TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. September 2008

Sektion 3.1. Culture sans frontières / Kultur ohne Grenzen / Culture without Borders
Sektionsleiterin | Section Chair: Gertrude Durusoy (Izmir)

Dokumentation | Documentation | Documentation


"Vis und Ramin" von Fakhr Ud-din Gurgani und "Tristan und Isolde" von Gottfried Straßburg
Ein Vergleich

Afsoun Goudarzpour aragh (Islamische Azad Universität-Teheran Zentrum - CTB) (BIO)
Email: afsoun_goudarzpour@hotmail.com

 

Einleitung:

Seit langem hat eine Reihe sehr auffälliger Übereinstimmungen zwischen den erzählenden persischen Dichtungen des Mittelalters und solchen okzidentalischen Literaturen , die Literaten und Forscher dazu gebracht,  sich mit  den Ähnlichlichkeiten sowie Übereinstimmungen der Literatur von Osten und Westen auseinanderzusetzen. Man möchte vor allem diese Übereinstimmungen hauptsächlich den Kreuzzügen zuschreiben, aber diese sind zumeist doch nicht  charakteristisch genung, um als Entlehnungen gelten zu können. Sicher ist es, dass Orient und Okzident lange vor den Kreuzzügen in engster Fühlung gestanden haben. "Aus den  Forschungen von Scheffer-Boichhorst sowie Bréhier ergibt sich, dass seit dem Zusammenbruch des römischen Reiches der Orient die Kulturaufgabe übernommen hatte, die bis dahin Rom zugefallen war."(1)

Es sei ferner an die Kämpfe der Westgoten und des französischen Rittertums gegen die Mauren(2) in Spanien, an die Kriege der italienischen Fürsten und Könige im 9. und 10. Jahrhundert gegen die damals im Süden der Halbinsel wie Araber, an die Eroberung des arabischen Sizilien durch die Normannen in der ersten Hälfte des 11.Jhs. erinnert. Einen gewissen kulturellen Austausch begünstigen bekanntlich auch Kriege. Die arabische Literatur beruhte zum Teil auf der Persischen: die Übersetzung des persischen Khodainâmeh ins Arabische im 8.Jhr., auf welches Firdusis Epos Schahnâmeh zurückgeht, könnte eigentlich ein Beweis dafür sein. 

Okzident und Persien traten aber bekanntlich in Byzanz in umittelbare Berührung. "[...] es habe der lebhafteste Verkehr damals den byzantinischen Orient mit dem Okzident verknüpft, nämlich um das Jahr 1050 und schon vor dem Beginn der Kreuzzüge." (3)

Hierbei ist noch zu erwägen, dass die griechischen Kaiser abendländische Söldner in ihrem Dienste hatten, die häufig nach dem Okzident zurückkehrten. Außerdem dienten unter Kaiser Theophilos (829-42) im griechischen Heer persische Hilfstruppen in der Anzahl von nicht weniger als 30 000 Mann, die  dann in den verschiedenen Gebieten des Reiches angesiedelt wurden und mit den einheimischen Untertanen in Ehegemeinschaft traten. 

K.Burdach bekennt sich in seinem Werk "Die älteste Gestalt des westöstlichen Divans" hinsichtlich des Ursprungs der Minne-Poesie und der Motive und des romanischen Idealismus der mitteralterlichen Ritterromane zu der Überzeugung, "[...]dass auch hier mittelbar die alexandrinische Hofdichtung und ihre Fortsetzung und eigentümlich romantisch-märchenhafte Umbildung durch die Perser im Zeitlater der Sassaniden und im Zeitalter Firdusis und der persischen Restauration unter Mahmud von Ghazna, unmittelbar die arabische Sitte der Hofdichter und der konventionellen Panegyrik zur Ehrung regierender und hochgestellter Frauen sowie das ins Arabische übernommene Schema des persischen  Liebesromanes sehr wesentlich eingewirkt haben."  (4)

 

Zur Thematik:

