TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Januar 2010

Lachen und Ernst
Sektionsleiter | Section Chair: Han-Soon Yim (Seoul National University)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Physis und Psyche im Lachen

Überlegungen über die Grundstruktur des Lachens und der Komik

Han-Soon Yim (National University, Seoul, Korea) [BIO]

Email: yimhansn@snu.ac.kr

 

Universalien des Lachens

Das Lachen ist eine unwillkürliche und meist unbewusste Reaktion auf bestimmte Reize, die sehr verschiedener Art sein können. Die Lachreize können rein körperlich sein: taktil wie beim Kitzeln, optisch oder akustisch. Sie werden jeweils von einem oder gleichzeitig von mehreren Sinnesorganen aufgenommen, ins Gehirn weitergeleitet, dort als lachhafte Reize wahrgenommen und gehen dann am Körper als Lachen auf. Doch das Lachen oder Lächeln kann ebenso durch emotionale oder geistige Impulse wie Erinnerungen, Erwartungen oder Vorstellungen hervorgerufen werden. Wenn man über einen Gegenstand lacht, so muss das Komische daran zuerst durch den Intellekt des Subjekts als solches erkannt werden. Auch funktional wirkt das Lachen sowohl physisch als auch psychisch auf den Lachenden zurück: Das gesamte körperliche System aus Muskeln, Nerven und Gehirn wird im Lachvorgang angespannt, erschüttert und dann wieder entspannt, wobei der Lachende vor allem in der Entspannungsphase eine psychosomatisch katharsisartige Erleichterung empfindet. Auch gemäß der Witztheorie Sigmund Freuds reinigt das Lachen Körper und Geist, indem es die durch die „Verdrängungsarbeit der Kultur“ verlorengegangenen und von der „Zensur in uns“ verworfenen „Genußmöglichkeiten“ wieder in Anspruch nimmt: „Der Psyche des Menschen wird aber alles Verzichten so sehr schwer, und so finden wir, dass der tendenziöse Witz ein Mittel abgibt, den Verzicht rückgängig zu machen, das Verlorene wieder zu gewinnen.“(1) Mit dem Verzichteten bzw. Verlorenen sind die psychischen, besonders im Unterbewusstsein aufgestauten sexuellen Energien gemeint, die etwa bei einem „obszönen Witz“ in einer feinen Gesellschaft oder einer „groben Zote“ etwa in einer bäuerlichen Unterhaltung zum Vorschein kommen. Die physische und psychische Lust, die in beiden Fällen von den Zuhörern jeweils im Lachen empfunden wird, stammt nach Freud aus der nämlichen Quelle der unterdrückten Sexualität.

Die Dichotomie von Leib und Geist bzw. die philosophische Trichotomie von Leib, Seele und Geist, die sich im gesamten Lachvorgang widerspiegelt, gehört zu den Universalien des Lachens und gilt damit für alle Kulturen. Bei aller kulturellen Bedingt- und Bestimmtheit(2) sind die Universalien des Lachens und des Komischen nicht nur in anthropologischer Hinsicht anzunehmen, sondern auch in semiotischer, linguistischer, kognitiver, ästhetischer u.v.a. Die Universalität des Komischen in diesem Sinn ist feststellbar sowohl in der sozialen Funktion (der gruppenstärkenden Kontrolle oder des ausgrenzenden, aggressiven Konflikts) als auch in der Struktur (Inkongruenz, Kontrast, Nachahmung, Wiederholung, Übertreibung u.a.), Situation (mehr Humor im Stadt- als im Landleben oder umgekehrt) und Thematik (Erotik, Dummheit, korrupte Autorität usw.).(3)

Das Lachen beansprucht eine absolute Zeit für sich allein, indem es den Ablauf jeglicher logisch gesteuerten subjektiven wie intersubjektiven Handlung abrupt unterbricht und diese vorübergehend stilllegt. Universell ist auch, wie hier angedeutet, die Subversivität des Lachens. Nicht zuletzt dadurch stört das Lachen die soziale Ordnung, die bereits in der Antike und dann noch stärker seit der Neuzeit durch den Ausschluss des Lachens aus der Öffentlichkeit sowie weitere kleine Verbote der körperlichen Expressivität durchgesetzt worden ist. Die Wiederbelebung der Diskurse über das Lachen und die Komik, die in Deutschland aus dem „Nullpunkt“ der Nachkriegszeit hervorgegangen ist und seitdem die gegenwärtige Literatur allgemein zu kennzeichnen scheint,(4) widerspiegelt u.a. die Sehnsucht des modernen Menschen nach einer Freiheit jenseits der Freiheit der Vernunft, die sich im Zuge der Dialektik der Aufklärung als Unfreiheit entpuppt hat.

