Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Juni 2006
 

12.1. Reisen und Ortswechsel: Interdisziplinäre Perspektiven
Herausgeber | Editor | Éditeur: Arnold Groh (Technische Universität Berlin)

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Vorstellung studentischer Projekte mit Tourismusbezug

Antje Fornalski, Johanna Quatmann [BIO], Constanze Vielgosz [BIO], Klaudia Pozsgai (Technische Universität Berlin)

 

Es werden Forschungsprojekte vorgestellt, die an der Technischen Universität, Abt. "Structural Analysis of Cultural Systems", von Studierenden im Rahmen von Diplomarbeiten und Praktika durchgeführt wurden, und die von Relevanz für den Tourismus sind.

1. Indigene und kulturverträglicher Tourismus. Eine quasi-experimentelle Feldsituation

2. Tsunami-Früherkennung Early Tsunami Awareness


1. Indigene und kulturverträglicher Tourismus.
Eine quasi-experimentelle Feldsituation

1.1 Einleitung

In diesem Beitrag geht es um die Faktoren, die Touristen der Industrienationen an der Anpassung an die Traditionen indigener Gesellschaften hindern. Der Fokus der Anpassung liegt dabei auf der visuellen Ebene, das heißt, auf der Anpassung an äußere Merkmale.

Durch die globale Verflechtung der Welt wird es immer mehr Menschen möglich, in immer unberührtere Bereiche indigener Gesellschaften vorzustoßen. Immer schon zog es Menschen in die Ferne, um neue, andere Bereiche und Kulturen kennenzulernen. Leider stehen in diesen Begegnungssituationen von seiten der Tourismusorganisationen nicht unbedingt die interkulturelle Kommunikation und der Erfahrungs- und Wissensaustausch im Vordergrund, sondern das Geschäft. Das hat fatale Folgen, die oftmals dem Touristen nicht bewußt sind, die aber verringert werden könnten, wenn man alle Beteiligten in die Verantwortung einbeziehen könnte.

In indigenen Gesellschaften kommt es zunehmend zu Veränderungen der Kulturen. Dies geschieht durch ein Dominanzgefälle zwischen der Industriekultur und den Traditionen der indigenen Gesellschaften. Die Fließrichtung des Gefälles von Kulturelementen wird hauptsächlich von den dominierenden Industrienationen vorgegeben.

Während es bei der unterlegenen Kultur zu einer automatischen Übernahme von Kulturelementen kommt, wird seitens der Industriekultur sehr kontrolliert zwischen einzelnen brauchbaren Elementen gewählt. Durch die automatische Übernahme findet eine Destabilisierung der traditionellen, indigenen Kulturen statt, da viele ihrer Kulturelemente Löschungsvorgängen unterliegen. Die Destabilisierung der indigenen Kultur bedroht in hohem Maße die Identität ihrer Kultur und mit ihr das Gedächtnis und Vermächtnis von kulturellem Wissen. Um einer verstärkenden Destabilisierung von indigenen Kulturen entgegenzuwirken und um wertvolle Kulturelemente nachhaltig zu schützen und zu fördern, liegt der Fokus dieser Untersuchung auf dem Ermitteln von Faktoren, die ein Handlungskonzept der minimal invasiv gestalteten Begegnungen zwischen Indigenen und potentiellen Besuchern, wie Touristen, ermöglichen und dadurch Interventionsvorschläge möglich machen. Durch eine integrative Art der Begegnung würde es auch auf seiten der Touristen zu neuen bedeutsamen Erfahrungen kommen. Um herauszufinden, welche Denkprozesse eigentlich ablaufen und welche Faktoren wichtig sind, um Menschen zu überzeugen und zu motivieren, sich dem Verhalten anderer Kulturen anzupassen, ohne sie dabei unwissentlich zu zerstören, haben wir mit Studenten an einer quasi-experimentellen Feldsituation teilgenommen. Danach wurden sechs Studenten, die daran teilgenommen haben, und sechs Studenten, die sich dieser Situation verweigert haben, interviewt.

