TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. April 2010

Sektion 2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen
Sektionsleiter | Section Chair: Csaba Földes (Veszprém / Ungarn)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Die einzige Schwierigkeit war meine Anmeldung,
aber schließlich ist es uns gelungen!

Aspekte der Interaktion in einem deutsch-italienischen Onlineseminar

Ulrike Reeg (Bari, Italien) [BIO]

Email: reeg@libero.it

 

1. Einleitung
2. Das Onlineseminar als institutioneller Lehr-/Lernraum
3. Virtuelle Interaktion
4. Interkulturelle Kommunikation
5. Ausblick

 

1. Einleitung

Im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht die Analyse einer interkulturellen, virtuellen Lehr-/Lernsituation im Rahmen eines 2006 durchgeführten Onlineseminars mit Studierenden und Lehrenden der Albert-Ludwigs-Universität und der Università degli Studi di Bari.(1) Die Lehrveranstaltung mit dem Titel „Kommunikation und Neue Medien“ hatte das Ziel, in die Forschungsdiskussion zu  Kommunikationsformen wie E-Mail, Chat und SMS einzuführen bzw. diese zu vertiefen und gleichzeitig virtuelle, schriftbasierte, asynchrone und interkulturelle Kooperation zu erproben und zu trainieren.

Ich werde im folgenden Beitrag einige Aspekte dieser virtuellen Interaktion zwischen italienischsprachigen und deutschsprachigen Lernenden und Lehrenden darstellen und dabei drei eng miteinander verbundene Problembereiche zentral behandeln: die Institutionalität der Interaktion als Form (universitärer) Lehrveranstaltung sowie deren Virtualität und Interkulturalität. Ziel dabei ist es, Strategien sprachlichen Handelns aber auch Besonderheiten sprachlicher Äußerungsformen in Bezug auf institutionelle, medientechnische und kulturspezifische Rahmenbedingungen zu skizzieren.  

 

2. Das Onlineseminar als institutioneller Lehr-/Lernraum

Das kommunikative Verhalten der Teilnehmenden ist entscheidend von der Tatsache geprägt, dass es sich um eine Lehrveranstaltung handelt, die einem Bildungsauftrag verpflichtet ist, der in Anlehnung an standardisierte hochschuldidaktische Verfahren ausgeführt werden muss.  Im vorliegenden Fall ist dabei eine doppelte Verortung in Betracht zu ziehen, da sowohl die deutsche als auch die italienische Hochschule den institutionellen Bezugsrahmen bilden. Dieser determiniert die Wahl des Unterrichtsgegenstands und die Art der didaktischen Aufbereitung, die den Studierenden den Erwerb überprüfbarer fachlicher Qualifikationen ermöglichen muss.(2)

Als Vorlage für die Konzeption dieses virtuellen Seminars dient die (prototypische) Lernumgebung an deutschen Hochschulen mit einer Reihe „akademischer Gattungen“ wie Hausarbeit, Abstracts, Referate, aber auch kommunikativer (Groß-)Gattungen wie Seminardiskussion, Vorlesung etc. (vgl. Günthner 2001: 9; Ehlich 2003: 13 – 28).

Die leicht überschaubare Benutzeroberfläche ist nach dem Prinzip eines modularisierten Hypertextes gestaltet, der im Stil einer Vorlesung die Teilnehmenden in fünf Themengebiete (1. Textklassifikation-Textsorten-Mündlichkeit/Schriftlichkeit; 2. Interview; 3. E-Mail; 4. Chat und 5. SMS) einführt. Von hier aus gelangt man zu den beiden für die Interaktion wichtigsten virtuellen Kommunikationsräumen, nämlich der Newsgroup, in der die schriftbasierte, asynchrone Seminardiskussion stattfindet und in den Raum Dateien, in dem längere, meistens von den Studierenden erstellte Textdokumente abgelegt und somit archiviert werden können. Dieser ‚Festschreibung’ der „thematischen Ordnung“ (vgl.: Becker-Mrotzek et al. 2001; Knapp 2004: 83) entspricht die Strukturierung der „kommunikativen Ordnung“: In genau festgelegten Abständen werden Zusammenfassungen (Abstracts) relevanter wissenschaftlicher Literatur von den deutschen Studierenden, die sich zu Arbeitsgruppen zusammenschließen ins Netz gestellt. Sowohl die deutschen als auch die italienischen Studierenden haben die Aufgabe, hierzu Fragen zu stellen, die die Arbeitsgruppen jeweils gesammelt beantworten.

Die Vermittlung und Aufarbeitung fachrelevanter Wissensbestände erfolgt zunächst lehrendenzentriert, wird dann jedoch von den Studierenden im Rahmen des Onlineseminars autonom gestaltet. Die Vorgabe, dies zunächst nach dem Schema [InformationAG Deutsche Studierende – Fragen alle Studierenden – AntwortenAG Deutsche Studierende] durchzuführen, bedeutet natürlich die Festlegung der kommunikativen Ordnung auf für Unterrichtskommunikation charakteristische „ritualisierte Formen der Interaktion“ (Becker-Mrotzek et al. 2001: 160).

