TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Februar 2010

Sektion 2.4. Jiddisch auf der internationalen Bühne im 21. Jahrhundert, auf dem Gebiet der Erziehung, Bildung und Kunst
Sektionsleiterin | Section Chair: Astrid Starck-Adler (Basel)

Dokumentation | Documentation | Documentation


"S'iz afile shvaygn gut af yidish"
Jiddisch als „nostalgisches“ Thema zu Beginn des 21. Jahrhunderts(1)

Armin Eidherr (Salzburg) [BIO]

Email: armin.eidherr@sbg.ac.at

 

Der Beitrag möchte einen kleinen Überblick geben, wie heute das Jiddische vor allem in jiddischen Texten thematisiert wird. Darüber hinaus will er eine Verortung der Kontexte, also der verschiedenartigen Auseinandersetzungen mit dem Jiddischen und der jiddischen Kultur versuchen.

Die Sprache selbst ist in der jiddischen Literatur immer wieder (zur Identitäts- bzw. Selbstvergewisserung, Rechtfertigung, Standortbestimmung usf.) zum Thema gemacht worden. Und dies trifft man – und hier findet durchaus ein allgemeiner „antagonistische Diskurs“ sein Abbild – auch gegenwärtig noch häufig an: Neben tiefgehenden Texten, die sich produktiv mit Traditionen und aktuellen Vorurteilen und Sichtweisen auseinandersetzen (wie etwa mit der Sichtweise des Jiddischen als „verschwindende, wenn nicht schon tote Sprache“ und andererseits mit der des Sich-Beziehens auf Geschichtliches sowie die große kulturelle Jiddisch-Tradition), finden sich gehäuft dichterische und essayistische Beiträge, die eher in den Bereich „Kitsch“, „Nostalgie“ gehen – eine Sehnsucht nach „Boobbah’s and Zaydah’s Shtetl“ und nach der Szenerie von „afn pripetshik“ und anderen Liedern.

Die Frage ist, woher das kommt? Sind es auch Übernahmen außerjiddischer Jiddisch-Stereotypen, nur psychosozial erklärbare Sehnsuchtsstimmungen, Nichtwissen? Formt das Bild vom Jiddischen, wie es teilweise in Klezmer-Konzerten, seichten Operetten- und Theateraufführungen, manchen Workshops etc. gezeichnet wird, nun die jiddische Kultur selbst zu einem gewissen Teil?

Drei Tendenzen stehen heute im Umgang mit dem Jiddischen und seiner Kultur an vorderster Stelle:

1. Die wissenschaftliche Ausdeutungen und „Summenbildungen“, d.h. Werke, die eine Art abschließenden Charakter haben, von denen hier einige der wichtigsten der letzen Zeit erwähnt sein sollen:

Benjamin Harshav: The Meaning of Yiddish. Berkely 1990. Das letzte Kapitel, S. 187-193, dieses Buches heißt “The End of a Language”; und Harshav gehört ja bekanntermaßen zu denen, die das Ende der jiddischen Kultur schon seit längerem gekommen sehen.

Miriam Weinstein: Jiddisch. Eine Sprache reist um die Welt. Berlin 2003. Der letzte Teil des Buches, S. 293-333, heißt: Gegenwart und Zukunft.

Dovid Katz: Words on Fire. The Unfinished Story of Yiddish. New York 2004. Das letzte Kapitel, S. 367-397, heißt hier „The Future of Yiddish“; Katz betrachtet die Zukunft des Jiddischen als gesichert und zwar sollen seine Fortsetzer eher aus dem jiddischsprachigen chassidischen Milieu kommen, so wie ab dem 19. Jahrhundert die modernen jiddischen Schriftsteller aus diesem oder dem orthodoxen gekommen sind.(2)

2. Herausgaben von Übersetzungen älterer und neuerer Literatur, Schaffung von Monographien usf.: Hier gehören neben solchen Reihen wie meiner „Jiddischen Bibliothek“ (Werke von Melech Rawitsch, L. Schapiro, A.M. Fuchs, Alexander Spiegelblatt u.a.) oder Hubert Witts Editionen von Rajzel Zychlinski, Lajser Ajchenrand und anderen, etwa die Bände der im Hamburger Buske-Verlag erscheinenden wissenschaftlichen Reihe „jidische schtudies“ etc.