1.2 Theoretischer Hintergrund der Untersuchung

Es gibt intrapsychische und interpersonale Faktoren, die eine Rolle spielen bei integrativem bzw. nichtintegrativem Verhalten der Touristen in Bezug auf deren Selbstdarstellung . Die Frage ist, welche Faktoren haben denn eigentlich Einfluß auf das Anpassungsverhalten? Wann beginnt denn das Anpassungsverhalten? Was ist wichtig, um Menschen zu motivieren, sich anzupassen, damit dies aus eigener Überzeugung geschehen soll? Es gibt bereits viele Untersuchungen und Theorien, die sich mit intrapsychischen Prozessen auseinandersetzen. Intrapsychische Faktoren beziehen sich hier auf sozial-kognitionspsychologische Fragen, wie Entscheidungsverhalten, Zielabsichten und Zielkonflikte (Gollwitzer, 1986), sowie auf motivations- und emotionspsychologische Fragestellungen, wie z.B. der Einfluß von Affekten auf die Ausführung bzw. Nichtausführung von Verhalten. Auf einige Theorien, die für diese Untersuchung wichtig erschienen, wird kurz eingegangen. Die Darstellung bereits bekannter Theorien wird nicht im Fokus sein, da für uns eher die subjektive Beschreibung der interviewten Versuchspersonen interessant war, welche Faktoren als hinderlich oder förderlich erschienen. Diese Faktoren sollen in ein handlungsorientiertes Konzept eingeflochten werden, um damit eine Hilfestellung zur Verhaltensanpassung an Stammeskulturen zu leisten. Aufgrund der Interviewauswertung wurde ein weiteres Thema deutlich, das eine zentrale Bedeutung hat in der Verhaltensanpassung an fremde Kulturen, und das gewissermaßen ein Ziel darstellt: Interkulturelles Lernen und die Erweiterung der sozialen Identität.

1.2.1 Zum Kulturbegriff

Kultur ist ein geschichtlich übermittelter Komplex von Bedeutungen und Vorstellungen, die in symbolischer Form zutage treten und es den Menschen ermöglichen, ihr Wissen über das Leben und ihre Einstellung zur Welt einander mitzuteilen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Kultur ist ein System gemeinsamer Symbole, mit deren Hilfe der einzelne seinen Erfahrungen Form und Bedeutung geben kann (vgl.Geertz, 1994). Nach Scherrer (1986) ist Kultur die Gesamtheit des sozialen Erbes, die Summe der sozialen Institutionen und Konfigurationen, der Künste, des Wissens, die Einheit der Formen der Religion, der Ritual- und Zeremoniehandlungen, der Techniken, der Produktionsformen und auch der materiellen Güter.

1.2.2 Kulturelle Identität

Kulturelle Identität ist eine Teilidentität eines Menschen (Keupp, 1999). Danach beinhaltet sie grundlegende Erfahrungen des Menschen mit dem Weltbild, dem Wertesystem, den Überzeugungen und Einstellungen seiner kulturellen Bezugsgruppe (Adler, 1977). Ein wichtiger Teil der Identitätsbildung ist auch der Körper. So ist der "Körperschmuck" für die Darstellung der Identität ein zentraler Teil. Da sich diese Untersuchung speziell auf Stammeskulturen und die Anpassungsproblematik von Touristen an diese Stammeskulturen und deren Tradition und Körperdarstellung bezieht, muß an dieser Stelle erklärt werden, warum Körperpräsentation so einen hohen Stellenwert einnimmt.