Weitere Formen der selbständigen Weiterarbeit werden aus dem virtuellen Raum ausgelagert, was zu Formen von „blended e-learning“ (vgl. Littlejohn et al. 2007: 4) führt und den Lehr-/Lernprozess stärker an die jeweils kulturspezifischen Lernarrangements, mit allerdings unterschiedlichen Zielsetzungen, anbindet: Die deutschen Studierenden, die einen Leistungsnachweis erhalten möchten, haben die Aufgabe, eine dem Charakter eines Hauptseminars entsprechende Hausarbeit anzufertigen. Die italienischen Studierenden bearbeiten gemeinsam mit den Lehrenden die Lektüre der Fachtexte (die in ganzem Umfang nur für die deutschen Studierenden verbindlich ist), mit dem Ziel, diese auch für sprachpraktische Übungen zur Verbesserung der schriftlichen und mündlichen Ausdrucksfähigkeit zu nutzen  aber auch, um die Kooperationsmöglichkeiten der italienischen Studierenden zu potenzieren und einen Rückgang der Motivation zu verhindern.

Vor dem Hintergrund dieser unterrichtsorganisatorischen und institutionellen Rahmenvorgaben ist der Frage nachzugehen, in welcher Weise die Teilnehmenden die Interaktion modellieren und welche Rückschlüsse dies ggf. auf unterschiedliche Lernervoraussetzungen und individuelle Erwartungshaltungen zulässt.

Um die Intensität der Beteiligung an der Unterrichtskommunikation besser beurteilen zu können, wird die Analyse studentischer Beteiligung in der Newsgroup herangezogen, da hier der Hauptteil der virtuellen Seminardiskussion stattfindet: Die Gesamtzahl der Beiträge von Februar bis Oktober 2006 beläuft sich hier auf 229. Davon entfallen 89 Beiträge auf die italienischsprachigen Teilnehmenden und 140 auf die deutschsprachigen. Es sind lediglich 29 Beiträge der Lehrenden zu verzeichnen.

Dieser Befund verdeutlicht zum einen die weitgehend lernendenzentrierte Interaktion, in der die Lehrenden nur in Einzelfällen korrigierend und/oder ergänzend in die Diskussion eingreifen. Zum anderen zeichnet sich jedoch deutlich eine asymmetrische Lernenden-Lernenden-Konstellation ab. Hierfür können mehrere Gründe angenommen werden: Die italienischen Studierenden müssen – in schriftlicher Form – in der Fremdsprache Deutsch agieren und, was ggf. noch schwerer wiegt, sich, wie bereits eingangs erwähnt,  auf die für sie weniger bekannte und selten praktizierte akademische Gattung, wie der hier im Zentrum stehenden Seminardiskussion einstellen.(3)

Hinzu kommt, dass  die Verschriftlichung  einer informellen,  nicht eng im Zusammenhang mit den zentralen Themen stehenden nähesprachlichen Kommunikation (vgl. Koch/Oesterreicher: 1994) in der Fremdsprache für die italienischen Studierenden ungewohnt ist. Den deutschen Studierenden steht hingegen ihre Herkunftssprache zur Verfügung. Sie verfügen außerdem über erheblich mehr Souveränität im Umgang mit Seminardiskussionen und ggf. über mehr Fachwissen, da sie die der Lehrveranstaltung zu Grunde liegende, ebenfalls auf Deutsch verfasste, wissenschaftliche Literatur intensiver aufbereiten müssen.

Die Anlage des Onlineseminars hat zur Folge, dass die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden stark die Verständigung der in den Abstracts zusammengefassten Wissensbestände fokussiert. Dies bewirkt auch, dass in den einzelnen Beiträgen, diese kritisch hinterfragt, kommentiert, eigene Gedanken dazu entwickelt werden und dergleichen mehr. Anders ausgedrückt: es zeichnet sich deutlich eine (dem Gegenstand angemessene) sachorientierte, unterrichtstypische Diskussion ab. Der dabei praktizierte Diskursstil entspricht, wie bereits erwähnt, weitgehend den Lernvoraussetzungen der deutschen Studierenden, nicht unbedingt aber denen ihrer italienischen KommilitonInnen. Diese versuchen sich jedoch nach gewissen Anlaufschwierigkeiten, in die Diskussion einzubringen und dabei adäquate Sprachhandlungsmuster zu verwenden.

Es zeichnet sich also ab, dass die zunächst asymmetrische Gruppenstruktur auch durchbrochen werden kann und es den Teilnehmenden teilweise gelingt, ihre Rollen neu zu definieren. Am nachhaltigsten geschieht dies im Mai 2006, als die letzte arbeitsintensive Phase des Seminars erreicht ist. Bei der Diskussion um die Kommunikationsform SMS ist die Anzahl der Beiträge der italienischen Studierenden überdurchschnittlich hoch, was m. E. darauf zurüchzuführen ist, dass die ausschließlich problemorientierte Auseinandersetzung in den Hintergrund tritt. Die italienischen Studierenden vermitteln eine Fülle eigener Alltagserfahrungen im Umgang mit SMS, übernehmen damit eine ‚Expertenrolle’ und können nun ihrerseits ein Lernangebot an die deutschen KommilitonInnen machen, wie in den drei folgenden Zitaten(4)deutlich wird.

Marina:

Hallo an alle!
In dem Abstract über AndroutsoupoulosF/Schmidt Teil II ist von der
Entstehung von Dialogen durch SMS die Rede.Was zweizügige oder
Minimaldialoge angeht,möchte ich eine Bemerkung hinzufügen,die auf
den Unterschied zwischen Deutschen und Italienern beim Schreiben von
SMS hinweist.Dem Muster Frage-Antwort folgend,würde ein/e
Italiener/in einen Dialog entweder beenden oder sogar
vermeiden,indem er/sie das Handy des Partners eimal klingeln
lässt.Das ist ein verbreitetes Phänomen in Italien,das
als"squillo"bezeichnet wird.Das gilt meistens als eine
Bestätigung,vor allem wenn in einer SMS eine Frage gestellt wird,die
einfach mit ja oder nein beantwortet werden kann,z.B.eine
Einladung.Das wird aber normalerweise geklärt.
Ein Beispiel dafür ist:
[…]

Ich finde dieses Phänomen echt interessant.Was meint ihr dazu?

