TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Januar 2010

Sektion 5.5.
Mehrsprachigkeit und literarische Kreativität
Sektionsleiterin | Section Chair: Michaela Bürger-Koftis (Genua)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Mehrsprachigkeit in der Literatur und das Entwerfen alternativer historischer Perspektiven –
Vladimir Vertlibs Erzählung „Mein erster Mörder“ als ‚touching tale’

Sandra Vlasta (Wien) [BIO]

Email: sandra.vlasta@univie.ac.at

 

Einleitung

Mehrsprachige AutorInnen, die ihre Literatur in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache verfassen, zeigen in ihrer Auseinandersetzung mit der ‚neuen Heimat’ alternative Wege und Perspektiven auf. Salman Rushdie schreibt zum Umgang mit Englisch, der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht, im post-kolonialen Kontext:

One of the changes has to do with attitudes towards the use of English. Many have referred to the argument about the appropriateness of this language to Indian themes. And I hope all of us share the view that we can’t simply use the language in the way the British did; that it needs remaking for our own purposes.(1)

Auch AutorInnen in nicht kolonialen Kontexten, die nicht in ihrer Muttersprache schreiben, arbeiten in der von Rushdie beschriebenen Weise mit und an der ‚fremden’ Sprache, finden ihre eigenen Ausdrucksweisen und Möglichkeiten und interpretieren die Sprache damit auf eine alternative Weise. Dabei erfährt Sprache auch Veränderung, AutorInnen schreiben sich ein in die Literatursprache  (man denke an Schriftsteller wie Vladimir Nabokov, Joseph Conrad oder Samuel Beckett und ihre Bedeutung für die jeweilige Literatursprache).

Der folgende Aufsatz geht davon aus, dass AutorInnen, die nicht in ihrer Muttersprache schreiben, so, wie sie eine alternative Sicht und Version der Sprache in den Literaturkorpus einbringen, auch Anteil an der (Üb-)Erarbeitung des historischen Selbstverständnisses eines Landes, eines Sprachraums, haben. So fällt der Blick zugewanderter AutorInnen in Österreich, dem Land, das hier im Mittelpunkt stehen soll, auch in die Vergangenheit des Landes und historische Ereignisse werden aus einer alternativen Perspektive durch- und neu aufgearbeitet. Dabei können Verbindungen räumlicher, zeitlicher, emotionaler etc. Art entstehen,  die auf diese Weise bislang nicht gedacht wurden und nicht sichtbar waren. Mit dem Konzept der ‚touching tales’ der amerikanischen Germanistin Leslie A. Adelson sollen im Folgenden diese Verbindungen in Vertlibs Erzählung „Mein erster Mörder“(2) herausgearbeitet werden.

Eingangs dazu noch eine weitere theoretische Überlegung: Der französische Soziologe Maurice Halbwachs vergleicht den Zustand des Sprachverlustes (Aphasie) mit der Situation einer Person in einem fremden Land so: „He tries to be understood by others and to understand them – like a man in a foreign country who does not speak the language but knows the history of this country and has not forgotten his own history.“(3) Die Aneignung der Geschichte eines Landes wird hier als unabhängig von der Sprachkompetenz dargestellt, wenngleich das Fehlen letzterer für das ‚fremde’ Individuum bedeutet, keinen vollständigen Zugang zum kollektiven Gedächtnis der Gemeinschaft des fremden Landes zu haben, weil ihm das Bezugssystem dafür fehlt.(4) Für Halbwachs bleibt der Fremde an dieser Stelle lediglich ein nicht weiter ausgeführtes Beispiel für einen Vergleich, für die Zwecke dieses Artikels ist seine Idee des Fremden wert, weitergedacht zu werden. Halbwachs’ Fremder kann sich, auch ohne die ‚richtige’ Sprache zu beherrschen, mit der Basis des kollektiven Gedächtnisses der fremden Gesellschaft auseinandersetzen – mit der Geschichte also, auf der Symbole und Identifikationsprozesse aufbauen, die die Gemeinschaft als individuell kennzeichnen.(5) Er muss dazu allerdings ein anderes Bezugssystem, eine andere Sprache, verwenden. Dieser Fremde hat damit in seiner eigenen Sprache die Möglichkeit, die Identität einer Gesellschaft durch das Verständnis ihrer Geschichte reflexiv wahrzunehmen und gleichzeitig auch seine eigene Identität zu reflektieren. Der sprachliche Nachteil erweist sich als soziologischer Vorteil, der dem Fremden als Außenstehenden Erkenntnisse ermöglicht, die den Mitgliedern einer Gemeinschaft nicht zugänglich sind, weil die Reflexion der der Gruppe Zugehörigen auf andere Weise und in einer anderen Sprache stattfindet. Auf diese Weise wird der Fremde zu einem besonderen Träger des kollektiven Gedächtnisses: Im Gedächtnis des Fremden vermischen sich die Historien, jene der neuen, jene der verlassenen Heimat, jene der Wanderung.