1.2.3 Selbstdarstellung und deren Auswirkungen auf das menschliche Erleben und Verhalten

Es wurde bereits vielfach postuliert, daß Beurteilungen der eigenen Person sich über die Interaktion mit anderen Personen bildet. Dabei wird angenommen, daß man sich sozusagen mit den Augen des anderen betrachtet. Man antizipiert mögliche Verhaltenserwartungen an einen selbst über den Interaktionspartner. Der Einfluß antizipierter Fremdbeurteilungen auf das Bild der eigenen Person ist jedoch bei wichtigen Interaktionspartnern höher als bei weniger wichtigen (Mummendey, 1989)(1).Allgemein schließen Individuen zum großen Teil das Bild, das sie von sich haben, aus den Reaktionen anderer Personen ihnen gegenüber und somit hat Selbstdarstellung wiederum Auswirkungen auf das Selbstbild des Individuums (Mummendey, 1999). In bezug auf die Begegnung bedeutet das, daß die Menschen der indigenen Kultur durch die fremden Selbstdarstellungsnormen der dominierenden Kultur Unterlegenheitsgefühle ausbilden und sich, entgegen ihres traditionellen Lebens, anpassen. Selbstdarstellung ist ein wichtiger Teil der Identitätswandlung, sie ist Zeichenträger von Zugehörigkeit und sozialer Identität. Wenn es also durch die Effekte des Dominanzgefälles zu einer einseitigen Übernahme von Selbstdarstellungsnormen bei den Indigenen kommt, hat dies einen gravierenden verändernden Einfluß auf das gesamte soziale System der traditionellen Kultur.

1.2.4 Dominanzeffekte

Wenn zwei Kulturen aufeinander treffen, speziell wenn durch Industriekultur geprägte Menschen auf eine Stammeskultur treffen, ist die Industriekultur dominant (Groh, 1997). Die unterlegene Stammeskultur wird Kulturelemente übernehmen und über eine gewisse Häufigkeit des Zusammentreffens mit der dominierenden Kultur werden mehr und mehr eigene Kulturelemente der unterlegenen Kultur verschwinden. Dies ist, wie man anhand der alarmierenden Zahlen der noch existierenden indigenen Gesellschaften sehen kann, ein ständiger Prozeß. Da man jedoch die Reisemotivation der Touristen und den Geschäftssinn der Tourismus-Organisationen nicht stoppen kann und wird, ist eine Intervention vonnöten, um die Notwendigkeit der Anpassung oder das Verzichten auf den Besuch dieser noch verbliebenen Kulturen deutlich zu machen. Dies erklärt auch die Notwendigkeit eines kulturell- sensitiven Tourismus.

1.2.5 Interkulturelles Lernen und Handeln

Interkulturelles Lernen und Handeln sind Grundvoraussetzungen für den Erfolg eines kulturell-sensitiven Tourismus. Dies setzt natürlich voraus, daß man sich an den kulturellen Rahmen der besuchten Kultur anpaßt und damit begreift, in wieweit kulturell bestimmte Verhaltensmuster und Denkweisen spezifische, kollektive Mentalitäten prägen, und daß es wichtig ist, sich Kulturstandards vermitteln zu lassen und auch in einem angemessenen Rahmen zu vermitteln, um dadurch ein tieferes Verständnis für fremde und eigene Lebensweisen auszubilden. Das Handeln des Menschen besitzt immer auch eine symbolische Komponente, die eine Bedeutung transportiert und mit deren Bedeutung Menschen sich einer Gruppe zuordnen. Dies ist das Konzept der symbolischen Selbstergänzung von Wicklund und Gollwitzer (1985). Mit der Anpassung ist in diesem Fall auch die Körperdarstellung gemeint, besonders im Bereich der Brust. Dieser Teil des Körpers ist in unserer industriellen Kultur tabuisiert und vermittelt eine andere Bedeutung, als in Stammeskulturen. Interkulturelles Lernen und Handeln beinhaltet also die Anerkennung und Wertschätzung kultureller Besonderheiten, gegenseitiges Akzeptieren von sozialem Verhalten, was auch äußere sichtbare Symbole wie Kleidung oder Körperdarstellung einbezieht.

