Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Dezember 2005
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Universitäten und Fragen der europäischen Kooperation: Perspektiven der türkischen Universitäten

Ulku Bayindir (Ege Universität, Izmir, Türkei)

 

Wie Sie alle wissen, ist die Türkei das Land an der Stelle, wo sich die drei Kontinente Asien, Afrika, Europa am nächsten sind und wo Asien und Europa sich treffen. Seine Ausdehnung ist 1500 km von West nach Ost und 600 km vom Norden nach Süden, und das Land hat eine Oberfläche von 914.578 km² mit wechselnden geographischen und klimatischen Eigenschaften; das Land ist in verschiedene charakteristische sozio-ökonomische Regionen geteilt.

Wegen seiner geographischen Lage war Anatolien in der Geschichte immer schon besonders beliebt und war der Geburtsort vieler großer Kulturen. Es war auch während der Geschichte wegen seiner Landverbindungen zu drei Kontinenten und den Meeren, die es an drei Seiten umgeben, immer wieder ein bedeutendes Zentrum des Handels. Es ist seit 1923 ein demokratischer Staat, und der einzige weltliche Staat in der Welt, in dem die Mehrheit der Bevölkerung sich zum islamischen Glauben bekennt.

Das Land mit seiner jungen Bevölkerung, seinen fachlich hoch ausgebildeten und konkurrenzfähigen Arbeitern, seinem riesigen Binnenmarkt, seiner einzigartigen geographischen Lage, einem dynamischen Privatsektor und regionalen Verbindungen, besitzt ein großes Potential für internationale Investoren. Die Türkei hat Regierungsstellen mit dem direkten Auftrag geschaffen, eine Innovationsstrategie zu entwerfen, und diese Fragen sind wieder mit ernsthaften Versuchen gekoppelt, ein nationales Innovationssystem zu entwickeln. Die Türkei hat eine institutionelle Struktur mit einer langen Tradition der Entwicklung einer grundsätzlichen Politik auf dem Feld der technologischen Entwicklung und der Innovationspolitik.

Mit seiner Bevölkerung von 71,3 Millionen hat die Türkei sich bereit erklärt, in einer Reihe von internationalen Organisationen und Abkommen Verantwortungen zu übernehmen. Zusätzlich zu ihrer sozio-ökonomischen Stärke legt sie großen Wert auf Forschung und tertiäre Erziehung. 55% der nationalen Forschungs- und Entwicklungsgelder gehen an die höhere Erziehung, und das ist mehr als der EU-Durchschnitt.

Ohne Zweifel ist die Türkei ein Entwicklungsland mit zahlreichen Problemen. Andererseits hat sie eine sehr junge Bevölkerung; etwa 50% der Bevölkerung ist weniger als 25 Jahre alt, und es ist diese Gruppe, die im Augenblick ihre Erziehung fortsetzt. Im Augenblick gibt es 78 Universitäten; 53 davon sind staatlich und der Rest privat. Es gibt etwa 1.8 Millionen Studenten im Grundstudium und 140,000 in einem nach-graduiertem Studium. Etwa 37 % davon sind Frauen.

Das Verhältnis aller Studenten in der tertiären Erziehung zur Bevölkerung in der Altersgruppe von 18-21 Jahren ist 33%. Weiterhin ist die durchschnittliche Zahl der Studenten im Grundstudium per Dozent 23.6.

Insgesamt sind an türkischen Universitäten über 77.000 Dozenten angestellt, davon sind etwa 40% Frauen. 24% der Frauen sind Professoren, 35% Associate Professoren. Diese Verteilung ist bedeutend höher als in den meisten europäischen Ländern; Schweden ist dort mit 13% führend. Einer der Gründe dafür ist, daß die Gehälter für Männer und Frauen auf allen Ebenen und in allen Sektoren seit der Gründung der Republik völlig gleich sind.

Im Bezug auf das Feld des Studiums überwiegen angewandte Sozialwissenschaften und technische Wissenschaften sowohl bei den Studenten als auch bei den Dozenten.

Die wichtigsten Aufgaben der türkischen Universitäten sind: die Forschungs- und Entwicklungskapazität zu erweitern und die Forschung und Entwicklung zugänglicher zu machen. Aus diesem Grunde hat der Rat für Tertiären Unterricht (Higher Education Council) sich mehr und mehr darauf konzentriert, die Anzahl der Forscher zu vergrößern und die Qualität sowie der Umfang der Forschungsinfrastruktur zu verbessern und auf diese Weise die Fähigkeiten der regional Tätigen zu entwickeln.

Die Qualität und den Umfang der Forschungsinfrastruktur zu verbessern, hängt im wesentlichen von den finanziellen Resourcen ab. Die türkischen Universitäten werden in erster Linie vom Staat finanziert (59 %), zweitens durch Einkommen der Universitäten selbst (35%) und schießlich durch Beiträge der Studenten (4%).

Die Resultate der Forschung und der Entwicklung, die von der Universität produziert werden, können zur Ökonomie nur dann beitragen, wenn sie leicht zugänglich gemacht werden. Das kann dadurch erreicht werden, daß man mehr Graduierte produziert, und eine effizientere Kommunikation der Forschungsergebnisse erreicht, d.h. mehr Publikationen, erhöhter Wissenstransfer - Patente, "spin offs", Konsultationen, und intensivere unternehmerische Aktivitäten.