Um noch ein Element erweitert stellt sich die Situation von mehrsprachigen SchriftstellerInnen dar, von AutorInnen, die die fremde Sprache als ihre Literatursprache gewählt haben. Sie sind weit entfernt vom Aphasiker, der Sprache verliert, sondern kennen im Gegenteil Sprachen und Geschichten. Genau wie die Aneignung und der kreative Umgang mit der neuen Sprache, wird die literarische Verhandlung der Geschichte der neuen Heimat zu einer Möglichkeit, sich mit der Identität der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das Schreiben von Literatur im Kontext von Migration ist auf diese Weise gleichzeitig das Schreiben einer alternativen Sichtweise von Geschichte, die zur Basis einer alternativen Identität der neuen Heimat werden kann oder zumindest als Entwurf dafür vorgelegt wird. Geschichte bedeutet in diesem Zusammenhang nicht ausschließlich zeitlich weit Zurückliegendes, sondern schließt die Alltagswelt der Gegenwart ein, die ja nicht zuletzt wiederum als Spiegel der Historie gelesen werden kann. Es ist somit die gesamte Darstellung der neuen Heimat in Literatur im Kontext von Migration, die zur Erarbeitung alternativer Identitäten dient.(6)

Die amerikanische Germanistin Leslie A. Adelson lenkt ihren Blick auf die Darstellung von Deutschland in Texten deutsch-türkischer AutorInnen.(7) Sie liest die Texte von AutorInnen wie Emine Sevgi Özdamar, Feridun Zaimoglu oder Zafer Şenocak als ‚touching tales’, also als sich berührende Geschichten, die die Geschichte einer Gesellschaft und deren Erinnerung daran neu schreiben und erzählen. Adelsons These ist, dass in deutsch-türkischer Literatur weniger entgegengesetzte Welten verhandelt werden (Deutschland – Türkei bzw. verlassene vs. neue Heimat), als vielmehr deren Ähnlichkeiten und die Verbindungen, die zwischen ihnen vorhanden sind oder entstehen.

Ihr Konzept der ‚touching tales’ geht von der Annahme einer gemeinsamen kulturellen Basis aus: „Germans and Turks in Germany share more culture (as an ongoing imaginative project) than is often presumed“(8), wobei diese Gemeinsamkeiten einmal stärker, einmal schwächer ausgebildet sein können. Weiters anerkennt das Konzept der ‚touching tales’ emotionale Kategorien, die deutsch-türkischer Literatur innewohnen und Motive wie „German guilt, shame, or resentment about the Nazi past, German fears of migration, Turkish fears of victimization, national taboos in both countries, and Turkish perceptions of German fantasies“(9) widerspiegeln. Vor allem aber steht der Begriff ‚touching tales’ für Texte, in denen kulturelle Entwicklungen und historische Referenzen, die zuvor nicht in Verbindung gebracht wurden, vermischt bzw. angenähert werden. In dieser Annäherung, die bis zu Berührung gehen kann, werden zuvor klar getrennte Geschichten und Geschichte auf kreative Weise durchgearbeitet, neu gelesen und aus alternativer Sicht präsentiert. Neue Kontexte und Verbindungen können dabei entstehen, die in eine gemeinsame Zukunft weisen und auch der Vergangenheit wie Gegenwart einen neuen Rahmen geben, wie Adelson festhält: „[...] this imaginative labour has been increasingly oriented toward a shared future as well.“(10)

‚Tale’ ist dabei als ‚story’ und ‚history’, also Erzählung und historische Geschichte, zu verstehen; in ihren Interpretationen von Texten von Feridun Zaimoglu und Zafer Şenocak zeigt Adelson, wie in ihnen ein Kontext zwischen dem Holocaust und dessen Aufarbeitung und türkischer Geschichte bzw. der Geschichte der türkischen Einwanderung in Deutschland hergestellt wird. Zwischen den Ereignissen und den Chroniken der Geschichte(n) gibt es bislang unentdeckte Berührungspunkte, die im Vergrößerungsglas immigrierter AutorInnen deutlich gemacht werden. All diese Elemente ermöglichen eine Aufarbeitung oder eine neue Sicht von Schlüsselmomenten der Geschichte, gleichzeitig werden Ideen für eine post-nationale Gesellschaftsordnung entwickelt.

Im vorliegenden Kontext soll der Begriff erweitert werden und außerhalb eines deutsch-türkischen Konzepts angewandt werden um damit Vladmir Vertlibs Erzählung „Mein erster Mörder“ zu lesen. Es wird damit davon ausgegangen, dass ‚touching tales’ generell in Texten von AutorInnen mit (im vorliegenden Fall) nicht-deutscher Muttersprache identifiziert werden können und Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit sowie der Gegenwart der ‚neuen Heimat’ tendenziell ‚touching tales’ in sich bergen. In der hier besprochenen Erzählung Vertlibs gilt es, das kulturelle Gedächtnis des Landes der Migration zu ergründen, in Vergessenheit Geratenes hervorzuholen, literarisch durchzuarbeiten und als alternativer Bestandteil eines mit Hilfe des Blicks von außen veränderten kulturellen Gedächtnisses als Text anzubieten.

 

Vladimir Vertlib, „Mein erster Mörder“

Vladimir Vertlibs Erzählung „Mein erster Mörder“ ist 2006 im gleichnamigen Buch erschienen, in dem sich noch zwei weitere Texte finden, die ebenfalls historische Ereignisse aufarbeiten.

