformt werden müssten, dass sie ebenso eine lange Geschichte hätten und eine reichhaltige Kultur. Aber bis zur Unabhängigkeit der Kolonien (Süden) dauerte es bekanntermaßen noch einige Jahrzehnte, die auch in Europa (Norden) enorme politische Veränderungen mit sich brachten. Der Kontinent des "europäischen Unbewussten", der Süden und sein vermeintliches "Über- Ich", der Norden, stehen darüber hinaus noch immer in einer schwierigen Beziehung zueinander.

In Paris, in dessen Großraum an die 12 Millionen Menschen leben, besitzt heute etwa jeder fünfte Einwohner afrikanische, karibische oder afroamerikanische Eltern oder Vorfahren.

Abb. 6 Bili Bidjocka, geb. 1962 in Kamerun - lebt und arbeitet in Paris und New York


Titel: Le principe de la faim, 1997
3 photographies 250 x 100 cm

als Ausschnitt sichtbar: Meschac Gaba, geb. 1961 in Benin - lebt und arbeitet in den Niederlanden und andernorts
Titel: Poulet morgue (Huhn Begräbnis) Installation: Keramik, Kühlschrank, echtes und falsches Geld u.a. M.

Abb. 7

Mounir Fatmi, geb. 1970 in Tanger (Marokko) - lebt und arbeitet in Paris und Tanger

Titel: Obstacles (X), 2003 - 2004 (Hindernisse); Material Holz, Metall
& Week-end Painting, 2004
Acryl auf Leinwand (4 x 2,50 cm)

Abb. 8 Francois Curlet, geb. 1967, Frankreich, lebt und arbeitet in Paris

Titel: Jésus, Maria, Joseph 1998
Klanginstallation

= Djellabas (Nike, Fila, Adidas) 1998 -
Skulptur, synthetischer Stoff und Grafik auf einer Schneiderbüste, mit integriertem Klangband (150 x 50 x 30 cm)
  Abb: 6-8: Photo Serge Rovenne (copyright) Espace 251 Nord - Lille 2004

© Bettina Lintig (Afrikazentrum der Universität Bayreuth)


ANMERKUNGEN

(1) Das Thema behandelt eine Nord / Süd Beziehung und hat auch mit einer Ausstellung zu tun, die gerade vorbereitet wird: Black Paris - Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora. Ausstellungsprojekt IWALEWA Haus, Bayreuth, ab Oktober 2006 - Der vorliegende Text ist nicht identisch mit dem Konzept der Ausstellung.

(2) Auch die Erfindung der Photographie hat dazu geführt, dass nach Alternativen zum Ideal einer naturalistischen Darstellung gesucht wurde.

(3) Genauer bei A. Sonderegger. Eine Intellektualisierung des Ekels ? Funktionen der außereuropäischen Welt in Hegels Geschichtsphilosophie. In: Acta Germanica, Bd. 32 (2004).

(4) Jean Paul (Richter). Selina oder über die Unsterblichkeit. Mikrofiche-Ausgabe. München 1992

(5) Der Begriff "Tumulte Noire" geht zurück auf ein Album mit Lithographien des Künstlers Paul Colin, eines führenden Interpreten des Jazz Entertainment im Paris der 1920er Jahre (erstmals erschienen: Paris. Editions d`Art, Succès, 1929).

(6) Petrine Archer - Straw. Negrophilia. Avantgarde Paris and black culture in the 1920s. Thames & Hudson, London 2000. Jody Blake. Le tumulte noir. Modernist art and popular entertainmanet in Jazz-age Paris, 1900 - 1930. University Park Pa. Pennsylvania State University Press 1999

(7) In der National Portrait Gallery, London gab es 1997 eine Ausstellung über das Thema der Schwarzen in Europa.

(8) Portrait Henry Ossawa Tanner um 1896 (73 x 50, 2 cm) in: Kathleen Adler, E.Hirshler, Américains in Paris 1860-1900, 5 Continents Edition 2006. The Art Institute of Chicago, Ill. & Alain Locke. The Negroe in Art. A Pictoral Record of the Negroe Artist Theme in Art. Afro Am Press, Chicago 1969; S. 136

(9) Alain Locke, The Negroe in Art. A Pictoral Record of the Negro Artist and of the Negroe Theme in Art. Afro-Am Press, Chicago 1969; S. 132

(10) Simon Njami. Foreword, in: Benettta Jules-Rosette. Black Paris. The African Writers`Landscape. University of Illinois Press. Urbana & Chicago 1998, S. X