Lorena:

Ich finde, dass das italienische "Squillo" sehr interessant ist.
Meiner Meinung nach ist dieses Phänomen bei Jugendlichen verbreitet,
auch weil sie noch sparen wollen. Denkt ihr an die zahlreichen
Angeboten , die uns erlauben 100 SMS pro Tag zu schicken: Wenn es
moeglich ist, schreiben wir SMS auch nur für Ja oder Nein zu
sagen.... Ferner ist das Squillo, eine Weise um die Verfugbarkeit
der Person zu verifizieren, d.h. wenn sie unserem Squillo antworten,
dann schreiben wir SMS...insofern fuehlt mann gezwungen eine Antwort
zu schreiben...denke ich...und ihr?

Milena:

Ich bin der Meinung, dass das italienische "Squillo" als ein Art Sparen
benutzt wird , aber manchmal kann auch die Beduetung dieser typischen
italienischen Gewohnheit zweideutlich sein ( Auch wenn meine ungarische
Freundin mir gesagt hat, dass in Hungarn sie auch das "Squillo" benutzen!!!),
weil in Italien viele Leute nur einmal klingen auch nur " ich denke im
Moment an dich" mitzuteilen. Ich kenne sogar Leute, die der ganzen Rubrik
ein "Squillo" pro Tag machen. Das nervt !
Ich finde auch, dass um das Squillo zu verstehen, sollte man die
Gewohnheiten der eigenen Kontakten kennen. Normalerweise hat es
unterschiedliche Bedeutungen und die ueblichste sind:
"Ok, abgemacht" nach einem Sms
"ich denke an dich"
"Ich bin auf der Suche nach dir" ( aber will ich nicht anrufen und Geld
ausgeben ;-)
"Ich bin zum Treffpunkt angekommen und warte gerade auf dich, Beeil dich!
" Ich bin gerade angekommem...Mama keine Sorge! (... und die italienische
Mutter rufen trotzdem an!;-))
"Ruf mich an!" ( wenn das Geld nicht genug ist!)
und so weiter und sofort!
Milena

 

3. Virtuelle Interaktion

Auch die Untersuchung des Onlineseminars unter dem Aspekt der virtuellen Kommunikation bestätigt die Vermutung, dass besonders an die italienischen Studierenden auf den ersten Blick große Anforderungen gestellt werden, da der auf die Kommunikationsform E-Mail reduzierte Lehr-/Lernprozess bedeutet, dass alle Beteiligten Produzenten und Rezipienten zugleich sind und diese damit über eine nicht zu gering zu veranschlagende schriftliche Ausdrucksfähigkeit verfügen müssen. Anders jedoch als beim Chatten führt die Asynchronizität der Kommunikation dazu, dass die Rezeptionsvorgänge beliebig oft wiederholt und eventuell schwer verständliche Texte in den ausgelagerten Sitzungen besprochen werden können, was eine bessere Planbarkeit der jeweiligen Antworten zur Folge hat. Andererseits besteht bei der ausschließlich schriftbasierten Kommunikation die Gefahr, dass Fehler leichter ‚festgeschrieben’ werden und sich damit künftigen Korrekturen sperren.(5)

Eine weitere Schwierigkeit – auch hier vor allem für die italienischen Studierenden – besteht darin, dass die besonders für Unterrichtssituationen wichtigen Gruppensignale, bzw. die Regelung der Redeweitergabe durch Zwischenrufe, Blickkontakte, Unruhe, Murmeln und dergleichen im digitalen Lehr-/Lernprozesses nicht existieren (vgl. Schulmeister 2006). Der Wegfall der individuellen non- und paraverbalen Faktoren, die als „Kontextualisierungshinweise“ (vgl. Günthner et al. 2002: 32) zu deuten sind, die die jeweilige Interaktionsmodalität anzeigen, bedeutet eine Einschränkung im Prozess der Bedeutungsaushandlung der Interaktanten. Interpretative Fehlleistungen im Verständigungsprozess sind somit vorprogrammiert und müssen in medienspezifischer Weise kompensiert werden. Theoretisch steht hier eine ganze Anzahl mehr oder weniger konventionalisierter graphostilistischer Mittel, wie etwa  Emoticons,  Iterationen, Großschreibung einzelner Buchstaben etc. zur Verfügung (vgl. exemplarisch Runkehl: 1998). Interessanterweise machen aber sowohl die deutschen als auch die italienischen Teilnehmenden hiervon eher sehr zurückhaltend Gebrauch.

Die ausschließlich schriftbasierte, asynchrone Onlineinteraktion, die neben den erwähnten direkten Kontaktmöglichkeiten auch ein schnelles Nachfragen ausschließt, führt stellenweise dazu, dass nicht verstandene Äußerungen oder Missverständnisse, vielleicht sogar latente Konflikte, buchstäblich ‚im virtuellen Raum stehen bleiben’. Dies verdeutlicht folgende Beitragssequenz:

Mario:

Liebe Teilnehmer,
ich moechte ueber den Artikel von Schwitalla ueber die
Subklassifizierung von Respondierenden Akten einen Gedanken aeussern.
Als ich den Artikel gelesen habe, habe ich sofort an das
Antwortverhalten der Politiker gedacht. Da in Italien zur Zeit ein
Wahlkampf um das Parlament stattfindet,habe ich viele Interviews
gesehen und es ist mir aufgefallen, dass Politiker normalerweise
teilresponsiv oder nonresponsiv antworten.
[…]

Jetzt moechte ich wissen, wie ist es bei euch in Deutschland. D.h.
zeigen die deutschen Politiker dasselbe Antwortverhalten auf?