3. Und schließlich sind da noch von den in den ersten beiden Punkten genannten deutlich unterschiedene, in verschiedenen Erscheinungsformen auftretende Herangehensweisen, deren gemeinsamer Nenner immer die Nostalgie ist. Dazu gehören „Klezmer“, Jiddisch-Festivals (eines der bekanntesten findet alljährlich in Krakau statt), im literarischen Bereich Übersetzungen ins Jiddische wie etwa im deutschsprachigen Raum die im Mundartverlag M. Naumann in den letzten Jahren erschienenen ausgewählten Satiren von Ephraim Kishon, Märchen der Brüder Grimm; der kleine Prinz, Struwwelpeter und Max und Moritz auf Jiddisch; Übersetzungen der „Farm der Tiere“ (Der Khayes-Folvark) und der „Dreigroschenoper“ (Di Drayer-Opere).(3) Wachsender Beliebtheit erfreut sich auch der Gebrauch des so genannten „Yinglish“. Und schließlich gehören hierher auch neuere Gedichte, die diese Nostalgie unkritisch zum Thema haben.

Betrachtet man kurz, was hier nicht im Zentrum stehen soll, die ersten beiden Punkte, dann ist ihnen gemein, dass sie die besten Mittel gegen eins der gröbsten, unsinnigsten und dabei dennoch hartnäckigst sich haltenden Vorurteile gegen die jiddische Kultur sind bzw. wären: nämlich gegen das von ihrer “Geschlossenheit” nach außen. Betrachtet man das jiddische Kulturphänomen nur etwas näher, so wird gerade das Gegenteil erkennbar: Seine Offenheit für außerjüdische/außerjiddische Kulturen, wofür die jiddische Literatur selbst das beste Beispiel bietet. So heißt es bei Karin Neuburger ganz richtig in ihrer Einleitung zu Grinbergs „Mephisto“, in der sie die Kontextualisierung des Werkes in einen großen europäischen und jüdischen Traditionszusammenhang unternimmt: Die jiddische Literatur, deren „Offenheit“ sie explizit betont(4), ist im Zusammenhang mit Grinbergs „Mephisto“ (aber auch weit darüber hinaus) schon vom rein Sprachlichen her folgendermaßen charakterisierbar:

„(…) das Jiddische wendet sich (...) gegen beide Sprachen: gegen das Deutsche, auf dessen Hintergrund es als Unsprache, als dessen zu korrigierende und als solche auszumerzende Version galt, und gegen das Hebräische, das das Jiddische mit dem Hinweis auf seine Nähe zum Anderen, zum nicht-jüdischen Deutschen verdrängen will. (…) Die Schranken des Hebräischen durchbrechend, entsteht es in der Anverwandlung des Deutschen und konstituiert sich, indem es weitere Sprachelemente in sich aufnimmt und der in hebräischer Sprache verfassten Tradition verpflichtet bleibt, in der Entäußerung des Anverwandelten, als eigenständige, jüdische, europäische Sprache. Aus einer Verrückungsbewegung entstanden, erweist sich die hier vorgestellte Idee des Jiddischen als die Idee von Vielheit in der Einheit.“(5)

Als eines der „offensichtlichsten“ Beispiele dafür kann die breite Übersetzungstätigkeit aus anderen Sprachen ins Jiddische angeführt werden.

Gerade diese Aspekte der jiddischen Kultur werden nicht nur aus der engen negativen Perspektive Jahrhunderte alter Vorurteile nicht wahrgenommen, sondern erfahren in manchen der aufgezeigten gegenwärtigen Tendenzen der Betrachtung eine Wendung ins Nostalgische und werden nunmehr sogar positiv gedeutet (!), wobei bestimmte Bereiche, die um Stichworte wie „Städtel“, „Klezmer“, „Chassidismus“ etc. kreisen, einseitig fokusiert und andere, die mit „Modernisierung“, „Modernismus“, „Öffnung“ etc. zu tun haben, ausgeklammert werden, so dass wir es hierbei mit Folklore bzw. Folklorisierung zu tun haben, nicht mehr jedoch mit der Auseinandersetzung mit einem umfassenden Kulturphänomen.