(11) Brent Hayes Edwards. The Practice of Diaspora. Literature, Translation and the Rise of Black Internationalism. Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2003, S. 69 f

(12) Stierle, Karlheinz. Der Mythos von Paris - Zeichen und Bewusstsein der Stadt. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1998, S. 717

(13) Nelly Schmidt. Histoire du Métissage. Editions de la Martinière. Paris 2003, S.183 f

(14) Eberhard Leube. Nachwort zu Charles Baudelaire. Die Blumen des Bösen / Les Fleurs du Mal. Kleine Gedichte in Prosa / Le Spleen de Paris. Winkler Verlag München, S. 657, 659

(15) Für diesen Hinweis danke ich Prof. Peter Horn, University of Witwatersrand.

(16) Jody Blake. Le Tumulte Noir: Modernist Art and Popular Entertainment in Jazz - Age Paris, 1900 - 1930. Dissertation University of Delaware 1992, S. 477

(17) "Dass Gaugin als der Vater des modernen Primitivismus anzusehen ist, steht außer Frage. Er war der erste Europäer, der in den "primitiven Künsten", wie er es nannte, Quellen der Inspiration - ´nährende Milch´ - entdeckte, welche seine Kunst vom vorherrschenden Einfluss der griechisch-römische Tradition und der Renaissance befreite, der die Malerei und die Plastik von Phidias im Griechenland des 5. Jahrhunderts bis Degas, Renoir und Rodin im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in Paris bestimmt hatte." Alan G. Wilkinson. Von Gaugin bis Moore. Transformationen des Primitiven in der modernen Skulptur"; in: Kunstwelten im Dialog- Von Gaugin zur Globalen Gegenwart. Marc Scheps (hrsg.), Museum Ludwig Köln 1999, S. 36

(18) Gates, Henry Louis Jr. 1995: Europe, African Art and the Uncanny (Zitat: eigene Übersetzung aus dem Englischen). In "Africa. The Art of a Continent". Tom Philips (ed.). Royal Academy od Arts, London. München, New York. S. 27

(19) Siehe zum deutschen "Primitivismus" z.B. auch Carl Einsteins: Pape, Marion 1993. "Auf der Suche nach der dreidimensionalen Dichtung. Carl Einsteins`Afrikanische Legenden´. Wahlverwandtschaften - Elective Affinities. In Memoriam Edith Ihekweazu. Hrsg.v. Wilfried F. Feuser, Marion Pape und Elias O. Dunu. Bayreuth. Boomerang: 125 - 144 (für diesen Hinweis danke ich Prof. Peter Horn)

(20) Ernst H. Gombrich. Der Wert des Primitiven in der Kunst. In: Kunstwelten im Dialog. Von Gaugin bis zur Globalen Gegenwart. Marc Scheps (Hrsg.); Museum Ludwig Köln 1999, S. 28

(21) Alle Picasso Zitate über die Begegnung mit afrikanischen Objekten im Trocadero Museum in: "Les Demoiselles d`Avignon", William Rubin (hrsg.). Studies in Modern Art. 3. Moma, New York 1994

(22) Pablo Picasso; zit. nach Francoise Gilot. In William Rubin (hrsg.) wie oben

(23) "...But all the fetishes were used for he same thing. They were weapons. To help people avoid coming under the influence of spirits again, to help them to become independent. Spirits, the unconscious (people still weren`t talking about that very much), emotion - they`re all the same thing. I understood why I was a painter. All alone in that awful museum, with the masks, dolls made by redskins, dusty manikins. Les Demoiselles d`Avignon must have come to me that very day, but not at all because of the forms; because it was my first exorcism painting - yes absolutely." Pablo Picasso wie Anm. 18

(24) Alain Locke. The Legacy of the Ancetral Arts (1925); zit. nach Henry Louis Gates, Jr; wie Anm. 16

(25) Brent Hayes Edwards 2003, wie Anm. 10, S. 70

(26) Die Mehrheit der Bevölkerung von Französisch Westafrika bestand aber aus rechtlosen Untertanen (indigènes), die nach strengeren und anderen Gesetzen behandelt wurden, für sie galt das berüchtigte "indigénat". Brent Hayes Edwards 2003; wie Anm. 10, S. 73

(27) Jean Loup Amselle. Vers un Multiculturalisme Francais. L`Empire de la Coutume. Flammarion, Paris 2001, S. 127

(28) Anm. oben S. 117

(29) Anm. oben S. 133 - 135

(30) Vgl. Nelly Schmidt, Histoire du Métissage, Editions de la Martinière, Paris 2003, S. 129-131

