Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Mai 2006
 

8.5. ... und Friede auf Erden. Konzepte gewaltfreier Konfliktaustragung in Theorie und Praxis
Herausgeber | Editor | Éditeur: Reinhold Schrappeneder (Wien)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Wenn der Krieg patriotisch ist, ist der Frieden matriotisch?

Nada Jabandzic (Klagenfurt)

 

In meinem gleichnamigen Buch habe ich unter Anwendung der Methode der Transaktionsanalyse und der Ethnopsychoanalyse versucht, unter Einbeziehung von Elementen der bosnischen Kultur zu untersuchen, wie sich die Bosnier und andere Bewohner Exjugoslawiens zurechtfinden, wenn sie sich in eine ihnen fremden Kultur integrieren wollen oder müssen. Ich befasse mich darin aber auch mit Menschen, die während des Krieges und nach dem Krieg in Bosnien geblieben sind und damit, wie sie sich an die neuen politischen Umstände angepaßt haben.

Ich habe mich sowohl mit meiner bosnischen Stammkultur, die mir inzwischen als eine beinahe fremde Kultur erscheint, als auch mit der österreichischen Kultur befaßt, in die ich jetzt integriert bin, die für mich aber nach wie vor fremde Anteile hat.

Anpassung und Identität sind wichtige Untersuchungsgegenstände meiner Arbeit, wobei ich mich besonders mit den Begriffen Fehlanpassung (Devereux 1992), Identitätsdiffusion (Eriksson 1995), Fremdsein, Xenonphobie und Ambivalenz (Baumann 1966) auseinandersetze.

 

Krieg ist patriotisch, Frieden matriotisch

In diesem Kapitel beschäftige ich mich einerseits mit der Sinnlosigkeit des Krieges, andererseits damit, wie die Dummheit die Manipulationen der Mächtigen unterstützt.

Mit der Energie, die im Balkankrieg für Feindseligkeiten verbraucht worden ist, hätte man Krankenhäuser, Autobahnen und wer weiß was noch für Projekte schaffen oder auch Mais und Weizen anbauen können, um den Welthunger zu mildern. Statt dessen wurde das zweifellos vorhandene aggressive Potential der exjugoslawischen Bevölkerung von machtgierigen und wenig erfahrenen Lokalpolitikern bewußt gesteuert und ins explizit Destruktive gewendet, während die Weltmächte es zugelassen haben, daß ein gegenseitiges einander Abschlachten stattfand, wie es etwa in Srebrenica war, um für diverse Manipulationen im Rahmen der Weltpolitik Platz zu schaffen.

Dies alles war nur möglich, weil auf dem Balkan mehrere ethnische und religiöse Gruppen zusammenleben. Man hat ihnen Köder aus der Vergangenheit vorgeworfen, wie etwa: Wer ist schuld daran, daß ihre Urahnen von der einen oder anderen Seite während der Zeit des Osmanischen Reiches oder im Zweiten Weltkrieg umgebracht worden sind?

Solange Tito regierte, wurde das alles unter den Teppich gekehrt. Man wich den Konflikten aus, nach dem Motto: Freiheit, Brüderlichkeit und Einheit geht über alles. Und obwohl Freiheit und Demokratie in Exjugoslawien eingeschränkt waren, macht sich heute, nach einer Dekade von Krieg, Armut, Elend, Flucht und Zerstreuung über die ganze Welt, nach Heimatverlust, Integrationsproblemen und politischen Lügen und uneingelösten Versprechungen eine gewisse Nostalgie hinsichtlich dieses ehemaligen Staatsgebildes breit.

Die Kriegstreiber auf dem Balkan, also diejenigen, die polemische Lösungen von Konflikten propagierten, manipulierten die Masse, nützten deren Unsicherheit im Hinblick auf Phänomene wie Freiheit, Religion, Identität und Abgrenzung, wichtige psychologische Bedürfnisse allesamt, schamlos für ihre Zwecke aus. Wir haben in früher Kindheit gelernt, den Forderungen jener Menschen nachzugeben, von deren Liebe wir abhängig sind. Ohne darüber nachdenken zu können, haben wir gelernt, Freisein mit Ungehorsamsein gleichzusetzen. Aufgrund dieser Erfahrung verbinden wir mit der Empfindung von Freiheit gleichzeitig auch Angst und Furcht. So haben also viele Exjugoslawen nach der Entlassung aus dem Kommunismus die Freiheit als eine Bedrohung empfunden und diese Belastung umgehend gegen Nationalismus und Faschismus eingetauscht.

