TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
September 2009

Sektion 2.5. Übersetzung und Kulturtransfer
SektionsleiterInnen | Section Chairs:
Aleya Khattab (Universität Kairo) und Ernest W. B. Hess-Lüttich (Universität Bern)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Zensur der Literatur und der Übersetzung als Hindernis des Kulturtransfers

Ola Abdel Gawad (Ain Schams Universität, Kairo) [BIO]

Email: olaadel@link.net

 

Einleitung        

Bei der Begegnung zweier Staatsoberhäupter unter vier Augen wird ein Dolmetscher zum ersten Mal eingesetzt. Der spanische Ministerpräsident spricht kein Englisch, die englische Premierministerin kein Spanisch. Es dauert einige Zeit, bis der Dolmetscher zu seinem großen Erstaunen feststellt, dass dieses Gespräch gar nicht wirklich stattfinden soll – es ist eine Farce für die Medien und beschränkt sich - sobald die Türen hinter den Politikern geschlossen worden sind - auf ein langes peinliches Schweigen, nur unterbrochen von Fragen wie „Stört es Sie, wenn ich rauche?“ oder „Einen Whisky, Madam?“ Schließlich wird es dem Dolmetscher zu dumm: Er übersetzt kurzerhand „kann ich Ihnen eine Tasse Tee kommen lassen?“ mit: „Sagen Sie, liebt man Sie eigentlich in Ihrem Land?“, worauf sich zur großen Überraschung aller Beteiligten eine angeregte Unterhaltung entspinnt, die zum Schluss sogar ganz private Züge annimmt.           

In dieser witzigen Episode aus Javier Marías’ Roman „Mein Herz so weiß“(1), dessen Erzähler von Beruf Dolmetscher ist, kommen also zwei Menschen aus zwei verschiedenen Kulturkreisen, die verschiedene Sprachen sprechen, ins Gespräch, das durch den Dolmetscher vermittelt wurde. Der Übersetzer erfüllt die Funktion eines Mittlers, der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beteiligten Kulturräume kennt und auch berücksichtigt. Der Translator arbeitet quasi als Gärtner mit verschiedenen Kulturlandschaften, wobei er beim Umsetzen jeweils nach den besten Bedingungen für das Gedeihen seiner Pflanzen sucht.           

Über die Kulturkontakte schrieb der Germanist und Übersetzer Moustafa Maher in einer seiner Abhandlungen, die die Übersetzung und die Kultur zum Thema hatten: „Die Kulturkontakte unter den Völkern, wie sie sind, wie sie zustande kommen und wie sie zu beeinflussen wären, das sind Fragen, mit denen wir uns befassen, vielleicht seitdem wir den Begriff "Kultur" kennen, spätestens, seitdem wir gelernt haben auf dem Gebiet der Kultur methodisch zu arbeiten und Erarbeitetes zu systematisieren. Der Gegenstand - die Kultur – zeichnet sich durch eine ausgeprägte Globalität aus.“(2)

Kultureller Austausch ist eben keine einseitige Beziehung und darf es auch niemals sein. Er ist Voraussetzung dafür, in einer immer enger zusammenrückenden Welt einander besser zu verstehen und voneinander zu lernen. Nagib Mahfus, bis heute der einzige Autor der arabischen Welt, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, wies in seiner Eröffnungsrede in Frankfurt 2004, als die arabische Welt Ehrengast war, auch auf den stetigen Strom wechselseitiger Einflüsse hin, mit denen sich die Kulturen seit Jahrhunderten gegenseitig durchdringen und befruchten:           

"Es zeigt sich also, dass dieser andere, der Araber, dessen Wirklichkeit man bei dieser Begegnung erkunden will, kein ganz Fremder ist. Möglicherweise gibt es zwischen seiner und eurer Kultur Unterschiede, aber er steht, wie ihr, für humanistische Werte und erhabene Grundsätze ein. Das ist nicht verwunderlich, denn so wie die westliche Zivilisation heute unsere arabische Zivilisation beeinflusst, hat die arabische Zivilisation in der Vergangenheit die westliche Zivilisation beeinflusst. Die Zivilisation ist zahlreich an Kulturen, aber letztendlich ist sie ein großes Ganzes, das nicht teilbar ist." (3)           

