TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Februar 2010

Sektion 8.1. Prekäre Lebensbedingungen, unsichere Arbeitsverhältnisse – Expansion sozialer Ungleichheiten. Auf dem Weg von der Peripherie zum Zentrum?
Sektionsleiter | Section Chair: Rolf-Dieter Hepp (Freie Universität Berlin)

Dokumentation | Documentation | Documentation

Für eine Reform des europäischen Sozialmodells
Plattform der Vorschläge

Marco Ricceri (Eurispes, General Secretary; Rome) [BIO]

 

Einleitung

1        Eine Definition billigen
2        Das Engagement billigen
3        Den Ansatz zu dem Szenario der Globalisierung billigen
4        Das europäische Sozialmodell und die Nachhaltigkeit in der Umwelt
5        Die Reform des europäischen Sozialmodells: An den Tragpfeilern ansetzen
5.1     Die sozialen Schutznetze
5.2     Die für die Allgemeinheit wichtigen Dienstleistungen
5.3     Der soziale Dialog – Die Arbeitsbeziehungen - Die Demokratie   in der Wirtschaft
5.3.1 Der soziale Dialog
5.3.2 Die Arbeitsbeziehungen
5.3.4 Die Demokratie in der Wirtschaft
6        Das europäische Sozialmodell zur Stärkung und Aufwertung der europäischen Union
6.1     Die Übereinstimmung der nationalen Sozialnetze.
6.2     Die Harmonisierung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Förderung des sozialen Bereichs
6.3     Die europäische governance im sozialen Bereich: die Institutionen
6.4     Die europäische governance im sozialen Bereucg: die politischen Maßnahmen

Anlage
Bezugstheorien und -methoden

 

Einleitung

Die Reihe der konkreten Vorschläge, an Hand derer eine Reform zur Stärkung und Qualifizierung des Europäischen Sozialmodells durchgeführt werden soll, stellt eine praktische Umsetzung der positiven Interpretierung des Modells dar, auf das sich die Europäische Forschungsgruppe  “Europäisches Sozialmodell – ESM Projekte bezieht.

Die europäische Gruppe wird von Prof. Detlev Albers, Vorsitzender des Bremer Forums für Europäische Regionalpolitik, Universität Bremen, (Deutschland), von Prof. Stephen Haseler, Direktor des Global Policy Institute, Metropolitan University of London, London (Großbritannien) und Prof. Gian Maria Fara, Präsident des Instituts Eurispes, Rom (Italien) gebildet.

Die konkreten Reformvorschläge ergaben sich infolge der von der Gruppe in den letzten Jahren auf europäischer Ebene durchgeführten intensiven Gegenüberstellungen, in denen die vielen, von Experten, politischen Entscheidungsträgern und Akteuren gekommenen Hinweise und Bewertungen einflossen, insbesondere die im Verlauf zweier in Rom 2006 und 2007 organisierter Konferenzen gesammelten, die in einen synthetischen und kohärenten Rahmen eingeordnet wurden.

Das Dokument stellt eine Plattform für die Hinweise und Orientierungen dar, die dazu dienen können, weitere Initiativen zur Vertiefung, zum Nachdenken und zu Diskussionen anzuregen, sowie dazu, politische Programme und Aktionen auszuarbeiten. In diesem Fall soll die Plattform nach Absicht derer, die sie vorschlagen, ein Arbeitsinstrument sein, das der wissenschaftlichen Gemeinschaft, den politischen Entscheidungsträgern und den Akteuren der sozio-ökonomischen Entwicklung zur Verfügung steht.

 

1 Eine Definition billigen

Die vorgelegten Vorschläge beziehen sich im wesentlichen auf eine Definition des Europäischen Sozialmodells, das sich im Wesentlichen in folgenden Werten ausdrückt:

Die national und damit unterschiedlichen Daten wurden von allen europäischen Staaten  mitgeteilt.

Die Traditionen, Erfahrungen und Planungen der Nationalstaaten und der Europäischen Union wurden in folgenden Orientierungsprinzipien und Rechtsvorschriftenr zusammengefaßt:

In diesem Sinne schufen alle europäischen Staaten auf Grund dieser gemeinsamen Werte und Prinzipien eine  Reihe von Einrichtungen, Gesetzen und Organisationen – die sie auch weiterhin unterhalten – um den sozialen Bereich  zu stützen und  den jeweils schwächsten Teil der Gemeinschaften zu schützen. Parallel dazu beteiligt sich die Zivilgesellschaft besonders mit ihren eigenen Organisationen – angefangen mit den Berufsverbänden und ehrenamtlichen Verbänden -  an diesen öffentlichen Initiativen, die sie so fortlaufend unterstützt. Es geht dabei um ein Gefühl der Gemeinsamkeit, eine kollektive Anstrengung, die sich auch in einem großen finanziellen Engagement niederschlägt: ein Anteil der staatlichen Einnahmen wird von den Gemeinschaften für den sozialen Bereicht bestimmt – im Leben der europäichen Staaten  kommt das in Projekten und politischen Maßnahmen zum Ausdruck, die für das Heute, aber auch für die Zukunft geplant sind.

Eine Definition: Das europäische Sozialmodell kann also als ein komplexes System definiert werden, das aus Werten – Projekten – politischen Maßnahmen – Praktiken und Organisationen besteht, welches in der Vergangenheit - wie auch noch heute - alle europäischen Staaten trotz aller nationaler Unterschiede vereinte und auch heute noch vereint. Es ist aufgrund dieser effektiven Gemeinsamkeit nicht nur ein Projekt, eine Idee, ein intellektuelles Konstrukt  oder ein Symbol, sondern vielmehr ein grundlegendes, konkretes Element und Bestandteil der europäischen Identität, Demokratie, wirtschaftlichen Entwicklung und des zivilen, menschlichen und kulturellen Fortschritts; es ist kein statisches, sondern vielmehr ein dynamisches Element, weil es mit den Veränderungen der demokratischen, sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Prozesse verbunden ist. Das europäische Sozialmodell ist insbesondere auf den Aufbau einer sozialen Marktwirtschaft ausgerichtet und so ein wesentliches Instrument, um die durch die freie Marktwirtschaft verursachten Ungleichheiten zu korrigieren und vor allem das Primat der Politik im Fortschritt der Gesellschaft festzuschreiben.

 

2 Das Engagement billigen

Das  Europäische Sozialmodell aufzuwerten und zu stärken, bedeutet:

Eine offene Frage: hier muss noch folgende Frage beantwortet werden: sollte man eine Anpassung oder eine Reform vorziehen? Das heißt, dass man sich in diesem Fall zwischen zwei völlig verschiedenen politischen Optionen entscheiden muss, die natürlich völlig verschiedene Folgen hervorrufen.

 

3 Den Ansatz zu dem Szenario der Globalisierung billigen

Einleitung

Die Szene, auf der sich die Reform des Europäischen Sozialmodells abspielt, definiert sich über die schnellen und durchgreifenden strukturellen Veränderungen, die mit den Globalisierungsprozessen verbunden sind und alle unsere Gesellschaften betreffen. Es handelt sich dabei um:

Vor diesem Hintergrund erscheint die Reforn des europäischen Sozialmodells als notwendig, ja unabdingbar; man kann sie nicht – wenn sie Wert haben und wirksam sein soll - fortführen, ohne sich dabei nicht vor allem auf den Druck der Globalierung zu beziehen - das bedeutet aber keinesfalls, dass Letztere  ein integraler Teil der eigenen Reformprozesse ist. Wenn man gegenteilig verfahren würde, dann wäre die wirkliche Alternative für die Modernisierung des sozialen Schutzsystems und der damit verbundenen Dienste die Streichung von Leistungen und der sich daraus ergebende Verlust von zivilem Fortschritt (Rechte), von Ethik (Solidarität), Politik (Demokratie) und Wirtschaft (Wachstum), die jahrzehntelang die europäische Geschichte prägten.

In einer Reform des Europäischen Sozialmodells, die sowohl diese Veränderungen wie auch den auf die Globalisierung zurückzuführenden Druck berücksichtigt, muss vor allem das Prinzip der sozialen und umweltbezogenen Nachhaltigkeit in der Entwicklung bestätigt und beachtet werden. Deshalb denkt man, dass die Orientierung, bei der nur darauf gesetzt wird, die Prinzipien des welfare mit den streng  einseitigen Prinzipien der Wettbewerbsfähigkeit zu vereinen - oder besser, die Bedürfnisse von welfare an die der Wettbewerbsfähigkeit anzupassen - falsch und irreführend ist. Um die Bedingungen zu schaffen, die es erlauben, mit dem Aufeinanderprallen  entgegengesetzter Werte und Bedürfnisse fertig zu werden (wie es mit den Solidarität und Stabilität schaffenden Werten des Europäischen Sozialmodells einerseits und den individualistischen und entstabilisierenden Werten der Globalisierung andrerseits möglich sein sollte), muss man sich vielmehr für eine Doppelreform entscheiden, nämlich die des europäischen Sozialmodells und die der Globalisierung. Dabei geht es darum:

Die Prüfbank dieser Doppelreform stützt sich auf: einerseits die Fähigkeit der Politiker, mit dem europäischen Sozialmodell entschieden den Herausforderungen der Globalisierung entgegenzutreten, eine breite Vision des europäischen Sozialmodells (vom lokalen zum globalen Modell) zu erarbeiten und die konkreten Bedingungen für dessen Durchführung auf internationaler Ebene zu finden; andrerseits die Fähigkeit, eine global social policy auszuarbeiten, zu fördern und festzuschreiben, die durch ein Netz von Rechten, Institutionen und Regeln definiert wird, die allerdings noch auf europäischer und internationaler Ebene geschaffen werden müssen. Dann wäre es möglich, auf diesen Ebenen wirksame politische Umverteilungsmaßnahmen einzuführen, mit denen die Prinzipien von Gerechtigkeit  und sozialer und umweltbezogener Nachhaltigkeit in der Praxis anzuwenden. Heute gibt es diese Instrumente noch nicht.

Im nächsten Jahrzehnt muss man sich der Rolle Europas in der Welt und den durch die Aktionen erforderlichen Veränderungen widmen, die Europa in die Globalisierungsprozesse einbringen kann. Je weiter Europa in dieser Richtung vorankommt, desto akzeptabler kann es diese Prozesse gestalten.  In dieser Richtung:

♦ Vorschlag: Globalisierung und soziale Nachhaltigkeit.