Als weiteres, sich hartnäckig haltendes Vorurteil sei hier nochmals das Phänomen erwähnt, das bis heute – trotz eindeutiger Gegendarstellungen etwa durch Astrid Starck(6) – sein Unwesen treibt:

In einem Beitrag für einen Katalog zu einer (im übrigen sehr gelungenen) Ausstellung über Lemberg wurde in einen Text von mir unter anderem folgender ungelenke Satz interpoliert: „Jiddisch galt als Jargon, der ein klares Denken in Begriffen unmöglich macht, und war als Umgangssprache der Alltagskommunikation vor allem den Frauen vorbehalten.“(7)

Trotzdem ich den Satz schon beim ersten Korrekturdurchgang herausgestrichen hatte(8) und ihn bei der Endkorrektur nochmals herausstrich (und diese Herausstreichung auch mit dem Hinweis auf das darin zum Ausdruck kommende Vorurteil und den bibliografischen Hinweis auf Astrid Starcks Aufsatz betonte), blieb er – weil sich so was heute gut anhört – stehen.

*

Im Folgenden soll nun mit einigen Beispielen das belegen werden, was sich unter Punkt 3 aufgelistet findet:

Zuerst, weil es auch in die jetzige Adventzeit „passt“(9), ein Gedicht in „Yinglish“ (Einmischung von Jiddismen ins Englische). Die Beliebtheit desselben geht möglicherweise – das sei an dieser Stelle nur nebenbei angemerkt – auf ein falsches Verständnis von Cynthia Ozicks Forderung nach einem „New Yiddish“ zurück. Es ist schick sich durch „yinglishes“ Sich-Ausdrücken einen jiddischen Touch zu geben, der in seinem Wesen in einer Art abgestandener Pfiffigkeit zu bestehen zu haben scheint.

Am 14. Dezember 2006 erhielt ich von einer Bekannten ein E-Mail, in welches sie mir ein langes, 22 Strophen umfassendes Gedicht über eine Art jüdischen Weihnachtsmann („Spirit of Chanuka“) weiterschickte, von dem hier nur zehn Strophen (die ersten acht und die letzten beiden) zitiert seien:

TWAS THE NIGHT BEFORE CHANUKAH
OY! WHAT A SHOCK!
SOMEBODY OUTSIDE
WAS PICKING OUR LOCK!

AND THERE AT THE DOOR
STOOD A ZAYDA IN BLUE
AND HE WORE ON HIS KUPP
A BLUE YARMULKA, TOO!

HIS POONIM WAS SHAIN
EVERYBODY WOULD LOVE IT!
ROUND HIS NECK HUNG A CHAIN
WITH A GOLD MOGEN DOVID!

HE WORE SILKEN TSITZES
BENEATH HIS WOOL VEST,
AND A SMALL FLAG OF ISRAEL
WAS DRAPED ON HIS CHEST!

HE SAID: I'M NO BURGLAR,
SO PLEASE DON'T BE NERVOUS.
I'M THE SPIRIT OF CHANUKAH,
HERE AT OUR SERVICE!"

"MENCHEN ALL CALL ME
"REB" SHALOM SHAPIRO!
WITHOUT ME, THIS YOM-TOV
MIGHT NEED A NEW 'HERO!'"

"I VISIT ALL YIDLACH,
AND BRING KINNAHORRA-
GOOD FORTUNE AS BRIGHT
AS A GLOWING MENORAH!"

"ICH SHLEPP LOTS OF BLESSINGS
AND CHANUKAH GELT,
AND JOYS THAT ARE TAKKA
THE BEST IN DER VELT!"

[…]

AND NONE IN YOUR FAMILY
WILL BE A SHLIMOZZLE,
FOR LIFE WILL BRING EACH OF YOU
SIMCHAS AND MAZEL!

AND ALL THROUGH THE FUTURE
YOUR HOPES WILL COME TRUE,
AND HIMMEL WILL BLESS
YOUR MISHPOCHA AND YOU!!!(10)

Die Jiddismen in solchen “Schaffungen” scheinen mir übrigens Büchern wie dem beliebten “The New Joys of Yiddish” von Leo Rosten(11) oder – noch viel eher – Fred Kogos’ buchformatigen Publikationen(12) entnommen zu sein, deren Absatzzahlen wahrscheinlich in direktem Verhältnis zu den Erwartungen der Leser bezüglich eben jenes oben gemeinten „jüdischen Pfiffigkeitsgehaltes“ stehen, den sie repräsentieren und als Identitätsmarker für „Jiddischkeit“ anbieten ...