Deshalb ist die Interaktion zwischen verschiedenen Völkern, die über   lange Traditionen und divergierende Weltanschauungen verfügen, ein sehr wichtiges Thema. Ebenso ist die wechselseitige Wirkung dieser Völker aufeinander. Es ist wohl bekannt, dass Muslime im Zuge der Verbreitung des Islams anderen Völkern mit diversen Traditionen begegneten. Solche Begegnungen machten es erforderlich, andere Geisteshaltungen und philosophische Sichtweisen genauer kennen zu lernen, um eigene Sichtweisen gebührend verteidigen zu können.(4)

 

Kulturtransfer und Übersetzung in der arabischen Kultur           

Die arabische Kultur spielte einst im frühen Mittelalter die Rolle des Rezipienten. Die Araber waren überall auf der Suche nach Wissen. Man holte sich Bücher aus allen Ländern der damals bekannten Welt, errichtete in Bagdad ein sogenanntes Haus der Weisheit (Bajt al-Hikma), wo man sich deren Übersetzung widmete und die übersetzte Literatur dann an die Gelehrten weiterleitete, damit diese analysiert und im Schmelztiegel zu einer neuen Legierung umgeformt werden konnte. Dabei wurde sie den Kriterien und Methoden der arabischen Kultur angepasst. Für die Araber war die griechische Philosophie und Wissenschaft eine wahre Quelle, aus der die Araber zu schöpfen nicht zögerten.           

Die Auseinandersetzung mit den alten traditionellen Kulturen führte dann dazu, dass die wissenschaftlichen und philosophischen Werke dieser Kulturen in die arabische Sprache übersetzt worden sind. Die medizinischen Bücher hatten in diesem Zusammenhang Priorität. Daneben wurden auch Werke aus anderen Wissensbereichen übersetzt.            

In dieser Zeit entstand das berühmte Werk „Kalila wa-Dimna“ von dem bekannten Autor und Übersetzer Abdullâh bin Al-Mukaffa. Er hat auch die Bücher über die Logik und zoologische Schriften des Aristoteles übersetzt. Ferner übertrugen Jahja bin Batrik und dessen Sohn die Werke des Hippokrates und Galenos und die „Almagest“ des Ptolemäus.(5) Der Kalif Mansûr wollte diese Übersetzungen aus den verschiedenen Sprachen - wie dem Griechischen, Assyrischen und Persischen - aufbewahren. Deshalb ließ er eine Bibliothek in Bagdad errichten. So wurde Bajt al-Hikma gegründet. Die Anzahl der verfassten Werke und Übersetzungen nahm zu Hârûn al-Raschids Regierungszeit (786-809) zu. Dieser war ein leidenschaftlicher Liebhaber von Büchern und Wissen. Deshalb stieg in seiner Zeit die Anzahl der Mitarbeiter des Bajt al-Hikma. Darüber hinaus wurde die Qualität der Übersetzung fremdsprachlicher Texte immer besser. 

Seinen Höhepunkt erlebte Bajt al-Hikma während der Regierungszeit Ma’mûns (813-833). Als dieser Kalif mit Büchern von einem erfolgreichen Siegeszug gegen die Byzantiner zurückkehrte, gab er seinen Übersetzern den Auftrag, diese Bücher ins Arabische zu übersetzen. Auf diese Weise entwickelte sich das Bajt al-Hikma zu der reichsten Bibliothek seiner Zeit und wurde zum Zentrum wissenschaftlicher Forschung.(6)           

Ibni an-Nadîm, ein Zeitgenosse, der von der Bibliothek im Bajt al-Hikma Gebrauch machte, gibt aufschlussreiche Informationen darüber. Ihm zufolge gab es 47 Übersetzer, die aus dem Griechischen ins Aramäische und anschließend ins Arabische übersetzten oder direkt aus dem Griechischen in die Arabische Sprache. Für das Persische gab es 16 und für das Sanskrit 3 Übersetzer.(7)           

Die Kultur des Abendlandes ist - was manchmal vergessen wird - nicht vorstellbar ohne die Vermittlungsleistung der großen arabischen Übersetzer im 9. und 10. Jahrhundert, als praktisch alles, was an wissenschaftlichem Wissen erreichbar war, ins Arabische übersetzt wurde. Ohne die arabische Kultur hätte es keine Renaissance in Europa und keine Aufklärung gegeben. Und so leuchtet „Allahs Sonne über dem Abendland“.(8)            