  1. Festlegung der allgemeinen theoretischen und politischen Grundzüge der global social policy, die als Instrument verstanden werden muss, wenn man erreichen will, dass in der Globalisierung gleichzeitig wirtschaftliches Wachstum, Abbau der Ungleichheiten, Nachhaltigkeit und Fortschritt des welfare, Schutz von Natur und Umwelt sichergestellt werden sollen;
  2. Festschreibung der Vorschläge und Initiativen zur Einführung und Umsetzung der sozialen und umweltbezogenen Nachhaltigkeit in der ganzen Welt mit Bezug auf die politischen Aktionen (policies) und die organisierten Strukturen (polity), bei denen eingegriffen werden muss. Dabei bezieht man sich auf Rechte, Institutionen, politiche Maßnahmen, governance, Regelung der Entwicklungsprozesse (flex-regulation, als einem Gemisch aus internationalen Pakten und Vorschriften, Gesetzen und privaten Vereinbarungen, sowie Tarifabschlüssen), Bezugsindikatoren und demokratische Stabilisierungsmaßnahmen für die Gemeinschaften, die dem globalen Druck ausgesetzt sind;
  3. Festschreibung von Prinzipien und Kriterien im Bereich der Einschränkung/dem Abbau von sozialer und ökonomischer Ungleichheit, Umverteilung des erwirtschafteten Reichtums, wirksamer Umweltschutz.
  4. Festlegung eines Gleichgewichts, wenn sich Staaten oder Bereiche Investitionen aus dem Ausland und dem internationalen Handel gegenüber öffnen – das gilt sowie für die positiven wirtschaftlichen, die negativen sozialen Folgen, wie auch die Folgen für Institutionen und Politik.
  5. Bewertung des europäischen Sozialmodells im Vergleich mit der Lage in den wichtigsten internationalen Gebieten; die Wiederholbarkeit und Anwendbarkeit der EU - Initiative auf andere soziale Bereiche, um europäische Standards (Löhne, Arbeitsbedingungen, Umweltschutz) zu erhalten;
  6. Rollenbewertung der öffentlichen und privaten Akteure, die sich für die Globalisierung einsetzen und Vorschläge in der offenen Frage, wie man ein Gleichgewicht zwischen Regierungen, multinationalen, grenzüberschreitenden Unternehmen und sozialen Organisationen findet; Bewertung der Art, wie IWF, WGO, Weltbank und andere internationale Institutionen die Prinzipien der sozialen Nachhaltigkeit einhalten;
  7. Internationale Anerkennung der Wertigkeit von Tarifverträgen. Unterstützung für die internationalen Initiativen der Gewerkschaften, die  wieder einschlägig in Aktion tretem wollen; dies auf Grund der allgemeinen Überzeugung, dass die Gewerkschaft nur dann eine Zukunft hat, wenn sie neben den im eigenen Land durchgeführten Anpassungen die eigenen Visionen und Verantwortlichkeit auf  die ganze Welt ausdehnt. Indem man für die internationale Gerechtigkeit, Quelle des Friedens und der Sicherheit eintritt, vertritt man auch nationale Interessen. Allgemeiner gesagt, handelt es sich um die  Bewertung der Beziehung zwischen den zersplitterten sozialen Einzellösungen und denkollektiven und solidarischen Lösungen und die Auswirkungen dieser  durch den Globalisierungsdruck entstandenen Lösungen.

♦ Vorschlag : Ausführbarkeit des europäischen Sozialmodells

  1. Analysen, Bewertungen und die Überlegung, ob man nicht das europäische Sozialmodell in andere geopolitische Regionen der Welt (z.B. Lateinamerika, Indien, Nordamerika oder China) ausführen  kann;
  2. Übernahme der Werte, Charakteristiken und Praktiken des europäischen Sozialmodells  in gemeinsame internationale Standards;
  3. Vergleich der in der EU und anderen internationalen Organisationen (z.B: MERCOSUR, NAFTA., usw) gesammelten Erfahrungen und der Integrationsmaßnahmen, die die  aussereuropäischen Integrationsprozesse begleitet haben; Übernahme von Prinzipien, Praktiken, Einrichtungen und Organisationen  des europäischen Sozialmodells in bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen der EU, die diese mit den IACP - Ländern, dem Mittelmeerraum, Afrika und Lateinamerika trifft.

offene Frage: Gibt die heutige Ordnung der EU - Einrichtungen, ihr System einer gleichzeitig gemeinsamen und getrennten Souveränität, die Kompetenzverteilung zwischen EU und  Mitgliedsstaaten, der erreichte oder noch zu erreichende Integrationsgrad  wirklich genügend Garantien, um das Ziel erreichen zu können, das europäische Sozialmodell in andere Erdteile auszuführen?

offene Frage: Können soziale Modelle überhaupt ausgeführt werden? Dies ist eine wichtige wissenschaftlich-politische Frage. Tatsächlich scheiterten alle internationalen Organisationen bei ihren Versuchen, wirtschaftliche und soziale Modelle der fortschrittlicheren Ländern auf rückständigere Länder zu übertragen.

 

4 Das europäische Sozialmodell und die Nachhaltigkeit in der Umwelt

Einleitung

Die nachhaltige Entwicklung der Umwelt gehört zu den Fragen, die für den Aufbau des europäischen Sozialmodells wichtig sind. In Übereinstimmung mit der Strategie von Lissabon müssen  die Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft und Staat-sozialem Bereich die dramatischen Veränderungen und die Störung des Gleichgewichts in der Umwelt berücksichtigen und als wesentlichen Bezugspunkt übernehmen.

Das zentrale Thema im Umschweltschutz ist die Art  des Wachstums und der Entwicklung der modernen Industriegesellschaften; es muss zugleich der erste Bezugspunkt für sozialpolitische Massnahmen sein.

Andrerseits versteht man unter sozialer Entwicklung nicht nur vorrangige Ziele wie die Menschwürde,  den zivilen und demokratischen Fortschritt, die soziale Gerechtigkeit, die Verbreitung von Wohlstand, sondern auch die  “Lebensqualität”, ein Wert, der eng mit Naturschutz und der Organisation der Umwelt verknüpft ist, in der der Mensch lebt und arbeitet.

Überlegungen über die Art Wachstum und Entwicklung, die sich in der globalisierten Welt durchsetzt, führen  – wenn man auch die Umweltschäden mit berücksichtigt – zu einem ganz anderen Szenario, das von uns fordert, die  Entwicklung hier und da abzuändern.

Als Alternative bietet sich eine Entwicklung an, bei der man von einer Organisation der sogenannten “Wirtschaft des Sich-wohl-fühlens” sprechen könnte; da geht es nicht unbedingt um die Befriedigung der individuellen materiellen und immateriellen Bedürfnisse, also einen ungebremsten Konsumismus, sondern das Gegenteil, hier steht nämlich die Befriedigung der kollektiven Bedürfnisse im Mittelpunkt. Sicher ist, dass – wenn Europa diese Alternative und damit de facto diese Art der Wirtschaft wählte – die besten Bedingungen gesetzt würden, um in den Globalisierungsprozessen wieder eine Führungsposition einzunehmen.

EU, Mitgliedsstaaten und Unternehmen müssen diese Richtung einschlagen und sich dabei hauptsächlich auf Wirtschafts- und Industriepolitik, finanzielle Ressourcen, wissenschaftliche Forschung und technologische Innovationen konzentrieren.

♦ Vorschläge: der Staat, die Unternehmen und die Wirtschaft des Sich-wohl-fühlens

Der Staat muss – um in diesem alternativen Szenario eingreifen zu können:

  1. die eigene Rolle in der Planung von Eingriffen in Wirtschaft und Produktion zurückgewinnen;
  2. feststellen, in welchen Bereichen die meisten Bedürfnisse der Allgemeinheit bestehen und damit die meisten Eingriffe erforderlich sind (um einige Beispiele zu geben: Schutz und Aufwertung von Städten und Regionen, der Mobilitätsnetze, der Landwirtschaft als Grundlage einer gesunden Ernährung, der Schutz unseres Kulturerbes, alternative Energiequellen, Frieden und Sicherheit);
  3. ausreichende Finanzierung der größten öffentlichen Investitionen; Schaffung von Bereichen, in denen es für private Investoren vorteilhaft ist einzusteigen und gleichzeitig auch kollektive Interessen gedeckt werden – so entstehen neue Beziehungen in der öffentlich-privaten Zusammenarbeit im Bereich der “Wirtschaft des Sich-wohl-fühlens”.  

♦ Vorschläge: mit gemeinsamen Indikatoren großflächig handeln

Umwelt- und sozialpolitische Maßnahmen erfordern in einer globalisierten Welt die Einbeziehung großer Gebiete, damit die Wirkung der Eingriffe gewährleistet wird; sie erfordern auch, dass man auf Instrumente wie Planung und die Festlegung von gemeinsamen Standards und Parametern zurückgreift. Die sich aus der “Qualität” der Entwicklung ergebenden Zahlen sind für die Bewertung und richtigen Entscheidungen ausschlaggebend.

Man schlägt eine gemeinsame Matrix für das Verständnis und die Bewertung der sozialen und umweltbezogenen Folgen der Konjunktur vor und bringt die kollektiven materiellen und immateriellen Bedürfnisse – ein wesentlicher Bezugspunkt für die “Wirtschaft des Sich-wohl-fühlens” – in das System sozialer Bedürfnisse als Bezugspunkt mit dem Ziel einer gerechten und ausgewogenen Entwicklung ein.

offene Frage: wie kann man eine demokratische Beteiligung der Sozialpartner an den Entscheidungen im Umweltschutz  fördern? Wie und mit welchen Methoden kann man erreichen, dass die Bürger an den Entscheidungen im Umweltschutz mehr beteiligt werden? 

 

5 Die Reform des europäischen Sozialmodells: An den Tragfeilern ansetzen

Einleitung

Eine wirkliche Reform des europäischen Sozialmodells beruht im Grund auf einem Gemisch aus politischen Maßnahmen und Aktionen, die entlang zweier Hauptlinien (Tragpfeiler) gefördert werden müssen:

Damit man wirksam beide Hauptlinien verfolgen kann, muss man vorher:

Die Reform des europäischen Sozialmodells geschieht entlang der folgenden Hauptlinien: an den sozialen Schutzsystemen, den allgemeinen Leistungen, dem sozialen Dialog, den Arbeitsbeziehungen und der Demokratie in der Wirtschaft.

5.1 Die sozialen Schutznetze

♦ Vorschlag : Für einen aktiven Sozialstaat.