Es handelt sich bei der Erzählung um den von einem Ich-Erzähler aufgezeichneten Bericht des Mörders Leopold Ableitinger, der vor einigen Jahren aus dem Affekt einen Mann erschlagen hat, hier aber eine weiter zurück liegende Geschichte aus seiner Jugend erzählt. In ihr nimmt sich Vertlib mit der Schilderung der Todesmärsche ungarischer Juden von der burgenländischen Grenze zum Konzentrationslager Mauthausen im Frühjahr 1945 eines bisher sowohl in der österreichischen Literatur als auch in der wissenschaftlichen Forschung kaum bearbeiteten Themas an.(11) Er verbindet die Aufarbeitung dieses Verbrechens der NS-Zeit mit der Abneigung, die den ungarischen Flüchtlingen in Österreich teilweise nach ihrer Flucht nach dem Ungarn-Aufstand 1956 entgegenschlägt (bzw. denjenigen, die sich dazu entschlossen haben, in Österreich zu bleiben). Mit der in der Gegenwart angesetzten Rahmenhandlung ergeben sich so drei unterschiedliche zeitliche Ebenen. Vertlib gelingt auf diese Weise eine besondere Form von Adelson’s ‚touching tales’ – er nähert Ereignisse einander an, die nicht unmittelbar mit seiner eigenen Migrationserfahrung oder seiner ursprünglichen Heimat zu tun haben, sondern nützt seinen Blick, diese etwas andere Perspektive, um bisher nie verbundene Elemente der österreichischen Zeitgeschichte anzunähern.

 

Erzählperspektive und Protagonisten

Bereits die Wahl der Erzählperspektive(n) kennzeichnet die veränderte Sichtweise, die das Durcharbeiten der Geschichte mit alternativem Blick ermöglicht. Vertlib wählt scheinbar die Position des Kindes, des Nachgeborenen, der im Jahr 1957 das Nachkriegswien erlebt, aber nicht selbst Protagonist der Kriegsereignisse war. Er entscheidet sich damit für eine Figur, die selbst den Blick von außen auf die Kriegsereignisse richtet, ein Blickwinkel, den die LeserInnen mit ihm teilen. Der Autor setzt auf diese Weise den ersten Schritt zu einem alternativen Blickwinkel, eröffnet mit der Wahl seines Protagonisten die Möglichkeit, Fragen an frühere Generationen aus der Sicht der Nachgeborenen zu stellen.(12)

Scheinbar ist diese Perspektive allerdings, da sie im Text mehrfach gebrochen wird: Während für den größten Teil der Erzählung der jugendliche Leo als Erzähler im Mittelpunkt steht, macht die Rahmenerzählung deutlich, dass es sich hierbei um die Erinnerungen des erwachsenen Leopold Ableitinger handelt, die wiederum von einem weiteren Ich-Erzähler verschriftlicht werden. Vertlib treibt hier ein Maskenspiel der Erzähler, das auch andere seiner Texte kennzeichnet.(13) Immer wieder werden Aussagen seiner Erzähler durch (ironische) Kommentare gebrochen, oft bleibt unaufgeklärt, wie sich Ereignisse tatsächlich zugetragen haben, wird im Gegenteil die Unzuverlässigkeit und Verzerrung der Erinnerung thematisiert. So auch in der hier besprochenen Erzählung, in der eine Aussage des jungen Leopold die Erzählung des Erwachsenen relativiert: „Eines stand fest: Die Gehirne von Erwachsenen hatten Löcher und Risse.“(14) Sein eigener Bericht wird damit im Augenblick des Erzählens in Frage gestellt.

Eine zusätzliche Brechung stellt die Ebene des Ich-Erzählers der Rahmenhandlung dar. Durch ein Kommentar (des Autors?) am Beginn des Buches wird nahe gelegt, dass es sich beim Ich-Erzähler um den Autor handelt. In dem Kommentar wird in impersonaler Form darauf hingewiesen, dass der Hintergrund der Erzählungen ein realer sei, Namen und Figurenzeichnungen aber von der Realität abweichen können. Mit dieser Aussage bringt sich der Autor in die Erzählung ein, der ver-rückte Blick des mehrsprachigen, zugewanderten Schriftstellers Vertlib wird zwar im Text selbst nicht explizit ausgedrückt, ist aber trotzdem als Subtext im gesamten Band präsent.

 

Die ‚touching tales’ in Vertlibs Erzählung

So wie sich der Text erzählerisch auf mehreren Ebenen bewegt, lassen sich auch zeitlich, wie bereits erwähnt, mehrere Ebenen ausmachen. Vertlib nähert auf diesen unterschiedlichen Ebenen zwei Ereignisse der österreichischen Zeitgeschichte an: Die Todesmärsche ungarischer Juden am Ende des zweiten Weltkriegs und die Situation ungarischer Flüchtlinge in Österreich nach dem Ungarn-Aufstand 1956. Letztere Darstellung ist der Auslöser für die Verbindung zur weiter zurückliegenden Vergangenheit, die der Ich-Erzähler zu erhellen versucht.