1.2.6 Sozial-kognitionspsychologische Aspekte der Verhaltensanpassung im interkulturellen Kontext

Natürlich haben Verhaltensweisen von Touristen ihre Gründe. Oft ist den Beteiligten nicht bewußt, was sie mit ihrem Verhalten auslösen. In bezug auf die Interviews haben sich jedoch einige klassische sozial-kognitive Theorien zur Erklärung bestimmter Verhaltensweisen heranziehen lassen. Auch für die geplante Intervention sind diese Theorien interessant.

1.2.6.1 Modellernen

Prozesse des Modellernens: Allgemein ist die informierende Funktion der Modellierungseinflüsse die Voraussetzung für Lernen. Modelliertes Verhalten wird erworben über symbolische Repräsentationen, die dann später die angemessenen Ausführungen leiten. Beobachtungslernen ist in vier Teilprozesse unterteilt.

Aufmerksamkeitsprozesse: Aufmerksamkeitsprozesse entscheiden darüber, was aus der Fülle der auf den Beobachter einwirkenden Modellierungseinflüsse selektiv beobachtet wird und welche Darbietungen berücksichtigt werden. Zahlreiche Faktoren bestimmen den Umfang und die Art der Beobachtungserfahrungen. Einige Faktoren sind Merkmale der Beobachter, andere sind Eigenarten der modellierten Tätigkeiten selbst und andere hängen mit der Struktur menschlicher Interaktionen zusammen. Aufmerksamkeit, die Modellen geschenkt wird, wird auch durch ihre Attraktivität bestimmt.

Behaltensprozesse / motorische Reproduktionsprozesse: Verhalten wird reproduziert.

Motivationale Prozesse : In sozial-kognitiver Hinsicht wird zwischen Erwerb und Ausführung unterschieden. Menschen setzten nicht alles in die Tat um, was sie lernen Nur, wenn die Ergebnisse einen gewissen Wert für das Individuum aufweisen, werden sozusagen die modellierten Verhaltensweisen ins eigene Verhaltens­repertoire aufgenommen. Auch, wenn an anderen Nutzen von ausgeführtem Verhalten beobachtet wurde, wird dieses übernommen. Bei negativen Wirkungen erfolgt keine Übernahme. Auch, wenn das Individuum Verhalten selbst einschätzt und als unbefriedigend befindet oder persönlich mißbilligt, wird dieses abgelehnt.

Kreative Modellierung: Aus Modellierungsprozessen können auch ganz neuartige Verhaltensmuster erwachsen. Bei unterschiedlichen Modellen richten Beobachter ihr Verhalten selten nach einer einzigen Quelle aus. Zum Beispiel beim Ausziehen in der Gruppe haben sich die einzelnen Mitglieder aneinander orientiert. Die Beobachter verschmelzen Aspekte verschiedener Modelle und neuer Formen, die sich von den Einzelquellen unterscheiden (Bandura et al., 1963). Es entstehen Merkmals­kombinationen. Modellierungseffekte können auch bereits bestehende Hemmungen bei den Beobachtern stärken oder schwächen (Bandura, 1971). Verhaltens­einschränkungen entwickeln sich vor allem dadurch, daß man Konsequenzen beobachtet. Zum Beispiel fühlte sich eine Studentin, als Konsequenz ihrer Anpassung, "beglotzt" und erlebte daraufhin Hemmungen. Sieht man dagegen, wie andere Menschen bedrohliche oder verbotene Tätigkeiten ausführen, ohne daß sie aversive Konsequenzen erfahren, kann das Hemmungen reduzieren.

1.2.6.2 Soziale Kategorisierung und Stereotypisierung

Menschen strukturieren ihre soziale Umwelt, d.h. Personen und Gruppen danach, was sie bereits über verschiedene soziale Gruppen wissen. Damit wird die soziale Umwelt kognitiv vereinfacht, um eine bessere Orientierung als Grundlage für zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen.

