TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Februar 2010

Sektion 4.5. Arctic, Antarctica, Alps, Art – Imagining the Extreme / Natural Sciences, Humanities, Arts – Dialoguing
Sektionsleiter | Section Chair: Knut Ove Arntzen (Universität Bergen), Gabriele Rampl (Scinews, Innsbruck) und Victoria Joan Moessner (University of Alaska)

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Living Spaces, Erlebnis-Kultur und Wissenschaftsdramaturgie:
Anmerkungen über das Extreme in Kunst und Wissenschaft

Knut Ove Arntzen (Bergen/Norwegen) [BIO]

Email: knut.arntzen@ikk.uib.no

 

Thema dieses Beitrages ist eine ganz ungewöhnliche Gegenüberstellung: der Vergleich zwischen dem Pop-Ambiente und der wissenschaftlichen Expedition im Sinne von Living Spaces und Erlebnis-Kultur. Es geht um eine gemeinsame Suche nach Realitätsaspekten, die man in der Kunst sowie auch in der Wissenschaft als vergleichbare Wahrnehmungsweise beschreiben kann.

Der schwedische Kritiker und Kurator Mårten Spångberg hat es so formuliert: „/.../...was wir auf der Bühne machen und was wir unter Publikum tun, gleicht sich letzen Endes aus. Alle Realitätsaspekte sind da: “/.../All the reality aspects are present” (Spångberg 1999, Übersetzung Knut Ove Arntzen, Anm.). Zu dieser Erlebnis-Kultur auf Basis einer shared experience gehörtdie Kunst ebenso wie die Wissenschaft. Aus der Anthropologie kennen wir kulturelle Ausdrücke der Weltkulturen oder Urbevölkerungen, wie beispielsweise die Pow Wows (Feste nordamerikanischer IndianerInnen, Anm.). Diese könnte man mit urbanen Klubkulturen vergleichen, nicht zuletzt was die Frage der Suche nach Erlebnisräumen betrifft. Ich möchte behaupten, dass sich das Umfeld einer wissenschaftlichen Expedition auch auf Erlebnisstrukturen bezieht, deren Wirkung noch nicht beschrieben worden ist.

 Daher könnte man auch das Ambiente und dessen Auswirkungen in die Situation der Lesung und des Symposiums umsetzen, was durch Performance-Lesungen (performance lectures) demonstriert werden kann. Die ursprüngliche Gießener Studentengruppe „Showcase Beat Le Mot“ der angewandten Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen hat 1999 im Kunstzentrum Podewil in Berlin ein Kongress Permanentes Testbild gestaltet. Bei dieser Aktion wurde ein kleiner Barraum als eine Kombination von Lounge und Vorlesungssaal gestaltet. DJs und Musikforscher wurden eingeladen Vorlesungen zu halten und Musikdemonstrationen zu präsentieren. Es wurde über Hip-Hop und multikulturelle Musik in London diskutiert. In diesem Rahmen wurde auch Baktruppens Vorstellung Good good very good aus dem Jahr 1996 gezeigt. In dieser Vorstellung war das Publikum so wie Zuschauer in einem Kabarett organisiert. Baktruppen wollte hier das chinesische Volk mit der nordskandinavischen Urbevölkerung, den Lappen (in deren eigener Sprache Sami genannt) vergleichen. “/.../Die Chinesen sind so viele und die Sami so wenige” (Baktruppen im Text der Vorstellung).

 Im Kontext finde ich es nötig darauf hinzuweisen, dass eine “Kultur der Erlebnisse” ebenso einen politischen Hintergrund haben könnte, ähnlich der situationistischen Bewegung der 1950er und 1960er Jahre. Es handelte sich um eine Generation Künstler, die ursprünglich mit der bekannten COBRA-Gruppe verbunden waren. Sie wollte ihre Kunst als ein politisches Aktivum verstehen und sahen in der Kunst die Möglichkeit einer maximalen Lebensentfaltung. Der französische Philosoph Guy Debord formulierte dazu, dass das Konsumieren von Produkten und von Unterhaltung einer ausgesprochenen Showgesellschaft entsprach, die er als société du spéctacle bezeichnete (Debord 1967). Die Kunst würde daher im Sinne einer Kultur der persönlichen Erlebnisse, die ökonomische Ausbeutung durch die Shows ersetzen können. Der mit Guy Debord zusammenarbeitende dänische Künstler Asgeir Jórn hat es als “Ende der Ökonomie” bezeichnet, wenn man durch situationistische Aktionen neue Zonen der Lebensentfaltung verwirklichen kann. Durch die Verwendung von kontextuellen und psychogeografischen Strategien wollten die Situationisten den Menschen freistellen und ihn dazu bringen, mehr als handelndes Individuum denn als passiver Konsument in der Welt zu sein (Jórn 1990). Dies impliziert auch die Marginalität zu erleben und sich in Richtung authentischer Erlebnisse zu bewegen.

 In der Popkultur hat etwas Innerliches und Sentimentales aus der Epoche der Romantik überlebt, und die Popkultur wurde auch von Volkstraditionen sowie auch modernistischer Collage, Montage und surrealistischen Elementen beeinflusst. Und als die Zeit reif war, hat diese Zurschaustellung der Sentimentalität durch Kommunalität, subsumierbar unter dem Begriff “Popcommunity-Strategien“ einen neopolitischen Anstrich bzw. "Touch" bekommen. Parallel dazu erzeugte das Wiederaufbeleben des Mystizismus durch die Strömung des New Age, ebenso ein neues Interesse an Authentizität.

 Es wird von "Living Spaces" gesprochen, und popkulturelle Gattungen wie Karaoke und Musik-Videos füllen diese Erlebnisräume. Auch in den Wissenschaften formiert sich eine durchaus ähnliche Suche nach Erlebniskultur. Neue und multidimensionale Vermittlungsformen wie z. B. Powerpoint-Programme zeigen diesen Trend zu Ambiente und Showkultur. Meine Hypothese ist daher, dass die Marginalität der ambientebezogenen Ausdrucksformen auch in den Wissenschaften Platz gegriffen hat. Die Erlebnisräume wissenschaftlicher Exploration mutieren langsam in Räume der geteilten Erfahrung und der Marginalität; Sie verwandeln sich, nehmen einen Touch von Exotismus auf und verbreiten jenes Flair, wonach man sich stetig an einem anderen Ort aufhalten kann.

 

Literaturnachweis:

 

Dieser Text ist ein bearbeiteter Auszug aus meinem Artikel:
“Marginalität, Pop-Theater und die Frage nach einer Svalbard-Kunst”, in I. Simonnæs, M. Schmode, J. O. Askedal (Hrsg.): 20 Jahre Deutsch-Norwegisches Studienzentrum in Kiel, Beiträge zur interdisziplinären Jubiläumstagung 14.-15.9.2006, Deutsch-Norwegisches Studienzentrum an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 2007.


4.5. SektionsArctic, Antarctica, Alps, Art – Imagining the Extreme / Natural Sciences, Humanities, Arts – Dialoguing

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For quotation purposes:
Knut Ove Arntzen:Living Spaces, Erlebnis-Kultur und Wissenschaftsdramaturgie: Anmerkungen über das Extreme in Kunst und Wissenschaft - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/4-5/4-5_arntzen .htm

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