TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen
Sektionsleiter | Section Chair: Csaba Földes (Veszprém / Ungarn)

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Interkulturelle Kommunikation und Identität durch Sprache
am Beispiel deutschböhmischer Mundarten

Nicole Eller (Universität Regensburg, Deutschland)

Emal: ellernicole@hotmail.com

 

People think, I’m an Australian.“

Fred Rauner aus Orewa, Neuseeland,
verweist in einem Interview darauf,
dass die deutschböhmische Erstsprache bis heute
in seinem englischen Sprachgebrauch ihren Niederschlag findet.

 

Seit jeher wanderten Menschen von ihren angestammten Territorien aufgrund von desolaten politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen aus, um ihr Glück in der „Neuen Welt“ zu suchen. Ein herausragendes Beispiel für eine derartige Gruppe sind die Deutschböhmen. Diese leben gegenwärtig über die ganze Welt verstreut. Neben ihrem traditionellen Ursprungsgebiet im heutigen Tschechien, ließen sie sich unter anderem in Süd- und Nordamerika, Neuseeland, Rumänien und der Ukraine nieder.(1) Eine mehrsprachige Prägung der einzelnen Sprecherinnen und Sprecher war nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sprachinseln und der Verbannung der deutschen Sprache aus weiten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, die logische Konsequenz.

Ein Blick in die Menschheitsgeschichte verdeutlicht, dass die individuelle Mehrsprachigkeit den Normalfall darstellte, alle großen Reiche der Vergangenheit waren mehrsprachig.(2)

Wie das einleitende Zitat aus Neuseeland nahe legt, wurden die Nachfahren der deutschböhmischen Siedler mehrheitlich im Dialekt sozialisiert und erlernten die umgebende Mehrheitssprache erst in der Schule oder durch den Umgang mit Freunden.

Zunächst eine Beschreibung der untersuchten Sprachinselverbände in Tschechien und in den Sekundärinseln.

 

Die deutschböhmischen Mundarten im Ursprungsland

Die Bevölkerung im unmittelbaren Grenzbereich, also auch jene im Böhmerwald, war zunächst größtenteils monolingual.(3) Der zweite Weltkrieg stellt einen starken Einschnitt dar:

Aufgrund der politischen Situation, die die Verbannung der deutschen Sprache aus dem öffentlichen Leben zur Folge hatte, wurden die tschechischen Staatsbürger deutscher Abstammung angehalten, Tschechisch zu erlernen. Der einzige geheime Rückzugsort für die deutschen Mundarten blieben die Familien, in denen diese Tradition völlig abgeschottet von der Außenwelt zunächst bewahrt wurde. Die rezenten Dialekte im Ursprungsgebiet können als sehr junge und individualisierte Sprachinseln deklariert werden, die allerdings bereits mit der Generation der 70 bis 80-jährigen im Verschwinden begriffen sind.

 

Die deutschböhmischen Mundarten im Exil

Neuseeland

In den Familien der deutschböhmischen Siedlerinnen und Siedler wurde zunächst ausschließlich Dialekt gesprochen. Auffällig ist, dass sich zum Teil Unterschiede der einzelnen Herkunftsorte in Tschechien in den „Familiendialekten“ bis heute erhalten haben. Diese Tatsache ist den Sprechern zum Teil bewusst und wurde bei der Befragung von den Gewährspersonen gelegentlich thematisiert.

Die Schulsprache war bereits wenige Jahre nach der Einwanderung englisch geprägt.  Gerade die vorwiegend im deutschböhmischen Dialekt sozialisierten Kinder der böhmischen Auswanderer hatten deshalb zunächst mit Schwierigkeiten zu kämpfen. So berichtete Olive Lambert, eine Informantin aus Neuseeland von einem Missverständnis in ihren ersten Schultagen: Auf den tadelnden Hinweis des Lehrers „Look at your dirty face“ wanderte ihr Blick nach unten zu den Füßen (nordbairisch feyß).

Einen negativen Einschnitt für die Dialekttradierung stellte die Zeit nach dem 1. Weltkrieg dar, in dieser Zeit vermehrte sich der gesellschaftliche Druck, die deutschen Siedlungsmundarten aufzugeben. Während manche Eltern der Gewährspersonen sich bemühten, ihre Nachkommen in Englisch zu erziehen, wurde der deutschböhmische Dialekt teilweise als Geheimsprache genutzt, so z. B. zwischen Eltern, um sich über Dinge auszutauschen, die nicht für Zuhörer bestimmt waren.(4)

Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der nordbairische Dialekt von Puhoi in den nächsten Jahren aussterben wird. Im Großraum Auckland leben heute noch acht aktive Sprecherinnen und Sprecher, die alle bereits über 75 Jahre alt sind. Die Nachkommen dieser Sprecher verfügen, wenn überhaupt, lediglich über eine passive Dialektkompetenz.