1.2.6.3 Vorurteile

"Ein ethnisches Vorurteil ist eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. Sie kann ausgedrückt oder auch nur gefühlt werden. Sie kann sich gegen eine Gruppe als Ganzes richten oder gegen ein Individuum, weil es Mitglied einer solchen Gruppe ist." (Allport, 1971)

Vorurteile sind sehr resistent gegen Veränderungen. Dies ist ein Grund, warum Verhaltensanpassung im interkulturellen Kontext nicht angemessen ausgeführt wird.

1.2.6.4 Intergruppenbeziehungen und soziale Identität

Tajfel (1982 ) versteht unter sozialer Identität das Gesamtwissen einer Person über ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sowie den Wert und die emotionale Bedeutung, die sie der Gruppenmitgliedschaft beimißt. Wenn zwei kulturelle Gruppen aufeinandertreffen, ist soziale Identität somit der kulturellen Identität gleichzusetzen. Nach Tajfel (1982) kommt es zu Eigen- und Fremdgruppen-Kategorisierung, schon wenn eine Person, die eine soziale Identität ausgebildet hat, eine andere Person in einfach strukturierten Situationen begegnet. Da die Person ihre eigene soziale Identität positiv bewertet, wird das Fremdgruppenmitglied negativer bewertet als ein Eigen­gruppenmitglied.

1.3 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Über die Interviews wurden bei der Auswertung einige Einflußfaktoren deutlich, die bei allen Interviewten auftraten. Wichtig war die Gruppensituation. Anonymität in der Gruppe wurde als erleichternd empfunden bei der Entscheidung, sich an die Gegebenheiten anzupassen. Geschlechtlich getrennte Gruppen empfanden Frauen als angenehmer und sinnvoller. Die Studenten wurden von vielen Ängsten, was die ästhetische Bewertung ihres Körpers betraf, begleitet. Bei der Betrachtung der interpersonalen Aspekte stehen Gruppeneffekte im Vordergrund (Tajfel, 1982).

Wie muß der Reiseleiter denn geschaffen sein, um einen positiven Einfluß auf Touristen zu haben? Ist der Reiseleiter überhaupt wichtig? Welche Informationen sollen vermittelt werden und wie intensiv? Der Informationsmangel stellte sich als ein wichtiger Faktor heraus. Es gab viele und interpersonal unterschiedliche Faktoren, die das Verhalten in bezug auf die Anpassung ausgelöst haben.

Ein Lernprozeß bedeutet nach der sozial-kognitiven Lerntheorie, daß man aufgrund von Reaktionskonsequenzen lernt. Diese haben verschiedene Funktionen. Kurz gesagt, haben rudimentäre Lernweisen ihre Wurzeln in der unmittelbaren Erfahrung. Sie ergeben sich aus positiven und negativen Wirkungen, die die Handlung hervorrufen. Hierbei ist aufgrund der Handlungen der Interviewten die motivationale Funktion der Reaktionskonsequenzen interessant. Antizipation ist eine Vorraus­setzung dafür, daß Menschen durch die Aussicht zukünftiger Konsequenzen motiviert werden können. Durch eine symbolische Repräsentation absehbarer Ergebnisse können Menschen zukünftige Konsequenzen zu gegenwärtigen Beweg­gründen ihres Verhaltens erwarten. In diesem Sinne hatten die Studenten ein persönliches Ziel im Auge.

Die Richtlinie für zukünftiges Tun liegt nicht allein in der Auswirkung des eigenen Handelns und in dessen Konsequenz, sondern auch in der Beobachtung anderen Verhaltens. Die Studenten haben sich besonders an anderen Verhaltensstrategien orientiert, wenn sie unsicher waren, welches Verhalten jetzt angemessen sei.