Zum Kulturtransfer liegen inzwischen vielfältige Arbeiten vor. Dabei wird aber die Übersetzung als Teilprozess des Kulturtransfers nicht berücksichtigt. Das Phänomen der Übersetzung wird nur von den übersetzungswissenschaftlichen Perspektiven aus betrachtet. Fast nie findet die Figur des Übersetzers als Vermittler kultureller Transferprozesse Beachtung. In der Literaturgeschichtsschreibung wird er in der Regel ausgeklammert. Die Idee zu diesem Beitrag entstand aus dem Bedürfnis heraus, den Ansatz des Kulturtransfers - verstanden als dynamischen Prozess des In- und Exportes von kulturellen „Produkten“ und der besonderen Rolle der Übersetzung innerhalb dieses Prozesses - zu situieren.           

Doris Bachmann-Medick weist auf die Verknüpfung von Kultur und Übersetzung hin: Dabei meint sie, dass der Ort, an dem sich die „Überlappung von Kulturen“ ereignet, schon als „Ort der Übersetzung bezeichnet werden kann“. Dies bedeutet, dass Kultur in sich selbst bereits Übersetzung ist.(9)            

Das erste arabische Land, das die Übersetzungskultur pflegte, war Ägypten: So wurde 1836  Madrasat Al Alsun, das Sprach- und Übersetzerinstitut, in Kairo gegründet. Danach gab es weitere ähnliche Institutionen im arabischen Raum. „Die Angst vor der Verletzung politischer oder religiöser Tabus führte Übersetzer und Zensoren dazu, die Übersetzungen zu "stutzen" oder sich von den publizierten Inhalten zu distanzieren“.(10) Mit diesen Worten beschrieb der Übersetzer und Verleger Khaled Maaly die Situation in den arabischen Ländern bei einem internationalen Kongress, der vom ägyptischen Supreme Council for Culture organisiert wurde, die angesehenste arabische Institution, die Übersetzungen ins Arabische fördert und herausgibt. Maaly kritisiert auch den Satz, der in allen übersetzten Büchern dieser Institution zu lesen ist: "Die Ideen, die in diesem Buch dargelegt werden, sind die Interpretationen der Autoren und spiegeln nicht die Meinung des Supreme Council for Culture wider."(11)

 

Die Zensur           

„Zensur ist ein Verfahren eines Staates, einer einflussreichen Organisation oder eines Systemträgers, durch Medien vermittelte Inhalte zu kontrollieren, unerwünschte Aussagen zu unterdrücken bzw. dafür zu sorgen, dass nur erwünschte Aussagen in Umlauf kommen .Vor allem Nachrichten, künstlerische Äußerungen und Meinungsäußerungen sind Gegenstände der Zensur. Sie dient überwiegend dem Ziel, das Geistesleben in politischer, sittlicher oder religiöser Hinsicht zu kontrollieren“.(12)            

Einem freien Geist erscheint Zensur als ein Schrecken. Zensur hindert Gedanken und macht ihre Verbreiter mundtot. In den liberalen Gesellschaften sollte es keine Zensur geben. Entsprechend sind die Verfassungen der freien Gesellschaften formuliert: Eine Zensur findet nicht statt.(13) Grundsätzlich! Die Gesetze überall in der Welt aber bieten zugleich diverse Eingriffsmöglichkeiten auf Grund von Rechtauslegungen, die auch kulturelle Produktionen jenseits von Niveau- oder Qualitätserwägungen inkriminieren können. Doch das liberale Selbstverständnis in unserer Zeit sieht in der Zensur eine Behinderung der Gedanken und ihrer Verbreitung.Zensur der Literatur in Deutschland - ein geschichtlicher Abriss            

Zensur gab es auch schon früher. Sie war immer eng mit der Literatur verbunden.(14) Schon im antiken Griechenland war nicht jedes geschriebene Wort erlaubt. Dort gab es die erste bezeugte Bücherverbrennung. Diese fand in Athen auf einem Marktplatz statt, und war dem Sophisten Protagoras gewidmet, der eine skeptische und atheistische Schrift „Über die Götter“ verfasst hatte und deswegen der Gottlosigkeit angeklagt wurde. Er wurde sogar aus Griechenland verbannt.(15)