Heute vermissen sie nostalgisch Titos Zeit, kritisieren die neuen Regierungen und machen ihnen Vorwürfe: "Man hat uns versprochen, daß wir mit goldenen Löffeln essen werden, wenn wir diesen oder jenen Politiker wählen und unsere Söhne in den Krieg schicken. Und jetzt haben wir nicht einmal genug Brot und kein Dach über dem Kopf."

 

Der Nationalismus und seine Dogmen

Neben dem Gruppennarzißmus hat im Krieg in Exjugoslawien der Nationalismus eine entscheidende Rolle für jede Ethnie gespielt. Er hat dazu beigetragen, daß die einzelnen ehemaligen Bundesländer, die nach dem Krieg zu neuen Staaten geworden sind, höchst unterschiedliche Erfolge hinsichtlich des Erreichens ihrer Ziele verbuchen konnten. Sloweniens Teilnahme am Krieg dauerte am kürzesten. Inzwischen ist es Mitglied der Europäischen Union, Kroatien bereitet sich darauf vor; Bosnien hingegen ist im Begriff zu verarmen. Kroatien und Bosnien haben aufgrund der "unbewältigten Vergangenheit" gegen die "serbische Eroberung" gekämpft. Das Ergebnis des Krieges ist jedenfalls, daß es keinen Gewinner gibt. Man spricht und schreibt über Neutralität und über uralte Grenzen, die Generationen von Kroaten und Moslems schon vor Urzeiten begründet haben. Dennoch wird behauptet, daß die im Krieg Gefallenen diesen ach so großen Erfolg wert gewesen seien. Neue Dogmen wurden aufgestellt, aufgrund derer die jetzt Regierenden ungehindert schalten und walten können. So etwa präsentieren sie ihren Völkern die freie Religionsausübung als etwas angeblich Neues. Das Dogma ist der Feind der Wahrheit, der Feind des Menschen und der Menschlichkeit. Das Dogma im neuen Bosnien sagt: "Denke nicht! Sei weniger als ein Mensch! Hungere und opfere dich für deine Regierung!"

 

Die ethnopsychoanalytische und transaktionsanalytische Sicht

Die historischen Hintergründe stellen oft eine der möglichen Erklärungen gegebener Konflikte und gesellschaftlicher Krisen dar. Im Falle Jugoslawiens stehen drei große Volksgruppen im Mittelpunkt des Konflikts: Serben, Kroaten und Moslems. Immer wieder wurden bestimmte historische Hintergründe des Balkangebiets aktualisiert. Die Theorie des Epikskripts (Englisch 1969) besagt, daß eine Generation der jeweils darauf folgenden ein Skript übermittelt, dem diese Generation dann zu folgen hat. Beispiel für die Inhalte solcher Skripts sind Mißerfolge, Selbstmorde, Morde, Blutrache. Ein Epikskript entsteht immer dann, wenn jemand in der familiären Vergangenheit einen traumatischen oder tragischen Vorfall erlebt und im kindlichen Teil der Persönlichkeit nicht verarbeitet hat. Ein Epikskript kann auch, wie im Fall der ethnischen Konflikte auf dem Balkan, ein Kulturskript sein, das über Generationen weitergegeben wird. Die Wurzel des Vorurteils ist der psychologische Preis der Loyalität zur eigenen Gruppe und kann in der Antipathie gegen eine andere Gruppe bestehen. Und dieses Phänomen ist in ethnischen Konflikten zu beobachten.

Wie überall gibt es auch in Bosnien eine Definition von Freundschaft, Feindschaft und Fremdheit. Zwischen Feinden und Freunden ist alles klar, weil sie gegeneinander stehen, ohne Feinde gibt es keine Freunde. Der Fremde weckt Angst, Neugier und Phantasien. Ihn kann man nicht übersehen, er weckt die Angst vor dem Unbestimmten, die Neugier nach dem Unbekannten, Phantasien über die Ferne, über eine andere, bunte Welt. Er weckt auch den eingeschlafenen Verstand, der zu überlegen beginnt und die eingeschlafene Menschlichkeit wecken kann. Aber es kann auch umgekehrt sein: Die Angst vor dem Unbekannten und Unbestimmten weckt nicht den Verstand auf, sondern die gezähmten Monster im Menschen. Man will den Fremden loswerden und bedroht ihn, weil er uneingeladen gekommen ist. Der Fremde ist jemand, der sich den Luxus leisten kann, zu kommen und zu gehen, wann er will.

Der Fremde ist unklassifizierbar. Der Fremde ist weder Freund noch Feind. Er kann beides sein.