Aus Modellierungsprozessen können auch ganz neuartige Verhaltensmuster erwachsen. Bei unterschiedlichen Modellen richten Beobachter ihr Verhalten selten nach einer einzigen Quelle aus. Zum Beispiel beim Ausziehen in der Gruppe haben sich die einzelnen Mitglieder aneinander orientiert. Die Studenten hatten mit ihrer Körperdarstellung häufig einen Konflikt, besonders in der Bedeutung der Ästhetik. Da der Körper in der westlich geprägten Welt als Norm einem Perfektionismus entspricht, wurde es als unangenehm empfunden, sich ohne Schutz der Kleidung zu präsentieren, da die Studenten eine Bewertung erwarteten. Während des Aufenthaltes in der quasiexperimentellen Situation nahmen die Studenten allerdings alles längst nicht so schlimm wahr, wie sie es erwartet hatten. Fast alle beschrieben die Erfahrung der Anpassung als persönlich sehr intensiv, da sie nach der Erfahrung ihre vorherige Angst und Fokussierung nicht mehr nachvollziehen konnten. Mit diesem Bewußtsein hinsichtlich der vielen Einflußfaktoren der Verhaltensanpassung könnte mit einem handlungsorientiertem Konzept das Bewußtsein der Touristen und Tourismusorganisationen geschult werden, um eine Verhaltensanpassung zu unterstützen. Dieses Konzept sollte verschiedene Bereiche der Informations­wahrnehmung beinhalten, und es sollte ein Interesse an der Erhaltung indigener Kulturen vermittelt werden, was natürlich auch ein tiefes Verständnis für deren Wichtigkeit und Bereicherung für die globalisierte Welt beinhaltet.

1.4. Resümee

Es gibt Faktoren, die über sozialkognitive Prozesse auf das internalisierte Verhalten von potentiellen Touristen bei der Verhaltensanpassung und Nicht- Anpassung an einen fremdkulturellen in insbesondere indigenen Kontext einwirken. Diese Faktoren haben wir zu eruieren versucht, um daraufhin Interventionen vorzuschlagen, die auf eine Verhaltensmodifikation abzielen. Auf der Grundlage unserer Forschungs­ergebnisse wollen wir wirksame intervenierende Maßnahmen entwickeln, z.B. in Form eines aufklärungs- und handlungsorientierten Konzepts, welches vor Ort eingesetzt werden kann, um den Tourismus kulturverträglicher zu gestalten. In Kooperation mit Tourismus-Organisationen, wie z.B. der World Tourism Organisation (WTO), speziell im Rahmen des World Committee on Tourism Ethics und dem aktuell erschienenen praxisorientierten Handout für den verantwortlichen Touristen und Reisenden, könnte dieses Konzept global angewandt werden.

LITERATUR

Adler, P.: Beyond cultural identity: Reflection on cultural and multicultural man. In: Brislin, R. (ed.): Culture Learning. Concepts, applications, and research. Hawaii: University Press, 1977

Allport, G. W.: Die Natur des Vorurteils (Orig.: The nature of prejudice. Cambridge, Mass., 1954). Köln, 1971

Bandura A.: Analysis of modeling processes. In: Bandura, A. (ed.): Psychological Modeling. Conflicting theories. Chicago, New York, 1971, 1-62

Bandura, A.: Lernen am Modell: Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie. Stuttgart, 1976

Bandura, A.: Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart, 1979

Bandura, A., Ross, D. & Ross, S. A.: Imitation of film-mediated aggressive models. Journal of abnormal and social psychology, 1963. 66, 3-11

Geertz, C.: Dichte Beschreibung. Frankfurt/Main, 1994

Gollwitzer, P. M.: Striving for specific identities: The social reality of self-symbolizing. In: Baumeister, R. F. (ed.): Private self and public self. New York, 1986, 143-159

Groh, A.: Kultureller Verlust: Mechanismen und Interventionsmöglichkeiten. Dissertation, Universität Bielefeld, 1997

Keupp, H.: Soziale Netzwerke. Frankfurt/Main, 1987

Mummendey, H. D. (Hrsg.): Selbstdarstellungstheorie - ein Überblick. Psychologi­sche Forschungsberichte, Universität Bielefeld, 1999

Scherrer, Ch.: Dritte Welt-Tourismus. Entwicklungsstrategie und kulturelle Zusammenhänge. Berlin, 1986