Bei einem Versuch zur Begründung einer Tiefen- bzw. Grundstruktur des Lachens müssten eigentlich in einem umfangreichen Forschungsplan möglichst viele der oben skizzierten oder unterlassenen Universalien herangezogen und ausführlich überprüft werden. In meinem Beitrag befasse ich mich aber aus Zeit- und Raumgründen vornehmlich mit den Merkmalen der lachhaften Laute, um festzustellen, ob und inwieweit sich daraus und aus weiteren linguistischen und anthropologischen Ansätzen ein stichhaltiges Modell der Tiefenstruktur des Lachens und der Komik aufbauen lässt. Dabei gehe ich von Apte aus, der über den „Sound Symbolism“ der lachhaften Laute schreibt:

Most languages seem to have words that describe the sounds of laughter and smiling. Depending on the structural disposition of individual languages, the number of such words may be relatively large or small. Languages that are characterized by reduplication process and have onomatopoetic words for all kinds of noises and actions are also likely to have many words to describe different types of laughter and smiling.(5)

Diese Feststellung wird insofern zu ergänzen sein, als es etwa im Koreanischen und wohl auch in anderen Sprachen nicht nur onomatopoetische, sondern auch eine Anzahl facettenreicher mimetischer Wörter für das Lachen und Lächeln gibt.

 

Lachen und Weinen

Für Helmut Plessner stellen Lachen und Weinen insofern „Grenzen menschlichen Verhaltens“ dar, als „sie als unbeherrschte und ungeformte Eruptionen des gleichsam verselbständigten Körpers in Erscheinung [treten]“.(6) In einer rational und sprachlich nicht mehr erfassbaren und beantwortbaren Situation finde der Körper im Lachen und Weinen noch eine Antwort auf eine solche Krise des menschlichen Verhaltens. Diese Krise wird wie bei der Geburt eines Kindes am ehesten akustisch verkündet und wahrgenommen. Die Koreaner meinen zu hören, dass die Neugeborenen mit dem zweisilbigen Laut „[u]ng-ä“ ihr erstes Lebenszeichen abgeben. Auf meine Frage, wie sich im Deutschen der erste Laut der Babys transkribieren ließe, fühlte sich ein deutscher Sprachlehrer ziemlich unsicher und meinte erst nach einer langen Überlegung, das Baby weine bei der Geburt wohl mit dem Laut „üeh“ und später auch mit „üheh“. Eine Gemeinsamkeit beim ersten Schrei der Neugeborenen in Ost und West besteht demnach darin, dass sie ihren Mund noch nicht weit genug aufmachen können, um den ersten Kardinalvokal a zu produzieren. Das Mundöffnen fällt den Neugeborenen noch schwer, woraus die Reihenfolge vom engen Vokal u oder ü [y] zum etwas breiteren Vokal ä [ε:] oder e [e:] entsteht. Ein- bis dreijährige Kinder in Korea werden beim kräftigen Weinen einen vollen Vokal a bilden, indem sie den einsilbigen Laut ang hinziehend oder wiederholend (ang-ang) ausstoßen. Ein größerer Schüler, der seine heftigen Gefühlsausbrüche zu unterdrücken weiß, wird bewusst oder unbewusst einen engeren, kürzeren und gedämpften Vokal wie in [u]ng-[u]ng [ηη oder ∧η∧η] wählen.