Im Übergang von einem passiven Netz des welfare, in dem der Staat sich grundsätzlich darauf beschränkt, die von Bürgern erlittenen Schäden anzuerkennen und zu entschädigen (z.B. bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Unfall) hin zu einem aktiven System des welfare, in dem der Staat eine neue Beziehung zu den Bürgern aufbaut, ihnen größere Verantwortung zukommen läßt und sie an der Organisation und Führung der sozialpolitischen Maßnahmen beteiligt, erlangen drei Elemente eine besondere stategische Bedeutung. Man muss bei diesen drei Elementen ansestzen:

  1. Die Beteiligung an arbeits- und sozialpolitischen Massnahmen. Zu diesem Zweck muss darauf hingearbeitet werden, dass die Erwerbstätigen und  Bezugspersonen am Arbeitsmarkt an der Organisation und direkten Führung von sozialpolitischen Maßnahmen (einschließlich der Maßnahmen zum Schutz vor neuen sozialen Risiken) mehr beteiligt werden und dieser Beteiligung mehr Bedeutung zukommt.
  2. Die Beteiligung der Bürger (empowerment) Die Bürger werden als Kunden angesehen und in die Verantwortung genommen. Sie sind Menschen, die in der Lage sind, die eigenen Bedürfnisse  auch mit dem Ziel einer besseren Selbstverwirklichung voll und frei zu vertreten und sich verantwortlich an der Organisation von Lösungen zu beteiligen.
  3. Der Ausbau lokaler Dienstleistungen im welfare. In ganz Europa  zeigt sich der Dienstleistungbereich als der Bereich, in dem sich die obengenannte aktive Beteiligung von Erwerbstätigen und Bürgern (auch wenn sich bisher lokale Dienstleistungen sehr viel weniger in den öffentlichen Ausgaben zu Buche schlugen als z.B. die nationalen Leistungen in der Altersvorsorge und im Gesundheitswesen)  am besten umsetzen läßt.  Die Erfahrung zeigt uns, dass ein neuer aktiver Sozialstaat und  - mehr noch - ein in der Zivilgemeinschaft tief verwurzeltes  Sozialmodell vor allem mit Hilfe von dezentralisierten Leistungen entstehen kann. Deshalb schlagen wir vor, dafür zu sorgen, dass:
    1. man für die Verlegung der öffentlichen Leistungen vom Zentrum in die Peripherie, vom Staat auf die Gebietskörperschaften eintritt, einerseits wegen der Nähe zur neuen sozialen Nachfrage und um maßgeschneiderte Leistungen organisieren zu können,  andrerseits aber um die Beteiligung der Bürger an der Verwaltung von sozialen Dienstleistungen zu fördern;
    2. Unterstützende und fördernde Massnahmen ergreifen, um eine neue governance bei sozialen Leistungen einzuführen. Das bedeutet nicht, die Beziehung zwischen Bürgern und öffentlicher Verwaltung ganz neu zu gestalten, sondern die Beteiligung aller öffentlichen Stellen und Privatpersonen an der Organisation und Verwaltung der öffentlichen Leistungen im Netzwerk der lokalen governance. Das lokale policy network soll nicht mehr ausschließlich in den öffentlichen Bereich fallen, sondern ein Netz sein, in dem Staat und Markt, Sozialpartner und Verbände des Dienstleistungsbereichs und ehrenamtliche Helfer miteinander arbeiten.
    3. für die Bildung von Einrichtungen zur Regelung des welfare in Verbindung mit der neuen governance auf  lokaler, regionaler und nationaler Ebene aus dem öffentlichen und privaten Bereich einzutreten;  
    4. sich für die Verbreitung ähnlicher Leistungen einzusetzen, nämlich Hilfestellung für Personen und ihre Familien, ein weiterer und wachsender Bereich, mit dem man  auf viele, oft nicht berücksichtigte soziale Bedürfnisse eingehen kann und in dem immer mehr, wenn auch meist gering entlohnte Arbeitsplätze entstehen.
    5. sich für die Durchführung von Massnahmen einsetzen, mit denen man sich um soziale Eingliederung, insbesondere die von Frauen in den Arbeitsmarkt bemüht. Dabei müssen die komplexen Situationen berücksichtigt werden,  die sich aus der Emanzipation der Frauen z.B. im Produktionsbereich und ihrer traditionellen Rolle in der Familie ergeben.

offene Frage:  Welche Lösungen gibt es, mit denen man die trade off am Arbeitsmarkt  – Niedriglöhne – korrigieren kann, die wegen ihres charakteristisch niedrigen Produktionsgrads typisch sind für die am Menschen verrichteten Dienste.

5.2 Die für die Allgemeinheit wichtigen Dienstleistungen

♦ Vorschlag: das öffentliche Interesse in Europa

Die Europäische Union muss im öffentlichen Interesse eines der grundlegenden Prinzipien für die Orientierung sehen, dieses übernehmen und dabei die Grenzen der bisherigen Definition, in der  in der Sozialpolitik und dem Dienstleistungsnetz nur “von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse” gesprochen wurde, weiter spannen. Iimmer noch wird die Tatsache unterschätzt, dass diese Dienstleistungen ja vor allem mit den Rechten der Bürger verbunden sind und dass man erst - nachdem man alle Folgen dieser Verbindung berücksichtigt  hat - die offene Frage betreffs ihrer wirtschaftlichen Nachhaltigkeit stellen darf.

♦ Vorschlag: Regelung des Sozialen Bereichs – Regelung des Markts

Betreffs der Beziehung Staat – Markt und insbesondere der Beziehung, die die Regelung des sozialen Modells mit der des Markts verbindet, muss die regelnde Funktion des Staats hinsichtlich aller Dienstleistungen unterstrichen (z.B. in der Erziehung, im Gesundheitswesen, usw.) und die Grenzen festgelegt werden, innerhalb derer auch der Markt regelnd unter der Voraussetzung handeln kann, dass diese Dienste nicht wie kommerzielle Güter und Betriebe behandelt werden dürfen. Allgemein muss die regelnde Rolle des Staates bestätigt, d.h. von Initiativen begleitet werden, die die Parteien, Sozialpartner und Bürger nach Vergleich und Bewertung mit dem Ziel fördern, das Primat der Politik in der Orientierung und Zusammenfassung von Nachfrage und Bedürfnissen der Zivilgesellschaft hervorzuheben.

♦ Vorschlag: Abschaffung des benchmarking

Man schlägt vor, die benchmarking- Methode abzuschaffen, die dazu diente, die Übereinstimmung zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern, weil dabei die Ergebisse im nachherein bewertet werden. Man muss dagegen die EU direkt bei der Festlegung von sozialen Aktionen mit einbinden: da geht es um genaue politische Ziele und Prioritäten (mit ihrer Wirksamkeit, Verbindlichkeit, Flexibilität),  die zu berücksichtigenden Standards und Vorgehensweisen, die Bedingungen für die Co-Finanzierung und die aktive Beteiligung der Bürger. Bei den neu entstehenden Bedürfnissen müßte der europäische “Hebel” eingesetzt werden, um die neu entstehenden Bedürfnisse bewältigen zu können und ein homogeneres Europa zu schaffen als es das heutige ist, das von der unterschiedlichen Politik der Mitgliedsstaaten geprägt wird, bei der der eine Staat es vorzieht, in den Ausbau der Leistungen zu investieren, während der andere direkt Geld zur Unterstützung der Bürger überweist.

♦ Vorschlag: die Matrix der Subsidiarität:

Eine wirkliche sowohl vertikale (der Institutionen untereinander), wie auch horizontale Matrix (zwischen Institutionen und Zivilgesellschaft) der Subsidiarität als gemeinsames Instrument für die Festlegung von Sockeln  und Standards für die Aufgaben und Kompetenzen, die von öffentlichen Stellen und Privatpersonen übernommen werden können.

♦ Vorschlag: gemeinsam geplante Strategien

Man schlägt  die strategische Planung vor, um:

  1. die mittel- und langfristigen sozialpolitischen Massnahmen und deren Folgen zu bewerten und projizieren;
  2. sich für die Definition eines EUROPÄISCHEN SIGNALS einzusetzen, das vor allem mittelfristig  als Orientierungsfaktor der Mitgliedsstaaten von entscheidend er Bedeutung ist, die sich mit der Umstrukturierung von welfare, Steuern und Finanzen beschäftigen, um sie den sozialen Ausgaben anzupassen und für diese neue finanzielle Grundlagen zu finden. Das Europäische Signal sollte vor allem die Höhe der Ausgaben festlegen, die mit den volkswirtschaftlichen Variabeln, die ein stabiles Wachstum garantieren, vertretbar sind. Hier müßte die EU die einschlägigen Indikationen liefern, damit die Akteure der Entwicklung  die Initiativen zur Anpassung an Systeme, die zu besseren sozialen Leistungen führen, selbst bewerten können. 
  3. Die Bedingungen für die Qualität der öffentllichen Ausgaben festzulegen: das ist ein unabdingbarer Faktor sowohl für das Nebeneinander von Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt, wie auch für die Bewertung der Wirksamkeit von  genau definierten und nützlichen sozialpolitischen Massnahmen – es ist eine bessere Bewertung als mit einer reinen Zahlanalyse der Ausgaben der Fall ist, dabei wird alles wie Finanzierungsmethoden, Organisationsordnung, Art der Leistungsstruktur und Voraussetzungen  für das Recht auf Leistungen berücksichtigt.
  4. das Modell eines flexiblen und modernen sozialen Modells der governance festzulegen, in dem die vielen Leistungsstufen und Akteure aufgeführt werden und festgestellt wird, in wie weit die soziale Nachfrage befriedigt werden konnte;
  5. eine breit angelegte, innovative Politik in den Beziehungen zwischen Institutionen  und zwischen diesen und der Zivilgesellschaft einzuführen, um festzustellen, welches Amt dem Bürger und seinen Bedürfnissen am nächsten ist, um so die Leistungsfähigkeit aufgrund der vorliegenden Ergebnisse bewerten zu können;
  6. den Sozialstaat grundlegend umzustrukturieren und zu entbürokratisieren mit dem Ziel, zu dezentralisiseren und die Kosten für die Bürokratie zu senken; besser auf die Nachfrage der vielen sozialen Bedürfnisse einzugehen; das öffentliche Dienstleistungsnetz für neue Partnerschaftsformen zu öffnen, den Nutzen dieser Dienstleistungen und der Verbände im ganzen  sozialen Bereich zu definieren und so alternative/integrierende Einsparungsmöglichkeiten zu erschließen, die bei der Feststellung helfen, welchen Nutzen und welche Unterstützung die neuen öffentlichen Dienstleistungen  haben.
    Mit Bezug auf den letzten Aspekt wird die Suche nach einer klaren Gleichgewichtung zwischen einerseits dem natürlich allgemeinen Charakter dieser öffentlichen Dienstleistungen und ihrer öffentlichen Finanzierung als Grund dafür wichtig, dass alle Bürger Anrecht auf diese grundlegenden Leistungen haben und andrerseits die Beteiligung von Privaten vor allem bei zusätzlichen  und ergänzenden Leistungen der  welfare-Gesellschaft gefördert wird, bei denen an erster Stelle die Zivilgesellschaft Träger sein müßte: um die neuen zusätzlichen und ergänzenden Leistungen der öffentlichen Hand (z.B. in den Bereichen Gesundheitswesen und Altersvorsorge) besser zu organisieren, muss über den Zugang zu den Finanzmärkten der Mitgliedsstaaten verhandelt werden, um dort darüber zu verhandeln, wie man  die auf den verschiedenen Ebenen von verschiedenen sozialen Gruppen ausgedrückten Bedürfnisse befriedigen und kostengünstigere Leistungen anbieten kann als es die traditionellen Leistungen der öffentlichen Hand vermochten.