Die größte Herausforderung für die Türkei ist, die innovative Kapazität seiner Unternehmen nutzbar zu machen, um auf Grund von erhöhter Produktivität und der Entwicklung neuer Produkte und nicht auf Grund niedriger Arbeitskosten konkurrenzfähig zu werden. Die Türkei hat eine günstige "Kapazität", aber ist relativ schwächer, was die "Fähigkeit" angeht. Die beste Richtung scheint zu sein, Innovationssysteme zu erarbeiten und diese in das europäische Innovationssystem zu integrieren. Indem man die Konsultation über Themen der Forschung und Entwicklung zwischen Wissenschaft und Industrie erhöht und Know-how im Rahmen der Intellektuellen Eigentumsrechte verbreitet, wird die aufnehmende Kapazität der Unternehmen für Forschung und Entwicklung gesteigert und das wird seinerseits die Finanzierungsmöglichkeit der Forschung befördern.

Im Augenblick ist die Türkei Nummer 26 in der Welt, was die Anzahl der Artikel betrifft - mit 65.126 Artikeln. Die Anzahl der publizierten Artikel ist in den letzten 15 Jahren um 357 % gestiegen. Die Anzahl der Zitierungen, andererseits, um 175 % von beinahe 6000 auf über 8000.

Diese Aktivitäten werden innerhalb der existierenden europäischen Programme, z.B. der bilateralen Absprachen, der Erasmus- und Socrates-Programme und der Rahmen-Programme ausgeführt. Die Zusammenarbeit mit den europäischen Universitäten trägt sowohl zur Globalisierung der türkischen Universitäten bei als auch zur Verbreitung von Forschung und Entwicklung. Das Land ist erst vor Kurzem ein volles Mitglied der Rahmen-Programme geworden. Innerhalb des 6ten Rahmenprogramms wurden 242 Projekte (von 1360 Anträgen) finanziert (bis zum 10. August 2005). Der Prozentsatz der Forscher, die an FP6 Projekten teilnehmen, ist in der Türkei 22%, verglichen mit 23% z.B. in Deutschland.

Türkische Wissenschaftler arbeiten mit ihrem europäischen Gegenüber auf verschiedenen Ebenen zusammen. Das Land nimmt aktiv an ERA-MORE teil - dem europäischen Netzwerk der Mobility Centres. Die Türkei hat 6 Mobility Centers, die auf Grund eines FP6-unterstützten EU-Projekts mit dem Titel “TR-MoNET” gegründet wurden. Diese Zentren haben Forscher in allen Dingen, die mit ihrem professionellen und täglichem Leben zusammenhängen, unterstützt, einschließlich praktischer Informationen über Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Sprachkursen.

Das Land legt großen Wert auf die Erziehung seiner jungen Bevölkerung. Es ist Mitglied des Bologna-Prozess seit Mai 2001 in Prag. Es hat ebenfalls am SOCRATES Pilot-Projekt von 2000-2004 teilgenommen und ist Vollmitglied von 2004 an. Die Türkei ist auch ein Mitglied von ENIC und NARIC, und 46 Universitäten sind Mitglieder der Europäischen Universitätsvereinigung und 56 sind Mitglieder der Internationalen Universitätsvereinigung (IUA).

Die Türkei hat sich definitiv auf die Ausführung des Bologna-Prozesses festgelegt, mit allen ihren Interessenten, z.B. dem türkischen Universitäts-Rektoren-Kommittee, dem Interuniversitäts-Rat, den Bologna-Förderern usw. Zusätzlich ist die Existenz von 20 philologischen und kulturellen Studienprogrammen an türkischen Universitäten ein effizientes Werkzeug zum gegenseitigen Verstehen der verschiedenen Kulturen auf globaler Ebene.

Es gibt allerdings eine Reihe von noch ungelösten Fragen vor allem im Bezug auf die Qualitätskontrolle:

Die Herausforderungen für türkische Universitäten sind den globalen Herausforderungen für die europäischen Universitäten durchaus ähnlich; es geht darum, die internationale Konkurrenzfähigkeit der tertiären Erziehung zu verstärken und einen schärferen Fokus und eine größere Menge mit der Forschung zu schaffen. Diese Ziele können nur durch ähnliche Anstrengungen auf allen Ebenen erreicht werden. Eine größere Vergleichbarkeit der Universitätsgrade und Qualifikationen (der Bologna Prozeß) sind notwendig, aber auch eine größere Transparenz im tertiären Erziehungssystem.

Die türkischen Universitäten sind bereit, Hand in Hand mit europäischen Institutionen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele zu arbeiten. Die Forschung kann nur durch die Integration der nationalen Forschungssysteme verbessert werden, indem sie für Forschungsprojekte individueller Teams Unterstützung auf europäischer Ebene annimmt und zugleich Konkurrenz für Exzellenz ermutigt, die Forschungsinfrastruktur stärkt und die Anstrengungen im Training von Forschern verstärkt.

In den nächsten Dekaden beabsichtigen die türkischen Universitäten sich stärker auf die Bedürfnisse der Industrie und der Gesellschaft auszurichten. Im 21sten Jahrhundert wird die Gesellschaft folgendes benötigen:

Die Vision der türkischen Universitäten schließt ein lebenslanges Lernen für die Studenten ein, um die Qualität der Arbeitskräfte ständig zu verbessern und seiner jungen Bevölkerung die Fähigkeit zu vermitteln, neue Ideen und Innovationen zu entwickeln.

© Ulku Bayindir (Ege Universität, Izmir, Türkei)

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For quotation purposes:
Ulku Bayindir (Ege Universität, Izmir, Türkei): Universitäten und Fragen der europäischen Kooperation: Perspektiven der türkischen Universitäten . In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005.
WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/plenum/bayindir16DE.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 30.12.2005     INST