Tajfel, H.: Gruppenkonflikt und Vorurteil: Entstehung und Funktion sozialer Stereotypen. Bern/Stuttgart/Wien, 1982

Wicklund, R. A. & Gollwitzer, P.: Symbolische Selbstergänzung. In: Frey, D. & Irle, M. (Hrsg.): Theorien der Sozialpsychologie. Bern, 1985, 31-55


2. Tsunami-Früherkennung
Early Tsunami Awareness

 

Zusammenfassung:

Der Tsunami Ende 2004 kostete fast 300.000 Menschen das Leben. Trotz der großen Nähe zum Epizentrum und der Zerstörung ihrer Dörfer konnten viele Personen indigener Kulturen überleben. Im Rahmen der Forschungsstelle Structural Analysis of Cultural Systems (S.A.C.S) der Technischen Universität Berlin wurden Untersuchungen durchgeführt, um die möglichen Gründe für das Überleben herauszufinden. Inwieweit verfügen Indigene über eine Wahrnehmung von Zeichen und kulturelles Wissen, das relevant sein könnte, um Menschen in Regionen, die von einem Tsunami betroffen sind, effektiv zu schützen? Zunächst haben die Studierenden Berichte von Überlebenden, die aus indigenen Kulturen stammten, recherchiert und, soweit wie zu dem Zeitpunkt möglich, systematisiert. Daraufhin wurde ein Fragebogen entworfen, der in Genf bei dem Kongreß der United Nations Working Group on Indigenous Populations zum Einsatz kam. Es stellte sich heraus, daß indigene Völker, sowohl aufgrund von tradiertem Wissen, wie auch durch spontane Interpretation der natürlichen Begebenheiten ihres Lebensraumes, auf unterschiedliche Warnhinweise reagierten und somit überleben konnten. In einer zunehmend vom Klimawandel betroffenen Welt könnte das traditionelle Wissen von Naturvölkern im Hinblick auf rechtzeitigen Schutz vor Naturkatastrophen eine erhebliche Rolle spielen. Die natürlichen Frühwarnsysteme würden somit eine hilfreiche Ergänzung zu den technischen Frühwarnsystemen darstellen.

Bisheriges Forschungsbemühen:

Übersicht der zum Teil vom Tsunami betroffenen indigenen Kulturen:

Ethnie

Inseln/Inselgruppe/Land

Population

Onges

Kleine Andamanen

97

Great Andamans

Strait Island

43

Jarawa

Süd-und Mittelandamanen

240

Sentinelesen

Nordsentinel Insel

39

Nicobaresen/Shompens

Zentrale Nikobaren

 

Moken

u.a. Surin Inseln/Thailand

Weit über 700

Minang

Sumatra/Indonesien

 

Die Andamanen und Nikobaren bestehen aus über 550 kleineren Inseln, von denen nur wenige bewohnt sind. Von den 33.000 Indigenen leben 600 bis 700 isoliert, zum Teil als Halbnomaden. Viele der Indigenen der Andamanen und Nikobaren sind integriert oder wurden von der indischen Regierung umgesiedelt.

Auszug von überlebensrelevanten Berichten der verschiedenen Ethnien:

Auszug aus den Ergebnissen der Befragung von Indigenenrepräsentanten während der Tagung der United Nations Working Group on Indigenous Populations:

Glaubwürdigkeit und Widersprüchlichkeit der Quellen:

Die Berichterstattung, die bis jetzt, hauptsächlich im Internet, zu finden ist, bleibt eine relativ unsichere Quelle, da viele Aussagen nicht auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden können. Kürzlich bezeichnete der Stammesführer Rasheed Yusuf von den Nikobaren die Gerüchte, dass ihr "Instinkt" die Ureinwonher warnte, als folkloristi­schen Unfug(4). Rasheed Yusuf und weitere Stammesführer der Nikobaren hatten nach dem Tsunami das Völkerkunde-Museum in Wien besucht, um Wissen über ihre Kultur zu erlangen, da in den Fluten vor allem Personen der älteren Generation umgekommen sind. Überlebt haben nach seinen Berichten nur diejenigen, die auf höher gelegenen Plantagen arbeiteten oder mit Fischerbooten auf hoher See waren. Eine insgesamt eingehende Untersuchung der Glaubwürdigkeit sollte unbedingt weitergeführt werden.