Weinen kann der Mensch auf jeden Fall schon von seiner Geburt an, während die Fähigkeit zum Lachen offenbar erst später entwickelt wird. Ein neugeborenes Kind, das mit dem hellen Laut haha lachen würde, kann man sich nicht vorstellen. Wann beginnt das Kind denn zu lachen? Eine wissenschaftliche Frage darüber hat erst Charles Darwin im Rahmen seiner weit angelegten positivistischen, biologisch-anthropologischen Forschung gestellt und auch als erster festgestellt, dass Taubblinde bei Freude lachen, dass das Lachen also ein angeborenes Verhalten des Menschen sein muss.(7) Bei seinen eigenen Kindern beobachtet Darwin am 55. Tag nach der Geburt ein erstes Lächeln und dann am 65. bzw. 113. Tag ein lautes Lachen (ebd., S. 209 f.). Die Ähnlichket des Lachens und Weinens besteht darin, dass die beiden Ausdrucksformen des Gefühls stufenweise erworben werden: Das echte, tränenhafte Weinen der Kinder wurde erst am 84., 110. oder 139. Tag zum ersten Mal beobachtet (ebd., S. 155), während die Neugeborenen noch ohne Tränen weinen. Zum Schluchzen schreibt Dawin: „With one of my infants, when seventy-seven days old, the inspirations were so rapid and strong that they approached in character to sobbing, when 138 days old I first noticed distinct sobbing, which subsequently followed every bad crying-fit“ (S. 158). Der hier angestellte Vergleich scheint allerdings zu hinken. In der Tatsache, das die Menschen unmittelbar nach der Geburt laut weinen, dabei aber nicht einmal zum stummen Lächeln fähig sind, sehen wir ein Indiz dafür, dass zum Lachen im Gegensatz zum Weinen eine Art intelligibler, erst später zu erwerbender Wahrnehmungsfähigkeit erforderlich ist. Ob der intelligible Charakter des Lachens auch in Lachlauten zu beobachten ist und ob sich dann daraus eine allgemeine Tiefenstruktur des Lachens aufbauen ließe: das sind die zentralen Fragen unserer Untersuchung.

Im Lachen bringt der Mensch einen mehrfach gebrochenen Laut hervor, dessen stillisiertes Schriftzeichen wohl in jeder Sprache als „haha“ angegeben und verstanden wird. Eine exakte Transkription aus der Praxis ist allerdings sehr schwierig, weil man erst bei der sinnlichen, vor allem akustischen Wahrnehmung des Tonfalls, Rhythmus, der Klangfarbe oder Betonung aus derselben Artikulation sofort vernehmen kann, um was für ein Lachen es geht, ein freudiges oder verzweifeltes, freundliches oder aggressives und bösartiges, warmes oder frostiges usf. Im Deutschen, so nach Susanne Schäfer, sind zu unterscheiden: „hohoho als tiefes Lachen aus dem Bauch heraus, hahaha als fröhliches Lachen, hihihi als kicherndes Lachen und hähähä [hehehe] als hämisches Lachen“.(8) Für Englisch schreibt Apte: „ho, ho, ho is universally associated with Santa Claus and is considered to be a belly laugh, while the word haha is associated with facetiousness.“(9)

In unserem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, dass diese westlichen Lachlaute aus der Kombination von h und Monothongen a, e, i und o (im Deutschen einschließlich des Umlautes ä) gebildet werden. Als Koreaner merke ich dabei einige Unterschiede: Im Koreanischen ist hohoho ein weiblicher Lachlaut. Da gibt es außerdem mehr Monothonge als im Englischen oder Deutschen, so dass man im Koreanischen unterscheiden kann: haha, heoheo [hәhә], hoho, huhu, heuheu [hh] und hihi aus den Grundvokalen sowie hehe und haehae [hæhæ] aus den monothongisierten Doppellauten.

Neben h tritt k als ein weiterer Konsonant für Lachlaute auf, wie Apte aus Marathi, „a language spoken by some forty million people in Western India“, gesammelt hat (Apte, S. 255). Für die meisten dieser Onomatopöien könnte man koreanische Entsprechungen angeben, wobei von einer exakten Parallelität aber keine Rede sein kann. Eine phonologische Universalität des Lachens können wir trotzdem feststellen: Sie besteht darin, dass die lachhaften Laute generell durch Verbindung vom gutturalen h (Stimmritzenlaut) bzw. palatalen Konsonant k (vgl. kichern) und aus den jeder Sprache zur Verfügung stehenden Monothongen gebildet werden. Diphthonge treten beim Lachen nicht auf, weil die üblichen Lachlaute ohne Dehnung stoßweise artikuliert und ausgestoßen werden. Um laut lachen zu können, muss sich ein Kind mindestens die sogenannten Kardinalvokale a, i, u (o) und die beiden Konsonaten h und k erworben haben. Dass dies nicht jedem leicht fällt, können wir z. B. im Musicalfilm My Fair Lady (aus Pygmalion von Bernard Shaw) beobachten.