 

Die Unterdrückung der Frau

Frauen aus Exjugoslawien, die in Österreich leben, sind oft überfordert und leiden an Depressionen, Panikattacken und psychosomatischen Beschwerden. Sie arbeiten, kümmern sich um die Kinder und den Haushalt, müssen Amtswege erledigen und oft zusätzlich die Verwandten in der Heimat finanziell unterstützen. Meist bestimmen die Männer darüber, was mit dem Geld geschieht, obwohl sie selber oft nicht arbeiten. Manche Männer haben sogar Probleme zu akzeptieren, daß ihre Frauen den Führerschein machen, weil sie Angst haben, daß sie dann nicht mehr gebraucht werden. Mehrere Frauen haben sich beschwert, daß sie ihre sämtlichen Ersparnisse in die Häuser ihrer Männer in der Heimat investiert haben, obwohl sie nur ein- oder zweimal im Jahr die Gelegenheit haben, dorthin zu fahren und den "Urlaub" zu verbringen, was meistens bedeutet, am Haus weiterzuarbeiten, in dem die Schwiegereltern leben. Sie selber können sich dort nicht zu Hause fühlen, weil im Haus die Schwiegermutter regiert. So fühlen viele Frauen sich unzufrieden, unglücklich, müde und ausgebeutet, nicht zuletzt deshalb, weil sie in Österreich in Substandardwohnungen leben, um das Geld für das Heimathaus sparen zu können. Manche lassen sich scheiden, weil sie es einfach nicht mehr schaffen, und beginnen einen Prozeß der Emanzipation, der Entwicklung und des Wachstums. Viele jedoch resignieren und werden dauerhaft psychisch krank.

 

Bosnische Gefühle

Ivo Andric, exjugoslawischer Nobelpreisträger, schrieb in seiner kurzen Geschichte "Ein Brief aus 1920" über den Haß in Bosnien. Dazu inspiriert wurde er durch seinen jüdischen Freund, einen Arzt, der im Jahr 1920 aus Bosnien weggehen wollte, weil ihn dieser Haß zwischen den Menschen so störte und er sich damit nicht abfinden konnte. So wanderte dieser Arzt nach Frankreich aus, und als der Bürgerkrieg in Spanien ausbrach, schloß er sich der republikanischen Freiwilligenarmee an. Er leitete ein Lazarett im Aragongebiet, wo er als Arzt und Humanist hoch geschätzt war. 1938 wurde er bei einem Luftangriff erschossen. Er starb gemeinsam mit dem verwundeten Soldaten, den er gerade behandelte. So endete das Leben eines Menschen, der vor dem Haß flüchtete.

Es ist über achtzig Jahre her, seit dieser Brief geschrieben wurde. Es sieht so aus, als sei die Zeit in Bosnien stehengeblieben. Ein neutraler Beobachter würde fragen: "Was hat sich geändert?" Nun, alles hat sich geändert: Darsteller, Kostüme, Bühne. Doch das bosnische Skript, die Rollenbücher sind gleichgeblieben. Das kulturelle Erbe hat sich von einer auf die nächste Generation übertragen.

Haß kann man, gerade in einer so spezifischen Kultur wie der bosnischen, nicht isoliert betrachten. Es handelt sich dabei um ein ebenso komplexes Phänomen, wie auch andere Emotionen es darstellen.

 

Psychotrauma

Der Krieg in Exjugoslawien und Bosnien war das Ergebnis einer Politik, die viele Menschen nicht durchschauen konnten, weshalb die Mehrheit der Bevölkerung ihren traumatischen Kriegserlebnissen noch hilfloser ausgeliefert war, etwa dem Genozid in Srebrenica. Ein wahrer Menschenstrom mußte den Schauplatz des Verbrechens verlassen und sich auf die Flucht begeben. Das Leben im Exil und die Anpassung an eine neue Kultur und Mentalität kommen als zusätzliche erschwerende Faktoren zum Heimatverlust hinzu, was das Trauma noch schwerwiegender macht. Die emotionale Ambivalenz zwischen fremder und eigener Kultur, zwischen den Zurückgebliebenen und der neuen Umgebung mit neuen Mitmenschen erschwert außerdem eine Stabilisierung des Individuums im Exil. Die fremde Sprache als Kommunikationsfaktor vertieft das Trauma noch mehr und hindert die Betroffenen daran, ihr Leid mit der Umgebung zu teilen und Trost zu bekommen.

Nach einer traumatischen Erfahrung scheint sich das Selbstschutzsystem des Menschen in einem ständigen Alarmzustand zu befinden, als könnte die Gefahr jeden Augenblick wiederkehren. Symptome wie wiederholtes Erleben in sich aufdrängenden Erinnerungen und Träumen, emotionaler und sozialer Rückzug, Zustände vegetativer Übererregtheit treten auf. Auch zu übermäßigem Alkohol- und Drogenkonsum oder sogar zum Selbstmord kann eine posttraumatische Belastungsstörung führen.