Ergebnisse:

Trotz der bedingten Glaubwürdigkeit einiger gefundenen Quellen, ließ sich sowohl bei der Recherche, als auch bei der Fragebogenerhebung erkennen, daß ...

Ausblick für weitere Forschungen:

Dieses Forschungsprojekt liefert eine Plattform für weitere theoretische Auseinandersetzung unter Aspekten der Tradierungsformen und des kollektiven Gedächtnisses. Assmann (1992) unterscheidet zwischen einem kommunikativen und einem kulturellen Gedächtnis(5). Oral tradiertes Wissen geht nach Assmann verloren, wenn es über 80 Jahre nicht mehr über das kulturelle Gedächtnis, zum Beispiel in Form von Riten oder Festen, kommuniziert wurde. Das kulturelle Gedächtnis spielt demzufolge die bedeutendere Rolle in der Beibehaltung von traditionellem Wissen (und somit auch bei der Aufrechterhaltung der kulturellen Identität).

Empfehlungen:

Kulturübergreifende Thematisierung, denn die Erkenntnisse in diesem Zusammen­hang sind nicht nur für seismologische, anthropologische, geologische oder auch geomythologische(6) Ansätze interessant, sondern sie sind auch wichtig für Projekte minimal-invasiver Feldbegegnungen. Forscher, die sich in diesem oder anderem Kontext mit Feldforschung im indigenen Kontext beschäftigen oder aber auch Tourismusprojekte mit minimal-invasivem Ansatz sollten den Empfehlungen kulturverträglicher Begegnungen folgen, um die indigene Kultur keinesfalls zu destabilisieren. Vielmehr sollten indigene Kulturen mit allein mündlich tradierter Geschichte darauf hingewiesen werden, daß bedeutsames Wissen ihrer Vorfahren weiterhin in Rituale eingebunden werden sollte, damit es nicht verloren geht.

Des weiteren wird wieder einmal deutlich, daß Indigene sehr im Einklang mit ihrer natürlichen Umgebung leben. Die besonderen Fähigkeiten der Indigenen sind allerdings gebunden an die Region, in der sie leben. Werden sie umgesiedelt, bzw. vertrieben, kommen sie in einer anderen Umgebung nicht mehr zurecht.

© Antje Fornalski, Johanna Quatmann, Constanze Vielgosz, Klaudia Pozsgai (Technische Universität Berlin)


ANMERKUNGEN

(1) Psychologische Forschungsberichte der Universität Bielefeld. Fakultät für Soziologie. Selbstkonzepte als Ergebnis sozialer Interaktion.

(2) "Giyangejbey" steht für den Übergang von Materie zum Flüssigen und wieder zum Festen, dieser Prozeß spielt eine generelle Rolle in der Lebensphilosophie der Onges.

(3) Krajick, Krajick: Die Geister im Stein, Süddeutsche Zeitung Nr. 254, S. 13

(4) Fenster in die Vergangenheit, Der Spiegel 41/2005

(5) Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München, 1992

(6) In der Geologie wird inzwischen auf die überlieferten Mythen von Naturvölkern zurückgegriffen, um bevorstehende Naturkatastrophen rechtzeitig zu erkennen und Maßnahmen treffen zu können.


12.1. Reisen und Ortswechsel: Interdisziplinäre Perspektiven

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For quotation purposes:
Antje Fornalski, Johanna Quatmann, Constanze Vielgosz, Klaudia Pozsgai (Technische Universität Berlin): Vorstellung studentischer Projekte mit Tourismusbezug. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: ../../../index.htmtrans/16Nr/12_1/fornalski_quatmann_vielgosz16.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 13.6.2006     INST