Es bleibt anzumerken, dass der Dialekt in der Kindheit und Jugend der interviewten Personen äußerst unterschiedliche Rollen spielte. So wurde beispielsweise im Falle von Fred Rauner und seiner Schwester Olive Lambert im Familienverband ausschließlich die Mundart gesprochen, die englische Sprache erlernten sie erst in der Schule. Sehr aufschlussreich für die Forschung ist die eingangs erwähnte Aussage Fred Rauners. Er verweist darauf, dass seine deutschböhmische Erstsprache bis heute im englischen Sprachgebrauch einen Niederschlag findet: „People think, I`m an Australian“.

In der Familie eines weiteren Informanten wurde der Dialekt nur dann gesprochen, wenn die Eltern etwas vor ihren Kindern verheimlichen wollten, der Dialekt wurde nicht willentlich und wissentlich an die nachfolgende Generation weitergegeben. Letztendlich siegte allerdings die kindliche Neugier und die Geheimhaltungsversuche der Eltern waren Anreiz, den Dialekt autodidaktisch und durch die Mithilfe befreundeter Kinder und Familien zu erlernen.   

Bemerkenswert ist, dass die Varietät überhaupt so lange bestehen blieb. Stützende Faktoren hierfür sind sicherlich die soziale und ökonomische Isolation. Aufgrund des geschlossenen Siedlungsgebietes und eigener Kirchengemeinde bildeten die Siedler in Puhoi lange eine eigenständige Gemeinschaft.

Transkarpatien

Die Gesamtsprecherzahl aller deutschen Varietäten in Transkarpatien hat in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Lebten 1935 noch etwa 15.000 Deutsche im Gebiet,(5) liegt die aktuelle Zahl bei geschätzten 3.000 bis 4.000. Gerade die Mundart der deutschböhmischen Siedler ist unmittelbar bedroht. Die Sprecherzahl der deutschböhmischen Varietät in Transkarpatien liegt nach Schätzungen heute wohl bereits unter 100, möglicherweise sogar unter 50 Sprechenden.(6)

USA

Die deutschböhmischen Siedler, die sich Ende des 18. Jahrhunderts in der Bukowina(7) (Buchenland) niedergelassen hatten, wanderten teilweise schon ein bis zwei Generationen später nach Amerika aus. Ab dem Jahr 1890 verließen zahlreiche deutschsprachige Einwanderer aus wirtschaftlichen Gründen die Bukowina und emigrierten nach Kanada, Nord- und Südamerika.(8)

Etwa 70 Familien siedelten sich in Ellis County an. Die ehemaligen Wohnorte (Karlsberg, Fürstenthal und Buchenhain) der Vorfahren, welche überwiegend Glas- und Waldarbeiter aus dem Böhmerwald waren, liegen im heutigen rumänischen Teil der Bukowina.(9)

Der Aufenthalt der deutschböhmischen Siedler im Buchenland war zu kurz, um zu einer Ausgleichsmundart zu führen.

In Ellis wurden die Einwanderer aus der Bukowina Österreicher genannt, was auf den herrschaftlichen Einfluss der Habsburger während ihres Aufenthaltes in der Bukowina zurückzuführen ist. Die Befragten bezeichnen ihre Mundart selbst als deitschbehmisch, was einer Gesprächspassage zwischen den Bukowinern in Ellis zu entnehmen war: Iazd muasst deitschbehmisch redn, ned des Englisch (Jetzt musst du deutschböhmisch sprechen, nicht dieses Englisch).

Die dialektalen Aufnahmen beinhalten neben Spontangesprächen, Dialogen und den Übersetzungsfragen auch Mitschnitte von Instrumentalstücken und Gesang.

Die Befragungen konzentrierten sich hauptsächlich auf zwei Gewährspersonen:Norma Lang, geborene Augustine (Ihre Vorfahren kommen alle aus Fürstenthal) und Joe Erbert (Die Großmutter stammt aus Fürstenthal und der Großvater aus Poiana Micului(10)). Joe Erbert verfügt über eine noch größere Dialektkompetenz und Wortschatzfülle als Norma Lang.

