Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Juni 2006
 

8.5. ... und Friede auf Erden. Konzepte gewaltfreier Konfliktaustragung in Theorie und Praxis
Herausgeber | Editor | Éditeur: Reinhold Schrappeneder (Wien)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Bericht: "... und Friede auf Erden"

Reinhold Schrappeneder (Wien)
[BIO]

 

Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Konflikte. Spontane Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Individuen, vor allem aber das geplante und systematische Ringen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Klassen, zwischen Völkern, Staaten und Nationen prägen das Bild. Über weite Strecken wurden und werden diese Auseinandersetzungen gewaltsam, und das heißt unter den Bedingungen technisierter Zivilisationen: bewaffnet ausgetragen. Von mehr oder weniger konkreten Visionen geleitet, manchmal aber auch detailliert ausformulierten Utopien folgend, haben immer wieder einzelne oder Gruppen von Menschen es unternommen, gegen diesen verhängnisvollen Aspekt der conditio humana in Wort und Tat anzugehen. - Was sind die Gründe dafür, daß diese Konzepte, von den kühnen Entwürfen der großen Utopisten bis herauf zu den Bemühungen heutiger Friedensinitiativen und -bewegungen, meist schon in den Ansätzen gescheitert sind? Gibt es innovative Konzepte gewaltfreier Konfliktaustragung? Sind sie erfolgversprechend? Gibt es Beispiele für ihre Umsetzung in die Praxis?

Mit diesen und ähnlichen Fragestellungen befaßte sich die gut besuchte Sektion, an der neben den Referenten unter anderem die am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Wien lehrende Pädagogin Gerlinde Körper mit einer ganzen Gruppe von Studenten teilnahm.

Zur Einstimmung las der Sektionsleiter das Gedicht vor, mit dem er sich an einer wenige Monate davor in Seoul erschienenen internationalen Lyrikanthologie zum Thema "Weltfrieden" beteiligt hatte:

Stell dir vor es wäre Frieden

"Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin."
(Spruch aus der europäischen Friedensbewegungder 1980er Jahre)

Stell dir vor es wäre Frieden
und wir gingen alle hin ...
"Frieden - ja, den woll’n wir alle.
Krieg? Das hat doch keinen Sinn!"

Bunte Regenbogenfahnen
schmückten Straße, Feld und Haus.
Von den Feldern, aus den Häusern
zögen wir zum Fest hinaus.

Und es blühten tausend Blumen
auf der Friedenswiese dort.
Und dort kämen wir zusammen,
und wir gingen nicht mehr fort.

Stell dir vor es wäre Frieden
und wir gingen alle hin ...
Auf, ihr Völker dieser Erde:
Einigt euch in diesem Sinn!

Nach dieser kurzen Exkursion in die lyrischen Höhen idealistisch-appellativer Friedensidyllenbeschwörung wandte man sich dann unverzüglich den Mühen der wissenschaftlich-faktischen Ebene zu. Zuzana Bohušová berichtete von dem länderübergreifenden Sokrates/Grundvig 2-Projekt, einem europäischen Studienzirkel für Frieden und globales Lernen, an dem sich Vertreter aus Österreich, Schweden, der Slowakei und Ungarn beteiligen. Sie legte die Leitideen und Ziele dar, erläuterte Methodik, Prinzipien und Kommunikationsstruktur der aus dem skandinavischen Raum stammenden Lernform "Studienzirkel", stellte ihre Definition des Begriffs "Frieden" vor und, als eines der vorgesehenen Endprodukte des Zirkels, eine Art Friedenshandbuch in Aussicht. Auf institutioneller Ebene solle angeregt werden, Frieden und globales Lernen als eigenes Unterrichtsfach (oder, wenn dies nicht möglich sei, wenigstens als allgemeines Unterrichtsprinzip) in die Schulsysteme der EU-Länder zu integrieren. In der darauffolgenden lebhaften Debatte wurde unter anderem erörtert, wie sich die Ergebnisse eines solchen Zirkels in einer größeren Öffentlichkeit verbreiten lassen. Die an der Universität Toulouse tätige deutsche Politikwissenschaftlerin Johanna Quatmann etwa schlug vor, man solle zwecks internationaler Vernetzung mit anderen Friedensinitiativen in Verbindung treten, etwa der in Costa Rica ansässigen, mit der UNO affiliierten "University of Peace".

Der Politikwissenschaftler Miguel Gamboa beschäftigte sich in seinem Referat mit dem Zusammenwirken von politischer Kultur bzw. kollektivem Gedächtnis als einem ihrer Bestandteile, Globalisierung und Friedensvorstellungen. Am Beispiel seines Heimatlandes Kolumbien erläuterte er das komplizierte Konfliktverhältnis bzw. Konflikt-Kooperation-Mischverhältnis zwischen Staat, Guerilla und Paramilitär bzw. paramilitärisch organisierten Banden und die daraus resultierenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Entwicklung von Friedens- und Demokratisierungsprozessen in den lateinamerikanischen Ländern. Als einen positiven Aspekt der Globalisierung arbeitete er den Trend zur Internationalisierung von internen Konflikten heraus. Die Legitimation eines Krieges ebenso wie die der Inhalte eines Friedensabkommens werde dadurch an höhere Standards gekoppelt. Außerdem müßten die Konfliktparteien hinsichtlich ziviler Opfer, Menschenrechtsverletzungen etc. heute vorsichtiger als früher sein, da sie zunehmend unter permanenter Beobachtung von seiten der internationalen Zivilgesellschaft stünden.

Die an der Uni Klagenfurt tätige Bosnierin Nada Jabandzic schließlich untersucht in ihrem Referat anhand des Krieges in ihrer Heimat und seiner Auswirkungen auf die Psyche davon betroffener Individuen die komplexen Prozesse der Identitätsfindung, der Anpassung an das Exil und der ambivalenten Bewältigung traumatischer Vergangenheit. Dabei verwendet sie Methoden der Ethnopsychoanalyse und Transaktionsanalyse ebenso wie die zahlreichen Fallstudien, die sie im Rahmen der Feldforschung für ihre Arbeit an dem 2005 im Wieser Verlag erschienenen Buch "Wenn der Krieg patriotisch ist, ist der Friede matriotisch?" durchgeführt hat.

© Reinhold Schrappeneder (Wien)


8.5. ... und Friede auf Erden. Konzepte gewaltfreier Konfliktaustragung in Theorie und Praxis

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS       Inhalt | Table of Contents | Contenu  16 Nr.


For quotation purposes:
Reinhold Schrappeneder (Wien): Bericht: "... und Friede auf Erden". In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/08_5/bericht_schrappeneder16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 14.6.2006     INST