Der Ungarn-Aufstand bot der jungen Republik Österreich politisch einerseits die Möglichkeit, sich mit der Aufnahme der Flüchtlinge deutlich als pro-westlicher Staat zu positionieren und war gleichzeitig die Chance, sich nach dem Krieg zu rehabilitieren und die Rhetorik der Opferrolle während der Zeit des Nationalsozialismus ein weiteres Mal zu stärken. Die mit dem humanitäre Einsatz einhergehende Euphorie, der Stolz auf die organisatorische Leistung, die insgesamt über 180.000 Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen, noch dazu in einer Zeit, in der Österreich selbst noch im Aufbau stand, sorgt, nach zeitgeschichtlichen Darstellungen, anfangs für uneingeschränkte Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen. Die meisten der Flüchtlinge verlassen Österreich schon nach kurzer Zeit wieder um ihre Migration fortzusetzen, rund 10%, also rund 18.000 Personen sind geblieben.(15) Bereits im November 1956 aber, spätestens im Jänner 1957, schlägt die Stimmung im Land um. Im Jänner erklärt der damalige Innenminister Oskar Helmer, dass Flüchtlinge auch Pflichten hätten, bis dahin latente Vorurteile über Missbrauch der österreichischen Hilfestellung werden von da an von den Medien offen ausgesprochen und werden, bestätigt durch die Aussagen an oberster politischer Stelle, zur öffentlichen Meinung.(16) Es verbreitet sich mehr und mehr die Ansicht, es sei lediglich „’eine gewisse negative Auslese’“(17) von ungarischen Flüchtlingen im Land verblieben.

Entgegen anderen Darstellungen, z.B. im Film(18), die sich vor allem mit der auch von offizieller Seite positiv dargestellten Phase des ersten Asyls auseinandersetzen, geht Vertlib in seiner Erzählung anhand der ungarischen Nachbarn der Familie Ableitinger genau diesen offenen Ressentiments gegenüber den Flüchtlingen nach.

Unsere Nachbarn waren Deutsche aus Westungarn oder, wie man seit Neuestem zu sagen pflegte, Altösterreicher. Sie waren nach der Niederschlagung des Aufstandes letztes Jahr im Herbst aus ihrer Heimat geflüchtet. (21)

Den Nachbarn, der Familie Natsch, schlägt die Missgunst der anderen Hausbewohner entgegen, was in der Erzählung am Beispiel der Familie des Erzählers dargestellt wird. Die Natschs hören zu laut Radio, Frau Natsch wird als Schlampe, ihr Mann als Prolet beschimpft.(19) Gleichzeitig bildet die Familie im Text die Verbindung zur zweiten historischen Dimension, den ungarischen Juden der Todesmärsche, wobei diese Konnotation mit einem historischen Erlebnis von Leopolds Vater zu tun hat und nur in diesem Zusammenhang eine Verbindung entsteht. In der Figur des Vaters findet die Zusammenführung der beiden Ebenen statt, hier berühren sich die Geschichten; er hat als einziger der Protagonisten den Bezug zu beiden historischen ‚Ereignissen’, wobei die Großtante eingeweiht ist und zur Chronistin wird. Leopold führt die beiden ‚tales’ schließlich für sich (und die LeserInnen) zusammen.

Die Assoziation wird in der Erzählung das erste Mal hergeleitet durch das Aufgreifen völkischen Gedankenguts:

‚Ein schmutziges Völkchen sind diese Ungarn’, meinte er [Leopolds Vater].
‚Die Natschs sind Deutsche’, hatte Mutter erwidert.
‚Altösterreicher’, korrigierte ich.
‚Ist doch einerlei, die Rasse ist mir egal’, meinte Vater. ‚Ein dreckiges Volk, diese Ungarn!’ (24)

Hier werden in der nationalsozialistischen Idee der Rasse und damit verbundenen Zuschreibungen von negativen (Ungarn) oder positiven (Deutsche, Altösterreicher) Eigenschaften, Zugehörigkeiten oder Abgrenzungen wiederum die verschiedenen historischen Ebenen der Erzählung deutlich. Deutschsprachige Bewohner Ungarns sind während des Krieges ohne weiteres als Deutsche bezeichnet worden, wie die Aussage der Mutter bestätigt. Über zehn Jahre danach greift man im offiziellen Duktus lieber auf die Monarchie zurück und sieht sich in alter österreichisch-ungarischer Verbundenheit, wenn man die deutschsprachigen Flüchtlinge als ‚Altösterreicher’ bezeichnet. Als Ungarn sind sie jedenfalls unerwünscht, in dieser Szene zumindest vom Vater, als Altösterreicher erfahren sie eine positive Besetzung. Damit wird hier der Bezug zu einer weiteren möglichen historischen Ebene angedacht – die der österreichischen Monarichie. Auch die Namen der Figuren stehen in diesem Kontext: Der Biologie-Lehrer, dessen Auffassung, dass die „genetisch bedingte Veranlagung über die Begabung und den Werdegang eines Mannes entscheidet“ (29), nationalsozialistischen Überzeugungen entspricht, fragt in der folgenden Szene Leopold nach den Namen seiner Großmütter:

’Pospischil und Horwath.’
‚Ach?!’ Der Lehrer runzelte die Stirn und setzte den Zwicker wieder auf. ‚Na ja, macht nichts. Ein böhmischer Zweig also. Kein ungewöhnlicher Stammbaum in unseren Breitengraden. Horwath wiederum weist auf einen ungarischen Hintergrund hin, obwohl Horwath außerdem als Zigeunername gebräuchlich ist. Aber Letzteres wollen wir in Ihrem Fall nicht annehmen, Ableitinger. Ihr Aussehen und Ihre Leistungen sprechen dagegen... [...]’ (29)

Auch hier wird die Abschätzigkeit deutlich, die ungarischen Bürgern, die in der Aussage den unter dem NS-Regime verfolgten ‚Zigeunern’ gleichgestellt werden, gegenüber herrscht. Zugleich wird wiederum auf den Vielvölkerstaat der Monarchie verwiesen, die Aussage assoziiert die Wanderungen und die daraus entstandenen Vermischungen. Die ‚touching tales’ in Vertlibs Text sind nicht klar abzugrenzen, sondern in ihrer Überlappung kaum zu fassen: Leopold selbst ist ein Produkt einer solchen Vermischung,  die damit nicht nur die Figur des Vaters betrifft. Genauso wie sich in den ‚touching tales’ der Todesmärsche und der ungarischen Flüchtlinge 1956 jüdische und ungarische Geschichte vermischt, so wird Leopolds Biographie zu einer von Monarchie, Nationalsozialismus und II. Republik geprägten. Vertlib gelingt es hier mit wenigen Andeutungen die Verbindungen und die Untrennbarkeit historischer Ereignisse darzustellen.

 

Darstellung der Todesmärsche

Die Todesmärsche ungarischer Juden, der zentrale historische Vorfall von dem der Text handelt bzw. um den sich Leopolds Suche dreht, wird schließlich in sehr persönlicher Form als Tagebucheintrag der Großtante geschildert. Sie beschreibt, wie ihr Neffe und Ziehsohn Alois als Soldat des Volkssturms(20) einen der später so bezeichneten Todesmärsche ungarischer Juden von der burgenländischen Grenze Richtung  Konzentrationslager Mauthausen im Frühjahr 1945 begleitet. Anfang Mai sind die SS-Leute, die den Oberbefehl innehatten, über Nacht geflüchtet, deshalb bekommen es auch die anderen Soldaten mit der Angst vor den alliierten Truppen zu tun. Sie entscheiden sich dazu, die wenigen überlebenden Gefangenen in eine Scheune zu sperren und diese anzuzünden.

Der Bericht von dem Ereignis ist doppelt gebrochen: Die Großtante hat das von Alois Erzählte notiert, was nun wiederum Leopold in einer vom Ich-Erzähler der Rahmenhandlung notierten Fassung wiedergibt. In dem in Kursivschrift gesetzten Tagebucheintrag (den Leopold aber später verbrennt, der also als Tagebucheintrag zwar im Text markiert ist, aber nicht mehr existiert), mischen sich Kommentare der Großtante und solche ihres Ziehsohns Alois, Leopolds Vater. In Aussagen wie „Schmutzige, zerlumpte und unangenehme Leute waren das, hat Alois erzählt. Ungarn eben. Und Juden. Aber auch arm dran.“ oder „Andere wurden erschossen, wenn sie nicht mehr gehen konnten. So lautete nun einmal der Befehl. Was soll man machen?“  wird deshalb nicht deutlich, von wem die Meinungen stammen. Leopold hingegen erhebt den Anspruch, den Tagebucheintrag in seiner Erzählung nahezu wortwörtlich wiederzugeben: „Ich habe dieses Heft später verbrannt. Ich hatte es vielleicht zwanzigmal gelesen. Ich kann es auswendig. Oder zumindest beinahe.“ (42)

Todesmärsche wie dieser sind historisch belegt, allerdings findet Leopold auch als Erwachsener nicht heraus, wo sich die Ermordung der Juden in der Scheune zugetragen hat:

Ich habe bis jetzt nicht in Erfahrung bringen können, ob jemand von diesen ungarischen Juden, die in der brennenden Scheune waren, überlebt hat. Ich weiß nicht einmal, wo es geschehen ist. Es gibt Aufzeichnungen über ähnliche Vorfälle, aber keinen, den ich definitiv mit meinem Vater in Verbindung bringen kann. Jedenfalls hat er sich nie dafür verantworten müssen. (44)

Viele der in Alois Bericht genannten Details stimmen mit diversen Zeugenaussagen überein. So, dass die Menschen in den Dörfern unterschiedlich reagiert haben: „Die einen hatten Mitleid mit den Häftlingen und haben ihnen sogar etwas zu essen gegeben. Andere haben sie beschimpft: Was, es gibt euch noch, ihr Juden? Wir dachten, man habe euch schon alle umgebracht.“ (43) Die Ungläubigkeit eines Teils der Bevölkerung, dass es noch lebende Juden gab, schildert auch Benedikt Friedman in seinem Text; er war als polnischer Jude unter falschem Namen zu jener Zeit in der Steiermark als Zwangsarbeiter Zeuge der Todesmärsche geworden.(21) Auch, dass jene, die nicht mehr gehen konnten, erschossen wurden, entspricht Berichten von Zeugen.