Um die Mitte des 11. Jahrhunderts, zwischen 1040 und 1050, erhielt der persische Dichter Fakhr Ud-din-Asa´d Gurgani von seinem Gönner  Abul-Fath Muzaffar, dem Statthalter von Isfahan, den Auftrag, die Geschichte von "Vis und Ramin" durch Versmaß  und Reim auszuschmücken  und von veralteten und unverständlichen Ausdrücken zu reinigen. Die Erzählung wurde ursprünglich in der Sprache des Sassanidenreiches abgefasst, also in Pahlavi (5) oder im Mittelpersischen. Die herrschende Religion dieser Dynastie war, wie auch schon zur Zeit der Achämeniden, die Lehre Zarathustras. Infolgedessen weist die Erzählung Züge auf, die  nicht mit nachislamischen Vorstellungen von Ehe, Liebe und Gott übereinstimmen, wenn sich auch Einflüsse dieser Religion  nicht leugnen lassen. Da das iranische Volk, ebenso wie das ihm verwandte indische, in vorislamischer Zeit fast nichts an glaubwürdiger geschriebener Gedichte besaß, ist Gurganis Gedicht als geschichtliche Quelle jener alt- und mitteliranischen Zeit von großem Wert.  Auffällige Übereinstimmungen zwischen diesem und dem Tritan-Roman haben viele Literaten und Forscher zum Ergebnis geführt, dass der Ur-Tristan, die Quelle  aller  Bearbeitungen dieser Sage, entweder direkt auf dieses persische Epos zurückgeht  oder mit ihm aus der gleichen Quellen geflossen ist.

1872 bezeichnete Hermann Ethè den persischen Roman "Vis und Ramin"  als Seitenstück zu Gottfrieds von Straßburg "Tristan und Isolde". 1887 hob er sogar hervor, dass "Vis und Ramin" denselben Stoff behandelt, wie Meister Gottfrieds "Tristan und Isolde".(6)  Manche Wissenschaftler sind sogar der Meinung, dass beide Werke unter dem starken Einfluß von der indischen Liebesgeschichte "Ramain" stehen.(7) Die Zusammengehörigkeit der deutschen, persischen und der indischen Sprache zu indogermanischen Sprachen könnte ein Beweis dafür sein.

George Morrison schreibt 1972 in der Einleitung seiner Übersetzung von "Vis and Ramin" folgendes in diesem Zusammenhang: "The relationship between  the romance of Vis and Rāmin and that of Tristan and Isolde has been the subject of much discussion. The date and background of Gurgāni's poem somewhat recall the history of the Tristan romance (…) The earliest discernible literary version of Tristan was composed c. 1150. Although there are earlier versions extending back into celtic antiquity[...]"(8)

Ein erster Vergleich zeigt uns, dass die beiden Gedichte sowohl im Fortgang als auch in der Darstellung  der handelnden Personen übereinstimmen:

  1. Ein schon bejahrter mächtiger König (Moubad in der persischen Dichtung und Marke in der Deutschen) vermählt sich  mit der Tochter eines benachbarten Königs (Wis und Isolde), welche er aus ihrer Heimat entführte, bzw. entführen  läßt und welche ihn vorher nicht zu Gesicht bekommen hat.
  2. Die Entführte wird auf der Reise vom väterlichen Hause nach ihrer neuen Heimat von einem  jugendlichen Verwandten des Königs (Ramin, der jüngere Bruder von König Moubad und Tristan, König Markes Neffe) begleitet, in dem plötzlich eine heftige, ihn von nun an mit elementarer Gewalt beherrschende Leidenschaft für die  zukünftige Gemahlin  des Königs aufflammt. Dort wird die  Liebe des Helden durch den plötzlichen Anblick der Entführten motiviert. In Vis und Ramin geschieht die Überführung in einer Sänfte, im Tristan und Isolde zu Schiff.
  3. Die junge Königin unterhält von ihrer Vermählung an ein ehebrecherisches Verhältnis  zu diesem jungen Verwandten ihres Gatten, der Liebhaber weilt am Hofe, in steter enger Gemeinschaft mit dem Ehepaar.
  4. Neben den dreien steht als vierte Hauptperson die Dienerin der Heldin, welche der letzteren  mit Leib und Seele ergeben ist, ihre Liebe in jeder Weise begünstigt und bei den Zusammenkünften mit dem Liebhaber sich hilfreich erweist. In Vis und Ramin ist es die Amme der Vis, welche diese und Ramin zusammenbringt und fortgesetzt die Vermittlerin spielt, und sich auf Zauberei versteht. Im Tristan und Isolde reicht Isoldens Dienerin während der Überfahrt von Irland nach Cornwall durch ein verhängnisvolles Versehen Tristan und Isolde den zauberischen Liebestrank, den sie vielmehr in der Hochzeitsfeier Marke und Isolde darbringen sollte. Seitdem ist sie die Vermittlerin zwischen den beiden Liebenden. Auch sie ist zauberkundig.
  5. Der Liebesbund des Helden und der Heldin wird vom Dichter - wie schon erwähnt - durch ein Zaubermittel entschuldigt, welches in Tätigkeit gesetzt wird, wie in Vis-Roman durch einen Talisman und im Tristan-Roman durch den sogenannten Zaubertrank und in beiden Fällen eine andere Wirkung hat als ursprünglich beabsichtigt war.
    Moubad wird zeitlebens von Vis ferngehalten, in seiner "Mannheit verbunden"(9), durch einen Talisman, der nur einen Monat wirken sollte, aber durch einen unglücklichen Zufall dauernde Kraft erhält. Tristan und Isolde sind durch den Liebestrank zeitlebens unauflöslich zusammengekettet. Also wirkt das Zaubermittel im ersteren Falle negativ, im zweiten positiv, hat aber den gleichen Endeffekt: der Talisman hält Moubad von Vis fern und treibt sie so dem Ramin in die Arme, der Zaubertrank verbindet Tristan und Isolde, und trennt  sie von Marke.
  6. Beide Helden sind  ein Meister im Saitenspiel und  ein eifriger Jäger.
  7. Die Heldinnen sollen zum Beweis ihrer Unschuld öffentlich einen Reinigungseid ablegen, sollen sich einem Gottesurteil unterziehen und werden  mit dem Feuertod bedroht; sie entgehen dem Feuertode(10), indem sie mit dem Geliebten in die Wüste, bzw. in die Waldwüste flüchten.
  8. Als der König Gewissheit erlangt hat, dass er von den beiden Liebenden hintergangen wird, verstößt er sie vom Hofe. Beide leben längere Zeit in voller Freiheit dem Genuss ihrer Liebe im Gebirge, bzw. im Waldgebirge.
  9. Als die beiden Liebenden den Königshof verlassen und gemeinsam in der Verborgenheit leben, wird der König von Sehnsucht nach der Gattin verzehrt und erklärt, ohne sie nicht leben zu können. So werden die beiden Heldinnen nach einiger Zeit vom König wieder zu Gnaden angenommen.
  10. Die Liebenden haben einmal im Garten des Palastes eine Zusammenkunft; der König erscheint überraschend, doch gelingt es ihm nicht, sie zu fassen und ihre Schuld unzweifelhaft festzustellen. In Vis und Ramin entflieht der Held, indem er über die Mauer klettert und die gleiche Szene passiert bei Gottfried, indem Tristan über den Gartenzaun entflieht.
  11. Die beiden jungen Helden vermählen sich im Ausland mit einer anderen nämlich vornehmer Jungfrau, die sie durch ihre Schönheit fesselt, so verbringen die Königinnen ihre Tage in tiefster Trauer. Ramin heiratet  in Gurậb die Gul, deren Bruder als ein tapferer Grenzwächter bezeichnet wird  und Tristan die Isolde Weißhand in der Bregtane, deren Bruder gegen die Feinde des Landes im Kriege steht.
  12. Aber sowohl Tristan als auch Ramin können in der Fremde die Geliebte nicht vergessen; sie verfallen in Trauer und Schwermut und die Sehnsucht wird so mächtig in ihnen, dass sie zur  Geliebten zurückkehren und aufs Neue mit ihr Umgang haben.
  13. Beide Romane schließen mit dem Tode der beiden Liebenden, mit der Angabe, dass sie nebeneinander bestattet werden,  und mit dem Hinweis darauf, dass ihre Seelen sich im Jenseits aufs Neue vereinigen. In Vis und Ramin heisst es: Ramins Leib wurde zu dem Leibe der Vis gelegt und sein Geist vereinigte sich wieder im Paradies mit dem ihrigen