1521 wurde gegen Martin Luther das Wormser Edikt erlassen. Dies galt schon für alle bereits publizierten und zukünftigen Bücher, denen Verbot und Verbrennung drohten. Auch die Bücher von Erasmus von Rotterdam wurden 1515 verfolgt.(16)

In Deutschland wurde die Zensur ein fester Bestandteil des Literaturbetriebes - vor allem während des 30-jährigen Krieges. In der Zeit der Aufklärung gab es in einigen Staaten Zensurbehörden. Man hat jedoch Mittel erfunden, um solche Institutionen zu umgehen - wie den anonymen Druck oder die Selbstzensur. Sogar Goethe nutzte diese Mittel. Ebenso wurden die religionskritischen Schriften von Lessing verboten. Wieland war sogar fast überall verboten.

In der Weimarer Republik stand wieder die sittliche Moral im Vordergrund, weshalb Autoren wie Arthur Schnitzler, Carl Einstein und Rowohlt hohe Geldstrafen zahlen mussten. 1926 wurde das "Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften" veröffentlicht. Dagegen kämpfte Heinrich Mann. 1933 gab es eine Bücherverbrennung. Außerdem wurden Autoren aus den Bibliotheken verbannt, wie Stefan Zweig, B. Brecht, A. Schnitzler und Heinrich Mann.(17)

1949 wurde im Grundgesetz festgelegt: "Eine Zensur findet nicht statt" (Artikel 5). 1953, also 4 Jahre später, stellten die "Gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend" eine Art Widerspruch dieses Verfassungsrechts(18) dar. 1965 wiederholte sich die Bücherverbrennung (in Düsseldorf) durch den Evangelischen Jugendbund für entschiedenes Christentum „Und zwischen 1981-1988 gab es hunderte Polizeieinsätze gegen Buchhandlungen und Verlage. In der heutigen Zeit der westlichen und demokratischen Länder wurde die Zensur verboten. Es werden lediglich Indizierungen erteilt.“(19)

Die Bücherzensur kann man in zwei Formen aufteilen, die „Präventivzensur“ und die „Nachzensur“(20). Die Präventivzensur wird seit Jahrhunderten als die übliche Form der Zensur angesehen, ein Buch wird vor der Veröffentlichung von einer bestimmten Behörde geprüft und dann ggf. zensiert bzw. indiziert. Die Nachzensur prüft ein Werk erst nach der Veröffentlichung. Das Buch kann dann eingezogen oder vernichtet werden

 

Literarische Zensur der modernen Zeit in Ägypten           

Zensur der Bücher existiert seit den Anfängen der Literatur in Ägypten; von jeher wurden Bücher verboten, zensiert und die Autoren verfolgt. In der literarischen Zensur gibt es drei große Kategorien: nämlich die Zensur unter religiösem, politischem oder moralischem Aspekt.

Staatliche Zensur, sagen viele Kulturschaffende in Ägypten, ist ein geringeres Problem als die gesellschaftliche Stimmung. Mit dem Zensor kann man vielleicht verhandeln. Aus persönlicher Erfahrung kann ich aber versichern, dass die offiziellen Vertreter des Ministeriums für Kultur, wie z.B. die ägyptische Buchorganisation, die für die Kairoer Buchmesse verantwortlich ist, keine Zensur erlaubt. Die für die verschiedenen Übersetzungsreihen Zuständigen betonen immer wieder, dass Übersetzer jedes Wort übertragen müssten. Ich habe eine Anthologie von Brigitte Kronauer (Feuer und Skepsis) im Rahmen der Preiseserie ins Arabische übersetzt und war bei einigen Stellen ziemlich skeptisch. Kein einziger Satz wurde gestrichen.(21)           

Eine sehr strenge Art der Zensur üben aber die Religionsgelehrten aus. Nasr Farid Wasal, ehemaliger Mufti von Ägypten, war einmal zu Gast beim Satellitensender al-Dschasira. „Zensur in der arabischen Welt“ war das Thema der Sendung. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass Sexualität, Religion und oft auch Politik Tabuthemen wären. Es gäbe in jedem Land eine rote Linie, wer sie überschreitet, würde verboten manchmal aber auch nicht, denn zuweilen verschiebe sich die Verbotsgrenze. Ruckartig. Manchmal hielte sich der Staat auch zurück und überließe das Bücherverbieten den Religionsgelehrten. So gäbe es in Ägypten keine Zensur. Dennoch würden ständig viele Bücher verboten. (22)