Interessant ist in pragmatischer Hinsicht die Auskunft mehrerer Informanten, dass die deutsche Mundart ihre Primärsprache war und sie Englisch erst im Laufe der ersten Schuljahre erlernten. Mit dem Tod der Großeltern und Eltern wurde die Mundart allerdings mehr und mehr verdrängt und wird nun nur mehr von einigen wenigen, älteren Personen gesprochen. Von gesellschaftlicher Seite wurde vor allem nach dem 2. Weltkrieg Druck auf die deutschböhmischen Nachfahren ausgeübt, ihre Siedlungsdialekte aufzugeben. Diese Maßnahme führte aus sprachlicher Sicht allmählich zu einem Mangel an Sprachloyalität und eigenem Kulturverständnis, vor allem bei der jüngeren Generation.(11) Die zunehmende Mobilität der Siedlerinnen und Siedler, welche über viele Jahrzehnte hinweg relativ gering war, da diese in geschlossenen Kommunitäten lebten und arbeiteten, dürfte ebenfalls einen ernormen Anteil am Dialektabbau haben. In Bezug auf den Verlust einer Sprache verweist Dorian darauf, dass ein reduzierter Gebrauch von Sprache auch zu einer reduzierten Form von Sprache führt.(12) Die Informanten aus Ellis können daher als „semi-speakers“ oder „Halbsprecher“ bezeichnet werden.(13)

Bei der Benennung von neueren Gegenständen wurden englische Begriffe zu Hilfe genommen, z. B. Hane s`Flashlight gnumma ... (Habe ich die Taschenlampe genommen; Joe Erbert) I ha Gropfa dahoam en mai Freezer (Ich habe Krapfen daheim in meinem Kühlschrank; Norma Lang).

Lüdi formuliert den Zusammenhang zwischen kultureller und sprachlicher Identität folgendermaßen:

„Die kulturelle und sprachliche Identität ist nicht zwingend ein und unteilbar, und transkodische Markierungen sind das äußere Zeichen für eine gesunde, selbstbewusste Kulturalität und Mehrsprachigkeit.“(14)

Die Allgemeingültigkeit der Aussage Lüdis muss dahingehend kritisch hinterfragt werden als beispielsweise bei den Informanten aus Kansas zahlreiche transkodischen Markierungen weniger Ausdruck einer gelebten Mehrsprachigkeit als viel mehr Symbol des Sprachverfalls sind.

In Ellis, Kansas, ist höchstwahrscheinlich von einem völligen Verlust der deutschböhmischen Varietät als Primärsprache auszugehen. Nur noch wenige Sprecherinnen und Sprecher der älteren Generation beherrschen diese deutsche Mundart.

Neben dem Dialekt wurden auch weitere Aspekte der Kultur des Ursprungslandes weitergegeben. So wird immer noch regionaltypisches Essen (Gschdoanas ‘Tellersülze’ und Gropfa ‘Krapfen’) zubereitet und deutsche Tanzlieder gespielt; es existiert auch ein mit besonderer Hingabe tradiertes Musikstück, das bei jeder Hochzeitszeremonie eines Deutschstämmigen gesungen und gespielt wird. Außerdem konnten sich einige Informanten daran erinnern, dass sie als Kinder auf Deutsch gebetet hatten. Folgender Spruch war bei einer Informantin als Erinnerungsformen noch vorhanden:

Norma Lang: Winsche, winsche s`naie Joa. S`Christkindl mir de grausle Hoa. Langs Leben, guads Lebm, Himml glai danebm. (Wünsche, wünsche das neue Jahr. Das Christkind mit dem grausen Haar. Langes Leben, gutes Leben, Himmel gleich daneben).

 