 

"Im Himmel knüpften fest den Bund der Treue
Und feierten die Hochzeit sie auf´s neue:"

عروسی  بو د  دامادی    دگربار به  مینو از  روان دو وفادار
چنین خواهد شدن زایدر همه کس بشد ویس و بشد رامینش از پس
  (11)

 

 

 

Im Tristan und Isolde gelangt der Gedanke der Wiedervereinigungim Tode symbolisch durch die schöne Erzählung von den auf den Gräbern der Liebenden aufspriessenden Sträuchen zum Ausdruck, die ihre Zweige verschlingen.

Wenn auch Anfang und Ende der persischen Erzählung vom Tristanepos abweichen, so sind doch die vielen Übereinstimmungen  im Kern der Haupthandlung und vor allem die Ähnlichkeit im Anliegen der Dichter nicht zu übersehen. Beide zeigen eine Liebe, die gegen alle höfischen Konventionen verstößt und die darüber hinaus sogar eine Erhöhung  ins Transzendente (12) erfährt.

Prof.Dr. R.Zenker schreibt in seinem Werk "Die Tristansage und das persische Epos von Vis und Ramin" diesbezüglich :"Der Kern der beiden Dichtungen sowie die Charaktere der vier Hauptpersonen sind nahezu vollkommen identisch. Die Liebe Ramins und der Vis, Tristans und Isoldens ist von einer elementaren Gewalt, die sie alle sittlichen Rücksichten außer Augen setzen läßt. Sind die Liebenden getrennt, so härmen sie sich ab, kommen der Verzweiflung nahe, werden sie vereinigt, so geben sie sich ihrer Leidenschaft skrupellos hin. Den wesentlichen Inhalt beider Romane bilden die mannigfachen Listen, welche die Liebenden anwenden, um zusammen zu kommen und den König zu hintergehen. Dieser glaubt trotz der offenkundigsten Beweise vom Gegenteil immer wieder an die Unschuld der Gattin und nimmt sie von neuem zu Gnaden an, er glaubt an ihre Unschuld, weil er an sie glauben will, weil er die Treulose leidenschaftlich liebt und nicht ohne sie existieren kann[...]"(13)

Es ist wichtig zu betonen, dass weder Gurgani noch Gottfried die Realität  eines Gottes in Frage stellen. Beide Dichter stellen neue Wertbegriffe auf, die in Spannung zu den Idealen und Tugenden der Gesellschaft und deren Vorstellung  von Gott stehen. Beide verneinen sogar die Geltung höfischer Werte, indem sie die höfische  Moral in ihrem äußeren Scheinwert zeigen. Sie entlarven sogar das Spiel, das die höfische Welt mit Gott treibt.  Hans Neumann schreibt dazu in Bezug auf den Tristan : "Ich möchte Gottfried ... eher irgendwie im Zusammenhang sehen mit gewissen tiefsten Ideen über das gottschaffende und  gottprägende Wesen des Menschen [...]."(14)

Gottfried und seine Liebenden weigern sich, einem Prinzip zu folgen, das nur dieser Welt eigen zu sein scheint, nämlich der Erfüllung der höfischen Form als einzige Möglichkeit zur Erlangung irdischer Glückseligkeit . In Gurganis Erzählung haben wir eine ähnliche Situation. Einige Hauptgedanken des Zoroastrismus, des Islam und des sich daraus entwickelten  Sufismus sind in diesem Werk klar  zu erkennen.  In der Mystik des neunten  Jahrhunderts fand Gurgani die Idee vorgeformt, dass der Mensch in der Liebe die Vervollkommnung seines Wesens erreichen könne, wenn er nur die Kraft Gottes in sich verspüre. In Bezug auf das Thema schreibt Hennig Brinkmann: "[...] es sei für Diesseitsnaturen der höfischen Umgebung bezeichnend, dass sie dem Rhythmus der Seele lauschen um seiner selbst willen, nicht um Gottes Stimme aus ihm zu vernehmen."(15)