Christoph:

mario schrieb:
"Jetzt moechte ich wissen, wie ist es bei euch in Deutschland. D.h. zeigen die deutschen Politiker dasselbe Antwortverhalten auf?"

Ich denke, dass derartiges Antwortverhalten überall verbreitet ist, wo man nach etwas gefragt wird, das man nicht sagen kann/will/darf - und gleichzeitig ein gewisses Image aufrecht erhalten muss... also auch bei deutschen Politikern .

Cristina:

Hallo euch allen!!
[…]

Mario, du hast Recht, wenn du sagst, dass die italienischen Politiker
teilresponsiv oder nonresponsiv antworten.
Aber ich denke auch, dass sie manchmal (oft!) auf ihr Erscheinungsbild
konzentriert sind und sie vergessen ihr Ziel,d.h. die Verantwortung um
die Buerger und ihre Interessen darzustellen.

Viele liebe Gruesse,
Cristina

Christoph:

cristina schrieb:
---------------------
> Aber ich denke auch, dass sie manchmal (oft!) auf ihr Erscheinungsbild
> konzentriert sind und sie vergessen ihr Ziel,d.h. die Verantwortung um
> die Buerger und ihre Interessen darzustellen.
---------------------
Christina,
ich glaube zwar auch, dass Politiker (und Personen, die in der
Öffentlichkeit stehen generell) auf ihr Erscheinungsbild konzentriert
sind; doch nonresponsive/teilresponsive Antworten kausal mit der
Aufrechterhaltung eines bestimmten Image/Erscheinungsbild zu
verknüpfen, halte ich für zu pauschal.

So darf beispielsweise […]

Diese - extremen - Beispiele zeigen, dass es auch gerade AUFGRUND der
Verantwortung für die Bürger/ deren Interessen besteht, nonresponsiv
oder teilresponsiv zu antworten.

LG Christoph

Cristina:

Lieber Christoph,
vielen dank für Deine Antwort: es freut mich zu wissen, dass es andere
Leute gibt,die dieselbe Meinung haben!
(Es ist immer schön, nicht allein zu fühlen!!!!)

Na, ja habe ich in dieser Zeit gehört, dass die Politiker oder die
Mächtiger generell manchmal einigen unvölksmutlichen (?) wichtigen
Massnahmen nehmen sollen zwar um das Volk zu schützen, aber sie
vergessen, dass sie dortin für die Bevölkerung sind und dass sie bei
uns gewählt werden....
Ich bin an diesem Thema sehr interessiert, weil ich in diesem Bereich
(Internationale Beziehung!)in meiner Zukunft arbeiten möchte!!!

 

Mario kommentiert die Lektüre eines der für das Onlineseminar ausgewählten linguistischen Grundlagentextes, wobei er hier eine Analogie zu dem von ihm beobachteten diskursiven Verhalten italienischer Politiker annimmt. Im Folgebeitrag verallgemeinert Christoph die Beobachtung, wobei das ans Ende gesetzte Smiley die kurze Antwort eventuell ‚abfedern’ soll. Cristina ignoriert diesen Beitrag und bezieht sich wiederum auf Mario, dem sie ebenfalls mit Blick auf Italien beipflichtet. Dies fordert den Widerspruch von Christoph heraus, der ihr Pauschalisierung vorwirft und in einer längeren Replik seine Argumentation nochmals verdeutlicht. Interessant ist der letzte Beitrag dieser Interaktionssequenz, in dem Cristina nochmals das Wort ergreift, aber ihren Äußerungen nicht entnommen werden kann, wie diese von ihr intendiert sind, anders ausgedrückt, welche Interaktionsmodalität die Rezipienten vermuten dürfen. Liegt hier ein Missverständnis vor? Bringt sie Ironie ins Spiel? Oder sind ihre Ausdrucksschwächen, die schließlich dazu führen, dass der Beitrag immer unverständlicher wird, dafür verantwortlich, dass eine adäquate Einschätzung ihrer Reaktion im Grunde nicht möglich ist? Die Teilnehmenden verzichten auf eine weitere Klärung des Problems und die Interaktion bricht ab.(6)

Die für das Onlineseminar charakteristische „zerdehnte“ Kommunikationssituation (vgl. Dürscheid in Anlehnung an Ehlich (2003: 46) hat erwartungsgemäß Auswirkungen auf den Grad der Dialogizität sowie die thematische Kohärenz der Diskussion. Diese wird von den Teilnehmende erzeugt bzw. gesteigert, indem sie sich erstens der Verfahren des direkten oder indirekten Quotings (vgl. Dittmann: 2006) bedienen, zweitens durch explizite Angaben in der Betreffleiste die thematische Anknüpfung verdeutlichen und drittens häufig auf eine zügige Abfolge der Beiträge achten. Positiv wirken sich in dieser Hinsicht auch folgende diskursive Strategien aus:

  1. übersichtliche Gliederung des Beitrags
  2. ausführliche und gut begründete Darlegung der eigenen Meinung
  3. direkter Appell zur Meinungsäußerung
  4. der Versuch durch die Verwendung gesprochensprachlicher Äußerungsformen kommunikative Nähe zu erzeugen (vgl. exemplarisch Schlobinski 2006).  