Gegenwärtige linguistische Situation in den untersuchten Sprachinselverbänden

Der Wille, die Herkunftssprache und damit einhergehend auch die Kultur zu bewahren, wird von Lüdi als „Index der ethnolinguistischen Vitalität“(15) bezeichnet. Dieser Index ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig:(16)
  1. Demographische Faktoren: Größe und geographische Verbreitung der Sprecher, Häufigkeit interethnischer Eheschließungen
  2. Individuelle Statusfaktoren: ökonomischer, sozialer, historischer und politischer Status der Gruppe
  3. Institutionelle Faktoren: Konsolidierung durch Massenmedien, Religion, öffentliche Dienste, Schulen
Allerdings bleibt damit die Frage, weshalb die Herkunftssprache für bestimmte Sprecher eine weit größere Rolle spielt als für andere, unbeantwortet. Wichtig ist in diesem Fall, das Individuum und seine subjektive Wahrnehmung und Bewertung der oben angeführten Faktoren zu durchleuchten, um zu aussagekräftigen, spezifischen Ergebnissen und Erkenntnissen zu gelangen. In diesem Zusammenhang ist die Erstellung einer Sprachbiographie durchaus lohnenswert und Ziel führend. Bemerkenswerte Unterschiede in den Einstellungen der Individuen gleicher Herkunft zur Herkunftssprache bzw. zur Herkunftssprache der Vorfahren verdeutlichen, dass das Sprechen einer Sprache nicht gleichzeitig die Zugehörigkeit zu einem Sprachverband impliziert.

Die sprachliche Situation war zu Beginn in allen Sprachinselverbänden durch Monolingualität geprägt, woraus sich dann allmählich hauptsächlich durch äußere Impulse bi- und auch multilinguale Verhältnisse entwickelten. Vor allem bei den deutschböhmischen Nachfahren in den USA und in Neuseeland dominiert das Englische, der deutsche Dialekt wird bis auf einige wenige Ausnahmen lediglich mehr rudimentär verwendet. In deutschböhmischen Siedlungen im rumänischen Banat wird allerdings der Dialekt noch immer an die nachfolgenden Generationen tradiert, so konnte Wildfeuer einige jüngere Sprecher ausfindig machen(17), die neben dem angestammten Dialekt auch die deutsche Standardsprache und Rumänisch beherrschten.

Die transkarpatischen Deutschböhmen sind alle multilingual, neben der Beherrschung der deutschen Varietät sprechen die Informanten fließend Ruthenisch (eine Varietät des Ukrainischen) und Russisch, darüber hinaus meist auch noch Ungarisch (was auf die Anwesenheit einer großen ungarischen Minderheit in der Region zurückzuführen ist).(18)

Auch in der brasilianischen Stadt Saõ Bento, im Staat Santa Catarina, existiert eine sehr intakte Sprachinselsituation mit mehreren, auch jüngeren Sprechern(19), die den nordmittelbairischen Mischdialekt pflegen.

Jede Sprachinselsituation bewirkt und fördert per se interkulturelle Kommunikation. Paradoxerweise stellt dieser Zustand jedoch auch immer eine instabile Konstellation dar, die zum Sprachtod bzw. zur Einsprachigkeit führen kann, da meist eine Sprache die andere, in Kontakt stehende, zu dominieren beginnt.

Im Falle der deutschböhmischen Mundarten Böhmerwaldmundarten wird in wenigen Jahrzehnten die Situation eintreten, dass beispielsweise in Rumänien die deutschböhmischen Dialekte länger existieren werden als im Ursprungsgebiet. Wohingegen im Tschechien kompetente Sprecher nur noch in der älteren Generation zu finden sind, konnte Wildfeuer in Rumänien auch noch 25-jährige Sprecher ausmachen.(20)

 

Identität und Mehrsprachigkeit

Alle im Ursprungsgebiet und im Ausland interviewten Personen sind bilingual, die einzige Ausnahme bilden einige wenige Gewährsleute der ältesten Generation im Böhmerwald, die nie oder nur sehr defizitär Tschechisch gelernt haben.(21)

Für die Charakterisierung von Mehrsprachigkeitssituationen spielen verschiedene Dimensionen und Konstellationen eine tragende Rolle:(22) Wohingegen es sich im tschechischen Ursprungsgebiet um eine territoriale Mehrsprachigkeit handelt, ist der Bilingualismus in den untersuchten Sprachinseln migrationsbedingt.

Nahezu bei allen Sprechergemeinschaften kann eine Hinwendung vom gruppenbezogenen zum individuellen Bilingualismus konstatiert werden. Auch in den USA und in Neuseeland tritt Bilingualismus mehrheitlich in individueller Form auf.

Es besteht in jedem Fall die Notwendigkeit, den Zusammenhang zwischen Sprache und Identität differenzierter zu betrachten, da Sprache nur eine Komponente der Identitätsbildung ist. Bei Herausbildung, Pflege und Transformation von Identitätsmustern wird der Sprache eine wichtige Bedeutung zuteil. Vor allem im Rahmen von Zwei- und Mehrsprachigkeit ist die Sprache lediglich eine Komponente der vielschichtigen individuellen Identität.