Bei Gottfried können wir eine ähnliche Subjektivierung des Gottesbegriffs erkennen, aber auch er stellt die Existenz einer Gottheit nicht in Frage. Der Zwiespalt zwischen Gott und Welt ist gelöst durch das Medium der Liebe, welche mit Kräften religiöser Mystik erfüllt ist und zugleich eine Bejahung des sinnlichen Unglücks enthält. Die Vorstellug einer göttlichen  Macht ist in Vis von Anfang an lebendig. In Isolde machen sich erst später Anzeichen eines Gottesbegriffs bemerkbar, nachdem sich ihre Liebe von der Sinnlichkeit befreit hat. So wie Vis entschlossen ist, ihren Glauben  gegen alle Anfechtungen zu verteidigen, so ist Isolde entschlossen, nur das Recht ihrer Liebe gelten zu lassen.

"Kommt man von den beiden großen Erzählern, d.h. von Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach, der staufischen Blüte zu Gottfried, so stehen die beiden nahe beisammen. Gemeinsam ist ihnen die klare christliche Lösung, gemeinsam das Ziel und der Weg dahin durch Gottes Gnade. Gottfried bleibt mit seinen Gedanken jedoch ganz im Bereich des Diesseitigen. Auch er hat hohe Ideale, auch sie sind auf dem Boden der ritterlichen Grundanschauungen gewachsen […] Wolframs Problematik, sein Ringen um das Rätsel der Erbsünde – seine Lösungen, sie liegen Gottfried fern. Und umgekehrt mußte Wolfram Gottfrieds Ideen und Ideale als seinen Erkenntnissen konträr entgegengesetzt empfinden "(16)

Es ist bei Gurgani als auch bei Gottfried eine Mehrzahl von geistigen Strömungen zu sehen, die in der Gesamtkonzeption ihrer Werke reflektiert sind und zu einer vollkommen neuen Hinwendung zum menschlichen Seelenleben führen. Beide Dichter unterscheiden nämlich nicht nur zwischen einem subjektiven, d.h. in ihrem Sinne echten vertieften Begriff von Gott und dem überkommenen formelhaften Gott der höfischen Welt, sondern sie unterscheiden auch zwischen Minne und Liebe. Während der Minner des Minnesangs und der traditionellen höfischen Dichtung, in Europa wie in Persien, seine Dame minnt, weil sie ein vollkommenes Mitglied der Gesellschaft ist, fragen Gurganis und Gottfrieds Liebende nicht danach, ob der Partner ethisch und gesellschaftlich vollkommen ist, sondern sie lieben einzig und allein den Menschen. Die neue Forderung dieser Dichter ist Wahrheit der Empfindung, und damit führen sie die Fähigkeit, sich in das Innere des Menschen einzufühlen, in die Literatur ihrer Zeit ein.  In diesen Werken ist die Frau  für die beiden Dichter der Gegenstand ihrer Betrachtung. Sowohl das Tristangedicht als auch das persische Werk unterscheiden sich von den anderen höfischen Epen dadurch, dass die Liebe der Frau nicht durch irgendein Abenteuer oder als Belohnung gewonnen wird, obwohl in beiden die Möglichkeit zu dieser Gestaltung vorhanden wäre. Zwischen den Liebenden sind einzig und allein die gegenseitigen Gefühle entscheidend. 

Beide Romane gehen über die traditionellen Vorstellungen von Liebe und Ehe hinaus und betrachten nicht nur die äußere Wirkung der Liebe, sondern sie gehen auch auf die Verwandlung im Innern der Liebenden selbst ein, d.h. sie betonen vor allem auch die Gefühle der Frau. Und diese Gefühle haben die  gleiche Berechtigung und den gleichen Wert wie diejenigen eines Mannes.  Damit wird ein neues Licht auf die Wertung der Frau geworfen. Die Betonung liegt hier auf der Gleichheit der Geschlechter. Die Liebenden achten sich gegenseitig als vollwertige ebenbürtige Menschen und haben unbedingtes Vertrauen zueinander. Diese Kriterien geben ihrer Liebe und ihnen selbst die Kraft, sich vor den Scheinwerten der  höfischen Gesellschaft zu bewahren.