Der Religionsgelehrte lächelte und meinte: „Wir zensieren keine Bücher. Das Gremium prüft die in den Werken vertretenen Ansichten daraufhin, ob sie im Widerspruch zu der Glaubenslehre des wahren Islams stehen. Es wird auch untersucht, ob die Ansichten zu Zwietracht in der Gemeinschaft führen. Gerade in unseren Zeiten der Krise, wo die Muslime von außen bedroht werden, müsse auf diesen letzten Punkt besonders geachtet werden.“(23)

Die Verletzbarkeit einer toleranten, weltoffenen Interpretation des Islam hatte der Ägypter Nagib Mahfouz am eigenen Leib erfahren: 1994 war er vor seiner Kairoer Wohnung von zwei Terroristen niedergestochen und lebensgefährlich verletzt worden. Der Grund: sein 35 Jahre zuvor erschienener Roman „Die Kinder unseres Viertels“. In dem allegorischen Werk hatte Mahfus Grundlagen und Perspektiven des Gottesglaubens hinterfragt, Gott, Adam, Moses, Jesus und Mohammed ebenso auftreten lassen wie den Magier Arafa - die moderne Wissenschaft, auf der des sterbenden Gottes Hoffnung ruht.            

1959 erschien der Roman in der ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram. Proteste der religiösen Al-Azhar-Universität verhinderten einen Druck, Buchausgaben erschienen seit 1967 in Beirut. Mahfus selbst aber war es, der zuletzt seinem ägyptischen Verleger untersagte, das Werk zu drucken. Er bestand auf der Zustimmung der Al-Azhar-Autoritäten und bat sie um ein Vorwort. Mit einem solchen und zensuriert erschien der Band erst 2005 in Kairo.            

Jeder Bürger kann das Gutachtergremium der Al-Azhar-Universität anrufen und es auf ein verdächtiges Werk aufmerksam machen. In manchen Fällen ziehen die Gelehrten des Gremiums auch selber los: So beschlagnahmten sie bei der Buchmesse in Kairo 2002 gleich mehrere Dutzend Bücher.            

„Zu der offiziellen und religiösen Zensur kommt nun noch eine neue Art von Zensur, die von Kreisen ausgeübt wird, die sich zum Vormund der Literatur ernannt haben. Sie scheuen nicht davor zurück, Rechtsgutachten zu erlassen, die zum Verbot literarischer Werke führen – mit dem Argument, diese enthielten Dinge, die mit orientalischen, besonders arabischen Werten und Regeln im Widerspruch stünden. Sie strengen sogar Gerichtsverfahren gegen Schriftsteller an und erklären sie für ungläubig oder abtrünnig.“(24) Diese Kreise ergänzen die offizielle arabische Zensur durch ihre eigene Zensur der modernen Literatur. Im Herbst 2007 musste eine junge Autorin für Kinderbücher darunter leiden. Sie gab eine Reihe von Bilderbüchern heraus mit der kleinen Heldin Farhana (die Fröhliche), die immer wieder Fehler begeht und daraus lernt. In einem der Bücher wollte Farahna unbekleidet auf die Straße gehen. Erst als sie angestarrt und ausgelacht wird, weiß sie was sie falsch gemacht hat. Von einem Verleger wurden die Autorin und ihr Verlag angezeigt mit der Begründung, dieses Buch wäre  Kinderpornografie. Das Thema wurde sogar im Parlament und in verschiedenen Fernsehsendungen diskutiert.           

Viele Verleger üben deshalb eine Art Vorzensur oder eher Präventivzensur, damit ihre Bücher nicht bedroht werden. So hat ein berühmter Verlag einer Übersetzerin den Auftrag gegeben, ein Buch über die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse vom Deutschen ins Arabische zu übersetzen. Das Buch sollte im Rahmen eines amerikanischen Förderprojekts den Schulbibliotheken zur Verfügung gestellt werden. Der Übersetzerin wurde ausdrücklich untersagt, Informationen über Kriege, religiöse Konflikte und Religion zu erwähnen. Am Ende erschien das Buch ohne die Entstehungsgeschichte der großen Religionen, ohne die Geschichte der Kreuzzüge und ohne die Ereignisse des 11. September. Ist das Kulturtransfer? Was sollen die jungen Leser aus diesem Buch lernen? Was sie zu lesen bekommen, ist nur ein Zerrbild der Geschichte und der Kulturen.            