Leopold kann auch später als Erwachsener den Ort des Verbrechens nicht ausfindig machen. Der Vorfall weist allerdings starke Parallelen zu einem anderen sogenannten Kriegsendphasenverbrechen auf, das sich in Deutschland zugetragen hat: Dem Tod von über tausend KZ-Häftlingen in einer Feldscheune in Isenschnibbe bei Gardelegen in Sachsen-Anhalt. Ähnlich wie bei dem von der Großtante bzw. Alois geschilderten Ereignis, hatten auch hier SS, Luftwaffeangehörige, KZ-Wachmannschaften und andere die Häftlinge in einer Scheune eingesperrt und Feuer gelegt. Lediglich 25 der insgesamt an die 1.200 Häftlinge überlebten dieses Verbrechen.(22) Das in der Erzählung geschilderte Verbrechen assoziiert Geschehnisse wie diese und führt auf diese Weise auf einer übergeordneten Ebene die Erlebnisse von Leopolds Vater mit anderen Verbrechen der Nazi-Zeit zusammen. – Eine weitere Ebene von ‚touching tales’ eröffnet sich im Text.

 

Schlussbemerkung

Der Blick auf Vertlibs Erzählung sollte zeigen, auf welche Weise dieser Autor als fremdsprachiger Einwanderer österreichische Geschichte in seinem Werk thematisiert und sich damit in das Gedächtnis des Landes einschreibt. Die Tatsache der Immigration, die Sicht auch aus einer anderen Sprache heraus, ermöglicht eine besondere Reflexion historischer Ereignisse, das Zusammenführen von Begebenheiten, die bislang nicht im Kontext gesehen wurden.

Rushdie thematisiert in seinen Texten auch an anderer Stelle den veränderten Umgang mit der Sprache im post-kolonialen Kontext:

What seems to me to be happening is that those peoples who were once colonized by the language are now rapidly remaking it, domesticating it, becoming more and more relaxed about the way they use it – assisted by the English language’s enormous flexibility and size, they are carving out large territories for themselves within its frontiers.(23)

 – Auf ähnliche Weise passiert in der Literatur zugewanderter AutorInnen ein veränderter Umgang mit der Geschichte, dem Gedächtnis der ‚neuen Heimat’. Dabei möchte ich Rushdie allerdings widersprechen, wenn er meint, dass ImmigrantInnen neue Territorien für sich selbst entwerfen würden. ‚Touching tales’, wie Vertlib und andere AutorInnen sie in ihrer Literatur schreiben und beschreiben, bieten alternative Sichtweisen, die als neue Territorien allen angeboten werden. Damit führt sowohl der alternative Zugang zur und Umgang mit Sprache, den Rushdie beschreibt, als auch der alternative Blick auf die Historie zu neuen Konzepten, die letztendlich in eine gemeinsame Zukunft weisen.  – Der Blick auf die Zeitgeschichte Österreichs eines Vladimir Vertlib ist einer, der, konsequent verfolgt, zu einem neuen Selbstverständnis der Gesellschaft führen kann.

Bibliographie


Fußnoten:

1 Rushdie, Salman: Imaginary Homelands. Essays and Criticism 1981 – 91. (1991) London: Granta, 1992, S. 17.
2 Vertlib, Vladimir. „Mein erster Mörder“. In: Ders., Mein erster Mörder. Wien: Deuticke, 2006.
3 Halbwachs, Maurice. On Collective Memory. (1941) Chicago: University of Chicago Press, 1992, S. 43.
4 Halbwachs hält fest: „[...] verbal conventions constitute what is at the same time the most elementary and the most stable framework of collective memory“, Ebenda, S. 45.
5 Zur Bedeutung von Geschichte bzw. deren Konstruktion für das Gedächtnis vergleiche Assmann, Jan. Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. (1992) München: C.H. Beck, 2005, z.B. S. 31ff.
6 Der Begriff ‚neue Heimat’ ist hier stets unter Anführungszeichen zu denken – er soll nicht als endgültige Opposition zur verlassenen Heimat stehen, sondern eher als aktueller Punkt in einer Wanderbewegung gelesen werden. Dass (und auf welche Weise) Dichotymien wie Heimat vs. Fremde in Texten im Kontext von Migration aufgebrochen werden, habe ich an anderer Stelle zu zeigen versucht: Vlasta, Sandra. „Das Ende des ‚Dazwischen’ – Ausbildung von Identitäten in Texten von Imran Ayata, Yadé Kara und Feridun Zaimoglu“. In: Schmitz, Helmut (Hg.) Von der nationalen zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter globaler Migration. Amsterdam: Rodopi, in Vorbereitung.
7 Vergleiche dazu Adelson, Leslie A. The Turkish Turn in German Literature.Toward a New Critical Grammar of Migration. New York: Palgrave MacMillan, 2005, hier besonders S. 79 - 122.
8 Ebenda, S. 20.
9 Ebenda.
10 Ebenda, S. 14.
11 Nicht nur literarisch, auch wissenschaftlich werden die Todesmärsche in Österreich erst seit relativ kurzer Zeit aufgearbeitet. Grund dafür scheint vor allem gewesen zu sein, dass die zahlreichen Angehörigen des Volkssturms, die diese Märsche vor allem begleiteten und viele der Gräueltaten begingen, eine zu große Gruppe der Bevölkerung darstellten. Die Nachforschungen, die z.B. kurz nach dem Krieg Benedikt Friedman im Auftrag der britischen Alliierten in der nördlichen Steiermark betrieben hat, wurden nach kurzer Zeit eingestellt. „Der Grund: Die Ermittlungen hätten ‚eine von der britischen Besatzungsmacht unerwünschte Beunruhigung der österreichischen Bevölkerung’ hervorgerufen“, Friedman, Benedikt. ’Iwan hau die Juden’ Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich nach Mauthausen im April 1945. Zugleich: Institut für Geschichte der Juden in Österreich; Österreichisches Literaturforum Wien (Hg.). Augenzeugen berichten. Heft 1/Mai 1989. St. Pölten: Eigenverlag des Instituts, 1989, S. 30. Wenngleich Friedman verpflichtet wurde, alle gesammelten Protokolle von Überlebenden der Todesmärsche sowie von Zeugen aus den umliegenden Gemeinden zurück zu geben, gelang es ihm, einige zu behalten und sie Jahre später gemeinsam mit seinem eigenen Augenzeugenbericht im genannten Band zu veröffentlichen. Vielleicht auch aufgrund von Friedmans Arbeit verurteilte ein britisches Militärgericht „1946 zehn Angeklagte zum Tod, drei zu zehn Jahren und einen zu sechs Monaten Haft“, „Jüdischer Todesmarsch 1945: Gedenkstätte am steirischen Präbichl“ (vom 15.6.04) Beitrag von APA W&B. http://no-racism.net/article/828/, zuletzt besucht am 29.05.2008. 1948 wurde auf Initiative der ‚Displaced Persons’ (Palästina) ein jüdischer Friedhof am Präbichl errichtet. Eine Gedenkstätte wurde wiederum aber erst viel später, 2004, eingerichtet. In ihrer knappen Darstellung zum Lager Felixdorf in Niederösterreich, in dem im Jänner 1945 ein Transport ungarischer Juden ankam, erwähnt Vera Broser die späteren Todesmärsche bei der Schilderung des Schicksals eines der Inhaftierten. Vgl. dazu Broser, Vera. Der Weg ungarischer Juden nach Niederösterreich 1944 bis 1945. Das Lager Felixdorf. Wien: Verein Kultur im Alltag, 1990, S. 28.
Christian Gerlach und Götz Aly begrenzen ihre umfassende Aufarbeitung der Deportation und Vernichtung ungarischer Juden durch die Nationalsozialisten auf ehemals ungarisches Staatsgebiet und gehen deshalb nur in Ansätzen auf die Todesmärsche in Österreich ein. Die Arbeit bietet aber eine ausführliche Darstellung der politischen Vorgeschichte der Todesmärsche. Gerlach, Christian; Aly, Götz. Das letzte Kapitel. Realpolitik, Ideologie und der Mord an den ungarischen Juden 1944/45. Stuttgart, München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2002, zu den Todesmärschen auf ehemals österreichischem Staatsgebiet vgl. besonders S. 365.
12 Als weiterer Autor, der in seinen Werken ähnlich vorgeht, ist Doron Rabinovici zu nennen, der besonders in seinem zuletzt erschienen Roman Ohnehin ebenfalls das Ende des Zweiten Weltkriegs thematisiert und dafür einen nachgeborenen Protagonisten (allerdings ohne Migrationshintergrund) wählt. Bei Rabonvici wird, ähnlich wie auch in Hamid Sadrs Roman Der Gedächtnissekretär, eine thematische Verbindung hergestellt zwischen der historischen Ebene und der Situation (illegaler) MigrantInnen in Österreich heute. Rabinovici, Doron. Ohnehin. Frankfurt: Suhrkamp, 2004; Sadr, Hamid. Der Gedächtnissekretär. Wien: Deuticke, 2005.
13 Vgl. dazu Teufel, Annette; Schmitz, Walter. „Wahrheit und ‚subversives Gedächtnis’ Die Geschichte(n) von Vladimir Vertlib“. In: Vertlib, Vladimir. Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem (w.e.b.), 2007, S. 201 – 253, besonders S. 201-209.