 

My Fair Lady

Der Cockney-Dialekt der Londoner, der die ungebildete Hauptfigur aus der Sicht des dogmatisch-orthodoxen Sprachforschers Higgins schamlos ausstößt und damit „das Shakespearesche Kulturerbe verdirbt“, wird im Musical My Fair Lady (1956) und dann in dessen Verfilmung (1964) viel differenzierter und intensiver zum Vorschein gebracht als im Originaldrama, Pygmalion (1912) von George Bernard Shaw. Das Blumenmädchen auf der Straße, das einen bescheidenen sozialen Aufstieg ins Auge gefasst hat, nimmt bei Professor Higgins einen dazu erforderlichen Sprachunterricht. Schon bei den Grundvokalen a-e-i-o-u spricht Eliza hartnäckig ahyee [ai:] anstatt a [εi]. Wegen dieser vokalischen Störung lautet der von ihrem Meister gebildete Übungssatz: „The rain in Spain stays mainly in the plain“ aus ihrem Mund: „The rine in Spine stays minely in the pline“ (I 5,50)(10). In ihrem Englisch bleibt außerdem der Konsonant h unterdrückt, offenbar weil sie dessen tief liegende Artikulationsstelle, die Stimmritze am Kehlkopf, nicht richtig betätigen kann.(11)

Diesen Fehler soll sie beheben lernen mit dem Satz: „In Hertford, Hereford, and Hampshire, hurricanes hardly ever happen.“ Auch hier muss sich der Meister enttäuschen und kann sein Ziel erst mittels einfacherer Übungen nur langsam erreichen:

ELIZA [conscientiously]: In 'ertford, 'ereford, and 'ampshire, 'urricanes 'ardly hever 'appen !
HIGGINS [infuriated]: No, no, no, no! Have you no ear at all?
ELIZA [willinqly]: Should I do it over?
HIGGINS: No. Please, no! We must start from the very beginning. [...]Do this: ha, ha, ha, ha. [He rises.]
ELIZA: Ha-ha-ha-ha. (I 5,51)

Die Aussprache von ha scheint Eliza etwas leichter zu fallen, da sie diese Silbe bisher beim Lachen, wohl wie üblich unbewusst, unzählige Male ausgestoßen haben muss und sie jetzt als einen Lachlaut wahrnimmt. Mit den Beispielen wie ,How kind of you to let me come‘ und ,a cup of tea‘ (I 5,52) übt das Mädchen dann den Hintergaumenlaut k. In der fünften Szene des ersten Aktes, wo der eiserne Drill zur Korrektur der Phoneme ai-ei, h und k stattfindet, ähnelt das Mädchen einer Schülerin, die Englisch als eine Fremdsprache gerade zu lernen begonnen hat, oder vielmehr einem Kind, das seine noch ungeschickte Muttersprache verbessern soll.

Die von Shaw angedeuteten und erst in der musikalisch-filmischen Adaption von Alan Jay Lerner explizierten Sprachfehler Elizas bedürfen einer phonologischen Erläuterung. Unabhängig davon, wie genau bzw. inwieweit die typischen Merkmale des Londoner Dialekts bei der lustigen und lustspielerischen Gestaltung der Lernszenen wiedergegeben sind, verbirgt sich in ihrer unbekümmert kindlichen Aussprache ein Lautsystem, das erst mit Hilfe sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse angemessen erklärbar zu sein scheint. Hierzu konsultieren wir am besten Roman Jakobson, der durch Entdeckung der allgemeinen, der Struktur der Lautsysteme zugrunde liegenden Gesetze einen bahnbrechenden Beitrag zum Verständnis der Kindersprache und Aphasie sowie des Universalismus der Völkersprachen geleistet hat. Die von ihm ausführlich belegte These lässt sich folgendermaßen resümieren:(12)

  1. Die relative Zeitfolge des Erwerbs der Muttersprache ist bei Kindern der ganzen Welt gleich und entspricht dem relativ universellen Vorhandensein der lautlichen Oppositionen in den menschlichen Sprachen. (59 ff)
  2. Vokal a und minimaler Konsonantismus
  1. Minimaler Vokalismus, Vokaldreieck
  1. Reihenfolge des Konsonantenerwerbs
  1. Der Abbau des sprachlichen Lautbestandes bei den Aphasischen liefert ein genaues Spiegelbild für den lautlichen Aufbau der Kindersprache. (81) Bei der Aphasie gehen die sekundären Vokale früher als die primären verloren. (82) Die Wiederherstellung der Sprachlaute beim geheilten Aphasiker entspricht in ihrer Reihenfolge genau dem Aufbau der Kindersprache. (84)