Manchmal übertreiben die Verleger mit ihren Ängsten und gehen dann mit der Vorzensur ins Extrem. So sollte das deutsche Jugendbuch "Hexen küßt man nicht" in der arabischen Version "Vorsicht Hexe" إحذر الساحرة heißen. Vom Küßen durfte ich als Übersetzerin nicht reden. Das Buch handelt von einem Mädchen, das in einen Jungen verliebt ist und sich bemüht, von ihm geküßt zu werden. Das Wort Liebe kam nicht in Frage. Die endgültige Version war deshalb sinnlos. Sogar die Namen der Figuren hat man geändert. Sie waren zu deutsch !! Musste man ausgerechnet dieses Buch ins Arabische übersetzen? Darf der Verlag überhaupt den Originaltext auf diese Weise verändern oder ist es die Aufgabe des Übersetzers, einen neuen Roman zu schreiben?           

Selbst in einem harmlosen Abenteuerroman wie "Herr der Diebe" von Cornelia Funke wollte der Verleger es nicht zulassen, dass die sechs Straßenkinder (5 Jungen und ein Mädchen zwischen 8 und 11 Jahren) zusammen in einem alten baufälligen Kino schlafen. Das Mädchen schläft in der arabischen Version allein in dem stockfinsteren Kino. Ebenso trinken die Erwachsenen immer Kakao, Tee oder Kaffe statt Wein und Whisky.(25)Eine andere Form der Zensur ist die Selbstzensur des Übersetzers. In der arabischen Version von Elfriede Jelineks Buch "Die Liebhaberinnen" sieht man an verschiedenen Stellen nur Punkte mit dem Kommentar des Übersetzers: "Hier sind unhöfliche Wörter gebraucht, was bei Frau Jelinek typisch ist." Der Übersetzer bestand darauf, diese Stellen auszulassen, obwohl die Buchorganisation ihm den Auftrag gegeben hatte, das ganze Buch zu übersetzen. Diese begründete der erfahrene Übersetzer, Prof. Dr. Mustafa Maher, wie folgt: „ Ich habe nichts ausgelassen. Auslassen ist nicht das richtige Wort – ich fand Stellen, die dem Hauptziel der Übersetzung nicht dienen, nämlich, dass die Leser Jelinek verstehen. Wenn die Menschen den Text lesen würden, wie er ist, würden sie denken. Diese Schriftstellerin sei eine schamlose Hure und Zuhälterin! Dies ist aber kein richtiges Bild. Ich habe in Deutschland lange Jahre gelebt und erlebt, wie konservativ das Land war.“(26)             

Ein Jahr davor erschien "Die Klavierspielerin" von Elfriede Jelinek auf Arabisch bei einem ägyptischen Verlag, und zwar unzensiert(27). Der Übersetzer „Samir Grees“ hatte kein einziges Problem mit dem Verleger. Während der Kairoer Buchmesse 2005 gab es mehrere Lesungen, die ohne Einwände des Publikums störungsfrei verliefen.           

Zensur aber beinhaltet, Widersprüche, die dem Gemeinplatz folgt: "Was verboten ist, ist besonders interessant.". So provoziert jede Zensur, sie sogleich zu durchbrechen, und es gab und gibt zahlreiche Gegenmaßnahmen, das Verbot zu umgehen wie z.B. Nachdrucke, Propaganda etc. Die Zensur bewirkt also gerade das Gegenteil. Die Aufmerksamkeit auf das Verbotene wird verstärkt, das Interesse geweckt.           