In einem englischen Theaterstück von Alex Poch-Goldin mit dem Titel „Yahrzeit“(13) finden sich etwa vier Dutzend „Jiddismen“, die ich hier wiedergebe – und zwar 1.) unter Yiddish, wo sie – oft in fast unlesbarer, „yinglisher“ Schreibung – so erscheinen, wie sie im Stück vorkommen und dort meistens die Sprache des jüdischen, vom Sohn als konservativ empfundenen Vaters „charakterisieren“; dann folgt 2.) die von mir erstellte Liste der korrekten jiddischen Entsprechungen, und 3.) schließlich die deutsche Übersetzung:

      

           

Yiddish Jiddisch  Deutsch
Yarzheit jorzajt Todestag
Danken Got danken got Gott sei Dank!
Kugle kugl „Kügel“ (eine Art Strudel)
Zol zein schtill sol sajn schtil Jetzt ist aber Ruhe!
Mansas majßeß (Sg.: majße) Geschichten, Märchen
Yarmulke jarmlke Gebetskäppchen, Hauskappe
Bubba/Bubbie bobe Großmutter
Buhbzu ??? „Bub“ (so ruft der Vater den Sohn)
Zeida sejde Großvater
Bar Mitzvah bar-mizwe Bar Mizwa
Pisher pischer Bursche, Junge; „Pisser“
Loz mir uhp los mir op Lass mich in Ruhe!
Pishuchs pischechz Urin, Pisse
Dreck drek Kacke, Kot, Dreck; Wertloses
Ich bin dir moichel ich bin dir Ich verzeihe dir!
Shleppers mojchl  schleperss Arme, Bettler; Schnorrer
Goyishe gojische  nichtjüdische
Nebish nebech schade, leider!
Poo off mon a son ims kep pu af majne ßonimss kep Pfui auf meiner Feinde Häupter
Maidelah mejdele Mädchen
Fuhn Himmel fun himl   vom Himmel
A mechia a mechaje eine Freude, ein Vergnügen
Alla vashulum olevascholem Er ruhe in Frieden!
Bupkas bobkess!

Unsinn! (Pl. v. bobke: „Ziegendreck“)

Ferkachta farkakte beschissene, angekackte

Mincha 

minche Nachmittagsgebet

Ma'ariv 

majriv Abendgebet

Fil mit mitziahs

ful mit mezieß   voller billiger Kaufgelegenheiten; lauter Schnäppchen
Shmatas schmatess Fetzen, Lumpen
Gayin’ d’rared gej in der erd arajn Fahr zur Hölle!
Meshuggah meschuge verrückt
Ferklempt farklemt bedrückt, niedergeschlagen
Shiva schiwe

7 Trauertage nach dem Tode eines nahen Verwandten

Schvitz schwiz (oder: schwiz-bod) Schwitzbad
Yenerek velt af jenem ek welt

am anderen Ende der Welt, weit weg

Passover pejßach Passahfest
Shtunk ??? Eher dt.: „Stunk“, „Gestank“
Shiksa schiksse (nichtjüdisches) Mädchen
Zie gesindt saj gesunt „Sei gesund!“, auf Wiedersehen
Gonuf ganev Dieb
Kibbitz
(oder vom Verb:
der kibez
kibezn

sarkastische Bemerkung, Stichelei, Scherz, Neckerei
sticheln, necken)

Mensch mentsch Mensch
A gitte shoo a gute scho Eine gute, günstige Stunde

(meist im Zshg. mit dem Wunsch (beim Abschied), man möge sich „in a guter scho“ wiedersehen)

                                                                                                                             

Nun einige Belege für die Thematisierung des Jiddischen in jiddischen Gedichten. In der Internetplattform „Mendele“ findet sich unter dem Datum 23. August 1999 folgender Beitrag von Marjorie Hirshan (Subject: Yiddish Poetry)(14):

“When I was young, a callow student in the Arbeter Ring Mitlshul, I was saddened by the fear of some of my ardent wonderful teachers that Yiddish might not survive. I used to dream of a poet-general (on horseback!) whose flaming rhymes would lift everyone to a love of words, of Yiddish words, and a thirst for them. This could only result in the perpetuation of the language so the mighty poems could be read forever.

Many years later, on Mendele, I made an email friend, Sarah Traister Moskovitz, who is an author (Love Despite Hate: Child Survivors of the Holocaust and Their Adult Lives - Schocken Books 1983 …) and practicing psychotherapist in Pacific Palisades. Her love of Yiddish was born early and mirrored my youth and upbringing. (Her father was principal of the Arbeter Ring shule in Philadelphia).

Several years ago she invoked an old muse, and started writing poetry in Yiddish. It appears she found her ultimate means of expression. Maybe, sans horseback, she can lead us to the waters that quench thirst.