5.3 – Der Soziale Dialog – Die Arbeitsbeziehungen – Die DemoKratie in der Wirtschaft

5. 3. 1  Der soziale Dialog

Einleitung

Die Geschichte des europäischen Sozialmodells  ist gleichzeitig die Geschichte des Fortschritts von Demokratie, Wirtschaft und  dem sozialen Bereich:  man kann noch hinzufügen, dass es ein wirkliches Modell des welfare ist, das man sich überhaupt nicht ohne echte politische, industrielle, wirtschaftliche und soziale Demokratie, d.h. demokratische Beteiligungsformen vorstellen kann, die eng miteinander verflochten sind und bei denen die Übernahme  wirklicher Verantwortung seitens der Arbeitnehmer, Bürger und der vielen Organisationen der Zivilgesellschaft im Mittelpunkt stehen.

Das demokratische Element im europäischen Sozialmodell bedeutete nicht den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, sondern stärkte diese noch. Bürger und Erwerbstätige beteiligen sich aktiv an der  Entwicklung in Wirtschaft und im sozialen Bereich, sowohl was die allgemeine Öffentlichkeit, wie auch die Unternehmen betrifft, in denen die Mitbestimmung bei den wichtigsten Entscheidungen eingeführt wurde, was sich äußerst positiv auf die wirtschaftlichen Leistungen auswirkte und langfristig für Gewinne bürgt.

Der soziale Dialog ist das wesentliche Instrument, um in dieser Richtung voranzukommen, um sich für ein übereinstimmendes europäisches Sozialmodell als Ziel  des Fortschritts für Bürger, Erwerbstätige und Unternehmen zu engagieren  und den Übergang von einer sozialen Hierarchie zu einem offenen System der Beteiligung besser lenken zu  können. Zu diesem Zweck muss es neu organisiert, gestärkt, aufgewertet und auf die wachsenden Bedürfnisse angepaßt werden; dabei muss eine Entwicklung vorhergesehen werden, in der es eine wirkliche Mitbestimmung bei Entscheidungen gibt. Dazu schlägt man vor:

♦ Vorschlag: sich dafür einsetzen, damit der Bereich der Beteiligung erweitert wird

Im sozialen Dialog muss man sich dafür einsetzen, dass der Bereich der Beteiligung an Entscheidungen erweitert  und so insbesondere die Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Beteiligungs- und Regelungsformen gefördert wird: dabei geht es um die Art der (gesetzlich festgelegten) Beteiligung an Institutionen, Unternehmen, Tarifverträgen und Genossenschaften, die von den Sozialpartnern frei (mit Hilfe von Vereinbarungen und Verträgen) festgesetzt werden.

Vorschlag: sich für die politische, wirtschaftliche, soziale und umweltbezogene Stabilität einsetzen

Im sozialen Dialog muss die Maßnahmenanalyse als wesentlicher Bezugspunkt genommen werden, mit deren Hilfe man die neuen wirtschaftlichen (Wirtschaftswachstum), sozialen (Beschäftigung, Erwerbseinkommen, Integration) und umweltbezogenen (Beachtung des natürlichen Gleichgewichts) Folgeerscheinungen, einschließlich dem Druck, messen kann, der durch die Mobilität von Arbeit und Kapital entsteht. Es sollte möglich sein, anhand dieser Analysen die besten korrigierenden Maßnahmen für Politik und Wirtschaft zu finden und im sozialen Bereich für Stabilität  und im Umweltschutz für Ausgewogenheit sorgen.

Vorschlag: eine Brücke zwischen dem sozialen und  dem zivilen Dialog schlagen

Der soziale Dialog muss die sozialen Beziehungen verbessern, das Beziehungsnetz im zivilen Dialog und bei den Initiativen im sozio-ökonomischen Bereich stärken, welches von den ehrenamtlichen Verbänden und den Organisationen im Dienstleistungsbereich getragen wird. Zu diesem Zweck muss eine Brücke zwischen dem sozialen und dem zivilen Dialog  auf europäischer, nationaler wie auch –dezentralisiert – auf lokaler Ebene  geschlagen werden.

♦ Vorschlag: einen ständigen Koordinierungstisch für sozialpolitische Maßnahmen einrichten

Diese Inititative sollte eigenständig von den Organisationen der Zivilgesellschaft in Antwort auf die unzureichende Koordinierung der Nationalstaaten begonnen und geführt werden. In diesem Vorschlag kommt eine weit verbreitete Meinung zum Ausdruck: unter den heutigen politischen Umständen in der EU kann ein wirklicher Integrationsimpuls nur durch freiwillige Initiativen seitens der Zivilgesellschaft kommen.

♦ Vorschlag: Ausarbeitung eines neuen europäischen Sozialvertrags

Diese Initiative soll sich mit den neu entstehenden sozialen Bedürfnisse beschäftigen und erreichen, dass die Eingriffe wieder selektiv nach Einkommenshöhe und kritischer Lebenslage erfolgen, um den ärmsten und ungeschütztesten Teilen der Bevölkerung einen wirklichen Schutz zu gewähren.

♦ Vorschlag: Die Netzwerke der Zivilgesellschaft beobachten

Im Rahmen des sozialen Dialogs  sollten umfassende Aktionen mit dem Ziel durchgeführt werden, die in Europa durchgeführten Initiativen der vielen Organisationen der Zivilgesellschaft, vor allem der spontan entstandenen Netzwerke, der engagierten Gemeinschaften im zivilen Leben,  der Verbände, wie z.B. der Berufsverbände,  kennenzulernen, die direkt und/oder indirekt in der sozialen Integration tätig sind. Danach sollten die spezifischen Auswirkungen dieser  Initiativen auf die soziale Entwicklung und Integration bewertet werden. In der Tat gibt es eigenständige ehrenamtliche Netzwerke in Europa, die ein politisch-kulturelles Klima schaffen, das die soziale Integration fördert und über deren Erfolg oder Mißerfolg  entscheidet. Es geht dabei um wichtige, oft weit in die Zukunft schauende und fortschrittliche Erfahrungen,  von der Ausbildung bis zur Organisation von Leistungen, von der Verbreitung von Wissen bis zur Übernahme von gemeinsamen Sprachen und Verhaltensmodellen; diese Erfahrungen müssen richtig begleitet, bewertet und in den sozialen Integrationsprozess eingeschlossen werden, den die vom sozialen Dialog anerkannten Akteure führen.

5.3.2 Die Arbeitsbeziehungen

Einleitung

In einem allgemeinen Rahmen, in dem der Staat die Regeln vorgibt und sich gleichzeitig  für unabhängige Tarifvereinbarungen einsetzt, ist die Anpassung der Arbeitsbeziehungen an die vielen neuen Bedingungen und Grenzen, die Veränderungen in Wirtschaft und in der Region  - von der Mobilität der Erwerbstätigen bis zu den prekären Bedingungen  in der Beschäftigung und im sozialen Bereich, von der Unsicherheit der Arbeitseinkommen bis zu der wachsenden Ungleichheit, von der unsicheren Zukunft bis zum Abbau des Sozialsystems - notwendig.

Es ist unumgänglich, dass sich die Sozialpartner, die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit den Folgen und Risiken der weit verbreiteten sozialen Unsicherheit und der untragbaren Entwickllung im sozialen Bereich und in der Umwelt beschäftigen. Eine ehrliche Klarstellung zeigt, dass es dem objektiven Interesse beider Seiten entspricht, wenn die Arbeitsplätze mit den notwendigen Vertragsklauseln wieder sicherer gemacht werden,  das Grundkapital der Unternehmen solide aufgestockt wird  und – ein entscheidender menschlicher Faktor in der “Wirtschaft des Wissens” – man in Wirtschaft, Produktion, im sozialen Bereich und im Umweltschutz zusammen arbeitet oder feststellt, welche exterenen Folgen gewisse festgelegte und vereinbarte Entscheidungen haben. Kurz und gut, man muss Hilfe leisten, damit das Netz der Arbeitsbeziehungen die gesamte soziale Marktwirtschaft als Bezugspunkt für die Tarifverhandlungen nimmt.

Vorschlag: europäische Tarifverhandlungen stärken und verbreiten  

Die Rolle der Sozialpartner und Gewerkschaften soll gestärkt werden, indem die Tarifverhandlungen - vom europäischen Mindestlohn  bis zur Führung von Verfahren und Dienstleistungen - auf die europäische Ebene verlegt werden. Die Gewerkschaften sind gehalten, einen gemeinsamen sozialstaatlichen Sockel auf europäischer Ebene unter Berücksichtigung der Tatsache zu schaffen, dass angesichts der heute äußerst begrenzten sozialpolitischen Kompetenz der Europäischen Kommission der einschlägig effektivste Beitrag zu Verhandlungen und Tarifabschlüssen zwischen den Sozialpartnern eher  von Gesetzen und  da an erster Stelle  von den Richtlinien erwartet werden kann.

Um die Arbeit der Gewerkschaften effektiver zu gestalten, verlangt man von ihnen, auch ihr internes Entscheidungssystem einer Reform zu unterziehen und die Kompetenzen zwischen der nationalen und europäischen Ebene neu aufzuteilen, damit die europäischen Gewerkschaften in die Lage versetzt werden, entscheidende Verhandlungen zu führen.

♦ Vorschlag: den Bereich der grenzüberschreitenden Tarifverhandlungen  ausweiten

Den grenzüberschreitenden Tarifverhandlungen muss überlassen werden, die Regelmodelle der sozialen Rechte zu definieren, um Gesetzeslücken und fehlende Initiativen seitens der Machtzentren zu beheben. So wird die Praxis unterstützt,  spontan entstehende Konflikte alleine mit einer Aktion “von unten nach oben”  zu lösen. Es gibt schon viele dieser Aktionen in wichtigen Produktionsbereichen (wie Versicherungen, Transporte, Finanz).

5.3.3 Die Demokratie  in der Wirtschaft

Einleitung

Unternehmen in ganz Europa haben ihre Angestellten immer mehr beteiligt und  so bewiesen, dass sie die Herausforderung der Globalisierung richtig verstanden haben und Beteiligung ein besonders nützlicher und notwendiger Schritt in diese Richtung ist. Die Stärkung des europäischen Sozialmodells muss als Gelegenheit gesehen werden, um den Bereich der demokratischen Beteiligung auch in Wirtschaft und Unternehmen noch mehr zu verbreiten  und damit das Netz der zwischen den Sozialpartnern vereinbarten sozialen Garantien so weit und vollständig wie möglich zu spannen – der Kern der Unternehmensdemokratie in einem Rechtssystem, das für alle Bürger gilt.

♦ Vorschlag: Europäische Arbeitsgruppen

Grenzüberschreitende europäische Expertengruppen einrichten, die konkrete Lösungen für mehr Demokratie in Wirtschaft und Unternehmen innerhalb der EU - Mitgliedsstaaten finden sollen, in dem sie sich bei der Analyse vor allem auf die in Information, Beratung, Konzertation, Verhandlung und Mitbestimmung verbreiteten Praktiken stützen.