Der Zensor ist immer die Person, die zwar die Verbreitung bestimmter Inhalte verbietet, aber gerade sein Verbot nur bedingt verheimlichen kann. Der Fehler des Zensors „besteht darin, nicht zu sehen, dass sein Verbot die Einseitigkeit aller Wahrheiten impliziert, die offiziell zur Verfügung gestellt werden. Wer verbietet, begründet mithin den Verdacht, dass seine Wahrheiten Lügen sein könnten. Allein die Existenz des Verbots mahnt die Wahrheit an, produziert eben den Druck der inoffiziellen Meinung, die doch gerade verhindert werden soll. Indexlisten werden zur Lektüreempfehlung, der verbotene Inhalt genießt a priori die Aura des Bedeutsamen.“(28) Als Beispiel dafür sind die Werke von Salman Rushdi, Nawal Sadawy zu erwähnen. Der Verbot kann also die Gedanken hervorheben. Die Gedanken verfügen über andere Medien, um sich gegen das Verbot durchzusetzen. Es gibt wohl keinen Text der Weltgeschichte, der sich nicht zuletzt doch gegen seine weltlichen oder religiösen Zensoren durchgesetzt hätte.           

Zensur ist manchmal hilflos. Gerade die jungen Schriftsteller umgehen Verbote und strenge Verlagsstrukturen, indem sie ihre Geschichten in Online-Zeitschriften veröffentlichen. Die Zensur kann also schon im digitalen Zeitalter die Verbreitung von Ideen im Internet nicht verhindern.Fazit           

Mit der Entstehung der globalen Kultur, die von der Informations- und Kommunikationsrevolution bedingt ist, sind die Schranken zwischen den Ländern überwunden, die Grenzen überschritten worden und die eigenen Wände gefallen. Kulturen öffneten sich. Die Ich-Bezogenheit und die Isolation haben keinen Platz mehr, was neue Grundlagen für die Beziehungen zwischen Nationen und Völkern geschaffen hat.           

Eine der wichtigsten und ersten Notwendigkeiten für das Zeitalter der Globalisierung besteht darin, jene Hindernisse zu beseitigen, die dem Austausch und der Verständigung im Wege stehen, allen voran die Sprachbarriere. Wie notwendig dies ist, findet seinen Ausdruck in der Revolution der Information und Kommunikation, innerhalb derer bewusst der Versuch unternommen wurde, durch Übersetzung diese Barriere zu überwinden.           

Früher dauerte ein Gedankentransfer von einem Land zum anderen Jahrzehnte, bis es möglich war, diese Gedanken zu übersetzen. Nun bietet sich mehr Gelegenheit zum sofortigen Gedankentransfer durchs Dolmetschen, das dem Zuhörer erlaubt, Inhalte aus jeder beliebigen Ausgangssprache in einer Zielsprache seiner Wahl zu hören. Die maschinelle Übersetzung hat einen Quantensprung gemacht, was große Auswirkung auf die Beseitigung von Sprachbarrieren zwischen dem Leser und dem  Ausgangstext haben wird. Dadurch wird der Leser in der Lage sein, die Lesesprache selber zu bestimmen.           

„Jeder Kulturphilosoph wird sich unermüdlich dafür einsetzen, die Kultur zu pflegen, zu fördern und zu verarbeiten. Hier spielt die Übersetzung – ohne Einschränkung – eine grundlegende Rolle. Wir verlieren unsere Identität nicht, wenn wir übersetzen, sondern wir erkennen uns dadurch besser, erkennen die anderen und nehmen am lebenswichtigen Prozess des Gebens und Nehmens teil. Wir müssen bedenken, dass das mittels unserer Sprache übersetzte Werk zu unserer Kultur gehört. Die arabischen Übersetzungen von "Kalila und Dimna", "Fables de Lafontaine", "Faust" und "Hamlet" sind Bestandteile unserer arabischen Kultur, die unter der Rubrik Übersetzung klassifiziert werden. Auch die deutschen Übersetzungen der "Makamen des Hariri", der "Tausendundeine Nacht" und der Romane von Nagib Mahfouz  haben unter der Rubrik Übersetzung Einzug in die deutschsprachige Kultur gehalten.“(29)

 


Literatur in arabischer Sprache:

إلفريده يلينك (2005): عازفة البيانو. ترجمة سمير جريس. دار ميريت، القاهرة.

بريجيته كروناور (2007): نار وريبة. ترجمة علا عادل. الهيئة المصرية للكتاب. سلسة الجوائز. القاهرة.

كورنيليه فونكه (2008) : أمير اللصوص. ترجمة علا عادل.   دار إلياس، القاهرة.