Es ist also nachgewiesen, dass der breite Vokal a als der erste Vokal der Menschheit berechtigterweise seinen vorangestellten Platz in den meisten Alphabetsytemen einschliesslich des koreanischen und des japanischen in Anspruch nimmt und nehmen darf. Er ist der Sprachlaut, der das Kind zuallererst erlernt. In Bezug auf den „minimalen Vokalismus“ bzw. das vokalische Grunddreieck (3.1, 3.2) dürften wir die Sprachstufe Elizas als jene einschätzen, auf der die vokalische Opposition von a und i bereits erworben, die von e und i dagegen noch nicht verfügbar ist. Ihre Lautstummheit beim Glottal h sowie ihre Unsicherheit beim Velar k ließen sich aus dem Prozeß des Konsonantenerwerbs schließen. Gemäß dieser Reihenfolge (4.2: p, b – t, d – k, g – h) ist der hinterste Konsonant h am schwiergsten zu erlernen und wird daher vom Kind auf der spätesten Stufe erworben. Eliza kann ihn noch nicht aussprechen, weil zuvor alle anderen, vorderen Laute erworben sein müssen, und zwar erst nach dem benachbarten Hintergaumenlaut k, den sie gerade erst halbwegs beherrscht. Bei aller Arbitrarität der Phoneme der Londoner Mundart, die Eliza erst durch eine langfristige und systematische Übung zu überwinden vermag, lässt sich ihre Gewohnheit, ei als ai auszusprechen, also von dem universellen Lautgesetz der Kindersprache herleiten. Sie erscheint sowohl als ihre noch nicht überwundene kindliche Lässigkeit wie auch als eine kreatürliche Primitivität, und zwar ebenso wie der Diphthong au in ihrem immer wiederholten wilden Schrei Aoooow! (Lerner 019, passim) aus dem „minimalen Vokalismus“ gebildet und vor Freud und Leid beinahe unbewusst ausgestoßen wird.

 

Ein interlingualer Vergleich

In seinem oben zitierten Buch stellt Mahadev L. Apte fest: „The languages of South Asia have a strong cultural and structural disposition toward developing onomatopoeic words and include many such words. Speakers readily create new ones. These languages also have many words that describe different kinds of laughter and designate various motives and emotions associated with them“ (wie Anm. 2, S. 255). Anschließend gibt der Autor die lachhaften Laute von Marathi, einer Sprache, die von etwa vierzig Millionen Leute in Westindien gesprochen wird, tabellarisch wieder. Im folgenden soll die Tabelle zitiert und den einzelen Lauten sowie ihren jeweiligen Bedeutungen koreanische Entsrechungen gegenübergestellt werden:

Marathi

Meaning

Koreanisch

Khudukhudu

Soft, pleasant laughter of an infant

kukuk, kidukkiduk, kikkik

khadākhadā

Loud laughter of an infant

Ggalggal (von Mädchen), ggarrr (von Babys); (gedämpft:) ggillggill, killkill

phidīphidī

Vulgar and obscene laughter

pisikpisik, pikpik (verlachen)

khaskhas

Mild appreciative laughter

ggeolggeol [ggәlggәl] (von älteren Männern)

khokho; hoho

Loud uproarious laughter

haha

khikhi

Horselike laughter

kiki, kikkik (von Kindern)

phisphis

Derogatory laughter

bisikbisik, pisikpisik, pikpik (eher mimetisch als onomapoetisch)

 

Auch wenn von einer genauen Entsprechung keine Rede sein kann, lässt sich aus diesem Vergleich schließen, dass die lachhaften Laute universell sind. Eine weitere Gemeinsamkeit von Marathi und Koreanisch besteht darin, dass die meisten Lachlaute adverbial benutzt werden und in der Regel auch Verben bilden können. Hierzu schreibt Apte über Marathi: „Most of these words are used as adverbs and usually accompany the verb has, meaning, to laugh or to smile‘; some can also be used as verbs, in which case they include both the action of laughing and the other meanings“ (ebd.). Dieselben Regeln gelten auch für Koreanisch, wobei das Verb has in udda (= lachen) zu ersetzen und, um aus Lachlauten Verben zu bilden, zum jeweiligen hachhaften Laut den verbialen Zusatz georida oder daeda hinzuzufügen sind. Demnach heißt das deutsche Wort kichern auf Koreanisch „killkill udda“ oder „killkillgeorida bzw. killkilldaeda“.