Empirische Erfahrungen belegen, dass kulturelle Traditionsmuster mit sozial- und individualpsychologischen Implikationen häufig fester und beständiger verankert sind als die zugehörige Sprachlichkeit. Auch diejenigen Informanten, die den Dialekt nicht oder nicht mehr in der alltäglichen Kommunikation verwenden, geben durchaus an, sich noch „bohemian minded“ zu fühlen (Mavis Rauner / Puhoi).

Földes empfiehlt zurecht eine Differenzierung zwischen Kommunikationssprache, worunter die Sprache, in der man meistens kommuniziert und die dazugehörige Kultur subsummiert werden, und die Identifikationssprache, welche kulturell gesteuert wird und mit der Ich-Identität des Sprechers korreliert, d.h. sie umfasst die Sprache und die dazu gehörige Kultur, mit der man sich am meisten identifiziert.(23)  

Bemerkenswert ist die Tatsche, dass im Gegensatz zu den Sprechern in Transkarpatien, welche ihren Dialekt „Schwobisch“ nennen, die Bukowiner in Kansas ihre Sprache zutreffend als „Daitschbehmisch“ bezeichnen.

Diese Benennungskompetenz steht wohl im Zusammenhang mit den kulturellen und sprachlichen Aktivitäten der Bukovina Society of the Americas in Ellis, die in den Jahren seit ihrem Bestehen Wissen über Herkunft, Kultur und Sprache unter den Mitgliedern der Gesellschaft verbreitete und weiterhin verbreitet.

 

Sprachidentität - Identität durch Sprache

„Sprache bildet eine wesentliche Grundlage des Selbstverständnisses, sowohl von Völkern und ethnischen Minderheiten als auch von kleineren und größeren, regionalen oder sozialen Gruppen.“(24)  

Der Sprachidentitätsbegriff ist sehr komplex.. Subjektiv erweist er sich in erster Linie, je nach betreffender Situation und Identifikationsverständnis des Sprachteilnehmers, in der Konfrontation mit anderen Sprachidentitäten in unterschiedlicher und nuancierter Weise als relevant.(25) 

Identitäten können als Einheit stiftende Konstruktionen bezeichnet werden, die es ermöglichen, Verhaltensweisen und Einstellungen interpretierbar zu machen. Vor allem aus der Außenperspektive sind sie ein wichtiges Instrument, um bestimmte Verhaltensweisen zu deuten.(26)

In diesem Zusammenhang wird die Frage aufgeworfen, welchen Beitrag die Sprache zur (Heraus-)Bildung der so verstandenen Identität zu leisten vermag?

Gruppen sind im Allgemeinen gekennzeichnet durch ein dichtes Netz von Verflechtungen zwischen den einzelnen Mitgliedern. Von zentraler Funktion sind dabei die kommunikativen Beziehungen, die typischerweise auf ganz spezifische sprachliche Kompetenzen zurückgreifen. Bekanntlich ist zudem die sprachliche Selbst- und Fremdwahrnehmung ein wichtiger Baustein beim Aufbau und der Abgrenzung dieser Gruppen selbst. Auch für das Mitglied einer Gruppe ist die Sprache ein konstituierender Aspekt beim Aufbau einer Identität.(27)

In diesem Zusammenhang verweist Heinemann darauf, dass beispielsweise eine Identifizierung mit einer Sprache, nicht automatisch etwa aufgrund einer gemeinsamen Herkunft erfolgt, sondern vielmehr das Ergebnis und der Prozess vielschichtiger individueller Prozesse ist.(28) Die Identität muss daher als komplexes Gebilde begriffen werden, dessen Abläufe keineswegs zwangsläufig erfolgen.

Bei allen untersuchten Dialektsprechergruppen hat die Sprache identitätsstiftende Funktion. Allerdings ist zu differenzieren, „ob der Gesichtspunkt der Sprache als permanent-konstitutiver Bestandteil einer personalen Identität gilt oder nur als begleitender Faktor, der in bestimmten Zusammenhängen lediglich besonders fokussiert wird.“(29)

Bei präziser Betrachtung der Dialektsprecher in den USA wird deutlich, dass sie ihre Sprache als letztes Relikt einer vergangenen Zeit sehen, die sie im Rahmen einer rückwirkenden eigenen Identitätsfindung für sich wieder entdecken. Für alle diese Informanten ist die deutschböhmische Mundart kein permanent-konstitutiver, sondern ein begleitender Faktor ihrer Identität, der lediglich in bestimmten Zusammenhängen Ausprägung findet, nämlich immer dann, wenn weitere Dialektsprecher anwesend sind. Welchen hohen Stellenwert im Rahmen einer Bewahrung von Wurzeln gerade die Liebe zur Sprache einnimmt, verdeutlicht die außerordentliche Akribie, mit der der verstorbene Paul Kretsch (New Ulm/Minnesota) ein Buch über die Egerländer Mundart verfasst hat.