In deutscher Sprache:


Webseiten: 

www.Qantara.de

http://images.zeit.de/text/2004/40/LßWali

www.midad.de

www.hausarbeiten.de


Fußnoten:

1 Javier Maria: mein Herz so weiß. Originalausgabe: Corazón tan blanco Barcelona 1992. Übersetzung: Elke Wehr, Klett-Cotta, Stuttgart 1996.
2 Moustafa Maher (1996): S. 47.
3 Cornelia Niedermeier (2006): Naguib Mahfous gestorben. In: Der Standard am 28.September 2006.
4 Vgl. in diesem Zusammenhang die Rolle von Bajt Al Hikma: www.igmg.de - auch auf den folgenden Seiten.
5 Op.Cit.
6 Vgl. auch das Islam-Lexikon (1991). Bd.2, S.115.
7 . Siehe: www.igmg.de
8 Siehe: Sigrid Hunke (1990).
9 Vgl. Bachmann-Medick 1997: 13ff.
10 Siehe Qantara.de. Übersetzungen in der arabischen Welt. Kulturtransfer auf steinigen Routen
11 تهدف إصدارات المشروع القومى للترجمة إلى تقديم مختلف الاتجاهات والمذاهب الفكرية للقارىء العربى وتعريفه بها، والأفكار التى تتضمنها هى اجتهادات أصحابها فى ثقافاتهم ولا تعبر بالضرورة عن رأى المجلس الأعلى للثقافة.
12 Definition von Zensur in Wikipedia Deutsch.
13  Aus dem deutschen Grundgesetz.
14 Vgl. Sandra Prescher (2001): Die Zensur. Hausarbeiten. de
15 Siehe: Verbotene Bücher - eine Geschichte der Zensur von Homer bis Henry Miller. Hans. J. Schütz. C.H. Beck′sche Verlagsbuchhandlung (Oskar Beck), München 1990.
16 Siehe: Geschichte der deutschen Literatur - Aufklärung, Sturm und Drang. Theo Herold und Hildegard Wittenberg © Ernst Klett Verlage GmbH u. Co.KG, Stuttgart 1983 (Auflage 1991).
17 Vgl. Der Zensur zum Trotz - das gefesselte Wort und die Freiheit in Europa. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 1991.
18 Schütz, Hans J. (1990): Verbotene Bücher. Eine Geschichte der Zensur von Homer bis Henry Miller. München
19 Vgl. Sandra Prescher (2001): Die Zensur. Hausarbeiten. de
20  Siehe Viktoria Kruse (2000): Zensur in der Literatur - Ein kurzer Überblick mit Werkbeispielen aus der deutschen Literatur. www. Hausarbeit.de.
21بريجيته كروناور:نار وريبة. ترجمة علا عادل. الهيئة المصرية للكتاب. سلسة الجوائز. 2007.
22 ©Die Zeit 23.09.2004 Nr.40- http://images.zeit.de/text/2004/40/LßWali
23 Ebd.
24  Abdo Abboud (2006): Einführung in die arabische Literatur. Die moderne arabische Literatur: Grundzüge und Probleme. In: Midad.de. die Webseite vom Goethe Institut.
25 Siehe die arabische Version: أمير اللصوص، دار إلياس، القاهرة 2008.
26 Interview: Samir Grees in: Qantara.de- Elfride Jelinek “Die Liebhaberinnen” auf Arabisch. In Ägypten trüge Frau Jelinek den Schleier.
27 Siehe عازفة البيانو: ترجمة سمير جريس. ميريت، 2005.
28 Goedart Palm: Zur Kritik der medialen Vernunft -- Teil 7- Zensur in Mediengesellschaften. In:www. Parapluie.de. und in: Frank Madro / Alexander Schlutz (Hrsg.) : Im Prozeß der Kultur. Essays, Perspektiven und Entwürfe. Merus Verlag.
29 M. Maher: Entwurf einer Übersetzungstheorie. Das Phänomen Übersetzung. In: karlsruher pädagogische beiträge 50/51 2000, S. 197-198.

2.5. Übersetzung und Kulturtransfer
Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections
TRANS
INST

For quotation purposes:
Ola Abdel Gawad: Zensur der Literatur und der Übersetzung als Hindernis des Kulturtransfers. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/2-5/2-5_gawad.htm

Webmeister: Branko Andric     last change: 2009-09-02