Wenn auch "Tristan und Isolde"  mit dem Tode der Liebenden endet, so erfahren sie doch gerade im Moment des Untergangs die Bestätigung und die höchste Reife ihrer Liebe. Die Tragödie führt durch Vernichtung und Untergang zur Steigerung des Lebens und der Liebe beim sterbenden Helden.

"Vis und Ramin  zeigt scheinbar ein ganz anderes    Ende für die Probleme der Liebe: die Liebenden haben nach  König Moubads Tod die Möglichkeit, ungestört und auch von der Gesellschaft anerkannt ihre Liebe zu leben und offen zu genießen. Ramin hat zwar, wie Tristan, in der Ehe mit Gul den wahren Charakter seiner Liebe zu Vis erkannt, doch gelangt er erst nach Visehs Tod zu der Fähigkeit, seine Liebe voll und ganz zu verinnerlichen."(17) So werden beide Dichter als Kritiker der höfischen Gesellschaft betrachtet  und deren Vorstellungen von got, minne und ere sind in ihren Werken ganz klar zu erkennen. 

 

Schluss:

Der zentrale Gehalt der Dichtungen von Gurgani und Gottfried ist im Zusammenhang mit der Gottesidee zu sehen. Beide Dichter verstanden die innige, inbrünstige Erfüllung der Liebe analog der Erfüllung in Gott, womit sie sich mystischen Strömungen ihrer Zeit näherten. Gurganis Idee der Liebe als Weg für die Seele, wieder in Gott einzugehen kam eigentlich aus dem persischen Sufismus.

Während wir in dem persischen Werk, besonders in der Person Ramins, die Entwicklung einer religiösen Beziehung zu Gott erkennen konnten, die durch die Erfahrung der Liebe hervorgerufen wurde, verändert sich in Tristan und Isolde nicht das Glaubensbewußtsein, sondern der Gehalt der Liebe.  

In beiden Dichtungen wird gezeigt, wie Ramin und Tristan die Bewährungsprobe ihrer Liebe nicht bestehen. Vor die Entscheidung gestellt, der Geliebten die Treue zu bewahren und somit ihre Gefühle zu verinnerlichen, zu einem tieferen, geistigen Verständnis der Liebe zu gelangen, versagen sie. Für Ramin bedeutet dies zugleich die Rückkehr in sein altes gottesfernes Selbst. Indem sie sich dann ihres Irrtums bewußt werden und sich eingestehen, dass sie bisher nur ihren sinnlichen Trieben ergeben waren, öffnen sie den Weg zum echten, erfüllten Verständnis der Liebe, und als Folge dieses Liebesverständnisses: den Weg zum Gottesverständnis.

 In Gurganis Werk wird Ramin für diese Erkenntnis schon im Diesseits mit Glück und langem Leben an der Seite von Vis belohnt. Im Jenseits werden sie dann aufs Neue vereint. Tristans Tod kennt man zwar nicht mehr aus Gottfrieds Fragment. Aus den Quellen und Fortsetzungen können wir sehen, dass Tristan erst im Tod das Stadium der unio mystica  erreichen wird. 

Gurgani und Gottfried zeigen eine Liebe, die zunächst außerhalb der Ehe steht. Die Frage der Schuld wird aber entgegen mittelalterlichen Verhältnissen nicht den Ehebrechern zugewiesen, sondern der höfischen Gesellschaft und damit der traditionellen Ehevorstellung, obwohl Gurgani und Gottfried keineswegs dem Ehebruch das Wort reden. Die Liebe sollte zu Recht nur mit der Ehe erfüllt werden. Die Dichter stellen jedoch die Liebe vor die Ehe, weil die Ehe zu jener Zeit von außen bestimmt und veräußerlicht war und keinen wertvollen Lebensinhalt hatte. Es ist ja nicht zufällig, dass gerade die Liebe von Vis und Ramin und von Tristan und Isolde ohne bewusstes Arrangieren von außen erwacht, auch wenn in dem deutschen Epos der Minnetrank neben der  symbolischen Innerlichkeit auch jenes ungewollte äußerliche Einwirken auf die Liebe versinnbildlicht. Da die Paare in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrer Seelenstimmung so offensichtlich füreinander geschaffen sind, bleibt ihnen nur der Weg der Liebe. Gurgani ist zudem noch von der Liebe geleitet, dass der Einzelmensch wesensmäßig ein Halber ist, der erst wieder in der Liebesvereinigung zu dem einen ganzen Menschen wird. Eine ähnliche Auffassung können wir in Gottfrieds Fragestellung erkennen:

"si wurden ein und einvalt     die zwei und zwivalt waren e"

Nachdem die Liebenden diese Seinsmöglichkeit gewählt und voll und ganz bejaht haben, muss sich auch ihr Verhältnis zur öffentlichen Ordnung ändern, der sie sich nun entzogen haben. In beiden Dichtungen ist jedoch festzustellen, dass mit Ausnahme von Vis die Liebenden zunächst noch den höfischen Werten verhaftet bleiben. Aber die Ansprüche, die die Liebe stellt, sind stärker als die Ehre, weil sie tiefer gehen. Die sonst selbstverständliche Übereinstimmung von Innen und Außen, subjektivem Gefühl  und Reaktion der Welt, ist hier durchbrochen. Zwar ist Ehre für die beiden Dichter kein abstrakter Wert, ihr Maßstab ist jedoch die gotterfüllte Liebe, die zugleich verinnerlicht, aber doch keine totale Vergeistigung alles Sinnlichen ist.


Quellenverzeichnis:


Anmerkungen:

(1)Döllinger, Ignanz, "Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters", 1.Teil, München, 1890, S.113
(2) Angehörige eines nordafrikanischen Mischvolkes
(3) ebd. S.115
(4) Burdach, K., "Die älteste Gestalt des westöstlichen Divans", in den Sitzungsberichten der preussischen Akademie der Wissenschaften,1904, S.43
(5)Die Sprache Persiens, vor der Eroberung der Araber in 3.- 7.Jh. n. Chr.
(6) Ethè,  Hermann. "Verwandte persische und occidentalische Sagenstoffe"- Essays und Studien., Berlin, 1872, S.123
(7) Gurgani, Fakhr Ud-d As´ad, "Vis und Ramin", Sedāyeh Moāser, Teheran, 2003, S.467
(8) Morrison George, "Vis and Ramin"-Translated from the Persian of Fakhr Ud-Din Gurgani, Columbia University Press, New York & London, 1972, S.XVI
(9) Gurgani, F., "Vis und Ramin", S.54
(10) Im Urtristan gibt es verschiedene Fassungen : 1.Isolde soll zum Beweis ihrer Aussage ein glühendes Eisen in bloßer Hand tragen. 2.Der König lässt den beiden Liebenden einen Scheiterhaufen von Feuer anzünden. 3.Isolde hat einen Reinigungseid zu schwören und sich mit einem Gottesurteil zu unterziehen, welches darin besteht, dass sie durch einen brennenden Holzstoß hindurchschreitet. Es droht ihr also, wenn sie falsch schwört der Feuertod.
(11) ebd.S.372
(12) (phil.)das Überschreiten der Grenzen von Erfahrung u. Bewußtsein, des Diesseits.                               
(13) http://www.digizeitschriften.de/index.php?id (2007/10/18, 6:56pm)
(14) Neumann, "Höfische Kultur". Niemeyer-Verlag,  Halle, 1929,S.120          
(15)Brinkmann, Hennig, "Enstehungsgeschichte des Minnesangs", Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1971. (S.87)
(16) Maurer, Friedrich, "Gottfried von Strarßburg-Tristan und Isolde", Walter de Gruyer Verlag, Berlin, 1977, S.5ff.
(17) Sattari, Jalal, "Isolt´s shadow and Shirin´s sweet smile", Nashre Markaz, Teheran, 2005, S.8

 


3.1. Culture sans frontières / Kultur ohne Grenzen / Culture without Borders

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For quotation purposes:
Afsoun Goudarzpour aragh: "Vis und Ramin" von Fakhr Ud-din Gurgani und "Tristan und Isolde" von Gottfried Straßburg.Ein Vergleich. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/3-1/3-1_goudarzpour.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2008-09-13