Im April 2006, als die Beteilung mit 92 Beiträgen am höchsten liegt, kommt es zu zahlreichen Beitragssequenzen, die in dieser Hinsicht von konstruktiver virtueller Interaktion zeugen:

Mario:

Liebe TeilnehmerInnen,
nachdem ich das Abstract von Bittner gelesen habe, habe ich vor allem
ueber ein besonderes Merkmal der Kommunikationssituationen bei E-
mails nachgedacht, das im Abstract als Beispiel von raum-zeitlicher
Unabhaengigkeit gezeigt wird. Ich beziehe mich auf
die "Erreichbarkeit bei Abwesenheit".
Es handelt sich ohne Zweifel um einen wichtigen Vorteil, was die
Verbesserung der Kommunikation im Allgemeinen betrifft. Unter anderem
bietet auch das Handy diese Moeglichkeit. Man koennte sogar
behaupten, dass es ein typisches Merkmal der "neuen Medien" ist. Wir
alle sind stets erreichbar.
Aber meine Frage ist: denkt ihr, dass es sich nur um einen Vorteil
handelt? Anders gesagt habt ihr nicht den Eindruck, dass man sich
z.Z. in einer allgemeinen Kommunikationssituation befindet, in der
man gezwungen ist, Informationen zu bekommen?
Ist diese absolute Erreichbarkeit immer positiv? Ich denke, dass man
schliesslich das Recht verloren hat, ein echtes privates Leben zu
haben. Z.B. passiert es mir manchmal, dass ich Lust habe, niemanden
zu hoeren. Aber wegen e-mails und Handy ist es nicht mehr moeglich,
weil diese Medien uns zwingen, zu hoeren, was die anderen uns
mitteilen moechten.
Ich moechte eure Meinung dazu wissen.
Vielen Dank,
Tschuess!

Mario

Michaela

Hi,

meiner Ansicht nach bringen Handys und die neuen Medien nicht nur
Vorteile und absolute Erreichbarkeit ist sicherlich nicht immer
positiv zu bewerten. In diesem Punkt stimme ich Dir zu.

Allerdings glaube ich nicht, dass man wirklich […]

Ich glaube also nicht, dass die „neuen Medien“ uns zum Hören zwingen! […]

Ich halte die permanente Erreichbarkeit deshalb nicht für das
entscheidende Merkmal der neuen Medien.

Viele Grüße aus Freiburg
Michaela

Christoph:

Michaela schrieb:

> Ich glaube also nicht, dass die "neuen Medien" uns zum Hören

> zwingen! […]
------------
Das ist ein interessanter Aspekt: vielleicht sind es ja GERADE die
Neuen Medien, die es uns - nach anfänglicher exzessiver
Nutzungseuphorie - erst erlauben, sogar viel WENIGER erreichbar zu
sein als zuvor....wäre mal ne interessante These...

Christoph

Mario):

Michaela schrieb:

"Allerdings glaube ich nicht, dass man wirklich […]“

Aber wenn man SMS empfaengt, weiss der Absender, dass es keine
Moeglichkeit gibt, dass der Empfaenger ihre/seine Mitteilung nicht
liest. Auch wenn das Handy ausgeschaltet ist, empfaengt man auf jeden
Fall spaeter SMS.
Darueber hinaus liest man normalerweise die e-mails, die man empfaengt.
Man kann nicht eine e-mail ignorieren, bevor man ihren Inhalt kennt.
Deshalb bin ich davon ueberzeugt, dass wir gezwungen sind, Nachrichten
zu empfangen, abgesehen von der Tatsache, dass wir antworten oder
nicht.

Mario

Michaela:

Hi Mario,

hat man das Handy länger ausgeschaltet, […]
Ich stimme Dir aber darin zu, dass zumindest SMS weniger gut zu
ignorieren sind als Emails.

Bei Emails muss ich Dir hingegen vollkommen wiedersprechen.
Zum einen gibt es bei diversen Providern und EMail-Clients […]

Das heißt das managt alles der Computer/das Programm ohne, dass du es
als Mensch je gesehen hast!

> Darueber hinaus liest man normalerweise die e-mails, die man
empfaengt.
> Man kann nicht eine e-mail ignorieren, bevor man ihren Inhalt kennt.
> Deshalb bin ich davon ueberzeugt, dass wir gezwungen sind,
Nachrichten
> zu empfangen, abgesehen von der Tatsache, dass wir antworten oder
> nicht.

Du siehst also man ist NICHT gezwungen EMails, die einem gesendet
wurden auch tatsächlich zu lesen, ein Spamfilter filtert ja eh einen
Großteil der Mails heraus, die man gar nicht lesen will und die häufig
auch Viren enthalten.

Solche Mails wandern bei GMX direkt in den SPamverdacht-Ordner, in dem
bleiben sie 30 Tage (kann man auch individuell anders einstellen),
dann werden sie endgültig gelöscht.

Viele Grüße aus Freiburg
Michaela

PS: Mit welchem Programm schreibst Du Deine Emails?

 

3. Interkulturelle Kommunikation

Die dritte Fragestellung, auf die ich in diesem Beitrag kurz eingehen möchte, betrifft den kontaktkulturellen Aspekt dieser virtuellen Lehrveranstaltung, anders ausgedrückt, die Frage nach Interaktionsformen im Rahmen dieser Interkulturellen Kommunikation,  als einem „verständigungsorientierten, interpersonalen Interaktionstyp“ (Földes 2007: 10). Dabei möchte ich vorausschicken, dass ich in diesem Kapitel Interaktionsmuster skizzieren möchte, die m.E. nicht auf kulturspezifische Lernvoraussetzungen zurückführen lassen, (vgl. Kap. 1) und auch nicht mit ungenügender sprachlicher Kompetenz in der Fremdsprache Deutsch oder den besonderen Rahmenbedingungen virtueller Interaktion erklärt werden können.