Schlussbemerkung

Aus den bisherigen Darlegungen, die ein Torso bleiben müssen, die aber durch eine interlinguale und anthropologische Erweiterung der Beispiele zur Begründung einer Tiefenstruktur des Lachens und der Komik dienen könnten, kommen wir zu einer vorläufigen Schlussfolgerung: Die üblichen Lachlaute gehören zusammen mit den weinerlichen Lauten zu den Urlauten des Menschen, wobei das Lachen im Vergleich zum Weinen als eine zugleich körperliche und intelligible Reaktion des Menschen darstellt. Im Lachen verbergen sich also der Körper und Geist des Menschen sowie die Natur und Kultur der Menschheit.

 


Anmerkungen:

1 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (= Gesammelte Werke, Bd. 6), 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Fischer 1961 (zuerst 1940), S. 111.
2 Auf diese Thematik wird in meinem Beitrag nicht eingegangen, abgesehen von einem anscheinend asiatischen Phänomen: In Korea und Japan wurde von Frauen verlangt, sich beim Lachen die Hand vor den Mund zu halten und das allzu nahe Visavis zu vermeiden. Es galt auch allzu lautes Lachen zu unterdrücken. Dasselbe Rollenverhalten, das zum Teil auch heute noch verlangt wird, hat mir 2002 eine chinesische Germanistin für die gegenwärtige Volksrepublik China bestätigt. Eine ähnliche Verhaltensregel sowohl für Frauen als auch für Männer hat der amerikanische Anthropologe Apte in der „Thai culture of Southeast Asia“ beobachtet: „hilarious laughter falls [there] in the same category as acts that are considered vulgar […].“ Mahadev L. Apte: Humour and Laughter: an Anthropological Approach, Ithaca u.a. 1985, S. 257.
Ob sich aus dieser Kulturbedingtheit des Lachens ohne weiteres eine anachronistische Diskriminierung der Frauen spezifisch in Asien schließen lässt, scheint fragwürdig zu sein, zumal die in der amerikanischen Forschung aufgefriffene sogenannte „joking relationship“ (A. R. Radcliffe-Brown: Structure and Function in Primitive Society, London 1956, S. 90, 95.) ebenfalls betimmten sozialen Voraussetzungen unterworfen ist: Damit sich zwei Personen in einer Beziehung dieser Art einander erlauben können, sich über den anderen lustig zu machen, ohne daß es als Kränkung aufgefaßt wird, muss ein stabiles System sozialer Rollen und ihnen entsprechender Verhaltensweisen vorhanden sein. In diesem Fall würden die schamhaften asiatischen Frauen auch scherzen und lachen, ohne die genannte höfliche Handbewegung zu machen.
3 Näheres über die Universalität des Lachens und des Komischen vgl. Susanne Schäfer: Komik in Kultur und Kontext, München: Iudicium 1996 [= Diss. 1995], S. 47-55.
4 Vgl. vor allem die Dramatik des Grotesken von Friedrich Dürrenmatt, für den „die Komödie die einzig adäquate Gattung, sein Weltbild dramatisch umzusetzen,“ darstellt (F. D.: Theaterprobleme, Zürich 1955, S, 45.), und die Verkündigung vom „Tod der Tragödie“ durch George Steiner (G. S.: Der Tod der Tragödie, München und Wien 1962).
5  M. Apte, wie Anm. 2, S. 255.
6 Helmut Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens. In: H. P., Philosophische Anthropologie, Frankfurt 1970, S. 39.
7 Vgl. Darwin: The Expression of the Emotions in Man and Animal. Third Edition. With an Introduction, Afterword and Commentaries by Paul Ekman. London: HaperCollinsPublishers 1998, S. 195.
8 Susanne Schäfer: Komik in Kultur und Kontext. iudicum: München 1996, S. 48 (Anm. 39).
9 Mahadev L. Apte: Humour and Laughter, S. 255.
10 My Fair Lady. A musical play in two acts, based on Pygmalion by Bernard Shaw. Adaptation and lyrics by Alan Jay Lerner. New York 1959 (1956), S. 50 (Act 1, Scene 5).
11 Higgins spricht von „the peculiar habit of not only dropping a letter like the letter aitch, but using it where it shouldn't be“, wie „,hever‘ anstatt ,ever‘ (S. 51). Eine linguistische Exegese über diese Erscheinung soll hier erspart bleiben.
12 Roman Jakobson: Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969, S. 59 ff.

1.9. Lachen und Ernst

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For quotation purposes:
Han-Soon Yim: Physis und Psyche im Lachen. Überlegungen über die Grundstruktur des Lachens und der Komik - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/1-9/1-9_yim17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-01-19