► Offene Frage:  Welche Beziehung gibt es zwischen der Demokratie in der Wirtschaft und der Demokratie in der Politik? Das Thema “Demokratie in der Wirtschaft” gehört in den Rahmen einer eher allgemeinen Krise der Demokratie, die überall im Westen spürbar ist, weil sich die Verteilung der Macht verändert hat und dieses Ungleichgewicht kann nicht nur an den Einkommen bemessen werden  und muss - objektiv gesehen - berichtigt werden.

♦ Vorschlag: Beteiligung an gemeinsamen Entscheidungen in Wirtschaft und Produktion 

In der Hoffnung, dass es eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik und insbesondere eine europäische Industriepolitik geben wird, müssen die Bedingungen gefunden werden, um die Hauptakteure der Entwicklung mehr an den strategischen Entscheidungen zu beteiligen. Da muss zuerst Antwort auf die Frage gefunden werden: Wer soll über die Investitionen der europäischen Industriepläne entscheiden? Und weiter: Wie soll die Beteiligung aussehen? Welche Art der Mitbestimmung soll man in der  Führung der europäischen Wirtschaft vorziehen? Es müssen Antworten und Lösungen gefunden werden, mit denen Europa mehr Glaubwürdigkeit auf der internationalen Szene gewinnen kann  und damit richtungsweisend für andere wird.

♦ Vorschlag: Beteiligung an den großen Kapitalgesellschaften

Unter wirklich gleichen Bedingungen für Kapital und Arbeit versteht man die Art, in der es gelingt, ethische Bedürfnisse (der moralische Imperativ, die Würde menschlicher Arbeit), die Anforderungen in der Politik (die Stärkung der Demokratie), in der Wirtschaft und Produktion (kollektive Verantwortung bei den Investitionen in der Produktion, d.h.: wer entscheidet über die Investititonen in den großen Industriekonzernen?) zu decken. Auf Grund dieser Bezugspunkte müßte man sich in Europa an erster Stelle ausführlich mit der der Entwicklung zu Grunde liegenden Idee auseinandersetzen und danach weitere Initiativen zur Vertiefung  und Überprüfung der jeweiligen Bedingungen  durchführen.

♦ Vorschlag: Die europäischen Betriebsräte

Die europäische Erfahrung der Betriebsräte (heute gibt es davon rund 700)   weiter verbreiten und stärken und ihnen mehr Rechte geben, die heute noch auf das mindeste, nämlich auf die Konsultationphase beschränkt sind, damit die Mitbestimmung überall in Europa Fuß fassen kann.

Vorschlag: Eine einzige Betriebsordnung für europäische Unternehmen

Die Funktionen europäischer Unternehmen durch eine gemeinsame Betriebsordnung, die mehr Beteiligung vorsieht, unterstützen und ausweiten, damit anerkannt wird (und  für die europäischen Gewerkschaften und Bürger schon Geltung hat), dass es heute in Europa gleiche Rechte für Kapital und Arbeit gibt. Wenn es erst eine einzige europäische Betriebsordnung gibt, dann kann vor allem die Mitbestimmung in den Unternehmen jener Staaten weiter gestärkt werden, in denen sie schon in Kraft ist; in anderen Mitgliedsstaaten, die andere Wege gegangen sind, kann es zu  einer größeren Beteiligung führen.

♦ Vorschlag: die Rolle der Aktionäre zugunsten anderer Akteure abändern

Eine Strategie finden und  Regeln festlegen, um das heutige Unternehmensrecht, das den Aktionären in den Kapitalgesellschaften das absolute Sagen zuschreibt, abzuändern und nach und nach diese “Souveränität” der Aktionäre auf andere Akteure  zu übertragen, die eine entscheidende Rolle im Leben und in der Entwicklung einer Aktiengesellschaft spielen (Lohnempfänger, Gemeinden, die Zivilgesellschaft). Das muss wenigstens in den Bereichen gefordert werden, in denen es in erster Linie um soziale Leistungen geht wie in den Rentenfonds, in denen die Ersparnisse der Arbeitnehmer heute nach ausschließlich finanziellen Kriterien verwaltet werden. Die Politik muss da für andere Regeln sorgen, mit denen die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer geschützt und als ein öffentliches Gut betrachtet werden, wie es schon bei der Währung der Fall ist. Der Aktionskreis der Stakeholders muss daher Gewerkschaften und Verbraucher einschließen.  

offene Frage: Mit dem theoretischen Nachhaltigkeitsansatz  überprüfen, wie viel Reichtum die Unternehmen produzieren,   die aber auch für Ungleichheit und soziale Risiken verantwortlich sind und: wie kann man diesbezügliche negative Folgen durch eine größere demokratische Beteiligung korrigieren?

 

6 Das europäische Sozialmodell zur Stärkung und Aufwertung der europäischen Union

Einleitung

Die Strategie von Lissabon versucht, wirtschaftliche Entwicklung, soziale Nachhaltigkeit und Umweltschutz in Einklang zu bringen. In Lissabon wurde unterstrichen, dass sich Europa ohne die Schaffung eines wirklich europäischen Sozialmodells  nicht entwickeln kann; ohne das soziale Europa gibt es keine Garantien für eine stabile blühende Wirtschaft, genauso wie es ohne ein starkes wirtschaftliches Europa kein soziales Europa geben kann.

Aus diesem strategischen Ansatz ergeben sich vor allem folgende Konsequenzen: erstens, dass dieser Ansatz zur Stärkung des europäischen Sozialmodells  zugleich das wirtschaftliche Wachstum absichern  muss; zweitens, dass in diesem Wirtschaftssystem mit seinen so typischen, durch die Globalisierung verursachten starken Konjunkturschwankungen nicht die soziale Absicherung im Falle von befristeten, schlechten Arbeitsverträgen und Verlust des Arbeitsplatzes vergessen darf und diesbezüglich zufriedenstellende Lösungen finden muss.

Bei den politischen Entscheidungen muss umgedacht werden und nicht mehr vorausgesetzt werden, dass zuerst die wirtschaftliche Union abgeschlossen werden muss, ehe es zu einer Harmoniserung des sozialen Bereichs kommt, weil beide Prozesse ja eng miteinander verbunden sind. Leiden stellen wir auch weiterhin fest, dass die wirtschaftliche Integration weit fortgeschritten und die soziale Integration weit zurückgeblieben ist, was übrigens den gesamte Integrationsprozess sehr gefährdet.

Wenn man das verloren gegangene Gleichgewicht wieder herstellen will, muss man folgende Probleme lösen:

Nur wenn man diese drei Punkte umgesetzt werden, kann ein einheitliches europäisches welfare entstehen; unnützes intellektuell - politisches Wunschdenken bringt uns dagegen nicht weiter. Auf jeden Fall setzt ein solches Engagement eine klare politische Entscheidung voraus. Bisher kam es leider vor allem zu einer “negativen Integration” (Abschaffung vieler Auflagen und Schranken), die  mit einer durchgreifenden positiven Integration (auf der Grundlage einer europaweiten politischen Regelung in Wirtschaft, im Sozialen und in der Umwelt) begleitet werden muss.

Das strategiche Ziel dieses positiven Integrationsprozesses muss die Schaffung eines gemeinsamen sozialen Raums in Europa als Ergebnis der Bildung von sozialen Sicherheitszonen sein, die immer mehr übereinstimmen und am Ende ineinander fließen.

Eine gemeinsame europäische soziale Plattform sollte als eine strategische Antwort auf den von außen kommenden globalen Druck ausgearbeitet werden, wie es schon bei der europäischen  Währungsunion der Fall war. Die Ausarbeitung einer solchen Plattform schließt nicht aus, dass die EU in der Zwischenzeit den Staaten hilft, die eigenen nationalen Modelle beizubehalten, sie zu modernisieren und diversifizieren. 

6.1 Die Übereinstimmung Der nationalen Sozialnetze

Einleitung

Den heute in der EU herrschenden politischen Verhältnissen zufolge sind vor allem die Nationalstaaten mit ihrem Willen/ihrer Fähigkeit für die Konvergenzinitiativen zuständig. Aus dem reichen Programm- und Projektangebot greifen wir  folgende wichtige Vorschläge heraus:

♦ Vorschlag: eine gemeinsame europäische Grundlage für eine gleiche Definition der sozialen Probleme,

Auf europäischer Ebene muss eine breit angelegte Gegenüberstellung und eine grundsätzliche Klarstellung erfolgen, was man unter gewissen Fachausdrücken, Wörtern und Konzepten versteht, die im Zusammenhang mit dem europäischen Sozialmodell gebraucht werden. Oft nimmt man zwar die gleichen Ausdrücke, obwohl die Erfahrungen in den 27 Mitgliedsstaaten, was die  Verwaltungsstellen und die Zielpersonen sozialer Leistungen betrifft, völlig verschieden sind; das bedeutet, dass z.B. die gleichen Worte wie Arbeitslosigkeit, Armut, Flexibilität, Nachhaltigkeit und  Demokratie in jedem Land eine andere Bedeutung haben können. 

Wenn man das europäische Sozialmodell stärken will, dann muss man gemeinsame Schlüsselworte und Konzepte haben, da sich Unklarheit und Zweideutigkeit bei den Fachausdrücken sehr negativ auf die Konvergenzprozesse auswirken, diese hindern und verlangsamen. Fachausdrücke, die für alle das Gleiche bedeuten, dienen u.a. dazu, bessere Vergleichsanalysen zu erhalten und insbesondere die Art und Reichweite der Initiativen besser zu verstehen, die man z.B. in der Führung der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik (Wer trägt in den verschiedenen Bereichen die Verantwortung, ist zuständig oder berechtigt, etwas zu tun?), im praktischen Leben der demokratischen Wirtschaft (ob es sich um Mitbestimmung, Informationsaustausch, Konsultation, Bedingungen handelt; wer sind die Akteure) durchführen möchte. Ein Beispiel dafür: in Großbitannien versteht man herkömmliche Ausdrücke wie “Betriebsräte” und ”Tarifverhandlungen”, die in vielen europäischen Staaten tagtäglich gebraucht werden, nicht, da es sie nicht in dieser Form gibt

♦ Vorschlag: die Rechte der Bürger.

Es muss nach einer klaren Antwort auf die folgende Frage gesucht werden: um welche Rechte für welche EU-Bürger geht es eigentlich? Die  Charta der Grundrechte macht hier eine klare Aussage (Kap. IV: “Solidarität ist die Grundlage des europäischen Sozialmodells”). Wie wendet man aber das Recht auf Gleichheit und Solidarität, das in den beiden Kapiteln der Charta vorgesehen ist, konkret an? Wer hat Anspruch auf  Leistungen im sozialen Europa? Bei den  Berechtigten handelt es sich im allgemeinen um die Arbeitnehmer, aber was ist mit den Migranten, vor allem mit den illegalen Zuwanderern? Kann sich das soziale Europa nur an die Arbeitnehmer oder muss es sich auch an alle Bürger wenden? Was kann getan werden, damit die Bürger sich an der Bildung des sozialen Europas beteiligen können und auf der Grundlage welcher Rechte hat das zu geschehen? Man muss also  in Europa für alle Arbeitnehmer und im weitesten Sinne des Wortes für alle Bürger einen “gemeinsamen Sockel” der sozialen, grundsätzlich anerkannten und praktizierbaren Grundrechte festlegen und  definieren.