Hierzu zählt als besonders markante Phase der virtuellen Unterrichtsinteraktion der Beginn der gemeinsamen Aktivitäten bzw. die Konstituierung der Lehr-/Lerngruppe mit Hilfe von Begrüßungs- und Vorstellungsritualen. Dabei gehen Henne/Rehbock (2001:257) mit Bezug auf Erving Goffman davon aus, dass es sich bei Begrüßungen und Verabschiedungen generell um „rituelle Klammern“ handelt, die für „eine Vielfalt von gemeinsamen Aktivitäten“ stehen und als eine Art „Interpunktionszeichen“ interpretiert werden können. Es handelt sich demzufolge auch um interaktionsbegründende soziale Handlungen. Als solche sind sie zweifelsohne außerordentlich bedeutsam für die Ausprägung eines Gefühls von Zusammengehörigkeit und die sich im Anschluss entwickelnde Gruppenatmosphäre.

Die Aktivitäten der Teilnehmenden in der Eröffnungsphase sind in dieser Hinsicht wenig ermutigend, denn es ergibt sich folgender Befund: Alle italienischen Studierenden haben sich vorgestellt, aber nur 6 von 13 deutschen Studierenden.

Es wird deutlich, dass die italienischen Studierenden die Eröffnungsphase nutzen, um mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Ausdrucksrepertoire

  1. sich selbst darzustellen
  2. ein Angebot zur Kontaktaufnahme zu machen
  3. Interesse an einem freundschaftlich kooperativen Verhältnis zu bekunden
  4. eigene Bedürfnisse und Erwartungen zu formulieren.

Folgende Zitate mögen zur Veranschaulichung genügen:

Hallo liebe Mitglieder!
Ich stelle mich kurz vor.Ich heiße[…] und studiere
Deutsch und Englisch an der Uni Bari. Ich bin 23 Jahre und ich muss
mindestens zwei-drei Mal im Jahr nach Deutschland fahre, weil ich in
deutscher Kultur verliebt bin. […] Wenn ihr wollt, schreibt mir! Ich freue mich immer sehr darauf.
Bis bald!

[…]
Hallo liebe Freunde!
Ich bin […] und bin 24 Jahre alt. Ich studiere in Bari
[…] ich bin sehr froh, dass ich deutsche
Freunde finden koennte. Ich wuensche mir einen haeufigen Austausch per
email mit euch! Gruesse

Hallo Leute!
Ich heisse […] und bin 23 Jahre alt.
Ich studiere […]
Ich freue mich darueber, ein Online Seminar mit deutschen Studenten zu
besuchen und glaube, dass es ein gutes Experiment ist, um meine
deutschen Sprachkenntnisse zu vertiefen.
Ich hoffe aber auch am Ende des Seminars eine Reise nach Freiburg zu
machen, sodass wir alle TeilnehmerInnen treffen koennten!!
Also wuensche ich euch viel Spass und warte auf eine Antwort.
Ciao aus Bari,
[…].

Liebe TeilnehmerInnen,
mit dieser E-Mail möchte ich mich mal kurz vorstellen. Ich heiße
xxx, bin 22 Jahre alt und […] Ich freue mich auf dieses Online-Seminar und hoffe mal, ich werde viel lernen und meine Deutsch noch weiter verbessern ( keine Übung
scheint wirklich mal zu reichen!! Aber zum Glück gibt's immer etwas
Neues zu lernen!), aber zunächst Kontakte aufnehmen.
[…] liebe Grüße und bis bald,
[…]

Hallo liebe Teilnehmer und Teilnehmerinnen ich bin xxx […] und ich hoffe, dass
dieses Jahr unsere Bekanntschaf nicht nur elektronisch sondern auch
persoenlich ist...
Bis bald
[…]
:-)

hallo liebe TeilnehmerInnen,
[…] Ich hoffe, dass dieses Seminar nicht nur eine positive akademische Erfahrung, sondern auch eine Möglichkeit sein könnte, um etwas Neues
über uns, unsere Städte und unsere Kulturen kennen zu lernen.

Viele liebe Grüße

[…]

Hallo liebe Teilnehmer und Teilnehmerinnen,
[…]
Ich habe mich meistens bis jetzt nur mit Literatur beschäftigt und finde dieses Seminar eine sehr interessante Möglichkeit, mich mit anderen verschiedenen Studiumfelder auseinandersetzen zu können.
Liebe Grüsse
[…]

Die Anrede ist in allen Fällen informell; die Teilnehmenden wollen Spontaneität und freundschaftliche Nähe suggerieren. Auffallend ist außerdem, dass alle Texte nach einem mehr oder weniger einheitlichen Muster verfasst sind, von dem es nur geringfügige Abweichungen gibt. Die Hauptinteressen der italienischen Studierenden, so ist ihren Äußerungen zu entnehmen, gelten der Verbesserung der Sprachkompetenz in der Fremdsprache Deutsch, der Möglichkeit des persönlichen Austauschs mit Studierenden der Zielkultur und einem in Zukunft eventuell realisierbaren face-to-face Kontakt.

Dieses Interaktionsmuster lässt sich m. E. in zweifacher Hinsicht erklären: Zum einen – und das ist ein sofort einsichtiger Zusammenhang – ist die Sprachhandlung „Begrüßung/sich Vorstellen“ DaF-Studierenden bereits seit der Anfangsphase ihres Deutschunterrichts sehr geläufig, denn sie fällt unter die Rubrik der möglichst schnell zu erwerbenden „Routinen und Rituale in der Alltagskommunikation“ (vgl. Lüger 2003, 6. Auflg.). Es bietet sich also für Fremdsprachenlernende damit eine Möglichkeit, relativ fehlerfrei einen Anfang zu wagen, was aber auch und gerade für die italienischen Studierenden bedeutet, dass sie eine Möglichkeit nutzen, um „bella figura“(7) zu machen.