From our Florida Circle of Yiddish Clubs newsletter, I share with you the original and the translation of one of her new poems:

_Yidish Esn_ fun Sore Treyster Moskovitz

Yidish oyfn tsung tsegeyt zikh
vi a shokoladene tsukerke
mit a geshmakn nus ineveynik.

ikh bays ayn yidish mit di tseyn
un s'kayt zikh laykht un zaftik
vi an epl frish fun boym.

Yidish in moyl makht zat
vi ayngebrotn brust-dekl
mit tsibl, meyern un kartofl.

mayn tante khayele's yidish
mit a varshever aktsent
vos zingt, "Nu, gay shoyn, gay shoyn,
un freg nit mer farvue!"
varemt oys di kishke vi
shtarker tey mit honik, a refue.

zis vi karshn,
sharf vi khreyn,
mit trern bazaltst
mit seykhl geshmaltst,
a gedikhte kreftike zup
mit tam zis un zoyer
derkviknd mit lebn
fun toyznt yerikn doyer.

ikh rays op a frish shtikl khala
un tink ayn in dem yoykh fun doyres.

 

Translation:

_Eating Yiddish_ by Sarah Traister Moskovitz

Yiddish on the tongue melts
like a chocolate candy
with a delicious nut inside.

I bite into Yiddish with my teeth
and it chews light and juicy
like an apple fresh from the tree.

Yiddish in my mouth satisfies
like brisket roasted long
with onions, carrots and potatoes.

My Aunt Khayele's Yiddish
with her thick Warsaw accent
that sings, "Go on, go on
and let me be!"
warms the gut like a medicine
of honey in strong tea.

Sweet as cherries
sharp as horseradish
salted with tears
shmaltzed in good sense
a thick powerful soup
with tastes sweet and sour
nurturing life
over one thousand years.

I tear off a fresh piece of khala
and dip into the broth of generations.

Marjorie Schonhaut Hirshan“

Das Gedicht ist eines von vielen gut gemeinten, die aber das Jiddisch auf eine Art Heim- und Frauensprache reduzieren und es auf eine ähnliche Weise definieren („sharf vi khreyn, mit trern bazaltst, mit seykhl geshmaltst“), wie diejenige, über welche sich Perez schon in seinem „Monisch“ (1888) lustig gemacht hat.(15)Viele neuere Gedichte, die das Jiddische thematisieren, sind weit entfernt von modernen Auseinandersetzungen mit Sprache und Identität wie etwa bei Jakob Glattstein(16); sie schränken es vielmehr (wieder) auf das Folkloristische ein, wie das etwa in folgendem, hier stark gekürzt zitiertem Gedicht geschieht, das aus lauter jiddischen Volksliedzitaten zusammengesetzt ist:

 

Arye Kerbel Shayn: ***
“(…) wen singt men jidisch?
(…)
mir singen jidisch wen der himl
is schejn wi di levone un lichtik wi di schtern …
mir singen jidisch wen mir essn
roshinkess mit mandlen …

mir singen jidisch wen mir wiln singen zu undsere mamess,
undser jidische mame …
un ojch wen mir wiln singen zu undser kusine,
di grine kusine …
(…)
mir singen jidisch wen der rebe lernt klejne kinderlech
afn pripetschik …
un as der rebe singt:
singen ale chassidimlech …
(…)
mir singen jidisch (…)
ojch wen mir schikn un schrajbn
a briwele der mamen …
(…)“(17)

Die beiden folgenden Gedichte von Miryem Khayeh Seygel versuchen eine Erklärung des eigenen Verhältnisses zum Jiddischen zu formulieren, bleiben aber an der Oberfläche und rekapitulieren nur direkt übliche Vorbehalte von außen bzw. eigene Bekenntnisse:

Miryem Khayeh Seygel: amerikanischer tango
„(…) jeder sogt, as ich bin modne:
‚far woss wilsstu lernen jidisch izt?
ess klingt a bissl komisch,
wi majne alte kroivim.
ober mit jidisch woss ken men ton?
ss’is besser lernen gut englisch
oder lernen hebreisch
un wojnen in erez-jissroel.
wer wil redn wi di bobe?
wer wil redn wi der sejde?
besser fargessn di zoreß fun amol.’
oj, majne jidelech …
(…)“(18)