♦ Vorschlag: die sozialen Bedürfnisse

Wenn man voraussetzt, dass die sozialpolitischen Maßnahmen aus den gesammelten Informationen über die Bedürfnisse der Bevölkerung resultieren und diese Bedürfnisse aufgrund ihrer Verschiedenheit zu unterschiedlichen sozialpolitischen Maßnahmen in den verschiedenen Mitgliedsstaaten führen, wird klar, dass ein gemeinsamer Nenner für die sozialen Bedürfnissen gefunden werden muss, der auf jeden Fall in ganz Europa zu entsprechenden Leistungen führt. Mit einem gemeinsamen Nenner hätte man auch  einen einheitlichen Bezugspunkt für die Bewertung dieser gemeinsamen Grundlage mit verschiedenen Untergliederungen und Bedürfnissen in den Mitgliedsstaaten.

Diese Arbeit zur Untergliederung der sozialen Bedürfnisse erhält eine besondere Bedeutung, wenn sie in einen strategischen Planungsrahmen  eingeordnet und so zu einem unverzichtbaren Instrument wird, um in Übereinstimmung mit den Mitgliedsstaaten die sozialen Bedürfnisse und  Probleme auf europäischer Ebene systematisch zusammenzutragen, auszuloten und auszuarbeiten. Ein solches Instrument, das sich auf die Wechselwirkung zwischen wirtschaftlichem und sozialem Wandel stützt, erweist sich auch als grundlegendes Instrument, um nachfolgend Eingriffe an öffentlichen und privaten Bilanzen vorzunehmen.

6.2 Die Harmonisierung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Förderung des sozialen Bereichs

Einleitung

Die Entwicklung in Wirtschaft, im Sozialem und in der Umwelt miteinander in Einklang zu bringen, ist im europäischen Sozialmodell  wohl einerseits vor allem  eine Frage der Wachstumsprobleme, präsentiert sich aber andrerseits als aufwertende Ressource und nicht als Kostenfaktor im Wirtschaftssystem.

♦ Vorschlag: Produktion und Umverteilung des Reichtums

Man schlägt hier vor, die Fragen der Produktion und Umverteilung des Reichtums in einem Schritt gezielt zu analysieren und zu bewerten: heute geschieht das noch in zwei verschiedenen Schritten. Die Umverteilung muss dagegen als eine Funktion des Wachstums und nicht der Zeit danach verstanden werden. Das heißt, dass man eine  andere Vision der Wachstums- und Umverteilungsprozesse braucht, bei der es sowohl um Wirtschaft wie auch um Politik geht und Querverbindungen bewertet werden, die diese einander ergänzenden Entwicklungsaspekte vereinen.

Vorschlag: die Regelung in Wirtschaft, Umwelt und dem sozialen Bereich

Die Europäische Union muss direkte Initiativen ergreifen, die weit über die Indikationen für das Funktionieren des europäischen Markts hinausgehen und Vorschläge für alle wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Systeme unterbreiten. Überdies muss die E.U. auch Hinweise für eine bessere Anpassung der institutionellen Strukturen (Normen, Rechtsordnungen, Regeln für das wirtschaftliche und soziale Leben) an eine ausgeglichene Entwicklung geben, damit Staaten und Sozialpartner über wirksamere Ausrichtungselemente verfügen, mit denen sie – so einheitlich wie möglich – sich den Herausforderungen des globalisierten Wettbewerbs stellen können.

Offene Frage: Wie werden diese Indikationen verarbeitet, und in wie weit sind sie verbindlich?

6.3 Die  europäische governance  Im sozialen Bereich : die institutionen

Einleitung

Wie sieht die Führung eines europäisches Sozialmodell aus? Ohne eine  gemeinsame europäische Regierung besteht die Gefahr, dass alle sozialen und wirtschaftlichen Modelle von den Globalisierungsprozessen  absorbiert werden und sich jeder Staat hinter die eigenen Verteidigungslinien verschanzt.

♦ Vorschlag:  eine “Eurozone”

Es wird vorgeschlagen, der EUROZONE mehr Kompetenzen, wie z.B.  politische, einschließlich sozialpolitische Kompetenzen zu übertragen. Das bedeutet:

  1. eine größere offizielle Anerkennung für diese Gruppe;
  2. eine größere Koordinierung der Bilanzen;
  3. eine größere Harmonisiserung von Steuern und Abgaben. 

Der Vorschlag wird dadurch gerechtfertigt, dass die Eurozone  seit 1992 erfolgreich funktioniert und deshalb in einer umfassenden Vision des Integrationsprozesses eine große Anziehungskraft auf die Staaten ausüben kann, die heute noch nicht dabei sind. Sicher ist, dass eine Führung der europäischen Sozialpolitik wirkliche Fortschritte braucht: mit Hilfe der Eurozone kann durchaus auch eine wirkliche politische Führung in Europa entstehen.

♦ Vorschlag: sozialpolitische Kompetenzen für die Europäische Kommission

Die Europäische Kommission muss genaue Kompetenzen im sozialen Bereich erhalten, insbesondere:

  1. eine Reihe von Mindestkompetenzen im Bereich der Sozialpolitik, um die Grenzen und Lücken  der heutigen bilateralen Vereinbarungen der Staaten zu beseitigen, die noch einer gemeinsamen europäischen Sozialpolitik im Wege stehen und sich negativ auf  Konjunktur, Mobilität und qualifiziertere Arbeit, Arbeitsmarkt und soziale Integration auswirken. Neben nationalen müssen europaweit geltende sozialpolitische Maßnahmen auf der Grundlage einer klaren Umverteilung von Aufgaben und Funktionen geschaffen werden;
  2. Kompetenz im Bereich neuer sozialer Themen, damit gemeinsame Ausrichtungen und politische Maßnahmen für Fragen festgelegt werden können, die nicht zu den traditionellen Erfahrungen der europäischen Staaten gehören, wie: Massenzuwanderung, neue Formen der Arbeit, Berufsausbildung für die Forschung und lebenslanges Lernen;
  3. Kompetenz für die direkte Führung von wenigen  grundlegenden sozialen Dienstleistungen, z.B. im Gesundheitswesen. Diese Kompetenz sollte durch Verhandlungen zwischen Regierungen und allen Sozialpartnern mit dem Ziel festgelegt und definiert werden, einen gemeinsamen Sockel für den sozialen Schutz aller Bürger zu sichern;
  4. Diesem europäischen sozialen Bereich müssen die notwendigen finanziellen Ressourcen zugesichert werden, die den neuen Kompetenzen zufolge zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU aufgeteilt werden.

♦ Vorschlag: Neue Kompetenzen für die Europäische  Zentralbank

Es wird vorgeschlagen, dass der Europäischen Zentralbank – EZB - außer der Aufsicht über die Währung und Bilanzen auch die Aufsicht über Konjunktur und Arbeitsmarkt nach dem Vorbild der Federal Reserve der Vereinigten Staaten  übertragen wird. Das entspräche der weitverbreiteten öffentlichen Meinung, dass die Währung, der Euro, als Instrument in der Übergangsphase hin zu einer wirklichen Führungsrolle der europäischen Zentralbank in der Wirtschaft Europas zu verstehen ist, welche genau vereinbarten Kriterien der Transparenz und Demokratie entsprechen müßte.

6.4 Die sozialpolitische governance in der europäischen Union: sozialpolitische Maßnahmen

♦ Vorschlag: Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts

Die Reform hat das Ziel, die heute zu starren Passagen des Pakts zu glätten  und so ein Instrument zu schaffen, mit dem soziale Fragen der Entwicklung besser bewertet und angemessener behandelt werden können. Der Pakt sollte es erlauben, dass, wenn soziale Leistungen  (z.B. Pensionen) zu strukturellen  Defiziten führen und/oder es notwendig sein sollte, öffentliche Gelder in strategische Infrastrukturen  und  die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu investieren, die jetzigen Grenzen überschritten werden können. Der Pakts müßte es erlauben, dass eine angemessene Koordinierung möglich wird, das durch die zentral geführte Währungspolitik und die dezentralisiert geführten anderen Wirtschaftsvariabeln, wie Steuern und Löhne, gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen. Schlussendlich müßten die Akteure, die arbeitspolitische Maßnahmen durchführen, auch mehr an der Führung des Pakts beteiligt werden.

♦ Vorschlag: Europäische Bilanz

Im Falle, dass es durch eine wünschenswerte politische Entscheidung dazu kommt, dass die europäische Regierung die Kompetenz für die Politik in Wirtschaft und im sozialen Bereich erhält, muss sie über die Bilanz als Instrument verfügen können, um  handlungsfähig zu sein. Unter dieser Voraussetzung wird vorgeschlagen:

  1. Die heutige europäische Bilanz, die ja ein rein technisch-administrativer Fonds ohne eine aktive Rolle in der europäischen Wirtschaft ist, in die  Broad Economic Policy Guidelines einzubringen, die die Kommission jedes Jahr vorstellt und bei denen bis heute nur die nationalen Bilanzen berücksichtigt wurden; 
  2. Die europäische Bilanz in den Stabilitäts- und Wachstumspakt  aufzunehmen, damit europäische und nationale Finanzfragen zusammen diskutiert werden können - für die europäische Bilanz gelten dann die gleichen Auflagen und gleichen Freiheiten wie für die nationalen Bilanzen;
  3. Die starre Auflage, dass die EU-Bilanz ausgeglichen sein muss, aufzuheben, aber keine große Abweichungen zuzulassen; so werden “zweckgebundene staatliche Verschuldungen” möglich und man kann:
    1. schlechte Konjunkturphasen besser in die Hand bekommen,
    2. öffentliche Investitionspolitik unterstützen
    3. gemeinsame sozialpolitischen EU-Massnahmen finanzieren,
    4. den Fonds zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Unterstützung der flexsecurity-Initiative (der “European Globalization Adjustment Fund”,  der europäische Fonds für Maßnahmen zur Anpassung an die Globalisierung) aufstocken, 
    5. wirksam Armut bekämpfen,
    6. Initiativen für die Einführung eines garantierten europäischen Mindestlohns und für ein Mindesteinkommen bei Beginn des Arbeitslebens ergreifen.
      (Als Alternative zur Verschuldung wird die Einführung einer zweckgebundenen europäischen Steuer oder die Erhöhung der jetzigen Einkünfte aus der MwSt oder höhere Beiträge seitens der Mitgliedsstaaten vorgeschlagen)

♦ Vorschlag: Europäische Gesetzgebung

Es wird vorgeschlagen, ein europäisches Gesetzeswerk - europäische Rahmenrichtlinien -  mit folgenden Zielen zu verabschieden:

  1. europäische Initiativen in der Steuerharmonisierung mit dem Ziel, ein europäisches Sozialmodell zu haben, das eigenständig als eine Zusammenfassung der nationalen Erfahrungen  funktioniert, sind absolut erforderlich. Mit dieser Harmonisierung kann das Problem der sozialen Kosten durch allgemeine Steuern oder auch Beiträge in den Griff bekommen werden. In diesem Fall muss das Vetorecht der nationalen Regierungen abgeschafft werden, das eine  zur Finanzierung der sozialpolitischen Massnahmen notwendige und angemessene Steuerpolitik immer verhindern würde;  
  2. Mindeststandards im Bereich des  sozialen Schutzes, um grundsätzliche Bezugspunkte mit verbindlichem Charakter in allen Mitgliedsstaaten zu erhalten. Ein solche Gesetzgebung soll die  sozialen Harmonisierungsprozesse unterstützen;
  3. Festsetzung eines garantierten europäischen Mindestgehalts, das aufgrund von Verhandlungen zwischen Regierungen und Sozialpartnern festgestellt und festgelegt wird. In der EU-Bilanz werden dafür Mittel bereitgestellt werden, die durch steuerliche Zuschüsse für die neu eingetretenen oder wirtschaftlich schwächeren Ländern integriert werden;
  4. Einführung eines garantierten europäischen Mindesteinkommens (EME) auf europäischer Ebene, das auf einem europäischen Plan für soziale Integration, einschließlich der sozialen Integration von Zuwanderer, beruht. Auf nationaler Ebene wird das EME mit den nationalen Regierungen vereinbart und in “maßgeschneiderten” Projekte umgesetzt.