Im Vergleich dazu ist für die älteste Generation im Ursprungsland Tschechien die Sprache ein permanent-konstitutiver Bestandteil ihrer Identität als Böhmerwälder. Diese Identität prägte ihr ganzes Leben. Vor allem jene, die nur eine deutsche Schulausbildung genossen haben und Tschechisch sehr spät lernten, sind durch ihren Akzent heute noch für ihre Landsleute sofort als tschechische Staatsbürger mit deutscher Abstammung erkennbar.

Interessant ist auch die Eigenidentifikation und die damit verbundene Abgrenzung, die die Deutschböhmen im Ursprungsgebiet nach außen tragen: Wenn sie böhmisch sprechen, ist es Tschechisch, so kann ihnen hin und wieder auch etwas „behmisch“ vorkommen. Ihr Dialekt ist keineswegs bairisch, denn „boirisch“ spricht man jenseits der Grenze. Sie bezeichnen sich als „Böhmerwäldler“, wobei der Böhmerwald so Identität stiftend ist, dass er in der Vorstellung der Gewährspersonen weit über seine reellen geographischen Grenzen hinausreicht.

Die Ausführungen sollen mit einem Zitat des Schriftstellers Josef Burg beendet werden, welches die Mechanismen der individuellen interkulturellen Identität widerspiegelt:

 „Warum ich jiddisch schreibe? Natürlich weiß ich, daß ich die deutsche Sprache beherrsche. Ich habe auch die russische Sprache sehr gern. Aber schreiben kann ich nur jiddisch. Das ist meine Muttersprache. Das ist meines. Es liegt mir am Herzen.“(30)

 

Verwendete Literatur:

 


Anmerkungen:

1 In dem an der Universität Regensburg beheimaten Projekt „Deutschböhmische Sprachinseln“ werden sowohl die rezenten Siedlermundarten erhoben als auch Interferenzerscheinungen mit der oder den umgebenden Mehrheitssprachen untersucht. Die Ergebnisse werden in einem Sprachatlas publiziert.
2 Siehe Lüdi (1996), S. 234.
3 Siehe dazu Eller (2006).
4 Mündliche Mitteilung von Max Becker aus Red Beach, Neuseeland.
5 Siehe Melika (2002), S. 257.
6 Siehe Wildfeuer (2007), S. 164.
7 Der südliche Teil der Bukowina gehört heute zu Rumänien, der nördliche zur Ukraine. Das Buchenland stand unter dem herrschaftlichen Einfluss der Habsburger.
8 Siehe dazu Keel  / Rein (1996) und Welisch (1982).
9 Siehe Lunte (2006), S. 237.
10 Beide Orte liegen in der Bukowina.
11 Siehe Lunte (2006), S. 238.
12 Siehe Dorian (1977), S. 24.
13 Siehe Dorian (1977), S. 24.
14 Siehe Lüdi (1996), S. 243.
15 Siehe Lüdi (1996), S. 323.
16 Siehe ebd.
17 Persönliche Mittelung von Wildfeuer, siehe dazu auch Wildfeuer (Manuskript).
18 Siehe Wildfeuer (2007).
19 Mündliche Mitteilung des Dialektsprechers Alfredo Bayerl aus Saõ Bento, Brasilien.
20 Siehe dazu Wildfeuer (Manuskript).
21 Siehe Eller (2006).
22 Siehe Oppenrieder / Thurmair (2003), S. 44f.
23 Zitiert nach Näßl (2003), S. 29.
24 Thim-Mabrey (2003), S. 5
25 Zitiert nach Janich / Näßl (2003), S. 181.
26 Siehe Oppenrieder / Thurmair (2003), S. 41.
27 Ebd. S. 42.
28 Zitiert nach Näßl (2003), S. 23.
29 Thim-Mabrey (2003), S. 2.
30 Burg (2006), S. 8.

2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen

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For quotation purposes:
Nicole Eller: Interkulturelle Kommunikation und Identität durch Sprache am Beispiel deutschböhmischer Mundarten - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-1/2-1-_eller17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-03-14