Miryem-Khayeh Seygel: jidisch-tog 2004

In diesem Gedicht rechtfertigt sie sich dafür, wie sie es erträgt, Umgang mit ihren streitbaren Jiddisch-Freunden zu haben:

„(…) fregt mich becheyrem
wejss ich nischt
far woss bin ich
a jidischisst?

wajl jidisch brent in mir
schtarker wi a religje
un ich hob ajch lib
chotsch ir macht mich meschyge.“(19)

Zum Thema „Klezmer“ gibt es eine ausführliche Arbeit von Aaron Eckstaedt(20). Darin kommen jüdische und nichtjüdische Musiker aus Deutschland zu Wort, die Klezmermusik machen, wobei aber kein eindimensionales (etwa „philosemitisches“) Bild von dieser „Szene“ entsteht. Allerdings ergeben sich die persönlichen Bedeutungen, die für diese Leute erwähnenswert sind, aus Faktoren, die heute oft auf die gesamte jiddische Kultur übertragen werden, jedoch eine größtmögliche Verkennung und Einengung derselben bedeuten und welche in der „Sehnsucht nach Folklore“, dem „religiösen und spirituellen Gehalt jiddischer Musik“ und weiters noch in einem „gesellschaftlichen Engagement“ und im Faktor „der musikalischen Tätigkeit jenseits reglementierter klassischer Musikausübung“ bestehen.(21)

Aus einem Artikel von Craig S. Smith, der ursprünglich unter dem Titel „In Poland, a Jewish Revival Thrives – Minus Jews“ am 12. Juli 2007 in The New York Times publiziert wurde, spricht die Zwiespältigkeit, die „Events“ mit solcherart Musik auf verschiedenen Ebenen hervorrufen können:

“KRAKOW, Poland — There is a curious thing happening in this old country, scarred by Nazi death camps, raked by pogroms and blanketed by numbing Soviet sterility: Jewish culture is beginning to flourish again.

‘Jewish style’ restaurants are serving up platters of pirogis, klezmer bands are playing plaintive Oriental melodies, derelict synagogues are gradually being restored. Every June, a festival of Jewish culture here draws thousands of people to sing Jewish songs and dance Jewish dances. The only thing missing, really, are Jews.

‘It’s a way to pay homage to the people who lived here, who contributed so much to Polish culture,’ said Janusz Makuch, founder and director of the annual festival and himself the son of a Catholic family.

[…]

Probably about 70 percent of the world’s European Jews, or Ashkenazi, can trace their ancestry to Poland — thanks to a 14th-century king, Casimir III, the Great, who drew Jewish settlers from across Europe with his vow to protect them as “people of the king.” But there are only 10,000 self-described Jews living today in this country of 39 million.

More than the people disappeared. The food, the music, the dance, the literature, the theater, the painting, the architecture — in short, the culture — of Jewish life in Poland disappeared, too. Poland’s cultural fabric lost some of its richest hues.

[…]

Sometime in the 1970s, as a generation born under Communism came of age, people began to look back with longing to the days when Poland was less gray, less monocultural. They found inspiration in the period between the world wars, which was the Poland of the Jews.

‘You cannot have genocide and then have people live as if everything is normal,’ said Konstanty Gebert, founder of a Polish-Jewish monthly, Midrasz. ‘It’s like when you lose a limb. Poland is suffering from Jewish phantom pain.’

Interest in Jewish culture became an identifying factor for people unhappy with the status quo and looking for ways to rebel, whether against the government or their parents. ‘The word ‘Jew’ still cuts conversation at the dinner table,’ Mr. Gebert said. ‘People freeze.’

The revival of Jewish culture is, in its way, a progressive counterpoint to a conservative nationalist strain in Polish politics that still espouses anti-Semitic views.

[…]

While few Jews have returned to the city, Jewish culture has, largely because of Mr. Makuch. In 1988, together with Krzysztof Gierat, he organized the city’s first Festival of Jewish Culture, a one-day affair in a theater that held only 100 people. In 1994, it became an annual event. There are now smaller festivals in Warsaw, Wroclaw and Tarnow.

The Krakow festival has helped revitalize the city’s old Jewish quarter, Kazimierz, which deteriorated after the end of the war.

Today, quaint carved wooden figurines of orthodox Jews and miniature brass menorahs are sold in the district’s curio shops and souvenir stands. Klezmer bands play in its restaurants, though few of the musicians are Jewish.