♦ Vorschlag: eine europäische Industriepolitik

Es wird vorgeschlagen, Programme für eine europäische Industriepolitik aufzustellen. Diese Politik steckt heute noch in den Kinderschuhen, hatte aber immer, wenn sie durchgeführt wurde, Erfolg. Das Ziel dieser Politik ist es, die Umstrukturierungsprozesse vorwegzunehmen und die richtigen Bedingungen zu setzen, damit diese Prozesse sozial verträglich verlaufen.

♦ Vorschlag: Soziale Verantwortung der Unternehmen

Man fordert mehr Ethik von Unternehmen, Finanzwesen und sozial verantwortlichen Investitionen – die soziale Verantwortung der Unternehmen. Dabei geht es nicht mehr nur um eine freiwillige soziale Verantwortung der Unternehmen, sondern die Einführung von einschlägigen politischen Maßnahmen. Man geht dabei von der Annahme aus, dass ein sozial interessiertes Unternehmen, dass die sozialen Folgen des eigenen Handels im Auge behält, in der Lage sein sollte, sich für Fragen des öffentlich -  kollektiven  Interesses zu engagieren. Ein solches Unternehmen hat zwar auf der einen Seite mehr Kosten zu tragen, hat aber auf der anderen Seite auch Vorteile.

Damit man diese politischen Maßnahmen ergreifen kann, muss ein europäisches Modell gemeinsamer ethischer Werte der Unternehmenskultur festgestellt und festgelegt werden. Dieses Modell muss:

  1.  ethische Standards für einheitliche, übereinstimmende, genaue, allgemeine und von allen vertretenen Grundkriterien definieren, die aus den einschlägigen Indikationen und Bestimmungen der UNO, IAO, OECD und EU entnommen werden können;
  2. aus der Ausarbeitung eines Bezugsdokuments hervorgehen, das die europäischen Richtlinien für die Bewertung freiwilliger Klauseln in den Geschäftsordnungen der Unternehmen und der Unternehmenspolitik enthält;
  3. eine gemeinsame Anwendungsmethode der Prinzipien festlegen;
  4. sichern, dass die ethischen Standards sowohl auf die Unternehmen wie auch auf die regionalen und lokalen Behörden und die öffentliche Verwaltung insgesamt angewandt werden können.

♦ Vorschlag: der Binnenmarkt der Dienstleistungen

Es wird vorgeschlagen, einen Binnenmarkt der Dienstleistungen einzuführen und sich auf die Erfahrungen zu stützen, die schon bei dem Binnenmarkt für Waren und Kapital gemacht worden sind. Wenn man vermeiden will, dass es mit einer solchen Politik zu neuen Formen der sozialen Ungerechtikeit und Diskriminierung kommt, müssen zwei Bedingungen gesetzt werden:

Bei der ersten Bebedingung geht es um den klaren Unterschied zwischen den verschiedenen Dienstleistungen. Es gibt Dienstleistungen, wie z.B. Wasser- und Gasversorgung sowie Transport, die  - obwohl sie von öffentlichem Interesse sind - von Wirtschaftsunternehmen angeboten werden; diese Unternehmen verfolgen rein wirtschaftlich-produktive und profitorientierte Ziele  und fordern aus diesem Grunde für die Versorgung der Bürgern eine Vergütung, die weit über das hinaus geht, was diese für andere Dienstleistungen, wie z.B. Gesundheit ausgeben müssen. Für diese Dienstleistungsunternehmen müßten die EU, Staaten, Regionen und Kommunen zwar jeden heute noch bestehenden Schutz oder alle Schranken abschaffen, aber doch wegen des mit diesen Dienstleistungen verbundenen öffentlichen Interesses die Gewinnziele klar deckeln und gleichzeitig die Beteiligung der Bürger an ihrer Organisation und Leitung sichern.

Die zweite, zu berücksichtigende Bedingung ist mit den Maßnahmen verknüpft, mit denen man gegen soziales Dumping vorgeht. Zu diesem Zweck muss dem sozialen Dialog und den frei geführten Tarifverhandlungen der  Gewerkschaften und Sozialpartner eine strategische Bedeutung und vorrangige Rolle zukommen. Diesen wird auch die vorrangige Verantwortung für die Organisation eines Binnenmarkts der Dienstleistungen anvertraut.  

♦ Vorschlag: Abschaffung der sozialen Schranken

Es wird vorgeschlagen, ein europäisches Maßnahmenpaket mit dem Ziel zu schnüren, die heute zwischen den Staaten bestehenden zahlreichen sozialen Schranken abzuschaffen, die es einem europäischen Bürger verwehren, den gleichen sozialen Schutz in einem anderen Mitgliedsstaat als dem seinen zu genießen. Man muss einen Sockel für Rechte und Schutzmaßnahmen feststellen und festlegen, die durchführbar sind.

♦ Vorschlag: Migrationsflüsse

In den europäischen Akten und politischen Maßnahmen muss klar und  unwiderruflich stehen, dass die Migrationsflüsse positiv eingestuft, aber genau kontrolliert werden müssen, denn sie können in ganz Europa in der Produktion und gewissen sozialen Dienstleistungen einen wesentlichen Beitrag leisten. 

♦ Vorschlag: das europäische Sozialmodell in den seit kurzem neuen Mitgliedsstaaten der EU

Es wird vorgeschlagen, einen Fonds einzurichten, der das europäische Sozilamodell in den neuen Mitgliedsstaaten stärkt und verbreitet. Die demokratisch-politische Revolution in den Ländern Osteuropas muss von einer Stärkung und Modernisierung der sozialen Systeme begleitet werden.

 

Bezugstheorien und -methoden

A Theoretischer Ansatz

Theorie der pluralistischen Demokratie: geht weiter als die herkömmliche Theorie der Demokratie es tat, die sich auf die direkte Beziehung zwischen Staat und Bürger begründet; sie erkennt eine dritten Rechtsperson, die Zivilgesellschaft,  an, deren Autonomie sie mit bezug auf die positive Rolle der Organisationen, die als Schnittstellen fungieren, garantiert und fördert. Die Erfahrung der Demokratie zeigt im weiten Sinne des Wortes, dass die Gesellschaft, die von dieser Anerkennung ausgeht, eine Demokratie entwickelt, die sich auf gleichgewichtete Institutionen und Sozialparteien gründet; weiterhin beschränkt sich die pluralistische Demokratie nicht auf ein Verfahrenssystem, das die Beteiligung der Bürger am Leben der Institutionen garantiert; sie erkennt vielmehr aufgrund der ihnen verbrieften Rechte und Freiheiten  auch die frei in der Gesellschaft vereinbarten Regeln an und übernimmt sie, wenn die einschlägigen Projekte den Fortschritt und die Entwicklung der Menschen zum Ziel haben.

offene Frage: die Auswirkungen, die der globale Druck auf die Identität, Rolle und Fähigkeit der Interessenvertretung und des Interessenschutzes - sei es des Staates, seien es die Organisationen, die als Schnittstellen dienen, hat - müssen bewertet werden. In diesem Sinne bestätigen die ständigen Diskussionen über die Krise des Staats und des Sozialstaats und der traditionellen politischen und sozialen Kräfte,  die Tatsache, dass allgemein tiefe Veränderungen gerade im Bereich der Identität und Funktionen dieser Akteure, besonders der oben genannten Organisationen, festgestellt werden und die Menschen verlangen, die neuen Entwicklungen in diesem Bereich zu verstehen.

offene Frage: wie kann man das Engagment zur Bildung eines gemeinsamen Modells der sozialen Förderung, wie es das europäische Sozialmodell ist, am besten mit der ständigen Bildung von neuen kollektiven Organisationsformen in Einklang bringen?

Theorie der sozialen Nachhaltigkeit: mit diesem philosopisch-politischen Begriff  werden die Gesellschaften als “nachhaltig” definiert, die sich das strategiche Ziel setzen, “langfristig” im Zeichen der Kontinuität der Institutionen und einer  Entwicklung ohne - oder wenigstens ohne große Störungen - zu funktionieren. Diese Gesellschaften beschränken sich demzufolge auf Strukturen und Aktionen, die die Entstehung von sozialen Ungleichheiten begrenzen und die Integrationsprozesse  stärken sollen. Das Konzept “Nachhaltigkeit” bezieht sich deshalb auf praktische Fragen, die wohl mit politischen und wirtschaftlichen Forderungen, aber nicht mit moralischen Fragen verbunden sind.

offene Frage: die Suche nach Punkten der Gleichgewichtung in der sozialen “Nachhaltigkeit”. In den letzten Jahrzehnten erzielten die Staaten in der Welt, die am meisten für den sozialen Neoliberalismus und globalen Kapitalismus eintraten, die besten konjunkturellen Ergebnisse; gleichzeitig ging in ihren Gesellschaften viel an sozialem Zusammenhalt verloren und die Ungleichheit im wirtschaftlichen und sozialen Bereich zunahm.

Die Staaten, die dagegen die Auswirkungen des globalen Kapitalismus und sozialen Neoliberismus besser kontrollierten und begrenzten, verzeichneten eine weit schlechtere Konjunktur, konnten sich aber einen größeren sozialen Zusammenhalt und deshalb einen höheren “Nachhaltigskeitsgrad” sichern. Bei diesen Prozessen versucht man jetzt, ein besseres Gleichgewicht zwischen Staat und Markt, zwischen öffentlicher und privater Hand, zwischen Unternehmen, Arbeitern und Sozialparteien zu sichern.