Zur Dialektik des Traumas gehört auch das Gefühl der Nichtzugehörigkeit, weil die zwischenmenschlichen Beziehungen zerstört sind. Traumatische Ereignisse zerstören das Selbstbild, das im Verhältnis zu anderen entsteht und aufrechterhalten wird. Damit ändern sich auch Bindungen und Wertvorstellungen, die den Einzelnen mit der Gemeinschaft verknüpfen. Das Gefühl des Urvertrauens als Basis aller Beziehungen und Wertsysteme, das sich in der frühen Kindheit entwickelt, wird durch Traumata zerstört.

 

Das Wiedererleben Bosniens nach einer Abwesenheit von fünf Jahren

Als ich nach fünf Jahren in die alte Heimat zurückfuhr, war ich wütend, weil die Politik neue Grenzen gezogen hatte und ich statt über eine Grenze durch drei neue Länder fahren mußte. Eine Menge unnötige Bürokratie und viel durch Warterei verlorene Zeit bedeutete das. Traurig war ich, weil sinnlose Politik und unfähige Politiker meine Heimat zerstört hatten.

Mein Gatte war bei mir und fuhr. Es war gerade Frühling, und in Kroatien waren riesige Felder von den Blüten der Zuckerrüben gelb gefärbt. Auf der Autobahn Zagreb-Belgrad fuhren alle ziemlich schnell, nur wenige hatten wie wir den Mut, an Raststätten kurz zu halten, weil der Friede auf die nach Süden Reisenden - auf die anderen wahrscheinlich ebenso sehr wie auf uns - so bedroht und zerbrechlich wirkte. Erinnerungen an frühere Zeiten stiegen in mir auf, als ich ruhig und fröhlich aus der Heimat irgendwohin nach Europa und wieder zurück fuhr. Damals war Kroatien meine Heimat, ich habe mich dort zu Hause gefühlt. Jetzt kann ich das nicht mehr, kein Kroate würde es mir erlauben. Auch ist es ja ohnehin nicht mehr meine Heimat, weil mein Zuhause jetzt in Österreich ist. Ich mußte Abschied nehmen nicht nur von Bosnien, sondern auch von Exjugoslawien, das einst meine Heimat war. Von meiner Familie, meinen Freunden und früheren Kollegen werde ich als fremd erlebt, meine Bekannten bemerken, daß meine Sprache sich verändert hat. Sie projizieren ein Bild davon, wie mir angeblich einfach alles gelingt und wie wir, mein Gatte und ich, wie im Paradies leben. "Wie im Film: Karriere, Streß, viel Geld, schöne Sachen, ein großes Haus ...", sagte einer meiner Kollegen in Bosnien. Er hat keine Ahnung, wie anstrengend am Anfang jeder Schritt im fremden Land war, wie schwer, mit nur geringen Sprachkenntnissen in einer fremden Kultur ohne Freund und Familie von vorne wieder anzufangen.

 

Das Leben im Exil

Anhand von Fallstudien beschreibe ich, wie es Menschen erging, die nach England, Kanada, Norwegen, Deutschland und Österreich ins Exil gegangen sind. Grundsätzlich geht es darum, wie jeder auf seine Art und Weise bestimmte Bewältigungsstrategien entwickelt hat, um das Leben in der Fremde zu meistern.

Weil sie die entsprechende Sprache leichter erlernen konnten, fanden gebildete Menschen bessere Möglichkeiten vor und konnten besser bezahlte Arbeit annehmen. Ein Drittel der Kriegsflüchtlinge, die Mehrheit davon der gebildeten Schicht angehörend, hat sich ganz gut integriert und hat kaum Sehnsucht nach der alten Heimat. Fast zwei Drittel meiner Klienten aber leben in zwei Welten: Die eine ist Österreich, wo sie leben und arbeiten, die andere ist die Heimat, wo sie Feiertage und Urlaub verbringen. In Österreich wohnen sie in kleinen, billigen Substandardwohnungen und sparen das Geld, um in der Heimat ein Haus bauen zu können.