14 Vertlib, Vladimir. „Mein erster Mörder“. In: Ders., Mein erster Mörder. Wien: Deuticke, 2006, S. 57. Verweise auf dieses Werk in der Folge in Klammern im Haupttext.
15 Vgl. dazu Eppel, Peter. „Wo viele helfen, ist viel geholfen – Ungarn-Hilfe 1956/57 in Österreich“. In: Murber, Ibolya; Fónagy, Zoltán. Die ungarische Revolution und Österreich 1956. Wien: Czernin Verlag, 2006, S. 431-462, hier S. 431. Andere Quellen sprechen von 11.000 Ungarn, die sich entschlossen haben, in Österreich zu bleiben: Lénárt, András. „Fluchtgeschichten von 1956er Jugendlichen“. In: Murber, Ibolya; Fónagy, Zoltán. Die ungarische Revolution und Österreich 1956. Wien: Czernin Verlag, 2006, S. 465-495, hier S. 477.
16 Vgl. dazu diverse Zitate aus Medien bei Eppel, Peter. „Wo viele helfen, ist viel“, S. 451. In dem Band zur Ausstellung anlässlich des 50jährigen Jubiläums der ungarischen Revolution 2006 im Wiener Palais Porcia sind lediglich die letzten Seiten den in Österreich verbliebenen Ungarn gewidmet. Hier hebt der Autor Ernö Deák deren Anpassung und Integration hervor, zitiert aber gleichzeitig einen Beamten des Innenministeriums: „Unter den alleinstehenden Jugendlichen war eine Anzahl asozial [!], die nicht resozialisiert werden konnten.“ – Welche Konsequenzen dies für die Betroffenen hatte, wird nicht ausgeführt. Gleichzeitig hält er fest, dass die Kriminalitätsrate bei Ungarn nicht höher als bei Österreichern war. Die Diktion des Autors lädt zum Lesen zwischen den Zeilen ein, er schreibt selbst nach 50 Jahren: „Sicherlich neigten und neigen die Ungarn dazu, gewissermaßen aus der Reihe zu tanzen, mit ihrem Auftreten aufzufallen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Mit der Zeit schaffen sie es aber als Neuösterreicher unauffällig ganz normale Durchschnittsmenschen zu sein, mit all ihren guten und schlechten Eigenschaften.“ Aussagen wie diese (von einem selbst geflüchteten Ungarn geäußert) lassen Rückschlüsse auf die Ressentiments zu, die den MigrantInnen entgegengebracht wurden und in Vertlibs Erzählung aufgearbeitet werden. Deák, Ernö; Fónagy, Zoltán (Hrsg.). Revolution Flucht – Integration Ungarn-Österreich 1956. Wien: Zentralverband Ungarischer Vereine und Organisationen in Österreich und Collegium Hungaricum Wien, 2006, alle Zitate S. 47.
17 Ebd., S. 47.
18 Vgl. dazu Werner Schwarzs Analyse der Darstellung der Ungarn-Revolution in Kino- und Fernsehspielfilmen: Schwarz, Werner. „‚Ungarn 1956’ im österreichischen Kino- und Fernsehspielfilm“. In: Murber, Ibolya; Fónagy, Zoltán. Die ungarische Revolution und Österreich 1956. Wien: Czernin Verlag, 2006, S. 313-330.
19 Vgl. Vertlib, Mein erster Mörder, S. 15f.
20 Der Volkssturm wurde im September 1944 gegründet und diente dazu, alle noch nicht der Wehrmacht angehörenden Männer im waffenfähigen Alter zwischen 16 und 60 Jahren für den Endsieg zu mobilisieren. Der Volkssturm wurde zur Errichtung von Wällen und Gräben, als Sicherungsbesatzung, zum Kampfeinsatz und eben zur Begleitung von Evakuierungen und Verlegungen sowie dem Objektschutz und der Gefangenenbewachung eingesetzt. Vgl. dazu: Begriff „Volkssturm“ im Lexikon der Wehrmacht. http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Soldat/Volkssturm.htm besucht am 4.8.2007; Friedman, Benedikt. ’Iwan hau die Juden’ Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich nach Mauthausen im April 1945. Zugleich: Institut für Geschichte der Juden in Österreich; Österreichisches Literaturforum Wien (Hg.). Augenzeugen berichten. Heft 1/Mai 1989. St. Pölten: Eigenverlag des Instituts, 1989, S. 27; LeMo: Lebendiges virtuelles Museum Online, Eintrag zu „Volkssturm“: http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/volkssturm/ besucht am 4.8.2007.
21 Noch unglaublicher war die Vorstellung noch lebender Juden in Graz, wo die Stadt doch eine der ersten judenfreien Gemeinden gewesen war. Vgl. dazu Friedman, Benedikt. ’Iwan hau die Juden’ Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich nach Mauthausen im April 1945. Zugleich: Institut für Geschichte der Juden in Österreich; Österreichisches Literaturforum Wien (Hg.). Augenzeugen berichten. Heft 1/Mai 1989. St. Pölten: Eigenverlag des Instituts, 1989, S. 13.
22 Vgl. dazu „Gardelegen becomes National Memorial“, Beitrag auf dem Portal holocaustforgotten. http://www.holocaustforgotten.com/Gardelegen.htm besucht am 4.8.2007; Wie am Präbichl, hat es auch in Isenschnibbe lange gedauert, bis ein entsprechendes Mahnmal errichtet wurde. Zwar gibt es einen Friedhof mit 1.023 Kreuzen, zahlreiche davon ohne Namen, doch eine Dauerausstellung ist bis 2007 nicht gelungen. Vgl. dazu Vongries, Caroline. „Irgendwie schlimm. Die Stadt Gardelegen in Sachsen-Anhalt schafft es seit Jahren nicht, an eines der schlimmsten NS-Verbrechen zu erinnern.“ In: Die Zeit, Nr. 30 vom 19.7.2007.
23 Rushdie, Salman: Imaginary Homelands. Essays and Criticism 1981 – 91. (1991) London: Granta, 1992, S. 64.

5.5. Mehrsprachigkeit und literarische Kreativität

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TRANS
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INST

For quotation purposes:
Sandra Vlasta: Mehrsprachigkeit in der Literatur und das Entwerfen alternativer historischer Perspektiven – Vladimir Vertlibs Erzählung „Mein erster Mörder“ als ‚touching tale’ - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/5-5/5-5_vlasta .htm

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