Die Theorie, in der die prekäre soziale Lage im Mittelpunkt steht: In dieser Theorie geht es darum,  dass sich die radikalen Veränderungen am Arbeitsmarkt wie Flexibilität, Mobilität und größere Anforderung an die Qualifizierung vor allem zu immer größerer sozialer Unsicherheit führen und so immer wichtiger dafür sind, ob ein Sozialsystem halten kann oder nicht. Auf jeden Fall wirken sie sich direkt auf die grundlegenden Bedingungen des sozialen Friedens und der politischen Stabilität aus. Hier  kann nur dann eingegriffen und korrigiert werden, wenn die Hauptakteure der Entwicklung in der Lage sind, die strategische Bedeutung des sozialen Friedens und der politischen Stabilität zu erkennen  und neue Strategien der  sozialen Gerechtigkeit einführen, die auf neuen sozialpolitischen Massnahmen und neuen Dienstleistungen aufbauen.

offene Frage: die Überlegungen beschäftigen sich mit der zentralen Stellung der Arbeit in der heutigen modernen Gesellschaft und stellen einen Vergleich mit anderen Faktoren an, die immer mehr in den Mittelpunkt im Leben der Menschen als Bezugspunkt für die Identität und ethisch-kulturellen Werte rücken: z.B., Konsumismus und Individualismus. Das genau ist einer der überzeugendsten Gründe dafür, dass man das europäische Sozialmodell vor allem im Bereich “Kultur und Ethik” stärken muss, damit Solidarität und Anerkennung der Menschenwürde wieder ihren richtigen Stellenwert bekommen und der Platz eines Menschen in der Gesellschaft  nicht ausschließlich durch sein Einkommen bestimmt wird (Armut darf nicht als ein Grund zur Scham angesehen werden!).

Die Theorie der sozialen Qualität: definiert den Bereich der ”sozialen Aktion”, indem sie sich auf vier bedingende und vier richtungsgebende normative Faktoren beruft.

Die vier bedingenden Faktoren werden identifiziert mit: a) der sozio-ökonomischen Sicherheit; b) dem sozialen Zusammenhalt, c) der sozialen Integration, d) den Aktionen im sozialen Bereich.

Die vier richtunsgebenden, normativen Faktoren werden identifiziert mit: a) sozialer Gerechtigkeit (Gleichheit); b) Solidarität; c) der Bürger als Demokrat; d) der Menschenwürde.

Die Theorie der sozialen Qualität gibt die Richtung in der Übergangsphase vom traditionellen zum neuen Sozialstaat an, der sich als eine Gesellschaft des nachhaltigen welfare definiert. Sie stellt die Frage der Bindung zwischen Individuum und Gesellschaft in den Mittelpunkt und räumt der Solidarität mehr Bedeutung ein als dem Individualismus, weil die Überzeugung dahin geht, dass die Lösungen, die dem neuen welfare  am besten entsprechen und eine Wertigkeit besitzen, nicht von den einzelnen Personen (einzelne Antworten) gegeben werden können, sondern von den Organisationen (kollektive Antworten) kommen müssem, die in der Lage sind, die neuen Erwartungen an die Institutionen besser zusammenzufassen und zu vertreten. Diese Theorie erfordert die Ausarbeitung genauer Standards, mit denen man die Prozesse der sozialen Qualität messen kann.

Die Theorie der relativen Gleichheit: definiert “die Kriterien der Gleichheit” in der Entwicklung und bezieht sich dabei nicht auf eine  Ideologie der Gleichheit, die auf jeden Fall und in allen Situationen anzuwenden ist, sondern auf ein Gleichheitsprinzip. Mit diesem werden gleichzeitig die Wachstumsprobleme wie auch die Probleme berücksichtigt, die durch große Unterschiede im Einkommen, in der Kultur und bei den Chancen entstehen – und natürlich behoben werden müssen. Die sozialpolitischen Massnahmen müssen dagegen ständig in einer dynamischen Vision auf die neu entstehenden Bedürfnisse in der Gesellschaft angepasst werden.

Ganz realistisch und objektiv nimmt diese Theorie an, dass aus kurz- und mittelfristiger Sicht die Entwicklung in der Welt weiterhin zu größeren Ungleichheiten führen wird. Deshalb schlägt sie vor allem Schutzstrategien für den schwächsten und am wenigsten geschützten Teil der Gesellschaft vor, wie z.B.: eine neue und passendere Definition des kollektiven Interesses; Übernahme der besten Analysensysteme, an Hand derer man die Entstehung neuer sozialer Bedürfnisse erheben und bemessen kann; Festlegung neuer Garantien für die Bürger und Ausbau der bestehenden Schutzsysteme; eine neue Einteilung der arbeitspolitischen Massnahmen, die die Anerkennung von Verdiensten und die Verantwortung der Arbeitnehmer in den Mittelpunkt stellt; die Organisation von sozialpolitischen Massnahmen, mit denen man den Bürgern helfen kann, damit sie den modernen Wachtum auch als Chance verstehen können. Eine radikale Reform und Entbürokratisierung des Sozialstaats und Aufbau einer neuen Beziehung zwischen Staat und Zivilgesellschaft gehören zu den wesentlichen Aspekten dieses theoretischen Ansatzes für die Entwicklung.

Theorie der Umverteilung des Einkommens: hier wird aufgestellt, dass es sich bei den beiden Prozessen a) wie Wachstum und die Produktion von Reichtum b) sowie dessen Umverteilung nicht um zwei getrennte, sondern zwei eng miteinander verbundene Prozesse, um zwei einander ergänzende Aspekte der Entwicklung handelt. Die Umverteilung muss insbesondere als eine wesentliche Funktion des Wachstums verstanden werden. Politik und Wirtschaft werden aufgefordert, den Fehler im weit verbreiteten theoretischen Ansatz zu berücksichtigen, in dem beide Aspekte voneinander  unterschieden werden und im Wachstum den ersten Schritt sieht, auf den die Umverteilung folgt.

offene Frage: Auswirkungen, die sich  auf Grund der Schwächung des  europäischen Sozialmodells ergeben.

Die Schwächung des sozialen Modells wurde als politisch-wirtschaftliches Ziel verfolgt. Man setzte auf die Schaffung von Reichtum und Entstehung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft, trug damit aber  zur Senkung der Produktivität in Europa bei. In der Tat führte sie in den Unternehmen dazu, dass man Konjunkturmodelle vorzug, in denen die Senkung der Arbeitskosten und die Streichung von  Arbeitsplätzen wichtiger als die Investition von Kapital und Innovationen waren. Die Schwächung des europäischen Sozialmodells führte zu inkorrekten und irreführenden Entscheidungen, die nur noch mehr Probleme in der gesamten Entwicklung der EU hervorriefen.

 ► Offene Frage: Auswirkungen der steuerpolitischen Maßnahmen.

Bei Durchführung einer gerechteren Einkommensverteilung und der sich daraus erhofften geringeren Ungleichheit und Armut stellte sich heraus, dass rein steuerliche Eingriffe nicht ausreichen und weniger geeignet sind als andere Strategien wie z.B. diejenigen, bei denen die Rolle der Sozialpartner sehr wichtig ist und die diese an der Konzertation der sozio/ökonomischen politischen Maßnahmen beteiligen.

B – Methodologischer Ansatz  

Die Methode der “Gegenüberstellung”: beschäftigt sich vor allem mit der Analyse und Bewertung der doch auch sehr unterschiedlichen Sozialmodelle in Europa und in anderen wichtigen Weltteilen, angefangen mit Nordamerika; diese Methode ermöglicht eine genaue Feststellung und Definition der  eigenständigen und originalen   Charakteristiken des europäischen Sozialmodells.

Die Systemanalyse: Diese erscheint als die am besten geeignete Methode für das europäische Sozialmodell. Mit ihr werden die charakteristischen Grundelemente, das System der gegenseitigen Abhängigkeit, die zwischen den Elementen bestehenden Beziehungen und die Dynamik, wie alles funktioniert, sichtbar. Als Grundelemente werden politische, institutionelle, wirtschaftliche, soziale und ethisch-kulturelle Faktoren festgestellt.

Das komplexe europäische Sozialmodell kann sich nicht ausschließlich auf den Bereich des sozialen Schutzes und der damit verbundenen Rechte, Strukturen und Maßnahmen beschränken, sondern muss  auch die Problematik der umfassenden Beziehungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, Arbeit und Gesellschaft mit einschließen, wie die politischen Konzertationsmaßnahmen in der Entwicklung bis zur Demokratie in der Wirtschaft, von Vertretungen und Beteiligung, vom Arbeitsrecht bis zu den Arbeitsbeziehungen und zur Lohnpolitik.

Ein “politischer Ansatz”: Ein richtiger Ansatz zum Verständnis der Dynamik des europäischen Sozialmodells und seiner möglichen Entwicklungen erfordert – der systemeigenen Natur zufolge – eine Analyse, die an erster Stelle die Ausrichtungen, Beziehungen und Initiativen der Hauptakteure, der sogenannten stakeholders, auswertet.

Deshalb wird vorgeschlagen, dass: a) die technisch-finanzielle Analysen der spezifischen Posten und Dienstleistungen,  die Analysen der großen Bezugsbereiche (die “sozialen Modelle”, die “sozialen Familien”), der Verbindungen und der Austausch der verschiedenen Modelle auf Grund von best practices aufzugeben und daher b) von der Bewertung der technisch-praktischen Aspekte zur Bewertung der politischen Aspekte überzugehen und das Netz der zwischen den politisch-sozialen Kräften gespannten Beziehungen, welche ja die Hauptakteure im Aufbau des europäischen Sozialmodells sind, festzustellen und vor allem dieses Netz zu stärken und aufzuwerten.

Vergleichbarkeit der nationalen Erfahrungen: Obwohl die Erfahrungen der Nationalstaaten in Europa im Bereich des Sozialstaats und der Beziehung zwischen Staat – Gesellschaft - Markt auf völlig differenzierten Paradigmen aufbauen,  denkt man allgemein – von wenigen entgegengesetzten  Meinungen abgesehen - dass genügend gemeinsame Elemente vorliegen, um die Erfahrungen vergleichen zu können, sie kompatibel zu machen und so ein hoher Harmonisierungsgrad der verschiedenen Systeme  erreicht werden kann.

Gerade auf Grund dieser Annahme erscheint das europäische Sozialmodell nicht nur wie ein Symbol oder sogar - wie in einigen Thesen vertreten wird – als etwas, was es gar  nicht gibt, sondern als Fakt. Deshalb ist der Vergleich der nationalen Erfahrungen besonders wirksam und ein angemessener, geeigneter Weg im Engagement zur Stärkung des europäischen Sozialmodells.


8.1. Prekäre Lebensbedingungen, unsichere Arbeitsverhältnisse – Expansion sozialer Ungleichheiten. Auf dem Weg von der Peripherie zum Zentrum?

Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections


TRANS
 Inhalt | Table of Contents | Contenu  17 Nr.
INST

For quotation purposes:
Marco Ricceri: Für eine Reform des europäischen Sozialmodells - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/8-1/8-1_ricceri.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-02-04