In diesem Haus wohnen dann aber die Eltern und andere Verwandte, denen es dort besser geht als ihnen selber. Also erhöhen sie ihre Anstrengungen, investieren immer mehr in den Hausbau, während sie selbst sich nur das Allernötigste gönnen. Dadurch steigt die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und mit sich selbst. In der Folge treten Depressionen und psychosomatische Beschwerden auf, die wiederum ihre Versicherungszeiten verkürzen und den Pensionsantritt beschleunigen. Es steht ihnen weniger Geld zur Verfügung, und negative Reaktionen von Kindern und anderen Verwandten in der Heimat, die sich schon daran gewöhnt haben, versorgt zu werden, bleiben nicht aus. Die Folge sind Konflikte mit und Ablehnung von seiten derjenigen, für die man sich aufgeopfert hat. Und in die Heimat kann man nicht übersiedeln, weil man schon krank ist und die ärztliche Betreuung braucht, die in der Heimat nicht bezahlt wird. Die Kinder und Enkelkinder bleiben sowieso in Österreich, wollen garnicht zurück. Bleibt die große Frage: Wozu hat man so viel Geld in Häuser gesteckt, in denen man ohnehin nie leben kann? War es richtig, so große Opfer zu bringen, wo doch alles nur anderen zugute kommt? Während man selber jetzt krank ist und von niemandem Trost bekommt?

 

Bosnische Identität

Exjugoslawen hatten einmal eine Identität als Jugoslawen. Durch den Krieg wurde diese Identität in Frage gestellt, schließlich abgelehnt und als Belastung erlebt, kurz: zerstört. Viele suchten eine nationale und religiöse Identität und haben sie auch gefunden. Aber damit ist ihr Bezugsrahmen enger geworden, weil jede Ideologie den Bezugsrahmen enger macht. So fiel es den nationalen und religiösen Politikern leicht, ihre Untertanen fügsam zu machen und zu manipulieren.

Ein Beamter einer österreichischen Landesregierung hat mich und meinen Gatten einmal ausgelacht, als wir auf seine Frage, welcher Religion wir angehörten, antworteten, daß wir Atheisten und Kosmopoliten seien. Er wies uns darauf hin, wo wir uns befänden, in einem katholischen Land nämlich, wo die Religion sehr wichtig sei und zur Identität seiner Einwohner gehöre. Für die exjugoslawische Identität jedoch waren Atheismus und religiöse Indifferenz typisch. Die bosnische Identität wiederum ist durch eine mehr orientalische, etwas gelassenere Haltung gekennzeichnet: Man trachtet, keinen Streß aufkommen zu lassen, nimmt sich viel Zeit. Familiäre Zugehörigkeit, soziale Gemeinschaft und Solidarität stellen wichtige Werte dar.

 

Entfremdung und Autonomie

Das Wort Autonomie stammt aus dem Griechischen und bedeutet in etwa Freiheit, Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Entfremdung dagegen bezeichnet einen Zustand des Entfremdetseins oder der Selbstveräußerung. Wenn man diese Definitionen betrachtet, fällt es wohl niemandem schwer, sich zwischen den beiden Zuständen, die sie bezeichnen, zu entscheiden. Wer möchte da nicht autonom sein und wer möchte nicht der Entfremdung entgehen? Aber diese beiden verschiedenen Grundverfaßtheiten menschlichen Daseins wurden nicht von Gott oder dem Teufel, sondern von uns selbst geschaffen.

Es stellt sich die Frage, ob denn die Entfremdung nicht der notwendige Preis ist, wenn mehr Menschen ein gewisses Maß an Autonomie bekommen sollen. Das eigentliche Problem ist: Wie erreicht man das optimale Gleichgewicht zwischen relativer Entfremdung und relativer Autonomie, zwischen Selbstbestimmtheit und Abhängigkeit von anderen? Zwar ist dort, wo weniger Autonomie vorhanden ist, auch weniger Entfremdung. Aber welche Menschen sind denn eher bereit, in den Krieg zu ziehen, zu töten und sich töten zu lassen - entfremdete oder autonome? Autonome Menschen sollten frei von Zwang, Abhängigkeit und Unterordnung sein, also selbstbestimmt. Solche Menschen würden wohl nicht in den Krieg ziehen und alles, was sie haben, für die dubiosen Ziele irgendwelcher Politiker riskieren.

Ich bin mir nicht sicher, ob jeder, der im Krieg war und gekämpft hat, es noch einmal tun würde. In einem Krieg nämlich gibt es keine Gewinner, nur Verlierer.

© Nada Jabandzic (Klagenfurt)


8.5. ... und Friede auf Erden. Konzepte gewaltfreier Konfliktaustragung in Theorie und Praxis

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS       Inhalt | Table of Contents | Contenu  16 Nr.


For quotation purposes:
Nada Jabandzic (Klagenfurt): Wenn der Krieg patriotisch ist, ist der Frieden matriotisch?. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/08_5/jabandzic16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 27.5.2006     INST