TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. Juni 2010

Sektion 7.7. Symbole des Wissens und der Macht. Der sogenannte Ringkrieg von Lessing bis Tolkien
Sektionsleiterin | Section Chair: Gabriella Hima (Károli Universität, Budapest)

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Sektionsbericht 7.7.

Symbole des Wissens und der Macht
Der sogenannte Ringkrieg von Lessing bis Tolkien

Gabriella Hima (Károli Universität, Budapest) [BIO]

Email: himag@nyf.hu

 

In dieser „Ringsektion“ wurden 24 Beiträge besprochen, die anhand beliebiger in der Literatur verarbeiteter magischer Gegenstände den Zusammenhang zwischen Wissen und Glaube, Macht und Kampf bzw. den Weg vom Aberglaube bis zum Wissen und vom Wissen bis zu fantastischen Vorstellungen über Wissen und Glaube, Macht und Kampf aufzeigen konnten.

Ausgangspunkt der gemeinsamen Diskussion war John Ronald Reuel Tolkiens (1892–1973) Roman Der Herr der Ringe (The Lord of the Rings), der ein Klassiker der Fantasy-Literatur geworden ist. Den Verdacht, dass die beiden Weltkriege, die der Autor miterlebt hatte, Grundlage für seine Trilogie gewesen sei, verneinte Tolkien kategorisch: „Was die tiefe Bedeutung oder 'Botschaft' des Buches angeht, so hat es nach Absicht des Autors keine. Es ist weder allegorisch, noch hat es irgendeinen aktuellen Bezug. […] Der wirkliche Krieg hat weder in seinem Verlauf noch in seinem Ausgang eine Ähnlichkeit mit dem Krieg der Sage“ (aus dem übersetzten Vorwort Tolkiens zur revidierten Ausgabe von 1966). Doch ist der Ring als Symbol der Macht und des Wissens, und als solcher ein symbolischer Auslöser von Kriegen - ein altes Motiv der Weltliteratur. Unter Tolkiens thematischen Vorgängern finden wir z.B. Giovanni Boccaccio (1313–1375) und Gotthold Efraim Lessing (1729–1781). Lessings Ringparabel, die uns heute vor allem als Dokument der Aufklärung bekannt ist, greift auf Boccaccios 3. Novelle im Dekameron zurück, die just an der Wende zur Renaissance entstand. In Boccaccios Novellen wird schon der Weg zur Aufklärung vorbereitet: Einerseits durch die allmähliche Trennung der Menschen von der sakralen Sphäre, andererseits durch ihre in der Profanität wurzelnden Handlung. Weiterhin bildete sich im Laufe der Renaissance sukzessive eine Wissenschaft heraus, die auf Ratio und Empirie fußte. Boccaccio war aber keinesfalls der Erfinder der Ringparabel. Die in einigen literarischen Werken des Mittelalters auftauchende Ringparabel drückte damals noch nicht den Toleranzgedanken aus, sondern - im Gegenteil - sie wurde sogar zur Apologie für die 7 Kreuzzüge (1096–1292). Der Weg des mythischen Rings – ein so harmlos scheinendes Schmuckstück – in der Literatur von den Gesta Romanorum und den Cento Novelle Antiche (13. Jh.) – über Boccaccio und Lessing bis Tolkien symbolisiert die Verquickung von Wissen und Glaube, Wirklichkeit und Sage, realer und symbolischer Macht, realem und virtuellem Krieg.

Mehrere Beiträge haben die Frage gestellt, welche Rolle die Frauen in früheren und moderneren Ring-Geschichten spielten. Dabei wurde thematisiert, wie vom Nibelungenlied und Hexengeschichten des Mittelalters über Lessing bis Tolkien die Frauengestalten das Schicksal des Ringes beeinflussten, mit gestalteten oder aber auch bestimmten.

Einige Beiträge ersetzten den Ring durch andere magische Gegenstände, während andere ihn symbolisch auffassten. Ein Beitrag stellte das Auslandsdeutschtum als beschützenden Ring um das geschlossene deutsche Siedlungsgebiet dar, ein anderer ging am Beispiel der RING-Bewegung, den Kommunikationsmustern und publizistisch-literarischen Mustern rechter Intellektuellenzirkel während der Weimarer Republik und ihrer Selbststilisierung als vorbereitende Elite einer nationalen Erneuerung nach. Diese Referate sind davon ausgegangen, dass ein Symbol immer konkret, das zu Symbolisierende hingegen abstrakt ist.

Ein Referat untersuchte die magischen Prozesse der Entstehung der göttlichen Quaternität und der Selbstvergöttlichung des Menschen, ein anderes die Funktionswechsel des Schatzes in verschiedenen sakralen Traditionen.

Alle Beiträge beschäftigten sich - wenn auch unter verschiedenen Aspekten - mit dem Zusammenhang Wissen und Macht, Glaube und Aberglaube, Bildung und Gesellschaft. Die von uns gezogene Konsequenz erläuterte, dass Ordnungen des Wissens ihre historisch spezifischen Konfigurationen und Diskurse haben. Während die Wissenschaften über deutliche disziplinäre Rahmen verfügen, lässt sich der soziologische Begriff des Wissens schwerer definieren. Seit Foucault gehen die Wissenssoziologen von jener Erkenntnis aus, dass die Menschen in strikten, umfassenden Strukturen wie Staat, sozialen und religiösen Gemeinschaften leben, welche ihnen elaborierte Wissensformen, herkömmliche Schablonen der kollektiven Orientierung bereitstellen. Im Laufe der Diskussionen sind wir zu dem gemeinsamen Resultat gekommen, dass die unterschiedlichen Bildungsprojekte keine wertneutrale Repräsentationen einer Ideologie sind, sondern von Interessen durchdrungene sozialpolitische Strategien, welche von den einzelnen Gruppen offen oder versteckt für das Machtergreifen bzw. das Erhalten der Macht verwendet werden.


7.7. Symbole des Wissens und der Macht. Der sogenannte Ringkrieg von Lessing bis Tolkien

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Autor: Titel - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/7-7/

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