Auffallend ist auch die immer wieder artikulierte Erwartungshaltung der italienischen Teilnehmenden. Neben dem unmittelbar einsichtigen Wunsch, die Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern, betonen sie, dass sie sehr an einem, offensichtlich nicht mit dem Thema des Onlineseminars in Verbindung stehenden Erfahrungsaustausch interessiert sind und vor allem einen persönlichen Kontakt wünschen. Lediglich im letzten Zitat wird ein Bezug zum bisherigen Studium hergestellt und ein eher thematisches Interesse an der Lehrveranstaltung bekundet. Dies entspricht, so lässt sich vermuten, im Wesentlichen einem in Italien weit verbreiteten „personenorientierten“ Kommunikationsbedürfnis (vgl. Thomas: 2005) sowie generell einem sehr ausgeprägten Wunsch nach gut funktionierenden sozialen Kontakten, die oft auch die Voraussetzung für das Gelingen problemorientierter Interaktionen in Ausbildung und Beruf sind. 

Die deutschen Studierenden reagieren mit Verzögerung, wobei sie sich teilweise eines Versäumnisses bewusst sind („So, besser später als nie […]“ vgl. o.). Die wenigen Beiträge in dieser Eröffnungsphase des Seminars sind entweder ausgesprochen freundlich und ausführlich, wobei sie sich in Form und Inhalt an die Beiträge der italienischen Studierenden anlehnen, andere sind eher kurz oder ‚verschieben’ die Vorstellung gar auf einen späteren Zeitpunkt, wie etwa im letzten Beitrag deutlich wird.

hallo nach italien und deutschland,
jetzt haben sich schon so viele italiener vorgestellt - ich mache mal
den anfang aus deutschland:
ich bin 23 und studiere jetzt schon seit knapp vier jahren an der
universität freiburg unter anderem deutsch. eigentlich ist es hier
immer wunderbar sonnig und warm, aber dieses jahr lässt der frühling
etwas länger auf sich warten... aktuell gemessen: 1°C. immerhin sind
es in Bari - laut wetterdienst - schon 4°C.
ich freue mich in jedem fall sehr auf dieses seminar - besonders weil
mich das konzept des online-seminars interessiert und es den austausch
mit italien erst möglich macht - und hoffe, dass wir alle viel von
einander hören werden. ein gutes gelingen und viele grüße,

[…]



Hallo Ihr alle,

ich habe gerade all Eure Beiträge gelesen und fand es super
spannend. Darum möchte ich mich jetzt auch kurz vorstellen.

Ich heiße […]

In Italien war ich bisher erst einmal. Das war letzten Sommer an der
Adria (Jesolo). Es hat mir aber sehr gut gefallen und ich möchte
unbedingt wieder in dieses Land.

Wenn Ihr irgendwelche Frage habt oder mehr von mir und Deutschland
wissen wollt, dann mailt mir einfach.

Liebe Grüße

[…]

Hallo!

nun möchte auch ich mich vorstellen.
Ich bin 24 Jahre alt und studiere in Freiburg u.A. Linguistik.
Dies ist mein erstes Online-Seminar und mein erstes Seminar in Zusammenarbeit
mit einer anderen Universität. Daher bin ich sehr gespannt und freue mich
über viele neue Kontakte!
Wie weit seid ihr mit der Planung eurer Reise nach Freiburg? :-)

Viele Grüße,
[…]

So, besser spät als nie, aber jetzt mache ich auch fröhlich mit. Ich
heiße […], bin 22 Jahre und studiere im achten Semster Deutsch auf
Lehramt. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit!

Hallo zusammen,
da ich im Augenblick noch keine richtige Zeit habe, möchte ich die Vorstellung meiner Person auf später verschieben. Ich habe ein dringendes Anliegen […]
Vielen Dank im Voraus
[…]

Über die Gründe, die zu diesem unterschiedlichen Verhalten der deutschen Studierenden geführt haben, können lediglich Vermutungen angestellt werden. Es darf angenommen werden, wie aus einer der oben zitierten Äußerungen hervorgeht, dass bisher wenige oder keine Erfahrungen im Umgang mit einer virtuellen und/oder interkulturellen Lehr-/Lernumgebung gemacht werden konnten, so dass die besondere, den möglicherweise gesamten weiteren Verlauf des Lehr-Lernprozesses beeinflussende Bedeutung einer „rituellen Klammer“ (vgl. o.) ungenügend ins Bewusstsein gerückt war. Sicherlich muss auch davon ausgegangen werden, dass die deutschen Studierenden im Vorfeld der kooperativen Lehrveranstaltung nicht unbedingt über umfangreiche Kenntnisse (süd-)italienischer Interaktionsgewohnheiten und –bedürfnisse verfügten, so dass sie sich mit diesen erstmals vertraut machen mussten. Schließlich können die Gründe für dieses anfängliche ‚Ungleichgewicht’ der Interaktion auch in den kulturspezifischen Bildungsvoraussetzungen bzw. Ausbildungsprofilen deutscher Hochschulen liegen. Deutsche Studierende werden im Allgemeinen bereits auf dem Gymnasium auf eine sach- und problemorientierte Auseinandersetzung mit den jeweiligen Unterrichtsgegenständen vorbereitet und üben den hierfür angemessenen Diskursstil. Die einführenden Äußerungen der italienischen Kommilitoninnen könnten vor diesem Hintergrund als deplaziert empfunden worden sein.