Along one short street, faux 1930s Jewish merchant signs hang above the storefronts in an attempt to recreate the feel of the neighborhood before the war. Many Jews are offended by the commercialization of their culture in a country almost universally associated with its near annihilation. Others argue that there is something deeper taking place in Poland as the country heals from the double wounds of Nazi and Communist domination.

‘There is commercialism, but that is foam on the surface,’ Mr. Gebert said. ‘This is one of the deepest ethical transformations that our country is undergoing. This is Poland rediscovering its Jewish soul.’

This year, the festival had almost 200 events, including concerts and lectures and workshops in everything from Hebrew calligraphy to cooking. More than 20,000 people attended, few of whom were Jewish.” (22)

 

Was tun?

Man sollte die folkloristischen, nostalgisierenden Herangehensweisen nicht völlig heruntermachen oder ignorieren, sondern ihnen einerseits eine gewisse Bejahung als Aufmerksamkeit schaffende Faktoren entgegenbringen, andererseits stets den Simplifizierungen entgegenwirken. Dabei wird es wohl folgende Punkte ernsthaft zu beachten geben(23):

Dabei ist etwa an gute Übersetzungen (auch an zweisprachige Ausgaben ev. mit CDs), mit gehörigen Glossaren und Einleitungen, in denen kulturhistorische Hintergründe, Intertextualitäten und andere Kontextualisierungen geboten werden, zu denken.

In diesem Zusammenhang sei noch auf ein denkwürdiges Faktum hingewiesen:

Vor dem Zweiten Weltkrieg war es eine Selbstverständlichkeit, heute weitgehend unverständlich gewordene jiddische Begriffe ohne Anführungszeichen oder Erklärungen in deutschen Übersetzungen, die bisweilen enorme Verbreitung hatten, zu verwenden, wie sich das an einem einzigen Beispiel gut zeigen lässt – nämlich an Schalom Aschs damals weithin bekanntem Werk „Ein Glaubensmartyrium“(24):

Unkommentiert und mehrfach werden Begriffe verwendet wie: „Pajes“ (S. 7, 10, 47 etc.), „Arba-Kanfoth“ (S. 11, 59, 88 etc.), „Waad der vier Länder“ (S. 19, 56 etc.), „Schmona-Esre-Gebet (S. 25 etc.), „Chumesch“ (S. 26 etc.), „Gaon“ (S. 37 etc.), Gemora (S. 37 etc.), „treife“ (s. 53 etc.), „Mikwe“ (S. 53, 54, 98 etc.) und viele mehr.

Ein Wort dagegen, für das man sich heute wohl die Erklärung sparen könnte, nämlich „Kabbala“, wird in einer Fußnote auf S. 96 kommentiert: „Jüdische Mystik“.

So ändern sich die Zeiten ...

Bibliographie:


Anmerkungen:

1 Der hier wiedergegebene Text ist eine nur leicht bearbeitete Fassung des Vortragsmanuskriptes des Referats bei der Sektion „Jiddisch auf der internationalen Bühne im 21. Jahrhundert, auf dem Gebiet der Erziehung, Bildung und Kunst“ auf der KCTOS-Konferenz vom 6.-9.12.2007.
2 Natürlich gäbe es noch andere, hier zu erwähnende Werke wie:
Avraham Novershtern:Kesem ha-dimdumim: apokalipsah u-meshihiyut be-sifrut Yidish. Yerushalayim 763 [2003].
Jeffrey Shandler: Adventures in Yiddishland: Postvernacular Language and Culture. Berkeley 2006.
3 Vergl. dazu: Armin Eidherr: Literarische Übersetzungen in das Jiddische im 21. Jahrhundert – wofür und für wen?. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/06_6/eidherr16.htm
4 Karin Neuburger: Einleitung. In: Uri Zvi Grinberg: Mephisto. München 2007. S. 11-56. S. 37. [Zu diesem Buch vergl. meine Rezension: Armin Eidherr: Mephisto: Ein großer jiddischer Text der literarischen Moderne. In: David. Jüdische Kulturzeitschrift. Nr. 76. Wien, April 2008. S. 84f. (Auch online: http://david.juden.at/2008/76/rezensionen/9_eidherr.htm)]
5 Neuburger, Einleitung, S. 50. (Kursivierung von A.E.)
6 Astrid Starck: Wie weiblich ist Jiddisch? Übersetzung und Metamorphose am Beispiel des Maysebuchs (Basel 1602). In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/07_2/starck15.htm. Vergleiche auch meine Ausführungen in: Armin Eidherr: Das Jiddische als Kultursprache der Aschkenasim. Außen- und Innen-Perspektiven. In: Chilufim. Zeitschrift für Jüdische Kulturgeschichte. Salzburg 01/2006. S. 32-58. S. 33-35.
7 Armin Eidherr und Ronald Hinrichs: Jiddische Dichter. Vom Schtetl über Lemberg in die Welt. In: Hermann Simon / Irene Stratenwerth / Ronald Hinrichs: Lemberg. Eine Reise nach Europa. Berlin 2007. S. 188-205. S. 189.
8 Man könnte ihn stehen lassen, wäre er etwa folgendermaßen formuliert worden: „Jiddisch galt manchen als Jargon, der ein klares Denken in Begriffen unmöglich machen und als Umgangssprache vor allem sowieso nur der Alltagskommunikation der Frauen vorbehalten sein würde.“
9 Der Vortrag wurde auf der KCTOS-Konferenz 2007 in Wien am 7. Dezember gehalten.
10 Den Verfasser habe ich bislang noch nicht ermittelt. Beim Gedicht, das im Internet ziemlich verbreitet ist, findet sich die Angabe: „©2003 LongBraid Designs“.
11 Auch auf Deutsch erschienen: Leo Rosten: Jiddisch. Eine kleine Enzyklopädie. München 2002 (seither mehrere Auflagen).
12 Fred Kogos: Instant Yiddish (2005) und A Dictionary of Yiddish Slang and Idioms (1991).
13 Informationen finden sich unter: http://www.kempf-theater.de/yahrzeit/index.shtml. (Die Wortliste habe ich erstellt anhand des englischen Manuskripts, das mir dankenswerterweise die Übersetzerin des Stücks ins Deutsche, Fr. Dr. Gerda Poschmann-Reichenau, zur Verfügung gestellt hat.)
14 http://www2.trincoll.edu/~mendele/vol09/vol09026.txt
15 Vergleiche die entsprechenden Ausführungen auf S. 38-45 bei: Armin Eidherr: Das Jiddische als Kultursprache. In: Chilufim. Zeitschrift für Jüdische Kulturgeschichte. Nr. 1. Salzburg 2006. S. 32-58.
16 S. etwa die diesbezüglichen Gedichte von Jankev Glatshtejn in: Yidish in lid. antologye: 169 lider fun 74 poetn / araynfir un redaḳtsye fun Shmuel Rozhansḳi. Buenos-Ayres 1967. (Musṭerṿerḳ fun der Yidisher liṭeraṭur; bd. 33). (S. Personenregister auf S. 255)
17 In: Yugntruf 98. New York, August 2003. S. 16.
18 In: Yugntruf 97. New York, August 2002. S. 7.
19 In: Yugntruf 100. New York, Dezember 2005. S. 37.
20 Aaron Eckstaedt: „Klaus mit der Fiedel, Heike mit dem Bass …“ Jiddische Musik in Deutschland. Motivation, Selbstverständnis, Erfahrungen. Berlin 2003.
21 S. die Besprechung des Buches unter: http://www.klezmer.de/div/Eck-diss/eck-abstract.html. (Kursivierungen von A.E.)
22 Zitiert nach dem leicht gekürzten Nachdruck in: Articles selected for DER STANDARD, Monday, July 23, 2007, S. 3.
23 Ähnliche und weitere Ideen finden sich auch im gesamten Tagungsband: Yiddish? Yiddish! La culture yiddish aujourd’hui. Actes du colloque international organisé par le musée d’Art et d’Histoire du judaïsme et la bibliothèque Medem dans les locaux du musée les 4, 5 et 6 juin 2000 ; darin beachte man besonders die Beiträge von Yitskhok Niborski (S. 25-30), Armin Eidherr (S. 31-37), Dov-Ber Kerler (S. 68-73) und Dovid Katz (S. 80-88).
24 Schalom Asch: „Ein Glaubensmartyrium“. Berlin-Wien-Leipzig: Paul Zsolnay-Verlag 1929 (übertragen von Elias Hurwicz).

2.4. Jiddisch auf der internationalen Bühne im 21. Jahrhundert, auf dem Gebiet der Erziehung, Bildung und Kunst

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For quotation purposes:
Armin Eidherr: "S'iz afile shvaygn gut af yidish". Jiddisch als „nostalgisches“ Thema zu Beginn des 21. Jahrhunderts - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-4/2-4_eidherr.htm

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