(31) Jody Blake 1992, wie Anm. 14, S. XIV

(32) Primitivism in 20th Century Art. William Rubin (hrsg.). Museum of Modern Art, New York 1984

(33) Jody Blake 1992, wie Anm. 31, S. 52

(34) Jody Blake 1999. Le Tumulte noir. Modernist Art and Popular Entertainment in Jazz-Age Paris, 1900 - 1930. The Pennsylvania State University Press. University Park, Pennsylvania, S. 13

(35) Jody Blake 1992, wie Anm. 14, S. 51

(36) Jody Blake 1992, wie Anm. 14, S.35

(37) "Chevalier, Fragson, Mistinguett und Otero"wie Anm. oben S. 36

(38) Wie Anm. oben S. 37

(39) Wie Anm. oben S. 38

(40) NégriPub. L`image des noirs dans la publicité. Raymond Bachollet et al. (hrsg.), Editions Somogy, Paris 1992, S. 42-43

(41) Maurice Talmeyr. "L`Ecole du Trocadéro"; in revue des deux mondes 162 (Nov. 1900), S. 198

(42) Pierre Cabanne. Picasso: His life and Times, übers. Harold J. Salemson. William Morrow and Company, New York 1977, S. 51-52

(43) Von Juan Gris, Alfred Jarry, Kees van Dongen, Frantisek Kupka und anderen aus Picassos Umfeld ist ihre anti-koloniale Einstellung bekannt. Vgl. Patricia Leighten. The white Peril and l`art nègre; Picasso, Primitivism, and Anticolonialism; in: Art Bulletin 67 (Dez. 1990), S. 609 - 30

(44) Albert Sarraut. La Mise en valeurs des colonies francaises. Payot, Paris 1923

(45) Brent Hayes Edwards 2003, wie Anm. 10, S. 69

(46) Robert Machray. The Negro Problem of France; in: Negro World, May 5, 1923 & William H. Ferris. The Significance of René Maran; in: Negro World, Sept. 23, 1922

(47) Simon Njami. Paris. Les illusions perdues. The lost illusions; in Revue Noire 20, März/April/Mai 1996, S. 4 - 9

(48) Brent Hayes Edwards 2003; wie Anm. 10, S. 79

(49) Michel Leiris. L`Age d`homme. Gallimard, Paris 1939, S. 162

(50) Michel Leiris. Disques nouveaux. Documents 2, no. 1 (1930), S. 48; ders. L´Ille magique. Do cuments 6 (November 1929), S. 334

(51) Minotaure Nr.2, 1. Juni 1933

(52) Michel Leiris. "L`Oeuil de l`ethnographe (A propos de la Mission Dakar-Djibouti), Paris, 17. November 1930 in: Documents 7, 1930

(53) Schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wurde in Paris der Ring für schwarze Boxer eröffnet. Da sie in den USA nicht gegen Weiße kämpfen durften, kamen sie in Scharen nach Paris. Im Luna Park, Bal Tabarin oder Bal Bullier zogen sie das sportliche und das intellektuelle Pariser Publikum an. Picabia, Cendrars, Colette und andere Berühmtheiten fühlten sich von Jack Johnson angezogen, der mit dem hohen Preisgeld eines wichtigen Kampfes die Mission Dakar - Djibouti finanziell unterstützte. Sein Beitrag war wesentlich höher als der des Ethnologischen Instituts. Er erklärte öffentlich, dass er die Erforschung Afrikas unterstützen wolle. Nach seinen Siegen gegen die Champions der weißen Welt (Burns 1908, Jefferies 1910, Moran 1914) war er der erste Schwarze Welt-Champion im Schwergewicht. Siehe: Negripub 1992 wie Anm. 40, S. 42

(54) Michel Leiris. "Du Musée d`Ethnographie aus Musée de l`Homme"; in La Nouvelle Revue Francaise 299 (August 1938), S. 344 - 345. Paul Rivet, "Organisation d`un musée d`ethnologie"; in Museum 1, no. 1 - 2 (July 1948), S. 68 - 69. Georges Henri Rivière. "My Experience at the Musée d`Ethnologie"; in Proceedings of the Royal Anthropological Institute od Great Britain and Ireland for 1968 ( Royal Anthropological Institut), London 1969, S. 17 - 21


8.1. Traditionen, Aufklärung, Modernisierung

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For quotation purposes:
Bettina Lintig (Afrikazentrum der Universität Bayreuth): "Black Paris" - über Kunst aus Afrika und afrikanische Kunst in der Diaspora. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/08_1/lintig16.htm

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