 

4. Ausblick

Eine abschließende Betrachtung dieser virtuellen Lehrveranstaltung führt zu dem Ergebnis, dass die italienischen Studierenden zunehmend routiniert mit der akademischen Gattung Seminardiskussion umgehen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten gelingt es ihnen immer besser, ihre Beiträge ausführlich und strukturiert zu gestalten, das jeweilige Thema zu fokussieren, eigene Positionen pointiert zu vertreten, Kritik zu üben und dergleichen mehr. In Anbetracht der Tatsache, dass ihnen dabei als Rezipienten/Produzenten in der schriftbasierten Onlinekommunikation ausschließlich die Fremdsprache Deutsch zur Verfügung steht, muss dies unbedingt als Lernerfolg verbucht werden.

Obwohl die deutschen Studierenden einen quantitativ höheren Anteil an der Interaktion haben, öfter eine gesprächssteuernde Rolle übernehmen und damit ihre „Gesprächsobligation“ (Henne/Rehbock 2001: 268) als ‚Experten’ erfüllen, denen die Rolle zugedacht ist, relevante Fachtexte aufzubereiten, lässt sich etwa in der Mitte des Seminars eine ausgewogenere Interaktion zwischen den beiden Gruppen feststellen. Den Teilnehmenden gelingt es zunehmend besser, auf die jeweiligen Beiträge einzugehen und eine konzentrierte dialogische Struktur aufzubauen.

Generell lässt sich beobachten, dass diese Asymmetrien in der Interaktion, die auch auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Teilnehmenden und das der Lernumgebung inhärente Anforderungsprofil zurückzuführen sind, teilweise aufgehoben werden: Auch die italienischen Studierenden übernehmen ‚Expertenrollen’ und zwar vorzugsweise dann, wenn Fragestellungen diskutiert werden, die über den eigentlichen Sachzusammenhang hinausgehen und ihren persönlichen Erfahrungshorizont tangieren (vgl. Kap. 1).

Dem Angebot und schließlich auch der Erwartungshaltung der italienischen Studierenden in Bezug auf einen intensiven eher persönlichen, nicht unbedingt auf den Inhalt des Onlineseminars beschränkten Kontakt, entsprechen die deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen nur vereinzelt. Vor allem während der Anfangsphase des Seminars reagieren sie eher zögerlich auf die Kontaktsignale der Italiener.

Schließlich ist zu beobachten, dass beide Gruppen im Verlauf der Onlineinteraktion Annäherungsstrategien entwickeln, wobei es sich m. E. um Versuche handelt, diese an eine face-to-face-Interaktion anzugleichen. Dazu zählen der, wenn auch eher sporadische Einsatz graphostilistischer Mittel, der Versuch, an Hand von ins Netz gestellten Fotos, die Interaktionspartner besser zu identifizieren, der Versuch mit Teamspeak (die Teilnehmer kommunizieren mit Hilfe von Webcam und Mikrofon), die schriftbasierte Kommunikation zu überwinden und schließlich der immer wiederkehrende Wunsch nach persönlichem Kennenlernen.

 

Literatur:

 


Anmerkungen:

1 Ich möchte mich an dieser Stelle bei Jürgen Dittmann und Claudia Schmidt (Freiburg) bedanken, die das Onlineseminar konzipiert und für die gemeinsame Nutzung im Rahmen unserer Erasmus-Sokrates-Kooperation zur Verfügung gestellt haben.
2 Im Rahmen des Lehrangebots der Albert-Ludwigs-Universität war das Seminar als Hauptseminar der germanistischen Linguistik ausgewiesen. Für die Studierenden der beiden Masterstudiengänge Scienze della Mediazione interculturale und Lingue e culture europee e americane der Università degli Studi di Bari war das Onlineseminar eines von drei, der auf zwei Semester verteilten Module, und damit u.a. Gegenstand der üblichen schriftlichen und mündlichen Leistungsüberprüfungen am Ende des akademischen Jahres. 
3 Im italienischen Ausbildungssystem, ich spreche hier für den Bereich des Fremdsprachenunterrichts an der Schule und später für fremdsprachenorientierte Studiengänge an der Universität, wird tendenziell sehr viel Wert auf die Aneigung eines „umfangreichen Überblickswissens“ gelegt (vgl. Hornung 1999: 30). Dieser Wissensvorrat mündet jedoch nicht zwangsläufig in einen kritischen, diskursiven oder gar teamorientierten Austauschprozess bzw. wird von diesem in der Regel nicht generiert. 
4 Diese, wie auch die weiteren Zitate wurden von mir unkorrigiert übernommen und die Namen jeweils verändert.
5 vgl. dazu das Problem der Fossilierung (Edmondson/House: 20063:227ff.)
6 Aus einer anderen Perspektive betrachtet handelt es sich hierbei natürlich auch um eine Form der interkulturellen Problemkommunikation (vgl. Lüsebrink 2005: 65f.)
7 wörtlich übersetzt: „gute Figur machen“. Dabei handelt es sich m. E. um eine kulturspezifische Form der „Imagepflege“ (vgl. Goffman 1986: 10-53)

2.1. Sprachen und kulturüberschreitende Vorstellungsbildungen

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For quotation purposes:
Ulrike Reeg: Die einzige Schwierigkeit war meine Anmeldung, aber schließlich ist es uns gelungen! Aspekte der Interaktion in einem deutsch-italienischen Onlineseminar - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-1/2-1-_reeg17.htm

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